Urteil des StGH Hessen vom 13.03.2017
StGH Hessen: öffentliches recht, petition, einstweilige verfügung, öffentlichrechtliche streitigkeit, verfassungsrecht, hessen, grundrecht, verwaltungsrecht, hauptsache, regierung
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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 782
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 16 Verf HE, Art 94 Verf HE,
Art 147 Abs 2 Verf HE
Leitsatz
1. Zur Abgrenzung verfassungsrechtlicher und nichtverfassungsrechtlicher
Streitigkeiten.
2. Zur Rechtsnatur eines Petitionsbescheides des Hessischen Landtags.
3. Für Streitigkeiten über die Erledigung von Petitionen ist der Verwaltungsrechtsweg
nach § 40 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung gegeben. Die Frage nach der Art der
verwaltungsgerichtlichen Klage wird offengelassen.
4. Art. 16 HV gewährt dem einzelnen Staatsbürger ein subjektiv-öffentliches Recht auf
Erledigung seiner Petition.
5. Die Fragen des sog. Petitionsinformierungsrechts und des sog.
Petitionsüberweisungsrechts nach Art. 94 HV berühren allein das Rechtsverhältnis
zwischen Landtag und Regierung.
6. Art. 22 Abs. 1 und 3 HV sind durch Art. 103 GG ersetzt. Art. 22 Abs. 2 HV gilt nur als
Anweisung an den Landesgesetzgeber für ihm vorbehaltene Gebiete des Strafrechts
weiter.
7. Art. 147 Abs. 2 HV ist gegenstandslos geworden (ständige Rechtsprechung).
8. Art. 146 HV gewährt kein Grundrecht. Die Frage der Fortgeltung des Art. 146 Abs. 2
HV bleibt offen.
9. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung darf die Entscheidung in der Hauptsache
nicht vorwegnehmen.
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 500,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller richtete unter dem 17. Juni 1974 einen Antrag auf "Einleitung der
Entkriminalisierung der Justiz" an verschiedene Adressaten, darunter an den
Bundespräsidenten, die Präsidentin des Bundestages und den Bundeskanzler. Zur
Begründung machte er umfangreiche Ausführungen über einen angeblichen
Rechtsnotstand bei der Justiz; insbesondere behauptete er, Richtern Frankfurter
Gerichte nachgewiesen zu haben, daß sie ihre Urteile auf "erfundene Tatbestände"
gestützt hätten, für die es in Schriftsätzen, Zeugenaussagen und
Vernehmungsprotokollen keine Grundlage gebe. Seine Gegenbeweise seien
ignoriert worden. Rechtsanwälte habe er überführt, vor Gericht und bei Behörden
vorsätzlich falsch vorgetragen zu haben. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Main)
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vorsätzlich falsch vorgetragen zu haben. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Main)
habe trotz seiner Anzeige die Einleitung von Ermittlungsverfahren abgelehnt.
Gerichtsvollzieher, die derart zustande gekommene Urteile vollstreckt hätten,
bezeichnete er als "Räuber an der Front", denen die Polizei, statt den "Beraubten"
zu schützen, noch zu Hilfe eile. Weiter trug er vor, daß er aus Sorge, sich sonst
möglicherweise der "Zusammenarbeit mit einer kriminellen Vereinigung schuldig
zu machen", Mitteilungen und Anweisungen der Justiz so lange nicht befolgen
werde, bis ihre "Entkriminalisierung" durchgeführt sei.
