Urteil des StGH Hessen vom 20.10.1999

StGH Hessen: begriff, hessen, historische auslegung, gemeindeverband, grammatikalische auslegung, öffentliche aufgabe, systematische auslegung, entstehungsgeschichte, garantie, gebietskörperschaft

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1294
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 137 Verf HE, § 19 Abs 2 Nr
10 StGHG HE, § 46 StGHG HE
(StGH Wiesbaden: Grundrechtsklage eines kommunalen
Gebietsrechenzentrums wegen fehlender
Gemeindeverbandsqualität iSv StGHG §§ 46, 19 Abs 2 Nr 10
unzulässig)
Leitsatz
1. Gemeindeverbände im Sinne des Art. 137 HV sind mehrere Gemeinden umfassende
Gebietskörperschaften mitunmittelbar demokratisch legitimierten
Vertretungskörperschaften, die nach Maßgabe einer gesetzlichen
Zuständigkeitsabgrenzung zu den Gemeinden zur grundsätzlich umfassenden
Aufgabenwahrnehmung befugt sind.
2. Ein Kommunales Gebietsrechenzentrum ist kein Gemeindeveband in diesem Sinne
und daher im kommunalen Grundrechtsklageverfahren nicht antragsberechtigt.
Gründe
A
I.
Der Antragsteller wendet sich unter Berufung auf die verfassungsrechtliche
Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gegen den durch Gesetz eingeführten
stufenweisen Abbau ihm gewährter Landeszuschüsse.
§ 2 Abs. 3 Satz 1 des Datenverarbeitungsverbundgesetzes vom 22. Juli 1988
(GVBl. I, S. 287) - DV-VerbundG 1988 - traf die Regelung dass die Kommunalen
Gebietsrechenzentren für ihre laufenden Aufwendungen eine jährliche Zuweisung
des Landes erhalten. Die Zuweisung den Landes wurde für das Kommunale
Gebietsrechenzentrum in Darmstadt auf 12,3 Millionen Deutsche Mark, für das
Kommunale Gebietsrechenzentrum in Frankfurt am Main auf 18,1 Millionen
Deutsche Mark und für das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Gießen auf 12,4
Millionen Deutsche Mark festgelegt, § 2 Abs. 3 Satz 2 DV-VerbundG 1988.
Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des
Haushaltsplans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 1996 und zur Änderung
anderer Rechtsvorschriften vom 15. Juli 1996 (GVBl. I, S. 314) -
Nachtragshaushaltsgesetz 1996 - sieht eine Änderung des
Datenverarbeitungsverbundgesetzes vor. § 2 Abs. 3 DV-VerbundG 1988 hat
danach folgende Fassung erhalten:
Die Kommunalen Gebietsrechenzentren erhalten bis zum Jahr 2000 für ihre
laufenden Aufwendungen eine jährliche Zuweisung des Landes. Die Zuweisung des
Landes wird wie folgt festgesetzt:
1. Das Kommunale Gebietsrechenzentrum Kommunale Informationsverarbeitung
in Hessen (Zusammenschluss der ehemaligen Gebietsrechenzentren in
Darmstadt, Frankfurt am Main und Gießen) erhält für das Jahr 1997 34 240 000
Deutsche Mark, für das Jahr 1998 25 680 000 Deutsche Mark, für das Jahr 1999 17
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Deutsche Mark, für das Jahr 1998 25 680 000 Deutsche Mark, für das Jahr 1999 17
120 000 Deutsche Mark und für das Jahr 2000 8 560 000 Deutsche Mark.
2. Das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Kassel erhält für das Jahr 1997 9 600
000 Deutsche Mark, für das Jahr 1998 7 200 000 Deutsche Mark, für das Jahr 1999
4 800 000 Deutsche Mark und für das Jahr 2000 2 400 000 Deutsche Mark.
3. Das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Wiesbaden erhält für das Jahr 1997 8
400 000 Deutsche Mark, für das Jahr 1998 6 300 000 Deutsche Mark, für das Jahr
1999 4 200 000 Deutsche Mark und für das Jahr 2000 2 100 000 Deutsche Mark.
Nach Art. 7 des Nachtragshaushaltsgesetzes 1996 ist diese Änderung am 1.
Januar 1997 in Kraft getreten.
Der Antragsteller ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er ist mit Wirkung
vom 1. Januar 1996 durch freiwilligen Zusammenschluss der Kommunalen
Gebietsrechenzentren in Frankfurt am Main, Gießen und Darmstadt (Kommunales
Gebietsrechenzentrum Starkenburg) entstanden. Diese Kommunalen
Gebietsrechenzentren waren juristische Personen des öffentlichen Rechts, die
durch das Gesetz über die Errichtung der Hessischen Zentrale für
Datenverarbeitung und Kommunaler Gebietsrechenzentren vom 16. Dezember
1969 (GVBl. I, S. 304) geschaffen worden waren. Mitglieder der Kommunalen
Gebietsrechenzentren waren Gemeinden, Landkreise und andere Verbände. Mit
dem Zusammenschluss sind die Mitglieder der Kommunalen
Gebietsrechenzentren Mitglieder des Antragstellers geworden. Nach § 2 Abs. 2 der
Satzung des Antragstellers (StAnz. 1997, S. 522) können auf Antrag Mitglieder
werden: Gemeinden und Gemeindeverbände (Nr. 1), juristische Personen des
privaten Rechts, deren Vermögen überwiegend in der Hand von Körperschaften,
Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts liegt (Nr. 2), juristische Personen
des öffentlichen Rechts, deren Gewährträger Körperschaften, Anstalten oder
Stiftungen des öffentlichen Rechts sind (Nr. 3), und kommunale Spitzenverbände
(Nr. 4). Die Aufgaben des Antragstellers beschreibt § 3 der Satzung.
