Urteil des StGH Hessen vom 13.03.2017

StGH Hessen: angemessene entschädigung, öffentliches recht, nutzungsrecht, hessen, kreis, gemeindeordnung, enteignung, autonome satzung, umwandlung, ministerpräsident

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 387
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 14 GG, Art 28 Abs 2 GG,
Art 142 GG, Art 1 Verf HE, Art
41 Verf HE
(Normenkontrollverfahren - OrtsBRBerG HE rechtswirksam)
Leitsatz
Das Gesetz zur Bereinigung der Rechtsvorschriften über die Nutzungsrechte der
Ortsbürger vom 1962-10-19 (GVBl S 467) betrifft nicht privatrechtliche, sondern nur
öffentlichrechtliche Nutzungsrechte, die auch ausreichend bestimmt sind.
Das Gesetz verletzt nicht die Eigentumsgarantie und stellt auch keine unzulässige
Enteignung dar.
Das Auslaufenlassen der Nutzungsrechte am Gemeindeeigentum und deren Anfall an
die Gemeinde und damit die Befreiung dieses Eigentums von belastenden Rechten
Dritter stellt keine Überführung in Gemeineigentum iS des Verf HE Art 41 dar.
Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden wird durch das Gesetz nicht verletzt.
Tenor
1. Das Gesetz zur Bereinigung der Rechtsvorschriften über die Nutzungsrechte der
Ortsbürger vom 19. Oktober 1962 (GVBl. S. 467) widerspricht nicht der Verfassung
des Landes Hessen.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
A.
Die Antragsteller haben beantragt zu erkennen,
daß das Gesetz zur Bereinigung der Rechtsvorschriften über die
Nutzungsrechte der Ortsbürger vom 19. Oktober 1962 (GVBl. S. 467)
verfassungswidrig und deshalb nichtig ist.
Als der Verfassung des Landes Hessen (HV) widersprechend haben sie
insbesondere die §§ 2 II, 5 und 9 des Gesetzes bezeichnet.
Die §§ 2 bis 5 und 9 des Gesetzes lauten:
§ 2
(1) Die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Nutzungsrechte der
Ortsbürger am Gemeindegliedervermögen und Gemeindegliederklassenvermögen
(§ 96 der Hessischen Gemeindeordnung) bleiben aufrechterhalten.
(2) Eine Neuzulassung zur Teilnahme an den Gemeindenutzungen, eine
Aufnahme in den Kreis der Nutzungsberechtigten sowie ein Nachrücken in
Nutzungsrechte findet nicht mehr statt. Der Wert der Nutzungsanteile darf nicht
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Nutzungsrechte findet nicht mehr statt. Der Wert der Nutzungsanteile darf nicht
erhöht werden.
(3) Die freiwerdenden Lose und Nutzungsanteile fallen der Gemeinde zu.
§ 3
(1) Inhalt und Umfang der bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden
Nutzungsrechte sowie der Kreis der Nutzungsberechtigten bestimmen sich, soweit
sie auf einem besonderen Titel beruhen, nach diesem, im übrigen nach den
bisherigen Vorschriften und Gewohnheiten.
(2) Sind Inhalt und Umfang der Nutzungsrechte oder der Kreis der
Nutzungsberechtigten nicht festgelegt oder ungewiß, so können diese durch
Satzung festgelegt werden.
§ 4
(1) Nutzungsrechte, die nach § 2 Abs. 1 aufrechterhalten bleiben, können
durch Vereinbarung zwischen der Gemeinde und allen oder einzelnen
Nutzungsberechtigten abgelöst werden.
(2) Die Gemeinde kann Nutzungsrechte aufheben, wenn das Wohl der
Allgemeinheit es erfordert. Der Berechtigte ist angemessen in Geld zu
entschädigen. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der
Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen; bei der Bemessung ist der
Nutzungswert zugrunde zu legen.
§ 5
Für Nutzungsrechte der Ortsbürger an Vermögensgegenständen Dritter und
an gemeinschaftlichen Vermögensgegenständen gelten die §§ 1 bis 4
entsprechend, sofern die Nutzungsrechte den Berechtigten oder ihren
Rechtsvorgängern in ihrer Eigenschaft als Ortsbürger oder Einwohner einer
Gemeinde eingeräumt worden sind oder nach Herkommen oder Gewohnheitsrecht
zustehen und sich die Ausübung der Rechte und der Kreis der Berechtigten nach
ortsrechtlichen Vorschriften und Gewohnheiten regeln. Die freiwerdenden,
abgelösten oder aufgehobenen Nutzungsanteile fallen endgültig der Gemeinde zu.
§ 9
Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsvorschriften erläßt
der Minister des Innern.
Die Antragsteller haben vorgetragen:
Schon das Gesetzgebungsverfahren sei verfassungswidrig gewesen. Das Gesetz
sei entgegen den Vorschriften der Geschäftsordnung für den Hessischen Landtag
(GO) in einer zusammengefaßten zweiten und dritten Lesung beraten und
verabschiedet worden. Die Geschäftsordnung lasse indes nur zu, daß die zweite
und dritte Lesung an einem Tage, aber in zwei getrennten Lesungen erfolge. Die
GO, die sich der Hessische Landtag nach Art. 99 HV im Rahmen der Verfassung
gebe, sei ihrerseits Verfassungsrecht und binde auch den Landtag selbst. Der
Verstoß gegen die GO sei ein Verstoß gegen die Verfassung und mache das
Gesetz nichtig.
Das Gesetz sei vom Hessischen Landtag in einer nur kurzen Beratung
verabschiedet worden, ohne daß sich die Abgeordneten über die Bedeutung des
Gesetzes, insbesondere über den Umfang und den Rechtscharakter der Rechte,
die es betreffe, und über ihre wirtschaftliche Bedeutung für die betroffenen
Bevölkerungskreise klar gewesen seien. Ein Antrag des Abgeordneten..., nach dem
durch eine Umfrage bei den Gemeinden über Art und rechtliche Ausgestaltung der
in den einzelnen Gemeinden bestehenden Nutzungsrechte zunächst die
notwendige Klarheit hätte herbeigeführt werden sollen, sei von der Mehrheit des
Landtags abgelehnt worden. Ein solches Verfahren widerspreche der
rechtsstaatlichen Ordnung der Hessischen Verfassung (Art. 65 HV in Verbindung
mit Art. 28 I GG) und habe auch den Abgeordneten... in der Ausübung seines
Mandates gehindert (Art. 76 HV).
Der Inhalt des Gesetzes sei unklar und unbestimmt. Das Gesetz lasse nicht
eindeutig erkennen, welche Rechte aufgehoben werden bzw. auslaufen sollten. Die
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eindeutig erkennen, welche Rechte aufgehoben werden bzw. auslaufen sollten. Die
Bezugnahme auf andere Gesetze, nämlich auf die Vorschriften der Hessischen
Gemeindeordnung (§ 96) über Gemeindegliedervermögen, sei nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig; der zu regelnde
Tatbestand müsse im Gesetz selbst festgelegt sein und könne nicht durch
Verweisung auf andere Normen bestimmt werden. Die Unklarheit des
Gesetzesinhalts mache das Gesetz nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nichtig.
Der Gemeindenutzen sei in Hessen nach seiner geschichtlich gewordenen
rechtlichen Gestaltung entweder ein subjektives öffentliches Recht der
Berechtigten oder ein reines privatrechtliches Recht, die beide den Berechtigten
nicht entzogen werden könnten. Auf beide Arten von Nutzungsrechten müßte aber
das Gesetz nach seiner unklaren Fassung bezogen werden. Die Aufhebung aller
Anwartschaften, das Verbot des Nachrückens bei einem Wegfall der derzeitigen
Berechtigten und die Zuweisung an die Gemeinde stellten daher eine Enteignung
dar, die nach Art. 45 HV nur gegen Entschädigung möglich sei. Der Verstoß gegen
diese Verfassungsbestimmung mache das Gesetz nichtig.
Die Zuweisung der aufgehobenen und ausgelaufenen Rechte an die Gemeinde sei
als Überführung in Gemeineigentum, als Sozialisierung, anzusehen, die unzulässig
sei, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür (Art. 41 HV) nicht gegeben seien.
Durch das Gesetz werde das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden verletzt, die
durch die bindenden Vorschriften des Gesetzes daran gehindert würden, über ihr
Vermögen nach eigenem Ermessen zu verfügen (Art. 137 HV).
Die Aufhebung der Rechte durch das Gesetz verstoße auch gegen Bundesrecht;
Bundesrecht breche Landesrecht (Art. 31 GG): § 49 des Flurbereinigungsgesetzes
vom 14. Juli 1953 (BGBl. S. 591) bestimme, daß im Flurbereinigungsverfahren für
diese auf altem Herkommen beruhenden Nutzungsrechte auf Antrag
Landabfindung zu gewähren sei, erkenne diese Rechte also ausdrücklich an. Das
Land könne sie daher nicht entschädigungslos aufheben.
Ein Teil der durch das Gesetz aufgehobenen Rechte, so das Weiderecht im
Dillkreis, das nach dem vorgelegten Gutachten des Oberregierungsrats a. D. ...
vom November 1964 über "Die Gemeindeviehweiden des Dillkreises"
bürgerlichrechtlichen Charakter habe, gelte im ganzen Westerwald, also nicht nur
in Hessen, sondern auch in Rheinland-Pfalz (ehemalige französische
Besatzungszone). Als bürgerliches Recht gehöre es zur konkurrierenden
Gesetzgebung des Bundes (Art. 74 Ziff. 1 GG) und sei nach Art. 125 GG
Bundesrecht geworden, soweit es wie hier in mehreren Besatzungszonen
einheitlich gelte; es könne daher nur durch Bundesgesetz geändert werden.