Ferner fragte der Antragsteller an, wo er Schadensersatzansprüche aus derartigen
Amtspflichtverletzungen von Justizorganen geltend machen könne, ohne sich an
Gerichte oder Staatsanwaltschaften wenden zu müssen. Da ihm, wie er vorträgt,
hierauf der Präsident des Hessischen Landtags als die zuständige Stelle genannt
worden sei, wandte er sich mit dem Schriftsatz vom 24. November 1974 an
diesen, wiederholte sein Vorbringen und ergänzte es durch die Behauptung, bei
der Frankfurter Justiz "hätten Straftäter Einfluß auf die dort zu treffenden
Entscheidungen". Weiter erkundigte er sich nach Anschriften verschiedener
Menschenrechtskommissionen sowie nach Möglichkeiten einer Anrufung des
Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und des Staatsgerichtshofs
des Landes Hessen. Zu allem stützte er sich auf das Grundgesetz (GG),
insbesondere auf dessen Artikel 1, 3, 17 und 19, sowie auf Artikel 147 der
Hessischen Verfassung (HV). In einem weiteren Schriftsatz an den
Landtagspräsidenten vom 18. Dezember 1974 verlangte der Antragsteller, der
Landtagspräsident solle dazu beitragen, daß der von "berufsmäßig lügenden
Anwälten" angerichtete, "durch falsche Kumpanei zwischen Richtern und
Staatsanwälten geförderte Schaden" dem Geschädigten voll ersetzt werde.
Der Präsident des Hessischen Landtags behandelte diese Eingaben als Petition
und wies sie mit Schreiben vom 23. Dezember 1974 gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 2 der
Geschäftsordnung des Landtages zurück, weil der Antragsteller darin unter
anderem Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte in einer Form bezeichne, die
den Tatbestand der Beleidigung bzw. der üblen Nachrede im Sinne des
Strafgesetzbuches erfülle.
Der Antragsteller wies dies mit Schriftsatz vom 24. Dezember 1974 "aufs
Schärfste" zurück, ersuchte den Landtagspräsidenten, den Vorwurf schriftlich zu
widerrufen, weil er den Antragsteller damit seinerseits beleidigt habe, und ergänzte
seine Ausführungen durch weitere Eingaben vom 22. Januar, 26. Februar, 5. und
29. März 1975, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Der Landtagspräsident
legte die Eingaben als Beschwerden dem Ältestenrat vor, der sie verwarf; dies
wurde dem Antragsteller vom Vizepräsidenten des Landtags durch Schreiben vom
23. April 1975 mitgeteilt.
II.
Mit Eingabe vom 23. März 1975 hat der Antragsteller den Staatsgerichtshof
angerufen. Er macht neben "Verfassungsbrüchen" die "Verletzung der in der
Verfassung als garantiert bezeichneten Grundrechte" geltend, erhebt wegen des
"ungeheuren Tuns" des Hessischen Landtagspräsidenten gegen diesen sowie den
Ältestenrat Klage und beantragt, der Staatsgerichtshof möge gegen die
geschilderten Rechts- und Verfassungsbrüche den "eisernen Besen" ansetzen.
III.
Der Landesanwalt hält das Begehren des Antragstellers in vollem Umfang für
unzulässig. Ein Verfahren wegen Verfassungsbruchs könne der Staatsgerichtshof
nicht einleiten; Art. 147 Abs. 2 HV sei gegenstandslos geworden und als Antrag
nach Art. 146 Abs. 2 HV könne das Vorbringen nicht ernsthaft qualifiziert werden.
Auch die Voraussetzungen einer Grundrechtsklage gemäß §§ 45 ff StGHG seien
nicht erfüllt. Der Antragsteller habe weder einen Verstoß gegen ein Grundrecht
substantiiert, noch dargelegt, daß er den Rechtsweg erschöpft habe. Auf seine
Darlegungen im einzelnen einzugehen, sieht er keinen Anlaß. Unsubstantiierte
Angriffe gegen die Amtsführung des Landtagspräsidenten und pauschale Kritik an
angeblichen Mißständen in Verwaltung und Rechtspflege könnten im Wege der
Grundrechtsklage nicht geltend gemacht werden.
Der Antragsteller ist den Ausführungen des Landesanwalts entgegengetreten,
wenngleich er in ihnen teilweise eine "Bestätigung der Begründung seiner Klage"
gegen den Präsidenten und Ältestenrat des Landtages sieht. Zur weiteren
Begründung seines Begehrens beruft er sich noch auf die Verletzung von Art. 22
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Begründung seines Begehrens beruft er sich noch auf die Verletzung von Art. 22
HV.