Der Antragsteller hat danach entsprechend dem Bedarf seiner Mitglieder,
1. leistungsfähige informations- und kommunikationstechnische Anlagen zur
Verfügung zu stellen und die betriebliche Abwicklung der Verfahren sicherzustellen,
2. seine Mitglieder bei der erstmaligen und laufenden Anwendung von Verfahren
und Programmen zu beraten und zu unterstützen,
3. Anwendungsprogramme zu entwickeln und zu pflegen, soweit sie nicht von
anderen Kommunalen Gebietsrechenzentren oder Dritten übernommen werden,
4. allgemeine und anwendungsspezifische Schulungsmaßnahmen auf dem Gebiet
der Informations- und Kommunikationstechnik durchzuführen,
5. die Prüfung der Programme des Finanzwesens gemäß § 111 Abs. 2 und § 131
Abs. 1 Nr. 4 HGO zu veranlassen; § 3 Abs. 2 (ÜPKKG) findet Anwendung,
6. Verfahren und Programme für den Einsatz freizugeben, soweit gesetzliche
Bestimmungen nicht entgegenstehen.
Der Antragsteller vertritt die Auffassung, er sei als Gemeindeverband im Sinne von
§ 19 Abs. 2 Nr. 10, § 46 des Gesetz es über den Staatsgerichtshof - StGHG - im
Verfahren der kommunalen Grundrechtsklage antragsberechtigt.
Dem Wortsinn nach unterfalle er jedenfalls dem Begriff des Gemeindeverbands, da
er einen verbandsmäßigen Zusammenschluss (vor allem) von Gemeinden
darstelle. Dies gelte auch bei einem nicht auf Bundkörperschaften verengten
Begriffsverständnis, nach dem die Sammelbezeichnung Gemeindeverband
zusätzlich die kommunalen Zweckverbände erfasse. Die einfachgesetzliche
Gesetzgebungspraxis in Hessen lege ein umfassendes, Zweckverbände
einschließendes Begriffsverständnis zugrunde. Dies belege beispielhaft die
Zusammenschau von § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die
Errichtung der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) und Kommunaler
Gebietsrechenzentren (KGRZ) vom 3. November 1982 (GVBl. I, S.262) - DV-
VerbundG 1982 - § 19 Abs. 1 DV-VerbundG 1982 benenne als mögliche Mitglieder
der Kommunalen Gebiet Rechenzentren Gemeinden, Landkreise und sonstige
Gemeindeverbände, § 20 Abs. 3 Satz 3 DV-VerbundG spreche als mögliche
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Gemeindeverbände, § 20 Abs. 3 Satz 3 DV-VerbundG spreche als mögliche
Mitglieder den Landeswohlfahrtsverband und den Umlandverband Frankfurt an.
Solche Stadt-Umland-Verbände aber stellt an sich regelmäßig als Mehrzweck-
Zweckverbände dar. Allerdings habe der weder in Art. 137 Abs. 2 der Verfassung
des Landes Hessen (kurz: Hessische Verfassung - HV -) noch im Gesetz über den
Staatsgerichtshof definierte Begriff des Gemeindeverbands keinen feststehenden
Inhalt, der in jedem Zusammenhang Geltung beanspruche. So habe das
Bundesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein festgestellt, das die konkrete
Bedeutung des Begriffs aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang erschlossen
werden müsse. Im Hinblick auf die Bedeutung des Begriffs des
Gemeindeverbandes im systematischen Zusammenhang mit der
Selbstverwaltungsgarantie werde die in dieser Entscheidung vom
Bundesverfassungsgericht nur im Zusammenhang des Demokratieprinzips und
des Wahlrechts auf Gemeindeverbandsebene vorgenommene Begriffsbestimmung
von Literatur und Rechtsprechung allerdings in unzulässiger Weise verallgemeinert.
Das Bundesverfassungsgericht habe lediglich den Begriff der Gemeindeverbände,
in denen gemäß Art. 2 Abs. 2 der Landessatzung für Schleswig-Holstein
Volkswahlen stattzufinden haben, dahin bestimmt, dass insoweit mit dem Wort
Gemeindeverbände nur die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben
gebildeten Gebietskörperschaften und diesen nach Umfang und Gewicht der von
ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale
Zusammenschlüsse erfasst werden sollten. Diese Konturierung des Begriffs des
Gemeindeverbandes im Kontext mit der Erforderlichkeit von Volkswahlen
entspreche der Regelung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -, der
ohne Verwendung des problematischen Begriffs des Gemeindeverbandes eine
nach den Wahlrechtsgrundsätzen gewählte Volksvertretung auch für Kreise und
Gemeinden vorsehe. Eine Übertragung dieses allein im Zusammenhang mit der
Verpflichtung zur Wahl einer Volksvertretung ermittelten Bedeutungsgehalts des
Begriffs des Gemeindeverbandes auf den andersartigen Kontext des Schutzes der
kommunalen Selbstverwaltung bei Gemeindeverbänden sei unstatthaft. Aufgrund
dieser Erkenntnis verbiete es sich im Hinblick auf die Auslegung der Verfassung
des Landes Hessen vor vornherein, aus dem Art. 137 Abs. 6 ihrer
Ursprungsfassung oder aus dem neu gefassten Art. 138 HV mit abschließender
Absicht auf den Begriff der Gemeindeverbände im Sinne des Art. 137 Abs. 2 HV
zurückzuschließen. Nach Art. 137 Abs. 6 HV a.F. sei festzustellen, dass im
Gegensatz zu der Regelung in Schleswig- Holstein nicht die Existenz einer
Volksvertretung in den Gemeindeverbänden vorgesehen worden sei, sondern nur
die Geltung der Grundsätze des Landtagswahlrechts auch für die
Gemeindeverbandswahlen. Bereits der Wortlaut des Art. 137 Abs. 6 HV a.F. hätte
zwanglos die Beschränkung auf die tatsächlich vorgesehenen Fälle von
Gemeindeverbandswahlen erlaubt. Wenn Art. 138 HV heute die Wahl der
Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte als Leiter der Gemeinden und
Gemeindeverbände regele, erfolge dies nicht in der Absicht, über die Erwähnung
des Leitungsorgans Landrat für Art. 137 HV den verfassungsrechtlichen Begriff des
Gemeindeverbandes nachträglich einschränkend im Sinne von Landkreis
festzulegen. Vielmehr gehe es dem Art. 138 HV darum, seine spezifische
wahlrechtliche Aussage auf die von Landräten geleiteten Gemeindeverbände zu
beschränken. Andere Gemeindeverbände Behandle Art. 138 HV seinem
Regelungsinhalt nach nicht. Aus systematischer Sicht könne nur festgestellt
werden, dass die Gemeindeverbände, die zur Erhebung der kommunalen
Grundrechtsklage zugelassen seien, diejenigen Gemeindeverbände seien, die
nach Art. 137 HV an den Garantien der kommunalen Selbstverwaltung
teilnähmen. Welche Gemeindeverbände hierzu im einzelnen gehörten, lasse die
Verfassung des Landes Hessen aufgrund weiterer systematischer
Zusammenhänge nicht erkennen.