Die als Bundesrecht noch gültige Nutzholzverordnung vom 30. Juli 1937 (RGBl. I S.
876) regele in den §§ 8 und 9 die rechtliche Behandlung auch der öffentlich-
rechtlichen Holznutzungsrechte und behandele sie als eigentumsähnliche Rechte.
Das Land könne daher diese Materie, die nach Art. 74 Ziff. 17 GG zur
konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gehöre, nicht durch Landesgesetz
regeln (Art. 72 I GG).
Das Gesetz verletze den Gleichheitssatz des Art. 1 HV. In Hessen erhielten nach
dem Losholzgesetz vom 8. April 1952 (GVBl. S. 93) im Gebiet des ehemaligen
Kurhessen die Gemeinden aus dem Staatswald Losholz zur Verteilung an die
Einwohner. Nach § 6 IV dieses Gesetzes bezögen diejenigen Einwohner kein
Losholz, die auf Grund eines Nutzungsrechtes mit Hausbrand versorgt sind. Wenn
diese Nutzungsrechte durch das Gesetz vom 19. Oktober 1962 auslaufen würden,
sei künftig ein Teil der Familien nicht mehr mit Hausbrand versorgt. Diese
ungleiche Behandlung sei verfassungswidrig.
Dem Gesetz stehe § 70 des Preußischen Gemeindefinanzgesetzes vom 15.
Dezember 1933 (PrGS S. 442) entgegen, der dieselbe Materie regele, bisher aber
nicht, auch nicht in dem angefochtenen Gesetz, aufgehoben worden sei.
Die Ermächtigung in § 9 des angefochtenen Gesetzes an den Minister des Innern
zum Erlaß von Rechtsvorschriften zur Ausführung des Gesetzes verstoße gegen
Art. 107 HV und gegen Art. 80 GG und damit gegen die nach Art. 28 I 1 GG auch
für die Länder verbindlichen Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates im
Sinne des Grundgesetzes.
Die Antragsteller halten es für erforderlich festzustellen, welche im Lande
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Die Antragsteller halten es für erforderlich festzustellen, welche im Lande
bestehenden Nutzungsrechte von dem Gesetz betroffen würden, und haben daher
beantragt, durch Ermittlungen der zuständigen Minister festzustellen, welche
Nutzungsrechte in den einzelnen Gemeinden bestehen, welche Rechte und wer als
Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind, wo Rechte durch Gerichtsurteile als
privatrechtliche Befugnisse anerkannt sind und wie die verschiedenen
Nutzungsrechte steuerrechtlich - vor und nach der Erzbergerschen Steuerreform -
behandelt worden sind.
Der Hessische Ministerpräsident hat beantragt festzustellen,
daß das Gesetz zur Bereinigung der Rechtsvorschriften über die
Nutzungsrechte der Ortsbürger vom 19. Oktober 1962 (GVBl. S. 467) nicht der
Verfassung des Landes Hessen widerspricht.
Er hat vorgetragen, daß das Gesetz seinen Willen in ausreichender Klarheit zum
Ausdruck bringe, daß es keine privatrechtlichen Nutzungsrechte erfasse, sondern
nur die auf Ortsrecht beruhenden, mit der Zugehörigkeit zur Gemeinde unlösbar
verbundenen Vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechte am
Gemeindevermögen betreffe, die seit über 100 Jahren in den Gemeindeordnungen
als Gemeindegliedervermögen und Gemeindegliederklassenvermögen bezeichnet
würden und deren Rechtscharakter in Literatur und Rechtsprechung feststehe. Es
möge - zumal bei dem Alter der Rechte - im Einzelfall schwierig sein festzustellen,
ob ein Nutzungsrecht zu diesen öffentlich-rechtlichen Befugnissen gehöre oder
privatrechtlicher Natur sei. Dies zu entscheiden, sei im Streitfalle Sache der
Gerichte.
Das Gesetz lasse die bestehenden Rechte im geltenden Umfang und Inhalt
unberührt und erkläre sie nur mit ihrer Beendigung in der Hand des beim
Inkrafttreten des Gesetzes Berechtigten für nicht weiter übertragbar und lasse sie
auf die Gemeinden übergehen. Dieses Auslaufenlassen der Rechte verletze nicht
die Eigentumsgarantie des Art. 45 HV, da die Anwartschaften nicht Eigentum im
Sinne des Grundrechts seien, weil denjenigen, die nach dem bisherigen Ortsrecht
die Möglichkeit zur Erlangung eines auslaufenden Nutzungsrechtes hatten, die
Anwartschaft keine im Vergleich mit dem freien Eigentumsrecht so starke
Rechtsposition gebe, daß es nach dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundrechts
als ausgeschlossen erschiene, daß der Staat sie ersatzlos entziehen könne.
Der Ministerpräsident verneint das Vorliegen einer Sozialisierung nach Art. 41 HV,
der völlig andere Tatbestände betreffe. Er ist der Ansicht, daß die Gemeinden
durch das Gesetz begünstigt werden, da allmählich ihr Eigentum von dem
Nutzungsrecht befreit und die häufige ungleiche Behandlung der Einwohner
beseitigt werde. Das Recht der Selbstverwaltung der Gemeinden sei nur im
Rahmen der Gesetze als Institutsgarantie gewährleistet und bleibe durch den
gesetzlichen Ausschluß der weiteren Zulassung zu Nutzungsrechten in seinem
Wesensgehalt unberührt. Die Ermächtigung des Ministers des Innern zum Erlaß
von Ausführungsvorschriften in § 9 des Gesetzes entspreche Art. 107 HV und sei
auch in Beschlüssen des Staatsgerichtshofes als verfassungsmäßig anerkannt.
Der Ministerpräsident hat in seinen Schriftsätzen anhand des Ortsrechts mehrerer
bestimmter Gemeinden die Justitiabilität des Gesetzes für verschiedenartige
rechtliche Gestaltungen des Nutzungsrechts darzulegen versucht.
Die von den Antragstellern in ihren Beweisanträgen geforderte Feststellung der
bestehenden verschiedenartigen Rechte in allen Gemeinden hält der
Ministerpräsident zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht für
erforderlich, da das Gesetz nicht die privatrechtlichen Nutzungsrechte erfasse,
sondern lediglich solche öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechte, die allen oder
einzelnen Einwohnern einer Gemeinde auf Grund ihrer Gemeindezugehörigkeit
kraft Ortsrechts zustehen. Ob es sich im Einzelfall um ein solches subjektives
öffentliches Recht oder ein privatrechtliches Nutzungsrecht handele, sei im
Streitfall von dem zuständigen Gericht zu entscheiden.
Der Präsident des Hessischen Landtags hat zur Frage der Verfassungsmäßigkeit
des Gesetzgebungsverfahrens geäußert, es sei im Hessischen Landtag
mindestens seit der II. Wahlperiode Übung, über mehrere Lesungen in einem
Abstimmungsgang abzustimmen. In den Fällen, in denen über die zweite und
dritte Lesung getrennt abgestimmt worden sei, sei dies aus der Mitte des Hauses
ausdrücklich beantragt worden. Ein solcher Antrag sei für das angegriffene Gesetz
nicht gestellt worden.
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Den Mitgliedern der Landesregierung sowie den Vorsitzenden und
Berichterstattern des Rechtsausschusses und des kommunalpolitischen
Ausschusses des Hessischen Landtages, die mit den Vorarbeiten für das Gesetz
befaßt waren, ist gemäß § 42 I StGHG Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.
Die Mitglieder der Landesregierung haben sich der Stellungnahme des
Ministerpräsidenten angeschlossen. Der Vorsitzende des kommunalpolitischen
Ausschusses hat mit Schreiben vom 11. Dezember 1963 das Ergebnis der
Ausschußberatung vom 14. September 1962 mitgeteilt. Der Vorsitzende des
Rechtsausschusses hat erklärt, daß er von einer Äußerung absehen wolle; der
Berichterstatter hat sich nicht geäußert.
Der Landesanwalt hat sich der Ansicht des Ministerpräsidenten angeschlossen.
In der Hauptverhandlung haben die Antragsteller, die Vertreter des
Landtagspräsidenten und des Ministerpräsidenten sowie der Landesanwalt ihre
Rechtsauffassungen vorgetragen und dabei im wesentlichen ihr schriftliches
Vorbringen wiederholt. Die Antragsteller haben auch auf die Ausführungen Bezug
genommen, die Rechtsanwalt Dr. Schäfer in dem beim Bundesverfassungsgericht
- 1 BvR 649/63 - anhängigen Verfahren über die Verfassungsbeschwerde von acht
Nutzungsberechtigten gegen das Gesetz vom 19. Oktober 1962 gemacht hat und
die dem Staatsgerichtshof vorliegen.
B.
Der Antrag ist zulässig.
Nach Art. 131 I HV entscheidet der Staatsgerichtshof über die
Verfassungsmäßigkeit der Gesetze; nur er trifft die Entscheidung darüber, ob ein
Gesetz mit der Verfassung im Widerspruch steht (Art. 132 HV). Den Antrag hierzu
können u. a. ein Zehntel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtags und
der Ministerpräsident stellen (Art. 131 II HV; § 17 II Ziff. 3 und 5 StGHG). Der
Antrag hat nach § 41 III StGHG die Bestimmung der Verfassung zu bezeichnen,
aus der Bedenken gegen die Gültigkeit des Gesetzes hergeleitet werden.
Die Zahl der Mitglieder des Landtages ist in der Verfassung selbst nicht festgelegt.
Nach § 1 des auf Grund des Art. 75 III HV erlassenen Gesetzes über die Wahlen
zum Landtag des Landes Hessen (Landtagswahlgesetz) in der Fassung vom 12.