Mit Schriftsatz vom 8. Juni 1975 hat der Antragsteller den Erlaß einer einstweiligen
Verfügung beantragt, wonach bis zur Prüfung aller von ihm behaupteten
angeblichen Mißstände bei den Frankfurter Justizbehörden und bis zum vollen
Ersatz aller ihm dadurch entstandenen Schäden das Verfahren ... des
Landgerichts Frankfurt (Main) mit sofortiger Wirkung ausgesetzt werden solle.
IV.
Die Anträge können keinen Erfolg haben. Sie sind unzulässig.
1. Nach Artikel 131 Abs. 3 HV bestimmt das Gesetz über den Staatsgerichtshof, in
welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen jedermann das Recht hat, den
Staatsgerichtshof anzurufen. Zwar kann danach gemäß § 45 Abs. 2 StGHG
jedermann den Antrag auf Verteidigung der Grundrechte stellen, der geltend
macht, daß ein ihm von der Verfassung gewährtes Grundrecht verletzt sei; doch
findet nach § 48 Abs. 3 StGHG ein Verfahren wegen Grundrechtsverletzung nur
dann statt, wenn der Antragsteller zuvor eine Entscheidung des höchsten in der
Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt hat. Das hat der Antragsteller nicht
getan und sich damit selbst um die Möglichkeit gebracht, den Staatsgerichtshof
anzurufen. Er hat weder vorgetragen, daß er wegen der behaupteten
Rechtsverletzungen den Rechtsweg erschöpft habe, noch hat er die
Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 StGHG erfüllt, wonach das verletzte Grundrecht
bezeichnet werden muß und der Antragsteller mit Angabe der Beweismittel die
Tatsachen darzulegen hat, als denen sich der Mißbrauch oder die Verletzung des
Grundrechts konkret ergeben soll.
a) Soweit sich der Antragsteller gegen die Art der Erledigung seiner Petition an den
Hessischen Landtag vom 24. November 1974 und der weiteren ergänzenden
Eingaben hierzu durch den Bescheid des Präsidenten des Hessischen Landtages
vom 23. Dezember 1974 und den Beschwerdebescheid des Präsidenten des
Hessischen Landtages vom 23. April 1975 wendet, hat er den Rechtsweg nicht
erschöpft.
Art. 16 HV gewährt dem einzelnen Staatsbürger zwar ein subjektiv-öffentliches
Recht auf Erledigung seiner Petition durch die zuständige Behörde oder die
Volksvertretung, an die sich der Petent gewandt hat. Diese "Erledigungspflicht"
begründet, einen Anspruch auf Entgegennahme, sachliche Prüfung und
Verbescheidung des Petenten, soweit seine Petition nicht die allgemeinen
Schranken des Art. 2 Abs. 1 HV verletzt (vgl. Zinn-Stein, Die Verfassung des
Landes Hessen, Kommentar, 1954, Art. 16 HV, Anm. 2, S. 139; Maunz-Dürig-
Herzog, Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl., 1974, Art. 17 GG, RdNr. 5 ff). Für
Streitigkeiten über die Erledigung von Petitionen ist jedoch nach überwiegender
Ansicht der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - eröffnet (vgl. Dagtoglou im Bonner
Kommentar, Stand April 1975, Art. 17 GG RdNr. 137; Eyermann-Fröhler,
Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 42 RdNr. 34; Maunz-Dürig-
Herzog, a.a.O., Art. 17 GG, RdNr. 81; OVG Hamburg, Urteil vom 20. August 1965,
DVBl. 1967, 86; Hess. VGH, Beschluß vom 4. Juni 1974 - IV OE 93/72 a. A. für
Parlamentspetitionen; Wolff, Verwaltungsrecht III, 3. Aufl., 1973, § 166 III f und
Bayer. VerfGH, Entsch. vom 15. Mai 1957 in BayVGHE 10, 20, 25). Streitig ist nur
die Frage nach der Art der verwaltungsgerichtlichen Klage, sei es, daß die durch
Art. 16 HV gewährleistete Erledigungspflicht im Wege der allgemeinen
Leistungsklage vor den Verwaltungsgerichten durchgesetzt werden muß, sei es,
daß die Erledigung durch die Verpflichtungsklage begehrt oder, falls der
Petitionsbescheid unsachlich ist, dieser mit der Anfechtungsklage angegriffen
werden muß. Dazu braucht der Staatsgerichtshof in diesem Verfahren jedoch nicht
Stellung zu nehmen; denn in jedem Falle hätte der Antragsteller den
Verwaltungsrechtsweg erschöpfen müssen, bevor er den Staatsgerichtshof im
Wege der Grundrechtsklage anrufen konnte.