Die historische Auslegung ergebe, dass der von Art. 137 HV übernommene Begriff
der Gemeindeverbände auch für Zweckverbände und vergleichbare
Körperschaften zu gelten habe. Der Verfassungsgeber habe Art. 137 HV in
Anknüpfung an den weiten verfassungsrechtlichen Begriff der Gemeindeverbände
des Art. 6 der Preußischen Verfassung von 1920 sowie des Art 127 der Weimarer
Reichsverfassung - WRV - geschaffen, der im Kontext der
Selbstverwaltungsgarantie alle kommunalen Verbände, namentlich auch
Zweckverbände umfasst habe. Die gleichfalls vor dem Grundgesetz erlassenen
Verfassungen Württemberg-Badens, Badens und Württemberg-Hohenzollerns
bestätigten die Anlehnung der damaligen Verfassungsgeber an die Weimarer
Reichsverfassung, da sie sämtlich auch für Zweckverbände das
Selbstverwaltungsrecht garantiert hätten. Lediglich in Art. 10 Abs. 1 der
Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 werde ein Zweckverbände
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Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 werde ein Zweckverbände
ausschließendes Begriffsverständnis deutlich. Im bundesstaatsinternen
Rechtsvergleich belegten sowohl die noch in der Entstehungsphase der
Bundesrepublik Deutschland erlassenen Landesverfassungen als auch Art. 28 Abs.
2 GG ein in Anknüpfung an die Weimarer Reichsverfassung zugrunde gelegtes
umfassendes Verständnis des Begriffes Gemeindeverband. Die 1947 in Rheinland-
Pfalz getroffene Regelung entspreche nahezu wörtlich dem Vorbild des Art. 137
HV, biete insoweit keine abweichenden Hinweise. Ähnliches gelte für das Saarland.
Die in Art. 78 Abs. 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen von 1950
getroffene Definition des Gemeindeverbandes als Gebietskörperschaft sei eine nur
für dieses Land maßgebliche Dezision der Verfassungsgebung. Die
Selbstverwaltungsgarantie der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung von
1951 verwende den Begriff des Gemeinde Verbandes nicht, gewähre das
Selbstverwaltungsrecht neben den Gebietskörperschaften Gemeinde und Kreis
aber generell den sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, also auch
Zweckverbänden. Die 1953 entstandene Verfassung für Baden- Württemberg
gewähre im Anschluss an die Verfassungen der früheren Staaten auf dem
Landesgebiet den Zweckverbänden neben den Gemeindeverbänden das Recht der
Selbstverwaltung.
Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz von 1949
schließlich sei in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG auch für Gemeindeverbände
vorgesehen, ohne dass dieser Begriff dort eine Einengung erfahren habe.
Allgemein anerkannt sei lediglich, dass die Kreise von der
Selbstverwaltungsgarantie für Gemeindeverbände erfasst würden. Aus dem
Kontrast zu Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, der für das Kommunalwahlrecht speziell die
Kreise anspreche, sei zu folgern, dass es neben den Kreisen auch noch andere
Gemeindeverbände gebe, für die allerdings die Bestimmung des Art. 28 Abs. 1
Satz 2 GG nicht gelte. Eine Einengung des Begriffs Gemeindeverbände in Art. 28
Abs. 2 Satz 2 GG durch Kriterien wie das Erfordernis eines nicht nur begrenzten
Aufgabenkreises oder die Qualität als Gebietskörperschaft würde weder vom
Wortlaut noch von der Entstehungsgeschichte noch von der systematischen und
teleologischen Auslegung des Art. 28 Abs. 2 Satz GG getragen. Das Wort
Gemeindeverbände schließe nach unbefangenem Wortverständnis
Zusammenschlüsse von Gemeinden zu einem Verband überhaupt ein. Die in § 3
Abs. 1 Grundsteuerdurchführungsverordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 29.
Januar 1951 (BGBl. 1, S. 79) gegebene Definition, nach der Gemeindeverbände die
innerhalb eines Landes außer den Gemeinden bestehenden
Gebietskörperschaften seien, stehe im spezifischen Kontext der
Grundsteuerbefreiung des für öffentliche Zwecke genutzten Grundbesitzes der
wichtigsten öffentlichen Rechtsträger nach § 4 Nr. 1 lit.a des Grundsteuergesetzes
und lasse keinen Schluss auf den allgemeinen Wortsinn zu. Für das maßgebliche
allgemeine Begriffsverständnis ergebe sich auch aus § 19 Stabilitätsgesetz nichts,
der Gemeindeverbände und Zweckverbände nebeneinander nenne. Durch die in
Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG verwendete Formulierung des "gesetzlichen
Aufgabenbereichs" der Gemeindeverbände würden nicht Verbände mit lediglich
begrenzter Aufgabenfestlegung aus dem Begriff der Gemeindeverbände im Sinne
dieser Vorschrift ausgeschlossen. Diese Formulierung in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG
verdeutliche vielmehr allein den Unterschied zwischen der gesetzesunabhängigen
Allzuständigkeit der Gemeinden und der gesetzesabhängig begrenzten
Zuständigkeit der Gemeindeverbände.