Juli 1962 (GVBl. S. 343) besteht der hessische Landtag aus 96 Abgeordneten. Die
elf Antragsteller sind mehr als ein Zehntel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des
Landtages. Sie haben in ihrem Antrag auch die Bestimmungen der Verfassung
bezeichnet, aus denen sie die Bedenken gegen die Gültigkeit des von ihnen
angegriffenen Gesetzes herleiten. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den
Antrag auf Entscheidung des Staatsgerichtshofes sind demnach erfüllt.
C.
Der Antrag kann jedoch keinen Erfolg haben.
I.
Die von den Antragstellern gegen das verfassungsmäßige Zustandekommen des
Gesetzes erhobenen Bedenken greifen nicht durch.
1. Die Drucksache (DrAbtlg. I Nr. 1576) mit der Regierungsvorlage wurde am 16.
Mai 1962 an die Abgeordneten ausgegeben. Am 22. Mai 1962 (DrAbtlg. III Nr. 55 S.
2231) fand die erste Lesung im Landtag statt, die mit der Überweisung der
Vorlage an den Rechtsausschuß unter Hinzuziehung des kommunalpolitischen
Ausschusses endete. Der kommunalpolitische Ausschuß beriet die Vorlage am 14.
September 1962, begrüßte die Bereinigung der Rechtsvorschriften über die
Nutzungsrechte der Ortsbürger im Interesse der Gemeinden und bat den
Rechtsausschuß, den Gesetzentwurf nach Möglichkeit noch in der laufenden
Legislaturperiode dem Plenum zur Verabschiedung in zweiter und dritter Lesung
zuzuleiten.
Der Rechtsausschuß beriet den Gesetzentwurf am 10. Oktober 1962 und nahm
ihn, ohne daß Änderungsanträge gestellt wurden (Bericht des Rechtsausschusses
vom 10. Oktober 1962 - DrAbtlg. II Nr. 466) mit der Empfehlung an den Landtag
an, den Entwurf in zweiter und dritter Lesung anzunehmen. In der Sitzung des
Landtages vom 17. Oktober 1962 (DrAbtlg. III Nr. 62 S. 2569), auf deren
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Landtages vom 17. Oktober 1962 (DrAbtlg. III Nr. 62 S. 2569), auf deren
Tagesordnung als dritter Tagesordnungspunkt stand:
"3. Zweite und dritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung..."
wurde der Entwurf nach Ablehnung eines Änderungsantrages der FDP-Fraktion
unverändert in zweiter und dritter Lesung angenommen. In der Aussprache über
den Gesetzentwurf hatte der Abgeordnete ... die Absicht bemängelt,
"... im Schnellverfahren gleich in zwei Lesungen hintereinander diese Vorlage
zu verabschieden und zu beschließen...".
Der Landtag verabschiedete dennoch die Vorlage in der zusammengefaßten
zweiten und dritten Lesung.
2. Nach Art. 99 HV gibt sich der Landtag eine Geschäftsordnung im Rahmen der
Verfassung (GO, abgedruckt im GVBl. II Ziff. 12 - 2). Nach § 47 GO werden
Gesetzentwürfe in drei Lesungen erledigt. Die dritte Lesung beginnt nach § 52 GO,
wenn in der zweiten Lesung keine Änderungen beschlossen worden sind,
frühestens nach Schluß der zweiten Lesung. Nach § 118 GO kann von der GO,
soweit Bestimmungen der Verfassung nicht entgegenstehen, im Einzelfall durch
Beschluß des Landtages abgewichen werden. Nach der Erklärung des
Landtagspräsidenten vom 26. April 1965, der die Antragsteller nicht widersprochen
haben, ist es mindestens seit der II. Wahlperiode des Hessischen Landtages (also
ab Ende 1951) Übung, über mehrere Lesungen in einem Abstimmungsgang
abzustimmen. In den Fällen, in denen über die zweite und dritte Lesung getrennt
abgestimmt worden ist, ist dies aus der Mitte des Hauses ausdrücklich beantragt
worden. Bei der Schlußlesung des Gesetzes ist kein solcher Antrag gestellt
worden.
3. Die parlamentarische Geschäftsordnung ist eine autonome Satzung. Sie beruht
zwar auf der Ermächtigung der Verfassung, ist aber selbst keine
verfassungsrechtliche Norm, sondern steht in ihrem Range der Verfassung und
dem Gesetz nach. Bei ihrer Auslegung ist die parlamentarische Tradition und
Praxis mit heranzuziehen, wie sie durch die historische und politische Entwicklung
geformt worden ist (BVerfGE 1, 144 [148 - 149], Maunz-Dürig, Komm. z. GG, zu
Art. 40 RdNr. 22). Durch das seiner Übung entsprechende Verfahren wich der
Landtag von dem Wortlaut seiner Geschäftsordnung ab. Ob dieses Abweichen
angesichts der langjährigen Übung des Landtages der Bestimmung des § 118 GO
entspricht oder ob dazu etwa auch für diesen Einzelfall ein ausdrücklicher Beschluß
für zusammengefaßte Lesung und Abstimmung erforderlich gewesen wäre, kann
dahingestellt bleiben. Denn Verstöße gegen die GO haben nach absolut
herrschender Lehre keinen Einfluß auf die Rechtsbeständigkeit der dabei gefaßten
Beschlüsse; insbesondere ist ein Gesetz, das unter Verletzung einer GO-
Bestimmung zustandegekommen ist, voll gültig, sofern nicht gleichzeitig gegen
eine in der Verfassung enthaltene Verfahrensbestimmung verstoßen wird (Maunz-
Dürig zu Art. 40 RdNr. 23; Hamann, GG, 2. Aufl., Art. 40 Anm. 3 und von Mangoldt-
Klein, Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 40 Anm. IV S. 915). Ein Verstoß gegen
eine Verfassungsbestimmung liegt aber nicht vor; die hessische Verfassung
enthält keine Vorschriften über die Zahl der Lesungen und über getrennte
Abstimmungen nach jeder einzelnen Lesung. Auch gibt es kein
Verfassungsgewohnheitsrecht, das drei Lesungen fordert. Die Verabschiedung
eines Gesetzes in drei Lesungen gehört schließlich nicht zu den unabdingbaren
Grundsätzen demokratischer Ordnung. In einigen deutschen Ländern sind nur zwei
Lesungen vorgeschrieben, und auch das französische Verfassungsrecht kennt
nicht mehr als zwei Lesungen (BVerfGE 1, 151).
Ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze (Art. 05 HV) liegt demnach nicht
vor.
4. Endlich sind auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken daraus herzuleiten,
daß, wie die Antragsteller vorbringen, das Gesetz ohne gründliche Beratung
durchgepeitscht worden sei und daß die Abgeordneten sich bei der Abstimmung
über das Gesetz nicht über dessen Bedeutung, insbesondere nicht über den
Umfang und den Rechtscharakter der Nutzungsrechte, die es betreffe, und über
ihre wirtschaftliche Bedeutung für die betroffenen Bevölkerungskreise klar gewesen
seien.
Bei der Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens eines Gesetzes kann
der Staatsgerichtshof nicht der Frage nachgehen, ob die Abgeordneten sich über
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der Staatsgerichtshof nicht der Frage nachgehen, ob die Abgeordneten sich über
das, was sie beschlossen haben, klar waren, ob sie die Vorlage gründlich geprüft
und gewissenhaft beraten haben.
Die Ablehnung der Anträge des Abgeordneten..., die rechtlichen Tatbestände
durch die Feststellung aller in Frage kommenden Rechte durch Umfragen bei den
Verwaltungsbehörden und Gerichten des Landes klarzustellen, durch die Mehrheit
des Ausschusses und ebenso des Plenums bedeutet keine Behinderung des
Abgeordneten in der Ausübung des Mandats (Art. 76 HV). Es ist grundsätzlich
Sache des einzelnen Abgeordneten, sich die von ihm gewünschte Klarheit selbst
zu verschaffen; daran wurde er nicht dadurch gehindert, daß die Mehrheit des
Parlaments der Ansicht war, den gesetzlich zu regelnden Tatbestand genügend zu
kennen, so daß die gewünschten Feststellungen entbehrlich seien.
II.
Der Auffassung der Antragsteller, das Gesetz bezeichne nicht eindeutig die
Rechte, die es betreffe, sein Inhalt sei unklar und unbestimmt und das Gesetz
daher nichtig, kann nicht gefolgt werden.
1. Nach der Begründung der Regierungsvorlage (Drucksachen des Hessischen
Landtags, IV. Wahlperiode, Abteilung I Nr. 1576, S. 4623 - 4625) sollte das Gesetz
die Nutzungsrechte, die den Einwohnern oder einzelnen Teilen der Einwohnerschaft
einer Gemeinde an einzelnen bestimmten Teilen des Gemeindevermögens in ihrer
Eigenschaft als Ortsbürger oder Einwohner der Gemeinde eingeräumt waren,
allmählich beseitigen, da diese Rechte eine Bevorzugung von Teilen der
Einwohnerschaft darstellten, die nicht mehr gerechtfertigt sei. Die Nutzungsrechte
bildeten einstmals eine wirtschaftliche Grundlage für die mit mannigfachen
öffentlich-rechtlichen Pflichten gegenüber der Gemeinde und ihren Einwohnern
belasteten Nutzungsberechtigten, die im Laufe der Entwicklung fortgefallen seien.