Der Mindermeinung (vgl. Wolff, a.a.O., und Bayer. VerfGH, a.a.O.), nach der
Petitionsbescheide von Volksvertretungen bzw. deren Ausschüssen nur mit der
Verfassungsbeschwerde (Grundrechtsklage) angreifbar sind, vermag sich der
Staatsgerichtshof nicht anzuschließen. Unabhängig von der rechtlichen
Qualifikation des parlamentarischen Petitionsbescheides als "sonstige
Amtshandlung", durch die eine verfassungsrechtliche Pflicht erfüllt wird (so Hess.
VGH, a.a.O., mit weiteren Nachweisen) oder als "verfassungsrechtliche
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VGH, a.a.O., mit weiteren Nachweisen) oder als "verfassungsrechtliche
Hilfstätigkeit" (so Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1923 Bd. I S.
7) oder aber gar als "Verwaltungsakt" (so Dagtaglou, a.a.O., RdNr. 139; Maunz-
Dürig-Herzog, a.a.O., RdNr. 81 mit Fußnote 4) stellt sich die Streitigkeit über den
Petitionsbescheid zwischen dem Staatsbürger und dem Staatsorgan "Parlament"
immer als eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im
Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO dar. Denn "verfassungsrechtliche Streitigkeiten" sind
nur die sogenannten echten Verfassungsstreitigkeiten, d.h. Streitigkeiten zwischen
den am Verfassungsleben unmittelbar beteiligten Rechtsträgern, und Teilen von
solchen um die ihnen auf Grund von Verfassungsrecht zukommenden Rechte,
Pflichten und Kompetenzen sowie sonstige herkömmlicherweise ausschließlich
dem Verfassungsrecht zugerechnete Streitigkeiten (vgl. Eyermann-Fröhler, a.a.O.,
§ 40 RdNr. 63, 63 a mit weiteren Nachweisen).
So hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 24, 272, 279) für die Frage, ob
eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher oder nichtverfassungsrechtlicher Art ist,
einer mehr praktischen Abgrenzung den Vorzug gegeben und als maßgebliches
Kriterium dafür angesehen, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom
Verfassungsrecht geformt ist. Diese ständige Rechtsprechung hat das
Bundesverwaltungsgericht in einer späteren Entscheidung (BVerwGE 36, 218,
227/228) dahingehend verdeutlicht, daß dem Verfassungsrecht im Rahmen des §
40 Abs. 1 VwGO nur die Rechtsbeziehungen von Verfassungsorganen oder am
Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander zuzurechnen sind, nicht aber
diejenigen zwischen dem Bürger und dem Staat, selbst wenn ein
Verfassungsorgan daran beteiligt ist. Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt
demnach nur dann vor, wenn die vom Antragsteller begehrte Rechtsfolge ihrem
materiellen Charakter her dem Verfassungsrecht angehört und die streitenden
Subjekte als Verfassungsorgane anzusehen sind.
Die Tatsache, daß der Antrag auf ein in der Verfassung normiertes Recht (Art. 16
HV) gestützt wird, ist nicht geeignet, der Streitigkeit verfassungsrechtlichen
Charakter zu verleihen. Ansonsten müßte jedes Klagebegehren, das sich auf eine
Grundrechtsbestimmung oder ein grundrechtsähnliches Recht stützt, als
verfassungsrechtliche Streitigkeit gewertet werden. Dieses Ergebnis wird auch
durch § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bzw. § 48 Abs. 3 Satz 1 StGHG gestützt, die für
Streitigkeiten zwischen Bürger und Staat primär eine Zuständigkeit der Gerichte
außerhalb der Verfassungsgerichtsbarkeit voraussetzen.