Auch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes biete keinen Ansatz für ein
verengtes Verständnis des Begriffes Gemeindeverbände in Art. 28 Abs. 2 Satz 2
GG. Vielmehr zeige die Entstehungsgeschichte, dass die
Selbstverwaltungsgarantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände in
bewusster Rückanknüpfung an die Weimarer Verfassung in das Grundgesetz
aufgenommen worden sei. Art. 127 WRV als Vorbild aber habe das Recht zur
Selbstverwaltung Gemeindeverbänden in einem umfassenden Sinn unter
Einschluss von Zweckverbänden gewährt. Aus der Systematik, in die die Garantie
der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz gestellt sei, ließen sich
gleichfalls keine den Gemeindeverbandsbegriff im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG
verengenden Kriterien wie das Erfordernis eines umfassenden Aufgabenkreises
oder die Qualität als Gebietskörperschaft gewinnen.
Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Garantien der Selbstverwaltung für
Gemeindeverbände schließlich forderte an keinen Ausschluss von Nicht-
Gebietskörperschaften mit gegenständlich beschränktem Aufgabenkreis aus dem
Begriff des Gemeindeverbandes in Art. 137 HV. Die prinzipielle Sinnhaftigkeit der
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Begriff des Gemeindeverbandes in Art. 137 HV. Die prinzipielle Sinnhaftigkeit der
Erstreckung einer verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie auch auf
derartige Verbände folge schon daraus, dass Art. 127 WRV sowie die
Verfassungsgarantien Baden- Württembergs und seiner Vorgängerstaaten eine
derartige Garantie vorgesehen hätten. Zudem sei die Begründung einer
eigenständigen Selbstverwaltungsgarantie jedes Gemeindeverbandes selbst
besser geeignet, unzulässige staatliche Ingerenzen effektiv abzuwehren, als die
nur mittelbare Teilhabe an dem Schutz des Selbstverwaltungsrechts der
Mitgliedskommunen. Die fehlende Universalität der Aufgabenstellung von
Zweckverbänden und ähnlichen Gebilden sei kein Argument, sie aus dem Begriff
der Gemeindeverbände und damit aus der verfassungsrechtlichen
Selbstverwaltungsgarantie herauszunehmen. Das Bestehen eines heterogenen
Aufgabenkreises als Merkmal eines Gemeindeverbandes folge insbesondere nicht
aus Art. 137 HV. Art. 137 Abs. 5 HV, der freiwillige und pflichtige
Selbstverwaltungsaufgaben vorsehe, fordere weder für Gemeinden noch für
Gemeindeverbände, dass Aufgaben der verschiedenen Kategorien nebeneinander
wahrgenommen würden. Selbstverwaltungsgarantien seien zudem auch bei
gegenständlich begrenzter Aufgabenstellung - wie sie Universitäten und
Hochschulen hätten - sinnvoll. Eine enge Begriffsbestimmung der
Gemeindeverbände, denen verfassungsrechtlich die Selbstverwaltung garantiert
sei, könne ferner nicht durch das fehlende Gewicht der Aufgaben von
Zweckverbänden legitimiert werden. Für eine derartige Geringfügigkeitsgrenze
biete der Verfassungstext keinerlei Anhaltspunkte, im übrigen bestehe auch bei
den Gemeinden und Kreisen keine derartige Grenze in Bezug auf einzelne
Angelegenheiten ihres Selbstverwaltungsbereichs. Für ein Zweckverbände von der
verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie ausschließendes Verständnis
entfalte auch das Argument, Organe der Zweckverbände würden nicht durch
Volkswahl bestellt, keine Überzeugungskraft. Die Fragen der inneren Demokratie
auf kommunale Ebene als Internum der einzelnen
Selbstverwaltungskörperschaften und deren Unabhängigkeit von unzulässigen
staatlichen Ingerenzen lägen auf zwei verschiedenen Ebenen, ein notwendiger
Zusammenhang bestehe nicht. Letztlich greife auch der Gedanke nicht durch,
dass eine Selbstverwaltungsgarantie nicht sinnvoll sei für Verbände, die weder in
ihrer Existenz noch in ihren Aufgaben von Verfassungs wegen notwendig seien,
sondern in jeder Beziehung von dem sie konstituierenden Gesetz abhingen. Auch
einem solchen Verband verbleibe ein Rest an schutzfähiger
Selbstverwaltungssubstanz, solange das Gesetz ihn mit
Selbstverwaltungsbefugnissen überhaupt bestehen lasse. Neben der sonach
gegebenen Antragsberechtigung des Antragstellers seien auch die übrigen
Zulässigkeitsvoraussetzungen der kommunalen Grundrechtsklage erfüllt.
Die Grundrechtsklage sei begründet, da Art. 6 Nachtragshaushaltsgesetz 1996
den Art. 137 Abs. 5 Satz 1 HV verletze, der das Land Hessen verpflichte,
Gemeindeverbänden die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen
Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu
sichern. Die vorgesehene Reduzierung der Landeszuweisungen verletze Art. 137
Abs. 5 Satz 1 HV, da der Antragsteller aufgrund dieser Maßnahme zukünftig nicht
mehr in der Lage sein werde, seine Sachaufgaben wirksam zu erfüllen und seinen
Pensionsverpflichtungen nachzukommen. Zudem verletze Art. 6
Nachtragshaushaltsgesetz 1996 das in der Selbstverwaltungsgarantie verankerte
Gebot der Gemeindeverbandstreue. Dieses verlange vom Staat eine - hier nicht
erfolgte - Anhörung der Gemeindeverbände bei Gesetzesvorhaben, die für sie von
entscheidender Bedeutung seien. Auch sei mit diesem Gebot unvereinbar, dass
die bisher geltende Rechtslage, die ohne Befristung die Gewährung von
Zuschüssen vor gesehen habe und die Planungsgrundlage für den Antragsteller
gewesen sei, ohne Umgangszeit kurzfristig und überraschend geändert worden
sei. Im Hinblick auf den durch die bisherige Rechtslage geschaffenen
Vertrauenstatbestand verstoße Art. Nachtragshaushaltsgesetz 1996 darüber
hinaus gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Schließlich verletze das
angegriffene Gesetz auch das im Rechtsstaatprinzip wurzelnde Willkürverbot, da
ein sachlicher Grund, gerade die Landeszuweisungen an die Kommunalen
Gebietsrechenzentren zu kürzen, nicht bestehe. Eine Verminderung der Aufgaben
oder der Kosten der Kommunalen Gebietsrechenzentren sei nicht absehbar. Das
mit dem Gesetz verfolgte Einsparungsziel werde nicht erreicht. Vielmehr würden
die kommunalen Verwaltungskosten nachhaltig vermehrt werden. Denn die
Kommunen würden wegen der notwendig eintretenden Erhöhung der
Benutzerentgelte der Inanspruchnahme der Kommunalen Gebietsrechenzentren
ausweichen. Die Erledigung der Verwaltungsaufgaben ohne Inanspruchnahme der
von den Kommunalen Gebietsrechenzentren angebotenen Datenverarbeitung
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von den Kommunalen Gebietsrechenzentren angebotenen Datenverarbeitung
aber sei mittel- und langfristig kostenintensiver. Das in der Gesetzesbegründung
ausgeführte Argument der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kommunalen
Gebietsrechenzentren durch Abbau der Landeszuschüsse sei unhaltbar. Die
Kommunalen Gebietsrechenzentren könnten sich ohne Landeszuweisungen im
Wettbewerb nicht behaupten, da sie mit Pensionsrückstellungen belastet seien
und sie sich nach ihrem gesetzlichen Auftrag - anders als private Konkurrenten
auch nicht auf die Erledigung gewinnträchtiger Aufgaben beschränken könnten.