Da es sich bei den Nutzungsrechten der Ortsbürger um Vermögenswerte
subjektiv-öffentliche Rechte im Sinne des Art. 14 GG handele und sie daher nur
aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit und nur gegen angemessene
Entschädigung aufgehoben werden könnten, scheitere ihre alsbaldige Beseitigung
an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Mehrzahl der Gemeinden. Als einzig
gangbarer Weg für einen allmählichen Abbau biete sich daher nur die Möglichkeit,
die bestehenden Nutzungsrechte grundsätzlich unberührt zu lassen, die
Neuaufnahme in das Nutzungsrecht, die Neuzulassung zur Teilnahme an den
Nutzungen und das Nachrücken in Nutzungsrechte aber zu unterbinden.
2. Für den Staatsgerichtshof ist wie für jedes Gericht nur der Inhalt des Gesetzes
maßgebend, wie er sich aus dem im Gesetzblatt verkündeten Wortlaut und dem
Sinnzusammenhang des Gesetzestextes und dem Willen des Gesetzgebers ergibt.
Sache des Richters, der das Gesetz anzuwenden hat, ist es, wenn Unklarheiten
oder Zweifel über die Bedeutung des Gesetzestextes bestehen, durch Auslegung
des Gesetzestextes dessen Inhalt zu ermitteln. Dabei sind die Begründung, die der
Gesetzesvorlage beigefügt war, und die Darlegungen und Erwägungen, die bei der
Beratung des Gesetzentwurfes von Regierungsvertretern und Abgeordneten
vorgetragen wurden und zu der endgültigen Wortfassung führten, heranzuziehen
(BVerfGE 1, 299 [312]; 8, 274 [307]; 11, 126 [130 f]). Der Wille des Gesetzgebers
ist für die Auslegung einer zweifelhaften Gesetzesstelle aber nur dann von
Bedeutung, wenn er auch im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist
(BVerfGE 18, 38 [45]). Sind verschiedene Auslegungen möglich, so kann nur die
anerkannt werden, die mit der Verfassung nicht im Widerspruch steht (BVerfGE 2,
266 [282]; 8, 38 [41]; 18, 70 [80]).
Bei der Auslegung eines Rechtsbegriffes in einem neuen Gesetz ist insbesondere
die rechtsgeschichtliche Entwicklung dieses Rechtsbegriffs von ausschlaggebender
Bedeutung, seine Ausgestaltung und Wandlung im Laufe des Rechts- und
Soziallebens des bisherigen Geltungsbereichs. Es ist anzunehmen, daß der
Gesetzgeber ihn übernommen oder an ihn angeknüpft hat und bei seiner
Weiterbildung oder Änderung von ihm ausgegangen ist. Schwierigkeiten mögen
dann entstehen, wenn bei der Schaffung einheitlichen Rechtes für bisher getrennte
Rechtsgebiete mit unterschiedlicher Rechtsentwicklung und Sozialverfassung
Begriffe verwendet werden, die verschiedene Rechtsinhalte hatten. Im Wege der
Auslegung wird im allgemeinen das Gericht auch hier Klarheit schaffen können.
3. Das Gesetz stellt mit ausreichender Klarheit fest, welche Rechte es betrifft.
In § 2 I bezeichnet es sie als
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"Nutzungsrechte der Ortsbürger am Gemeindegliedervermögen und
Gemeindegliederklassenvermögen (§ 96 der Hessischen Gemeindeordnung)."
Nach § 96 HGO ist Gemeindegliedervermögen das
"Gemeindevermögen, dessen Ertrag nach bisherigem Recht nicht der
Gemeinde, sondern sonstigen Berechtigten zusteht (Gemeindegliedervermögen,
Gemeindegliederklassenvermögen)."
In § 5 ist bestimmt, daß die §§ 1 bis 4 des Gesetzes entsprechend gelten
"für Nutzungsrechte der Ortsbürger an Vermögensgegenständen Dritter und
an gemeinschaftlichen Vermögensgegenständen, sofern die Nutzungsrechte den
Berechtigten oder ihren Rechtsvorgängern in ihrer Eigenschaft als Ortsbürger oder
Einwohner einer Gemeinde eingeräumt worden sind oder nach Herkommen oder
Gewohnheitsrecht zustehen und sich die Ausübung der Rechte und der Kreis der
Berechtigten nach ortsrechtlichen Vorschriften und Gewohnheiten regelt."
4. "Gemeindegliedervermögen ist Gemeindevermögen (Gemeindeeigentum),
dessen Ertrag (Nutzung) nicht der Gemeinde selbst, sondern kraft öffentlichen
Rechts ganz oder teilweise sonstigen Berechtigten (Einwohnern, Bürgern,
Bürgergruppen) zusteht. Sind nicht alle Gemeindeeinwohner oder
Gemeindebürger, sondern nur bestimmte Gruppen von ihnen nutzungsberechtigt,
so spricht man auch von Gemeindegliederklassenvermögen." (Muntzke-Schlempp,
Kom. zur HGO, 1954, Anm. I zu § 96, S. 857; so auch Surén, Die
Gemeindeordnungen der Bundesrepublik, II. Band, Gemeindewirtschaftsrecht,
1960, S. 92 ff.).
a) Die Begriffe des Gemeindegliedervermögens und
Gemeindegliederklassenvermögens sind in die Hessische Gemeindeordnung vom
25. Februar 1952 (GVBl. S. 11) aus der HGO vom 21. Dezember 1945 (GVBl. 1946
S. 1), § 65, übernommen worden und entsprechen wörtlich der Vorschrift der vor
diesem Gesetz im gesamten Gebiet des heutigen Landes Hessen geltenden
Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (RGBl. I S. 49).
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(1) Für die Nutzung des Gemeindevermögens, dessen Ertrag nach bisherigem
Recht nicht der Gemeinde, sondern sonstigen Berechtigten zusteht
(Gemeindegliedervermögen), verbleibt es bei den bisherigen Vorschriften und
Gewohnheiten.
(2) Gemeinde vermögen darf nicht in Gemeindegliedervermögen umgewandelt
werden."
Die Deutsche Gemeindeordnung galt für alle Länder. Seitdem wird also für das
gesamte Gebiet des heutigen Landes Hessen, für die ehemals preußischen
Gebiete, die Regierungsbezirke Kassel und Wiesbaden, ebenso wie für den
Regierungsbezirk Darmstadt, der früher zum Volksstaat Hessen gehörte, das
Gemeindevermögen, das zwar Eigentum der Gemeinde ist, dessen Ertrag aber
nach bisherigem Recht nicht der Gemeinde, sondern sonstigen Berechtigten
zusteht, als Gemeindegliedervermögen bezeichnet und gleichzeitig bestimmt, daß
für die Nutzung dieses Vermögens die bisherigen Vorschriften und Gewohnheiten
maßgebend sein sollen.
Vor der Deutschen Gemeindeordnung waren die Bestimmungen über
Gemeindegliedervermögen für das Gebiet der heutigen Regierungsbezirke Kassel
und Wiesbaden in der Landgemeindeordnung und in der Städteordnung für die
Provinz Hessen-Nassau, beide vom 4. August 1897 (PrGS S. 301 u. S. 254) in den
§§ 34 bis 41 LGO und §§ 52 bis 56 StO getroffen. Im Abschnitt
"Gemeindevermögen" heißt es dort:
"Im Eigentum der Stadt-(Land) gemeinden stehen sowohl diejenigen
Bestandteile des Gemeindevermögens, deren Erträge für die Zwecke des
Gemeindehaushalts bestimmt sind (Kämmereivermögen, Ortsvermögen,
Gemeindevermögen im engeren Sinne) wie auch diejenigen
Vermögensgegenstände, deren Nutzungen den Gemeindeangehörigen oder
einzelnen von ihnen vermöge dieser Eigenschaft zukommen (Bürgervermögen,
Gemeindegliedervermögen, Allmenden, Gemeinheiten)."
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- § 52 HNStO, § 38 HNLGO -
Für das Gebiet des Regierungsbezirks Darmstadt waren bis zum Erlaß der DGO
vom 30. Januar 1935 Vorschriften über die Gemeindenutzungen enthalten in den
durch Art. 125 der Hessischen Gemeindeordnung vom 10. Juli 1931 (RegBl. S. 115)
aufrechterhaltenen Art. 23 bis 34 der Hessischen Landgemeindeordnung und der
Hessischen Städteordnung, beide vom 8. Juli 1911 (RegBl. S. 443 u. S. 367), dem
Gesetz, die Gemeindenutzungen der Ortsbürger betreffend, vom 21. Juni 1852
(RegBl. S. 297), dem Gesetz, die Gemeindenutzungen der Ortsbürger,
insbesondere die desfalls zu errichtenden Lokalstatuten betreffend, vom 3. Juli
1858 (RegBl. S. 281) und dem Gesetz über die Aufhebung von Ortsbürgernutzen
am Allmendgut vom 27. Januar 1934 (RegBl. S. 13) und der dazugehörigen
Bekanntmachung vom 3. Oktober 1934 (RegBl. S. 161).
Hinzu kommen noch andere ältere gesetzliche Vorschriften, die sich auf diese
Nutzungsrechte beziehen, insbesondere für das Flurbereinigungsverfahren und die
Gemeinheitsteilungen. Sie sind in den §§ 1 und 7 des von den Antragstellern
beanstandeten Gesetzes aufgeführt und aufgehoben oder für nicht mehr
anwendbar erklärt, soweit sie den Vorschriften des Gesetzes vom 19. Oktober
1962 widersprechen oder den in dem Gesetz verfolgten Zweck vereiteln würden.