Unabhängig von der rechtlichen Qualifikation des parlamentarischen
Petitionsbescheides und der damit zusammenhängenden Frage, ob der Landtag
bei der Bescheidung einer Petition als Verfassungsorgan tätig wird, d. h. dem
Petitionsbescheid spezifische verfassungsrechtliche Kriterien innewohnen, oder der
Bescheid vom Landtag als "Behörde" erlassen wird, ist die Streitigkeit über einen
Petitionsbescheid zwischen dem Staatsbürger und dem Staatsorgan "Landtag"
schon deshalb eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher
Art, weil der einzelne Bürger nicht Beteiligter an einer "Verfassungsstreitigkeit" sein
kann (vgl. zu diesem Begriff auch StGH, Beschluß vom 25. Oktober 1967 - P. St.
482 -). Weder dem Art. 16 HV noch dem Art. 94 HV kann ein Hinweis dafür
entnommen werden, daß der Verfassungsgeber "jedermann" eine irgendwie
geartete Organstellung im Verfassungsleben einräumen wollte. Diese Annahme
würde auch dem Prinzip der repräsentativen Demokratie widersprechen, wie es in
Art. 71 HV zum Ausdruck kommt.
Schließlich muß nicht jeder im objektiven Verfassungsrecht begründeten Pflicht ein
vor dem Staatsgerichtshof verfolgbarer Anspruch eines anderen Beteiligten
gegenüberstehen. Es bedarf vielmehr in jedem Fall der Prüfung, ob die
Verfassungsnorm ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten
oder ein in § 45 StGHG geschütztes Recht begründet. Nur dann kann der in seinen
Rechten Verletzte einen Antrag im Verfassungsstreit- oder
Grundrechtsklageverfahren stellen. Andererseits sind die Fälle, in denen ohne
diese Voraussetzung ein Antrag im objektiven Verfahren gestellt werden kann, eng
begrenzt. Es kann also verfassungsrechtliche Pflichten geben, deren Feststellung
durch den Staatsgerichtshof die Interessierten nicht betreiben können (vgl. dazu
BVerfGE 13, 54, 96/97). Um einen solchen Fall handelt es sich gerade hier, soweit
der Antragsteller rügt, der Landtag habe bei der Behandlung der Petition vom 24.
November 1974 sein Kontrollrecht gegenüber der Exekutive nicht
sachentsprechend ausgeübt. Die Fragen des sog. Petitions-Informierungsrechts
und des sog. Petitionsüberweisungsrechts (Art. 94 HV) berühren allein das
Rechtsverhältnis zwischen Landtag und Regierung. Nur sie könnten gegebenenfalls
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Rechtsverhältnis zwischen Landtag und Regierung. Nur sie könnten gegebenenfalls
an einer "verfassungsrechtlichen Streitigkeit" im Rahmen des Art. 94 HV beteiligt
sein.
Der Antragsteller hat mithin, was seine Petition an den Hessischen Landtag vom
24. November 1974 anbelangt, den Verwaltungsrechtsweg nicht ausgeschöpft und
dadurch die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts nicht
herbeigeführt. Insoweit ist seine Grundrechtsklage unzulässig.
Soweit sich der Antragsteller auf Art. 22 HV beruft, kann dies auch keinen Erfolg
haben. Art. 22 Abs. 1 und 3 HV sind durch Art. 103 GG ersetzt (so StGH, Beschluß
vom 30. November 1955 - P. St. 187 -; Zinn-Stein, a.a.O., Art. 22 HV, Anm. 1 S.
157). Art. 22 Abs. 2 HV gilt nur als Anweisung an den Landesgesetzgeber für ihm
vorbehaltene Gebiete des Strafrechts weiter (vgl. StGH, Beschluß vom 7. August
1968 - P. St. 518 -).