Der Antragsteller beantragt,
Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des
Haushaltsplans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 1996
(Nachtragshaushaltsgesetz 1996) und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften
vom 15. Juli 1996 (GVBl. 1, S. 314) für nichtig zu erklären.
II.
Der Landtag, dem Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, hat nicht
Stellung genommen.
III.
Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unzulässig, jedenfalls aber für
unbegründet. Der Antragsteller sei nicht antragsbefugt. Er stelle keinen
Gemeindeverband im Sinne des Art. 137 HV, sondern einen Zweckverband dar.
Die Hessische Verfassung definiere den Begriff des Gemeindeverbandes nicht. Der
Vergleich von Abs. 1 und Abs. 2 des Art. 137 HV belege, dass Gemeinden und
Gemeindeverbände sich dadurch unterschieden, dass Gemeinden einen originären
Wirkungskreis besäßen, Gemeindeverbände hingegen einer gesetzlichen
Zuständigkeitszuweisung bedurften. Im übrigen verwende Art. 137 HV "Gemeinden
und Gemeindeverbände" durchweg als gemeinsamen Begriff. Gemeinden wie
Gemeindeverbände nähmen freiwillige und pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe,
freiwillig übernommene und übertragene staatliche Aufgaben wahr. Kennzeichnend
für den Gemeindeverband im Sinne des Art. 137 HV, dem das Recht der
Selbstverwaltung verfassungsrechtlich garantiert sei, sei damit ein heterogener
Aufgabenkreis. Ober einen solchen Aufgabenkreis verfügten Zweckverbände wie
der Antragsteller nicht. In Zweckverbänden schlössen sich die Mitglieder lediglich
zur gemeinsamen Erfüllung bestimmter, ihnen selbst obliegender Aufgaben
zusammen. So fungiere der Antragsteller gleichsam als "Rechenstube" für seine
Mitglieder. Aus Art. 138 HV, der die Landräte als "Leiter der Gemeindeverbände"
anspreche, lasse sich entnehmen, dass für den verfassungsändernden hessischen
Gesetzgeber allein die Landkreise bis Gemeindeverbände in Betracht gekommen
seien. Die historische Auslegung ergebe, dass der Begriff des Gemeindeverbands
im Sinne der Hessischen Verfassung sich zudem auf Gebietskörperschaften mit
demokratisch legitimierten Vertretungsorganen beschränke. Allerdings habe der
Selbstverwaltungsgedanke wissenschaftlich- theoretisch unterschiedliche Wurzeln.
Im 19. Jahrhundert sei eine streng juristische Selbstverwaltungslehre entwickelt
worden, die Selbstverwaltung allein als Frage der Verwaltungsorganisation
begriffen habe. Die ursprüngliche, auf das Werk des Freiherrn vom Stein
zurückzuführende Selbstverwaltungsidee habe demgegenüber eine
partizipatorische Zielrichtung im Sinne einer Beteiligung der Bürger an der
Aufgabenerfüllung der öffentlichen Verwaltung gehabt. Aus der
Entstehungsgeschichte sei erkennbar, dass die Hessische Verfassung an die
partizipatorische Tradition des Selbstverwaltungsgedankens anknüpfe und eine
Beteiligung der in einem bestimmten Gebiet lebenden Bürger an ihrer Verwaltung
garantiere. Art. 137 Abs. 6 HV a.F., nach dem die Grundsätze des
Landtagswahlrechts auch für die Gemeinde- und Gemeindeverbandswahlen
gegolten hätten, dokumentiere das bei den Verfassungsberatungen bestehende
Vorverständnis vom Gemeindeverband als einer Gebietskörperschaft mit
demokratisch legitimiertet Vertretungskörperschaft. Diese Zweckverbände und
damit den Antragsteller ausschließende Bestimmung des Begriffs des
Gemeindeverbands entspreche auch der einhelligen Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur zum hessischen Recht. Der Bedeutung des Begriffs
des Gemeindeverbands nach dem Grundgesetz und den übrigen
Landesverfassungen komme im Rahmen der Interpretation des Art. 137 HV nur
eingeschränkte Bedeutung zu. Im übrigen bestehe auch dort weithin
Einvernehmen darüber, dass Zweckverbände - wie der Antragsteller - keine
Gemeindeverbände seien und nur Gebietskörperschaften
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Gemeindeverbände seien und nur Gebietskörperschaften
Gemeindeverbandsqualität haben könnten. Auch in der Sache könne die
Grundrechtsklage des Antragstellers keinen Erfolg haben. Die notwendige
Rückführung der Landeszuweisungen sei u.a. mit den Geschäftsführern der
Kommunalen Gebietsrechenzentren Frankfurt am Main, Gießen und Darmstadt,
die sich zum Antragsteller zusammengeschlossen hätten, erörtert worden. Allein
wegen der von ihm durchzuführenden Sachaufgaben habe der Antragsteller gegen
das Land Hessen keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf
Finanzausstattung.