Ausführungsanweisungen zu den alten Gesetzen und zahlreiche Entscheidungen
der Gerichte, insbesondere des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, haben sich
mit diesen Gemeindenutzungsrechten beschäftigt.
b) Aus all diesen Vorschriften ergibt sich, daß es sich um Nutzungsrechte von
Gemeindeeinwohnern an Vermögensgegenständen der Gemeinde handelt, an
denen der Gemeinde nur das Eigentum zusteht, deren Erträge aber nicht der
Gemeinde zufließen und nicht für Zwecke des Gemeindehaushalts bestimmt sind,
sondern den Gemeindeangehörigen oder Gruppen von Gemeindeangehörigen
vermöge ihrer Eigenschaft als Gemeindeangehörige zukommen, solange der
einzelne in seiner Person die Voraussetzungen für den Bezug erfüllt, d. h. solange
er Mitglied, nach heutigem Sprachgebrauch Einwohner der Gemeinde ist und die
neben der Gemeindemitgliedschaft nach dem geltenden Ortsrecht etwa noch
geforderten weiteren Voraussetzungen erfüllt (§ 52 I HNStO, § 38 I HNLGO; § 5
Verordnung vom 13. Mai 1867 für den Reg.Bez. Kassel - PrGS. S. 716 - und § 3 der
Gemeinheitsteilungsordnung vom 5. April 1869 für den Reg.Bez. Wiesbaden -
PrGS. S. 526 -; PrOVG Bd. 71 S. 124, Bd. 76 S. 127). Die Gemeinde kann die
Teilnahme an den Gemeindenutzungen von der Zahlung eines Einkaufsgeldes
abhängig machen (§ 58 HNStO, § 42 HNLGO); diese Einnahmen fließen in die
Gemeindekasse und dienen zur Deckung des allgemeinen Gemeindebedarfs
(Pr.OVG Bd. 76 S. 127). Die Zahlung des Einkaufsgeldes gibt keinen Anspruch auf
dauernde Zulassung zu den Nutzungen (Pr.OVG Bd. 24 S. 88, Bd. 80 S. 49 und in
PrVerwBl., Jahrgang 24, S. 87; Antoni, Komm. zur HessNass.
Landgemeindeordnung von 1897, 3. Aufl. 1905, Anm. 3 zu § 40, Anm. 4 zu § 42),
und die Gemeinde begibt sich damit nicht des Rechts, ihr Ortsrecht über die
Teilnahme an den Nutzungen zu ändern (v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze für
Preußen, Ergänzungsband Hessen-Nassau, 1911, S. 71, Anm. 4 zu § 58 HNStO).
Die Gemeinde allein hat das Recht, Beschlüsse über die Nutzungen des
Gemeindegliedervermögens mit bindender Wirkung für die Gemeindeangehörigen
zu fassen und über den Umfang zu bestimmen, in dem die Gemeindeglieder an
den Nutzungen teilnehmen (Pr.OVG Bd. 35 S. 150). Was der Einzelne aufgrund
solcher Beschlüsse fordern kann, ist ein Anspruch, der auf der
Gemeindeverfassung, dem Ortsrecht der Gemeinde, also auf öffentlichem Recht
beruht. Der Einzelberechtigte besitzt sein Nutzungsrecht nur kraft des einseitig
erklärten Gemeindewillens und nur so lange, wie dieser geltende Norm des
Ortsrechts bleibt. Die Gemeinde verletzt daher, wenn sie ihren Hillen hinsichtlich
der Nutzung des Gemeindegliedervermögens ändert, den Einzelnen nicht in
seinem Recht; sie ist vielmehr jederzeit befugt zu beschließen, daß das
Bezugsrecht der Gemeindeglieder eingeschränkt oder ihnen ganz entzogen wird,
ohne daß diese berechtigt wären, die Gemeinde zur Fortsetzung der Nutzung zu
zwingen (Pr. OVG Bd. 24 S. 93; Antoni, a.a.O., Anm. 1 zu § 39, Anm. 8 zu § 40
HNLGO). Die Gemeinde konnte auch die Umwandlung des
Gemeindegliedervermögens in freies Gemeindevermögen beschließen und
bedurfte dazu nicht der Zustimmung der nutzungsberechtigten Gemeindeglieder
(Pr.OVG Bd. 64 S. 175). - Vgl. dazu: von Löwenstein,
Gemeindegliederklassenvermögen, PrVerwBl. Bd. 47 S. 114 ff.; Oeding, Das
Gemeindenutzungsrecht (sog. Gemeindenutzen) in Kurhessen, Marburger
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Gemeindenutzungsrecht (sog. Gemeindenutzen) in Kurhessen, Marburger
Dissertation, 1937, S. 31 bis 36; Antoni, a.a.O., Anm. 1 zu § 39 HNLGO -
Das Nutzungsrecht ist untrennbar mit der Gemeindeangehörigkeit verbunden,
unterliegt ortsrechtlicher Regelung durch die Gemeinde und ist ein öffentliches
Recht.
Bei dem Gemeindegliederklassenvermögen des § 2 des Gesetzes und des § 96
HGO, das ebenfalls im Eigentum der Gemeinde steht und dessen Erträge ebenfalls
nicht in die Gemeindekasse fließen, sondern den Gemeindeangehörigen zustehen,
ist Bedingung für die Teilnahme an den Nutzungen nicht nur die
Gemeindezugehörigkeit, sondern darüber hinaus die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten, durch sachliche Merkmale abgegrenzten Gruppe (Klasse) von
Bürgern. Das Nutzungsrecht steht nicht sämtlichen Gemeindeangehörigen,
sondern nur einzelnen von ihnen zu (§ 52 HNStO, § 38 HNLGO), sei es, daß die
Berechtigten durch räumliche Grenzen (z. B. Wohnen innerhalb der "Ringmauer"),
sei es, daß sie durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von
Gemeindeangehörigen bestimmt werden (§ 55 I Ziff. 2 HNStO, § 41 I 2 HNLGO;
Pr.OVG Bd. 64 S. 175).
Ein einheitliches Merkmal für den Begriff Klasse läßt sich nicht aufstellen; sie sind
örtlich verschieden. Notwendige Voraussetzung ist das Vorhandensein
verschiedener Kategorien von Gemeindeangehörigen, unter denen die
Gemeinderechte und -pflichten derart verschieden verteilt sind, daß diese
Kategorien als solche gemeinsame Angelegenheiten betreiben oder zueinander in
rechtliche Beziehungen treten (Pr.OVG Bd. 5 S. 164, Bd. 91 S. 28).
Diese Rechte am Gemeindegliederklassenvermögen konnten bis zum Erlaß des
Preußischen Gemeindefinanzgesetzes vom 15. Dezember 1933 (PrGS S. 442)
nicht gegen den Willen der Berechtigten und nicht ohne Entschädigung entzogen
oder geschmälert werden (§ 39 HNLGO, § 53 HNStO; Pr.OVG Bd. 24 S. 88, Bd. 64
S. 172, Bd. 69 S. 136, Bd. 71 S. 124). § 70 III PrGemFinGes., der von der
Deutschen Gemeindeordnung unberührt geblieben ist, ließ dann auch in diesen
Fällen die Umwandlung in freies Gemeindevermögen zu, wenn auch nur gegen
angemessene Entschädigung (Surén-Loschelder, Kommentar zur DGO, Anm. 4 zu
§ 65; Oeding, a.a.O., S. 34, 35, 64). Auch hier handelt es sich um auf Ortsrecht
beruhende subjektive öffentliche Rechte, die ohne die Gemeindezugehörigkeit
nicht bestehen können. Selbst in der Hand des Erben des Hofgrundstücks konnte
das Nutzungsrecht nicht neu entstehen, wenn er nicht Gemeindeangehöriger war.
Auch das im Regierungsbezirk Darmstadt geltende alt-hessische Recht kannte
Nutzungsrechte der Ortsbürger am Gemeindevermögen, die allen Ortsbürgern
oder einzelnen Klassen zustanden (Art. 6 des Gesetzes vom 21. Juli 1852) und
ortsrechtlicher Regelung unterlagen. Für ihre Entstehung und Fortbestand waren
außer anderen Voraussetzungen der Besitz des Ortsbürgerrechts und der
Wohnsitz in der Gemeinde erforderlich. Klassenrechte konnten nach Art. 9 des
Gesetzes von 1852 nur mit Zustimmung der Mehrheit der Berechtigten
aufgehoben werden. Die Landgemeinde- und die Städteordnungen von 1911 (Art.
32) ließen dann die Entziehung der Nutzungsrechte auch gegen den Willen der
Berechtigten, wenn auch nur gegen Entschädigung, zu, wenn das genutzte
Grundstück als Bauplatz, für eine Eisenbahn, für einen öffentlichen Weg oder für
eine Reichs-, Staats- oder Kommunalanstalt verwendet werden sollte. Eine
Beschränkung der bis dahin bestandenen alten Nutzungsrechte und eine
Beschränkung oder Aufhebung von Nutzungen an Grundstücken, die von jedem
Gemeindeangehörigen ungeteilt ausgeübt werden (wie Weiden), infolge von
Verkauf, Kulturveränderung, Verpachtung oder anderweiter Benutzung des
betroffenen Grundstücks durch Beschluß der Gemeinde wurden - ohne
Entschädigungsanspruch - zulässig (Art. 33 I). In Art. 33 IV wurde die gänzliche
Ablösung des Ortsbürgernutzens nach Maßgabe der zu erlassenden besonderen
gesetzlichen Bestimmungen für zulässig erklärt. Im Gesetz vom 27. Januar 1934
über die Aufhebung von Ortsbürgernutzen am Allmendgut wurde schließlich
bestimmt, daß der Hessische Staatsminister die Nutzungsrechte im öffentlichen
Interesse ganz oder teilweise als aufgehoben erklären konnte und die Berechtigten
keinen Anspruch auf Entschädigung erheben konnten. Der Staatsminister sollte
bestimmen, was mit dem freigewordenen Allmendgut zu geschehen hat (Dies ist
in der Durchführungsbestimmung vom 3. Oktober 1934 - RegBl. S. 161 - erfolgt).