Schließlich könnte weiter zweifelhaft sein, ob das Schreiben des Antragstellers vom
24. November 1974 an den Hessischen Landtag wegen seines - jedenfalls zum Teil
- beleidigenden und herausfordernden Inhalts überhaupt als Petition im Sinne von
Art. 16 HV gewertet werden kann (vgl. dazu Bayer.VerfGH, Entsch. vom 3. August
1967 in BayVGHE Bd. 20, 138, 139 mit weiteren Nachweisen). Indes kann dies
dahingestellt bleiben.
b) Wegen des vom Antragsteller behaupteten "Rechtsnotstandes der Justiz" kann
er den Staatsgerichtshof nicht nach Artikel 147 Abs. 2 HV anrufen. Diese Vorschrift
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs (vgl. Beschluß vom
4. August 1971 - P. St. 649 - in ESVGH 22, 13 mit weiteren Nachweisen, zuletzt
Beschluß vom 10. September 1975 - P. St. 760, 773 -) gegenstandslos geworden,
nachdem die hierzu erlassenen Verfahrensvorschriften der §§ 38 ff. StGHG durch §
6 EGStPO in der Fassung des Bundesgesetzes zur Wiederherstellung der
Rechtseinheit vom 12. September 1950 (BGBl. I S. 455) außer Kraft gesetzt
worden sind. Im übrigen hat der Staatsgerichtshof mehrfach festgestellt, daß mit
einem "Verfassungsbruch" oder "einem auf Verfassungsbruch gerichteten
Unternehmen" im Sinne des § 147 Abs. 2 HV ein Angriff auf die Grundlagen der
Verfassung, nicht aber die angebliche Mißachtung einzelner - vom Antragsteller im
vorliegenden Falle zudem weder genannten, noch aus seinem Vorbringen sonst
erkennbaren -Verfassungsnormen gemeint sind (vgl. Beschluß vom 10. März 1971
- P. St. 613 -).
c) Als Antrag nach Artikel 146 Abs. 2 HV kann das Begehren des Antragstellers
ebenfalls nicht qualifiziert werden, zumal er nicht zu dem in § 17 Abs. 2 in
Verbindung mit § 31 Abs. 2 StGHG genannten Personenkreis von
Antragsberechtigten gehört. Schließlich gewährt Art. 146 HV auch kein Grundrecht
im Sinne des § 45 Abs. 2 StGHG (vgl. StGH, Beschluß vom 16. Juni 1971 - P. St.
631 -). Die Frage, ob Artikel 146 Abs. 2 HV im Hinblick auf Artikel 18, 142 GG
überhaupt fortgilt, braucht daher in diesem Verfahren nicht entschieden zu
werden.
2. Im übrigen verkennt der Antragsteller die Aufgaben eines
Landesverfassungsgerichts. Der Staatsgerichtshof ist nicht befugt,
Entscheidungen von Gerichten oder Dienststellen, hier beispielsweise des
Landtagspräsidenten oder des Ältestenrates, auf die Richtigkeit ihrer tatsächlichen
Feststellungen, auf zutreffende Beweiswürdigung, auf Richtigkeit der Anwendungen
und Auslegung von Gesetzen im Einzelfall zu überprüfen.
3. Auch der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung kann keinen Erfolg
haben. Da die Anträge in der Hauptsache sich sämtlich als unzulässig erweisen, ist
nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs auch für den Erlaß
einer einstweiligen Verfügung kein Raum (vgl. StGH, Beschluß vom 9. Februar
1972 - P. St. 665 - in ESVGH 22, 137 = DÖV 1972, 568, zuletzt Beschluß vom 10.
September 1975 - P. St. 780 -).
Darüber hinaus wäre es dem Staatsgerichtshof überhaupt versagt, eine
einstweilige Verfügung mit dem vom Antragsteller begehrten Inhalt zu erlassen,
"das Verfahren und seine Folgen beim Landgericht Frankfurt (Main) - ... - mit
sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen, in den Anfangszustand
zurückzuversetzen oder nach Feststellung der Unrechtmäßigkeit völlig
niederzuschlagen". Zu solchen Eingriffen in schwebende oder auch
abgeschlossene Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist der
Staatsgerichtshof nicht befugt; denn er aknn als Landesverfassungsgericht unter
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Staatsgerichtshof nicht befugt; denn er aknn als Landesverfassungsgericht unter
den Voraussetzungen des § 22 StGHG nur im Streitfall einen Zustand vorläufig
regeln. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit dem begehrten Inhalt würde
aber eine Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, das wäre unzulässig
(so StGH, Beschluß vom 2. August 19 72 - P. St. 692 u. 693 -, StAnz. 1972, 1489).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.