IV.
Die Landesanwaltschaft teilt die Auffassung der Landesregierung von der
fehlenden Gemeindeverbandsqualität des Antragstellers und halt die
Grundrechtsklage für unzulässig.
Sie führt ergänzend aus, die fehlende Gemeindeverbandsqualität des
Antragstellers ergebe sich auch daraus, dass der Antragsteller ein atypischer
Zweckverband sei. Während nach § 8 des Gesetzes über kommunale
Gemeinschaftsarbeit Zweckverbände Aufgaben der Gemeinden in eigener
Verantwortung gegenüber Dritten wahrnähmen, stelle der Antragsteller lediglich
Dienstleistungen bei der verwaltungsinternen Erledigung der gesetzlichen
Aufgaben - der Datenverarbeitung - zur Verfügung. Mit diesen Aufgaben werde der
Antragsteller nicht zum verantwortlichen Träger der öffentlichen Verwaltung im
Sinne von Art . 137 Abs. 1 HV.
V.
Das Gericht hat über die Zulässigkeit der Grundrechtsklage abgesondert mündlich
verhandelt.
B
I.
Die kommunale Grundrechtsklage des Antragstellers ist unzulässig.
Nach § 46 StGHG können Gemeinden und Gemeindeverbände die
Grundrechtsklage mit der Behauptung erheben, dass Landesrecht die Vorschriften
der Verfassung das Landes Hessen über das Recht der Selbstverwaltung verletzt.
Antragsberechtigt zur Erhebung der auf eine Verletzung des
Selbstverwaltungsrechts nach Art. 137 HV gestützten Grundrechtsklage sind nach
§ 19 Abs. 2 Nr. 10 StGHG Gemeinden und Gemeindeverbände.
Der Staatsgerichtshof lässt die Frage offen, ob die durch § 19 Abs. 2 Nr. 10, § 46
des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 30. November 1994 (GVBl. I, S.
684) eingeführte kommunale Grundrechtsklage mit der Hessischen Verfassung in
Einklang steht. Dem Antragsteller jedenfalls die Antragsberechtigung für dieses
Verfahren. Er ist weder eine Gemeinde noch kommt ihm die behauptete Qualität
eines Gemeindeverbands im Sinne des Art. 137 HV sowie von § 19 Abs. 2 Nr. 10, §
46 StGHG zu.
Gemeindeverbände im Sinne dieser Vorschriften sind mehrere Gemeinden
umfassende Gebietskörperschaften mit unmittelbar demokratisch legitimierten
Vertretungskörperschaften, die nach Maßgabe einer gesetzlichen
Zuständigkeitsabgrenzung gegenüber den Gemeinden zur grundsätzlich
umfassenden Aufgabenwahrnehmung befugt sind.
Art. 137 HV als maßgebliche Verfassungsnorm bestimmt den Begriff des
Gemeindeverbands nicht ausdrücklich. Bei der Auslegung des Begriffes
Gemeindeverband nach dem Wortlaut ist einerseits der allgemeine Wortsinn zu
berücksichtigen, nach dem es sich um einen Verbund, also eine irgendwie
geartete Verbindung von Gemeinden handeln muss. Zum anderen ist in Rechnung
zu stellen, dass nach juristischem Sprachgebrauch Einvernehmen darüber
besteht, dass jedenfalls die Landkreise dem verfassungsrechtlichen Begriff des
Gemeindeverbands unterfallen (vgl. allgemein BVerfGE 52, 95 <110>; speziell
zum hessischen Recht: Hinkel, Verfassung des Landes Hessen, 1998, Art. 137 Erl.
1; Schmidt-De Caluwe, Die kommunale Grundrechtsklage in Hessen, 1996, S. 25;
von Zezschwitz in: Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 137 Rdnr. 97).
Landkreise sind Gebietskörperschaften, die sich räumlich aus kreisangehörigen
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Landkreise sind Gebietskörperschaften, die sich räumlich aus kreisangehörigen
Gemeinden zusammensetzen. Bereits die sprachlich- grammatikalische
Auslegung spricht damit dafür, dass ein Gemeindeverband aus Gemeinden
besteht, sei es mitgliedschaftlich oder - wie im Fall des Landkreises, dessen
Mitglieder die in ihm lebenden Bürger sind - territorial (vgl. Wolff/Bachof/Stober,
Verwaltungsrecht 11, 5. Aufl. 1987, S. 36 ff.).
Entstehungsgeschichtlich liegt der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 HV ein
politisch-demokratisches Selbstverwaltungsverständnis zu Grunde. Dieses
Verständnis impliziert eine Beschränkung der verfassungsrechtlichen Garantie des
Art. 137 HV insgesamt auf Gebietskörperschaften mit unmittelbar demokratisch
legitimierten Vertretungskörperschaften und umfassen Aufgabenbereich. In ihrer
historischen Entwicklung ruht die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland
allerdings auf zwei Säulen. Zum einen ist sie ein verwaltungsorganisatorisches
Modell, das die Gliederung der Verwaltung in überschaubare Verwaltungseinheiten
zum Inhalt hat. Zum anderen ist sie durch eine politisch-demokratische Funktion
gekennzeichnet. Politisch liegt dem Prinzip Selbstverwaltung der Gedanke der
Teilhabe der Betroffenen an der vollziehenden Gewalt zu Grunde (vgl. Hendler, Das
Prinzip Selbstverwaltung, in: Handbuch des Staatsrechts IV, 1990, § 106 Rdnr. 15
ff. m.w.N.). Die demokratische Komponente der kommunalen Selbstverwaltung
besteht darin, dass die Freiheit des einzelnen Bürgers in ihrer Ausprägung als
Status activus, d.h. als Freiheit der Betätigung für den und in dem Staat, sich auch
und zunächst n demokratischer Weise auf kommunaler Ebene verwirklicht (vgl.