Ein Fünftel des freigewordenen Allmendguts war nach Art. 3 des Gesetzes vom 27.
Januar 1934 den Gemeinden zur unentgeltlichen oder verbilligten Nutzung durch
bedürftige Ortsbürger zu überlassen. (Vgl. Urteil des Hess. VGH vom 12.
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bedürftige Ortsbürger zu überlassen. (Vgl. Urteil des Hess. VGH vom 12.
Dezember 1960 - PS II 143/59 - in ESVGH 11,47).
Auch bei den Nutzungsrechten im ehemals hessen-darmstädtischen Gebiet
handelt es sich um auf Ortsrecht beruhende subjektive öffentliche Rechte, die
ohne die Gemeindezugehörigkeit nicht bestehen können.
c) Dasselbe gilt im wesentlichen auch für die in § 5 des Gesetzes vom 19. Oktober
1962 genannten Nutzungsrechte an dem Vermögen Dritter (meist ehem.
Standesherren, Gutsbesitzer) und an Vermögensgegenständen (insbes. Wald), die
im gemeinsamen Eigentum der Berechtigten stehen. Das Gesetz erfaßt nur
solche Nutzungsrechte, die den Berechtigten in ihrer Eigenschaft als Ortsbürger
oder Einwohner einer Gemeinde zustehen und bei denen sich die Ausübung der
Rechte und der Kreis der Berechtigten nach ortsrechtlichen Vorschriften und
Gewohnheiten regeln. Dabei wird es für Nutzungsrecht an gemeinschaftlichen
Vermögensgegenständen vielfach schwierig sein festzustellen, ob es sich um
öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Nutzungsrechte handelt. Beruht das
Recht auf einem Privatrecht, so liegt privates "Interessentenvermögen" vor
(Pr.OVG Bd. 23 S. 53); es unterliegt nicht dem Gesetz vom 19. Oktober 1962.
5. a) Daß das Gesetz in seiner Überschrift und in den §§ 2 I und 5 von den
Nutzungsrechten der "Ortsbürger" spricht, rechtfertigt keine Zweifel daran, welche
Rechte das Gesetz zum Inhalt hat. Im Gegenteil; es verwendet damit zur
Bezeichnung dieser althergebrachten Rechte die im hessen-darmstädtischen
Rechtsgebiet übliche Bezeichnung (vgl. § 31 HLGO vom 8. Juli 1911 - RegBl. S. 247
-, Gesetz vom 27. Januar 1934 - RegBl. S. 13), durch die zum Ausdruck kommt,
daß das Recht im früheren Ortsbürgerrecht wurzelt; nur der Ortsbürger konnte an
diesen Nutzungsrechten teilhaben. In den ehemals preußischen Teilen des
heutigen Landes Hessen war diese Bezeichnung nicht gebräuchlich, obwohl es
auch dort früher "Ortsbürger" gab, nämlich die Gemeindeangehörigen, die das
Ortsbürgerrecht besaßen und es zu erwerben verpflichtet waren (§§ 26, 27
Kurh.Gem.Ord. vom 23. Oktober 1834; § 9 HNLGO von 1897) und die allein zur
Teilnahme an den Gemeindenutzungen berechtigt waren. Im Zuge der Entwicklung
von der Bürgergemeinde zur Einwohnergemeinde trat für die Teilnahme an den
Gemeindenutzungen an die Stelle des Gemeindebürgerrechts die
Gemeindeangehörigkeit (vgl. § 40 HNLGO), ein Rechtsstatus, den das
Gemeindewahlgesetz vom 9. April 1923 (PrGS. S. 88), das jedem Einwohner das
aktive und passive Wahlrecht und damit das Recht zur Teilnahme an den
Gemeindeeinrichtungen gab, besonderer Befugnisse entkleidete; dadurch wurde
das Rechtsinstitut des Bürgerrechts endgültig beseitigt (vgl. Komm. zur LGO in Bd.
7 der Verwaltungsgesetze für Preußen von Brauchitsch, 19. Auflage, 1930 S. 193
ff; Hue de Grais-Peters, Handbuch der Verfassung und Verwaltung, 24. Aufl. S.
136).
b) Die Antragsteller berufen sich weiter für ihre Ansicht, daß das Gesetz nach
seiner Wortfassung und dem Willen des Gesetzgebers alle Arten von
Nutzungsrechten, also auch die privatrechtlichen Rechte am Gemeindevermögen
betreffe, darauf, daß das Gesetz in § 2 II und § 3 I und II nur von "Nutzungsrechten"
und nicht wie in § 2 I von den "Nutzungsrechten der Ortsbürger am
Gemeindegliedervermögen" spreche und in § 3 I auch solche Nutzungsrechte
nenne, die auf besonderem Titel beruhen, und daß in der Begründung der
Regierungsvorlage unter "Allgemeines" Absatz 1 Satz 2 "Interessentenvermögen,
Markwaldungen, Allmendnutzungen" genannt seien.
Wenn das Gesetz in § 2 die Rechte, die es betrifft, als Nutzungsrechte der
Ortsbürger am Gemeindegliedervermögen und Gemeindegliederklassenvermögen
(§ 96 HGO) bezeichnet, so bringt es damit eindeutig zum Ausdruck, daß es sich
um die in der Gemeindezugehörigkeit, dem früheren Ortsbürgerrecht, wurzelnden
öffentlichrechtlichen Nutzungsrechte am Gemeindevermögen handel- und nicht
um privatrechtliche Nutzungsrechte. Daß Absatz 2 diese im ersten Absatz
bezeichneten Rechte meint, ergibt sich unzweifelhaft aus dem unmittelbaren
Zusammenhang mit dem ersten Absatz. Ebensowenig kann es zweifelhaft sein,
daß der unmittelbar nachfolgende § 3, der Inhalt und Umfang der in § 2 I
aufrechterhaltenen Nutzungsrechte und den Kreis der Berechtigten behandelt, nur
diese dort bezeichneten öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechte im Auge hat, auch
wenn hier nicht der volle Wortlaut der dort näher bezeichneten Rechte wiederholt
wird. Auch der Umstand, daß das Gesetz - wie es auch sonst bei alten Rechten
selbstverständlich ist - für Inhalt und Umfang der aufrechterhaltenen Rechte und
für den Kreis der Berechtigten in erster Linie einen etwa bestehenden besonderen
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für den Kreis der Berechtigten in erster Linie einen etwa bestehenden besonderen
Rechtstitel dieser Rechte für maßgebend erklärt und, falls es einen solchen Titel
nicht gibt, die bisherigen Rechtsvorschriften und Gewohnheiten entscheidend sein
läßt, läßt nicht den Schluß zu, hiermit beziehe das Gesetz privatrechtliche
Nutzungsrechte in seinen Geltungsbereich ein und verstehe unter besonderem
Rechtstitel auch oder gar nur privatrechtliche Titel. Es kann sich bei den
besonderen Titeln hier nur um solche handeln, die ein öffentlich-rechtliches
Nutzungsrecht betreffen, auf die allein sich das Gesetz bezieht. Besondere
Rechtstitel sind Rechtsakte, durch welche unabhängig vom Gesetzesrecht und
Herkommen eine Verpflichtung oder ein Recht begründet oder eine zweifelhafte
Verpflichtung festgestellt wird. Hierher gehören aber nur öffentlich-rechtliche Titel,
nicht privatrechtliche Verhältnisse, die durch das Gesetz nicht berührt werden
(Pr.OVG Bd. 69 S. 276; Bd. 70 S. 284; Bd. 72 S. 249).
In der Begründung zu dem Gesetzentwurf ist auch immer nur von den öffentlich-
rechtlichen Nutzungsrechten die Rede, die ausdrücklich als Vermögenswerte,
subjektiv-öffentliche Rechte bezeichnet werden (Begründung, a.a.O., S. 4624).
Lediglich die Nennung des "Interessentenvermögens" (am Ende des ersten
Absatzes der Begründung a.a.O., S. 4623) als Beispiel der bestehenden
Nutzungsrechte zusammen mit "Nutzungsrechten an Allmendgrundstücken,
Markwaldungen" mag zu Bedenken Anlaß bieten; denn "Interessentenvermögen"
ist unstreitig privatrechtliches Vermögen der Berechtigten und ist von dem
öffentlich-rechtlichen Verhältnis des Berechtigten zu der Gemeinde unabhängig.
Dagegen sind die Nutzungsrechte an Allmendgrundstücken in aller Regel
öffentlichrechtlicher Natur, während Markwaldungen je nach ihrer rechtlichen
Ausgestaltung im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung privatrechtlicher oder
öffentlich-rechtlicher Art sein können. Diese einzige Stelle der Begründung
rechtfertigt aber keine Zweifel und läßt keine Unsicherheit über den Inhalt des
Gesetzes aufkommen. Nirgends erwähnt das Gesetz Nutzungsrechte
privatrechtlicher Natur, und kein Satz des Gesetzes läßt die Annahme zu, daß es
sie in seine Regelung habe einbeziehen wollen.
Nur die öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechte am Vermögen der Gemeinde, die
auf der Gemeindezugehörigkeit der Berechtigten beruhen, betrifft also das Gesetz
vom 19. Oktober 1962, nicht privatrechtliche Nutzungsrechte (so auch OLG
Frankfurt (Main), Zivilsenate in Kassel, Beschluß vom 25. Februar 1965 - 14 Wx
1/65 -, abgedr. in "Der Gemeindetag" 1965 S. 336 ff.).
6. Welche Nutzungsrechte diesen öffentlich-rechtlichen Charakter haben und
deshalb dem Gesetz unterliegen, und welche privatrechtlicher Natur sind und
danach vom Gesetz nicht erfaßt werden, kann im Einzelfall zweifelhaft sein und
muß gegebenenfalls von den zuständigen Gerichten entschieden werden.
Die Rechte haben ihren Ursprung in der alten deutschrechtlichen Markverfassung,
in der es ursprünglich kein Privateigentum des Einzelnen am Grund und Boden
gab. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ist Privateigentum an den Haus-
und Hofgrundstücken und später auch an den Feldgrundstücken entstanden. Die
übrigen Flächen der Marken, wie Weiden, Wald, Sandgruben, Steinbrüche u. a.,
sind in der Hand der Markgenossenschaft geblieben oder an die Gemeinden
übergegangen, die sich inzwischen gebildet hatten, und dienten gemeinsamer
Nutzung (Markwaldungen, Allmende, Gemeinheiten). Die Gesetzgebung war
später bemüht, diese Gemeinsamkeiten auf- oder abzulösen, um die Nutzung der
Ländereien wirtschaftlicher zu gestalten und die ungleiche Behandlung der
Einwohner zu beseitigen. (Zu der geschichtlichen Entwicklung vgl. v. Brauchitsch,
Verwaltungsgesetze in Preußen, Ergänzungsband Hessen-Nassau, 1911, zu § 52
HNStO Anm. 2, S. 96 ff,; Oeding, a.a.O., S. 1 bis 22). Da die Nutzungen
ortsrechtlicher Regelung unterlagen und sich ihre wirtschaftliche und soziale
Bedeutung im Zuge der Entwicklung der Gemeinden von der reinen
Bauerngemeinde zur gemischtwirtschaftlichen und weiter zur
Arbeiterwohnsitzgemeinde gewandelt hat, haben sich die verschiedenartigsten
Ausgestaltungen der Gemeindenutzungsrechte ergeben sowohl hinsichtlich des
Kreises der Berechtigten als auch des Inhalts der einzelnen Nutzungsrechte.
Daher gibt es keine einheitliche Ausgestaltung dieser Rechte; sie sind fast in jeder
Gemeinde verschieden. Ihr Inhalt und Rechtscharakter kann nur für die einzelne
Gemeinde festgestellt werden (v. Brauchitsch, Pr.Verw.Ges., Ergänzungsband
Hessen-Nassau, 1911, S. 62). Ein Privatrecht liegt, auch wenn das Nutzungsrecht
mit einem Grundstück verbunden ist, nur dann vor, wenn der Besitz des
Grundstücks für sich und unabhängig von dem Verhältnis des Besitzers zur
Gemeinde die Nutzungsberechtigung gewährt (Pr.OVG Bd. 69 S. 137; Bd. 76 S.
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Gemeinde die Nutzungsberechtigung gewährt (Pr.OVG Bd. 69 S. 137; Bd. 76 S.
126 f.). Sicheres Zeichen für Privatrecht ist es, wenn die Berechtigung für sich
veräußerlich und vererblich ist (Oeding, a.a.O., S. 43; Meisner-Stern-Hodes,
Nachbarrecht, 3. Aufl., 1956, S. 453 ff., 467 f.).
7. Welche Rechte von dem Gesetz betroffen werden, ist also in dem Gesetz
hinlänglich zum Ausdruck gebracht. Das Gesetz entspricht insoweit
rechtsstaatlichen Forderungen. Daß es nicht ins Einzelne gehende Vorschriften
über die verschiedenartigen bestehenden Nutzungsrechte enthält und im Streitfall
der Richter zur Entscheidung berufen ist, stellt keine Besonderheit im Rechtsleben
dar und rechtfertigt nicht die Sorge vor einer unerträglichen Rechtsunsicherheit.
Die Antragsteller können sich demgegenüber auch nicht auf die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts berufen.
wirklichen Gehalt des Gesetzes in der Formulierung der Bestimmungen nur sehr
unvollkommen und nicht unmißverständlich zum Ausdruck bringen, können nach
der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nur in extremen Fällen wegen
Verstoßes gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze nichtig sein (BVerfGE 1, 14
[45]; 17, 67 [82]).
Legt ein Gesetz nicht selbst den gesetzlichen Tatbestand fest, sondern verweist es
auf andere Normen, so muß es für den Rechtsunterworfenen klar erkennen lassen,
was Rechtens sein soll (BVerfGE 5, 25 [31]). Eine Bezugnahme auf ein anderes
Gesetz ist in ständiger Staatspraxis für zulässig erachtet worden; notwendig ist
nur, daß klar erkennbar ist, welche Bestimmungen Gesetzeskraft haben sollen
(BVerfGE 8, 274 [302 f.]). Die manchmal erhobene Forderung, das Gesetz müsse
so speziell sein, daß die rechtliche Lösung des Einzelfalles nahezu mit Sicherheit
vorausgesehen werden könne, ist unerfüllbar. Bestehendes Recht kann nicht nur in
der Weise aufgehoben werden, daß die zu beseitigenden Vorschriften einzeln
aufgezählt werden oder daß den neuen Vorschriften eine Klausel hinzugefügt wird,
welche die ihnen entsprechenden älteren Vorschriften außer Kraft setzt; der
Gesetzgeber kann auch eine positive, allgemein gefaßte Rechtsnorm setzen, aus
deren Inhalt sich das Außerkrafttreten entgegenstehenden Rechts von selbst
ergibt (BVerfGE 3, 225 [243]; vgl. dazu auch BayerVerfGH im Bayer.VBl. 1965 S.
271 bis 273).> All diesen Forderungen entspricht das Gesetz vom 19. Oktober
1962.
8. Es ist nicht Sache des Staatsgerichtshofs, die einzelnen Fälle in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, an deren Beispiel die Antragsteller in ihren
Schriftsätzen ihr Begehren begründet haben, und ebensowenig ist der
Staatsgerichtshof dazu berufen, die Fälle nachzuprüfen, in denen der
Ministerpräsident in seinen Schriftsätzen an dem Ortsrecht einiger Gemeinden die
Justitiabilität des beanstandeten Gesetzes dargetan hat. Ob die Feststellungen zu
den einzelnen Ortsrechten, ihre Auslegung und die Anwendung des Gesetzes auf
diese Rechtslage zutreffend sind, zu prüfen, ist vielmehr Sache des zuständigen
Gerichts im Einzelfall. Daher bedarf es auch nicht der von den Antragstellern in
ihren Beweisanträgen beantragten Feststellung aller in den hessischen Gemeinden
bestehenden Nutzungsrechte vor der Entscheidung durch den Staatsgerichtshof.
III.
Die Ansicht der Antragsteller, das Gesetz vom 19. Oktober 1962 verletze die
Eigentumsgarantie des Art. 45 HV und stelle eine - zumal ohne Entschädigung -
unzulässige Enteignung dar, ist unzutreffend.
1. Art. 45 HV gewährleistet das Privateigentum und das Erbrecht und bestimmt die
Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Enteignung. Auch Art. 14 GG
gewährleistet Eigentum und Erbrecht als Grundrechte und legt die
Voraussetzungen fest, unter denen eine Enteignung zulässig ist. Bundesrecht
bricht Landesrecht (Art. 31 GG); Art. 142 GG hält aber die Bestimmungen der
Landesverfassungen insoweit aufrecht, als sie in Übereinstimmung mit Art. 1 bis
18 GG Grundrechte gewährleisten. Nur am hessischen Verfassungsrecht kann der
Staatsgerichtshof die Gültigkeit eines hessischen Gesetzes prüfen; sonst wäre das
Bundesverfassungsgericht zuständig.
Die Vorschriften der Art. 45 HV und 14 GG stimmen hinsichtlich der Eigentums-
und Erbrechtsgarantie und der Voraussetzungen für eine Enteignung in ihrem
sachlichen Gehalt überein, wenn auch das Maß der Entschädigung bei zulässiger
Enteignung in Art. 45 HV über das des Art. 14 GG hinausgehen mag (Zinn-Stein,
Komm. zur Hess. Verfassung, 1954, zu Art. 45 Ziff. 1 Abs. 3 S. 229). Art. 14 GG
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Komm. zur Hess. Verfassung, 1954, zu Art. 45 Ziff. 1 Abs. 3 S. 229). Art. 14 GG
schreibt aber über Art. 45 HV hinaus vor, daß bei einer Enteignung in dem
Enteignungsgesetz selbst sogleich Art und Ausmaß der Entschädigung geregelt
sein müssen (Junktimklausel). Diese Vorschrift stellt sich vom Standpunkt des in
seinen Grundrechten geschützten Staatsbürgers als eine günstigere Regelung dar.
Das Junktim ist aber nur verfahrensrechtlicher Art und berührt nicht den sachlichen
Gehalt des Grundrechts (Zinn-Stein, a.a.O., zu Art. 45 II 2, Anm. 1 Absatz 3, S.