StGH, Urteil vom 26.01.1995 - P.St. 1171 -, DÖV 1995, 596 ff.). Dies bedeutet,
dass auch auf kommunaler Ebene das Volk durch von ihm gewählte Organe
Staatsgewalt ausübt (vgl. von Mutius, Kommunalrecht, 1996, S. 24 ff.).
Verwaltungsorganisatorische und politisch-demokratische Funktion der
kommunalen Selbstverwaltung wurden bei der Schaffung der hessischen
Verfassung nicht als voneinander geschieden, sondern als Ganzheit betrachtet. So
herrschte in den Verfassungsberatungen Einmütigkeit darüber, dass der
Schwerpunkt der Verwaltung zukünftig nicht mehr bei staatlichen Organen,
sondern bei Gemeinden und Gemeindeverbänden liegen und dass eine
Universalität der Gemeinden und Gemeindeverbände bestehen sollte (vgl. Rede
von Karl Geiler zur Eröffnung des Verfassungsausschusses am 12.03.1946 in:
Berding , Die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946,1996,
Dokument 4, S. 8; Sitzung des vom Verfassungsausschuss eingesetzten
Siebener- Ausschusses vom 13.09.1 946
682>; Verhandlungen des Verfassungsausschusses, Busses der
Verfassungsberatenden Landesversammlung Groß-Hessen, Sitzung vom
25.09.1946
Wurzel des demokratischen Staates verstanden (Berding a.a.O., Dokument 51, S.
797); der "Gedanke der demokratischen Selbstverwaltung und selbsttätigen
Mitverantwortung" (Berding, a.a.O., Dokument 4, S. 8) sollte durch die Verfassung
in Gemeinden und Landkreise getragen werden. Originärer Adressat der
Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung waren nach dem Willen
der an den Verfassungsberatungen Beteiligten die Gemeinden, deren Bürger am
administrativen Geschehen auf Ortsebene in demokratischer Weise teilhaben
sollten. Dabei sollte der Schwerpunkt der Verwaltungstätigkeit auf der örtlichen
Ebene liegen. Auch die überörtliche Verwaltungstätigkeit sollte so weit wie möglich
nicht vom Staat, sondern von Gemeindeverbänden wahrgenommen werden. Wie
Gemeindeverbände beschaffen seien, wurde in den Verfassungsberatungen nicht
ausdrücklich angesprochen. Als typischer Gemeindeverband wurde jedoch
erkennbar der Landkreis angesehen, der bei den Beratungen zur Verfassung
regelmäßig neben Städten und Gemeinden genannt wurde und der in Art. 108
Abs. 1 des Verfassungsentwurfs von Walter Jellinek (Berding, a.a.O., Dokument 17,
S. 169) ausdrücklich neben den Gemeinden als Träger des Rechts der
Selbstverwaltung vorgesehen war. Im Hinblick auf die politisch-demokratische
Dimension des Selbstverwaltungsgedankens lag die Orientierung an diesem
tradierten Verband nahe, da er dieselben Strukturmerkmale wie die Gemeinde -
Gebietskörperschaft mit unmittelbar demokratisch legitimierten Vertretungsorgan
und umfassendem Aufgabengebiet - aufwies. Die spätere Ersetzung des Begriffs
Landkreis durch den Begriff Gemeindeverband erklärt sich dadurch, dass die
Verfassung dem einfachen Gesetzgeber nicht verwehren wollte, anstelle des
Landkreises oder neben ihn tretende Gemeindeverbandsformen einzuführen.
Das aus der Entstehungsgeschichte erkennbare politisch- demokratische
Verständnis der kommunalen Selbstverwaltung, das eine gleichartige Struktur von
Gemeinden und Gemeindeverbänden fordert, hat - wie die systematische
Auslegung zeigt - Ausdruck in Art. 137 und Art. 138 HV gefunden. Die
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Auslegung zeigt - Ausdruck in Art. 137 und Art. 138 HV gefunden. Die
Zusammenschau der ersten beiden Absätze des Art. 137 HV zeigt, dass auch
Gemeindeverbände über ein Gebiet verfügen, in dem sie, allerdings gemäß der
gesetzlichen Zuständigkeitsabgrenzung zu den Gemeinden, umfassend zur
Wahrnehmung öffentlicher Verwaltungsaufgaben befugt sind. Die Bestimmung des
Begriffs Gemeindeverband setzt insofern bei Art. 137 Abs. 2 HV an, nach dem die
Gemeindeverbände im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit "die gleiche
Stellung haben". Bezugspunkt des Art. 137 Abs. 2 HV ist der Abs. 1 dieser
Vorschrift, der die Stellung der Gemeinden wie folgt regelt: "Die Gemeinden sind in
ihrem Gebiet unter eigener Verantwortung die ausschließlichen Träger der
gesamten örtlichen öffentlichen Verwaltung (Satz 1). "Sie können jede öffentliche
Aufgabe übernehmen, soweit sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift
anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen
sind (Satz 2). Ziel der Verfassung ist es, den Gemeindeverbänden gegenüber dem
Land die gleiche Position wie den Gemeinden einzuräumen, soweit nicht der durch
die Worte "im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit" bezeichnete Unterschied
zwischen Gemeindeverbänden und Gemeinden entgegensteht. Dieser Unterschied
aber liegt nach der Verfassung lediglich darin, dass Gemeinden hinsichtlich der
Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben (Verwaltungsaufgaben)
verfassungsunmittelbar eine Allzuständigkeit ihrem Gebiet eingeräumt ist,
während Gemeindeverbände einer Aufgabenzuweisung durch den Gesetzgeber
bedürfen.
Der Gemeindeverbände kennzeichnende Aufgabenkreis ist nach Art. 137 Abs. 2
i.V.m. Abs. 1 HV im Verhältnis der Gemeindeverbände zum Land umfassend: Das
Land hat ihnen alle nicht nach Art. 137 Abs. l HV den Gemeinden vorbehaltenen
Aufgaben zu überlassen, die nicht im dringenden öffentlichen Interesse einer
anderen Stelle zuzuweisen sind. Hinsichtlich dieser Aufgaben ist der
Gemeindeverband in seinem Gebiet der ausschließliche Träger öffentlicher
Verwaltung (Art. 137 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HV). Die Begrenzung der Universalität
der Gemeindeverbände durch gesetzliche Zuständigkeitsbestimmung ist allein
durch die für die Gemeinden bestehende Universalitätsgarantie des Art. 137 Abs.
1 HV geboten. Denn Zuständigkeitsregelungen zu Gunsten von
Gemeindeverbänden können in die durch Art. 137 Abs. 1 HV gewährleistete
Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises eingreifen, was nur durch Gesetz
im dringenden öffentlichen Interesse geschehen kann. Im Verhältnis zum Land
hingegen ist der umfassende Aufgabenkreis der Gemeindeverbände ebenso
gewährleistet wie der der Gemeinden. Zum die Gemeindeverbände
charakterisierenden umfassenden Aufgabenkreis zählt insbesondere die
Möglichkeit, im gesetzlich zugewiesenen eigenen Wirkungskreis freiwillige Aufgaben
zu übernehmen. Dies belegt Art. 137 Abs. 5 Satz 2 HV, nach dem der Staat ihnen
- Gemeinden und Gemeindeverbänden - für ihre freiwillige öffentliche Tätigkeit in
eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung stellt.
Paradigmatisch erfüllt wiederum der Landkreis, der einhellig als an der Garantie
des Art. 137 HV teilhabender Gemeindeverband anerkannt ist, die Begriffskriterien
der Gebietshoheit, des umfassenden Aufgabenkreises und der Möglichkeit der
freiwilligen Aufgabenwahrnehmung im zugewiesenen Zuständigkeitsbereich.
Landkreise sind Gebietskörperschaften und nehmen nach der generellen
Aufgabenzuweisung des § 2 Abs. 1 der Hessischen Landkreisordnung in ihrem
Gebiet diejenigen öffentlichen Aufgaben wahr, die über die Leistungsfähigkeit der
kreisangehörigen Gemeinden hinausgehen. In diesem Rahmen sind sie auch zur
freiwilligen Übernahme von Aufgaben befugt (vgl. Schoch, DVBl. 1995, 1047
<1049>).
Das in der Entstehungsgeschichte begründete weitere Erfordernis einer
demokratischen Binnenstruktur als Merkmal des mit der verfassungsrechtlichen
Selbstverwaltungsgarantie ausgestatteten Gemeindeverbands fand zunächst in
Art. 137 Abs. 6 und Art. 138 HV in ihrem ursprünglichen Wortlaut Eingang in die
Verfassung. Nach Art. 137 Abs. 6 HV a.F. galten die Grundsätze des
Landtagswahlrechts auch für die Gemeinde und Gemeindeverbandswahlen. Nach
Art. 138 Abs. 1 HV a.F. mussten die hauptamtlichen Leiter der Gemeinden und
Gemeindeverbände von den gewählten Vertretern gewählt werden. Vor dem
historische Hintergrund sahen diese Verfassungsnormen bewusst vor, dass auch
in Gemeindeverbänden Volkswahlen zu einer Vertretungskörperschaft
stattzufinden haben. Der durch Gesetz vom 20. März 1991 (GVBl. I, S. 101 ) neu
gefasste Art. 138 HV, nach dem die Oberbürgermeister, Bürgermeister und
Landräte als Leiter der Gemeinden oder Gemeindeverbände von den Bürgern in
allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden,
bestätigt eine demokratische Struktur als Charakteristikum der
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bestätigt eine demokratische Struktur als Charakteristikum der
Gemeindeverbände. Die Aufhebung des Art. 137 Abs. 6 HV a.F. im
Verfassungsänderungsgesetz vom 22. Juli 1950 (GVBl. S. 131 ) stellte keine
Abwendung vom Erfordernis einer vom Volk gewählten Vertretungskörperschaft
dar, sondern erfolgte lediglich, weil für kommunale Wahlen eine
verfassungsrechtliche Fixierung auf das System der Verhältniswahl als einengend
empfunden wurde (vgl. von Zezschwitz, in: Zinn/Stein, Verfassung des Landes
Hessen, Art. 137 Rdnr. 4). Das Erfordernis einer unmittelbar demokratischen
Legitimation steht zudem in engem Zusammenhang mit dem Umfang der von
Gemeindeverbänden im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit
wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben. Es entspricht dem in Art. 65, 71 3
ff. HV zum Ausdruck gekommenen Demokratieprinzip der Hessischen Verfassung,
dass die den Gemeindeverbänden in weitem Umfang mögliche Übernahme
öffentlicher Verwaltungsaufgaben und damit die Ausübung von Staatsgewalt
unmittelbar demokratisch legitimiert ist.
Für die somit nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik angezeigte
Beschränkung der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 HV auf
Gemeindeverbände, die die gleiche Struktur wie Gemeinden und Landkreise
aufweisen, spricht schließlich die Funktion der Verfassung als einer Grundordnung,
die dem demokratisch legitimierten einfachen Gesetzgeber grundsätzlich weite
Gestaltungsspielräume belässt und ihn regelmäßig nur in zentralen Fragen einer
verfassungsrechtlichen Bindung unterwirft. Die Erstreckung der
verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie auf eine Vielzahl von
Gemeinden und Gemeindeverbänden geschaffener Körperschaften mit den aus
Art. 137 HV folgenden verfassungsrechtlichen Verpflichtungen für den einfachen
Gesetzgeber liefe dem zuwider.
Der Antragsteller genügt den dargestellten Anforderungen an einen
Gemeindeverband im Sinne des Art. 137 HV nicht. Ihm ist kein dafür hinreichend
weiter Aufgabenbereich eingeräumt. Er stellt keine Gebietskörperschaft dar. Auch
verfügt er nicht über eine unmittelbar demokratisch legitimierte
Vertretungskörperschaft Darüber hinaus fehlt es ihm an der spezifisch
gemeindlichen Zusammensetzung, da sowohl nach seiner Satzung als auch
tatsächlich andere juristische Personen des öffentlichen Rechts und des
Privatrechts seine Mitglieder sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.