229). Materiell gleich sind (Anm. II 1 b zu Artikel 142 im Bonner Kommentar) die
Grundrechte dann, "wenn der jeweils grundrechtlich geschützte Rechtsbereich
durch das gleiche inhaltliche Merkmal, in der Regel durch den gleichen
Beziehungspunkt innerhalb der allgemeinen individuellen Persönlichkeitssphäre...
gekennzeichnet ist." Nach Stein, Grundgesetz und Hessische. Verfassung, in Bd. 3
der Vorträge der Hessischen Hochschulwochen, 1954, S. 119) "liegt ein
Widerspruch noch nicht vor, wo der Inhalt und Umfang des Landesgrundrechts
geringer ist als der des Bundesrechts, vielmehr muß ein sachlicher Gegensatz
zwischen ihnen bestehen. Ein sachlicher Gegensatz braucht bei einem Grundrecht
noch nicht vorzuliegen, wenn das Landesgrundrecht einen teils engeren, teils
weiteren Schutz als das Bundesgrundrecht gewährt. Das ist zum Beispiel der Fall
bei Art. 45 HV" (ebenso Zinn-Stein a.a.O., S. 102 VII 3 vor Art. 1). "Art. 45 HV, der
das Privateigentum und das Erbrecht als Institutsgarantie und Grundrecht
gewährleistet, gilt gem. Art. 142 GG fort. Der Grundrechtsschutz des Art. 45 steht
in keinem sachlichen Gegensatz zu Art. 14 GG" (Stein a.a.O., S. 127).
Auch wenn die Junktimklausel eine wesentliche Erweiterung der
Grundrechtsregelung der HV bedeutete, wäre Art. 45 HV, der gegenüber dem
Grundgesetz vorkonstitutionelles Recht darstellt, nicht durch Art. 14 GG beseitigt,
sondern durch die Junktimklausel des Art. 14 ergänzt und gälte in dieser Form
weiter (Art. 123 I GG; vgl. Bonner Kommentar zu Art. 142 Anm. II 2 a Bl. 2). Soweit
vor dem Erlaß des Grundgesetzes erlassene Enteignungsgesetze in Frage
kommen, gelten sie trotz der Junktimklausel weiter, (Maunz, Deutsches
Staatsrecht 1961, 10. Auflage, S. 172.) Art. 45 HV gilt also fort, und der
Staatsgerichtshof ist zur Prüfung der Frage berufen, ob die Rechte unter die
Eigentumsgarantie des Art. 45 HV fallen und ob das Gesetz vom 19. Oktober
1962. sie verletzt.
2. a) § 2 I des Gesetzes hält die beim Inkrafttreten des Gesetzes bestehenden
Nutzungsrechte ausdrücklich aufrecht. Eine Neuzulassung zur Teilnahme an den
Gemeindenutzungen, eine Aufnahme in den Kreis der Nutzungsberechtigten und
ein Nachrücken im Nutzungsrecht finden aber nach § 2 II nicht mehr statt. Die
freiwerdenden Lose und Nutzungsanteile fallen der Gemeinde zu (§ 2 III).
Die bestehenden Rechte verbleiben also den Berechtigten, bis sie nach dem
geltenden Ortsrecht in ihrer Person erlöschen (Tod, Wegzug u. a.). Dann aber kann
anstelle des weggefallenen Berechtigten niemand neu zugelassen oder neu
aufgenommen werden oder nachrücken; das so freigewordene Nutzungsrecht am
Gemeindevermögen fallt an die Gemeinde.
b) Das Gesetz betrifft nur die auf Ortsrecht beruhenden öffentlich-rechtlichen
Nutzungsrechte am Gemeindevermögen.
Es ist umstritten, ob und inwieweit subjektiv-öffentliche Rechte überhaupt unter die
Eigentumsgarantie des Art. 45 HV (= Art. 14 GG) fallen. Der Staatsgerichtshof hat
dies in seinen Entscheidungen vom 5. März 1954 - P.St. 156 - und vom 29.
Oktober 1954 - P.St. 167 - ohne nähere Begründung - unter Bezugnahme auf die
frühe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 2, 380 [399 ff.]) und
die Ansichten in den Kommentaren zum Bonner Grundgesetz von v. Mangoldt und
Giese und die damaligen Ausführungen im Bonner Kommentar grundsätzlich
verneint. Seitdem hat das Bundesverfassungsgericht sich in verschiedenen
Entscheidungen mit der Frage befaßt, inwieweit vermögenswerte subjektive
öffentliche Rechte Eigentum im Sinne des Art. 14 GG sind. Bereits in den Gründen
des Urteils vom 1. Juli 1953 (BVerfGE 2, 380), nach dessen Leitsatz Eigentum im
Sinne des Art. 14 GG grundsätzlich Vermögenswerte Rechte des öffentlichen
Rechts nicht umfaßt, hatte das Bundesverfassungsgericht die Frage ausdrücklich
dahingestellt gelassen, ob nicht "öffentlichrechtliche Ansprüche denkbar sind, die
so starke privatrechtliche Elemente enthalten, daß sie dem verfassungsrechtlichen
Begriff des Eigentums zugerechnet werden müssen". In seiner Entscheidung vom
21. Juli 1955 (BVerfGE 4, 219 [240/241]) hat das Bundesverfassungsgericht daran
festgehalten, daß Art. 14 GG weder auf alle subjektiven öffentlichen Rechte noch
auch nur auf alle Vermögenswerten subjektiven öffentliche Rechte zu erstrecken
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auch nur auf alle Vermögenswerten subjektiven öffentliche Rechte zu erstrecken
sei. Maßgebend ist danach allein, ob der das subjektive öffentliche Recht
begründende Tatbestand seinem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, die
derjenigen des Eigentümers so nahe kommt, daß Art. 14 GG Anwendung finden
muß. Sie muß so stark sein, daß es nach dem rechtsstaatlichen Gehalt des
Grundgesetzes als ausgeschlossen erscheint, daß der Staat sie ersatzlos
entziehen kann. Dann kann es aber nicht entscheidend sein, ob sie im privaten
oder im öffentlichen Recht wurzelt und ob sie privatrechtliche Elemente aufweist.
Es muß sich allerdings um eine des Grundrechtsschutzes fähige Rechtsposition
des Bürgers gegenüber dem Staat handeln, sei es auch des Bürgers im
besonderen Gewaltverhältnis (BVerfGE 16, 94 [111/112]; vom 7. Mai 1963).
Entscheidend ist für die Bewertung eines Rechtes als Eigentum, inwieweit es "sich
als Äquivalent eigener Leistung erweist oder auf staatlicher Gewährung beruht"
(BVerfGE 14, 238 [294]; 18, 392 [397]). Der verfassungsrechtliche
Eigentumsschutz ist jedenfalls öffentlich-rechtlichen Ansprüchen zu versagen, bei
denen "zu der einseitigen Gewährung keine den Eigentumsschutz rechtfertigende
Leistung des Einzelnen hinzutritt" (BVerfGE 16, 94 [113]; vgl. 1, 264 [278]).
Nach einhelliger Meinung auch der oberen Bundesgerichte fällen solche
subjektiven öffentliche Rechte nicht unter den Eigentumsbegriff, die der einzelne
nicht durch eigene, zielgerichtete Tätigkeit erworben hat (so zuletzt BVerwG in NJW
1966, 899 und 1282 m. n. N.; vgl. im übrigen Kimminich, Zweitbearbeitung - 1965
zu Art. 14 RdNr. 8 ff. im Bonner Kommentar).
Der Staatsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung an.
c) Die Eigentumsgarantie der Verfassung gibt dem Berechtigten keine stärkere
Rechtsstellung, als sie bei dem Inkrafttreten der Verfassung nach dem für das
Nutzungsrecht in der einzelnen Gemeinde geltenden Ortsrecht bestand. Die auf
der öffentlich-rechtlichen Gemeindezugehörigkeit, nicht auf privatem Rechtstitel
beruhenden Gemeindenutzungsrechte sind nicht frei übertragbar und nicht
vererblich, auch da nicht, wo das Recht an ein bestimmtes Grundstück gebunden
ist und mit diesem an den Erwerber übergeht; ohne Gemeindezugehörigkeit kann
das Recht nicht bestehen. Die Rechte konnten nach dem Rechtszustand beim
Inkrafttreten der HV jederzeit und ohne Zustimmung der Berechtigten zum
Erlöschen gebracht werden, indem durch Gemeindebeschluß das belastete
Gemeindegliedervermögen oder Gemeindegliederklassenvermögen in freies
Gemeindevermögen umgewandelt wurde; bei Umwandlung von
Gemeindegliederklassenvermögen stand den Nutzungsberechtigten ein
Entschädigungsanspruch zu (§ 53 I HNStO, § 39 I HNLGO, § 70 PrGemFinGes. vom
13. Dezember 1933 (PrGs. S. 442), Art. 1 und Art. 2 Hess.Ges. vom 27. Januar
1934 (HessRegBl. S. 13; Pr.OVG Bd. 91 S. 24 ff.)). Erst in dem angefochtenen
Gesetz vom 19. Oktober 1962 ist in § 4 II bestimmt worden, daß die bestehenden
Nutzungsrechte gegen den Willen der Berechtigten nur noch aufgehoben werden
können, wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert, und nur gegen
angemessene Entschädigung.
Das Nutzungsrecht gewährt also dem Berechtigten eine im Vergleich zum
allgemeinen Eigentumsrecht so wesentlich schwächere Rechtsposition, daß es
zweifelhaft erscheinen muß, ob es den Eigentumsschutz des Art. 45 rechtfertigen
kann. Hinzu kommt, daß der einzelne Berechtigte zum Erwerb dieses
Nutzungsrechtes heute keine den Eigentumsschutz rechtfertigende eigene
Leistung für den Erwerb des Rechts zu erbringen hat. Der ursprünglich mit dem
Bürgerrecht verbundene Beitrag des "Bürgers" zu den Lasten der Gemeinde (nach
der Kurhessischen Gebührenordnung vom 9. November 1739 waren zur Tragung
der Gemeindelasten nur die an der Allmende beteiligten, im Genuß des vollen
Nachbarrechts stehenden Ortseinwohner verpflichtet - v. Brauchitsch, a.a.O.,
1911, S. 59 -), ist durch die spätere Gesetzgebung weggefallen. Der
Nutzungsberechtigte zieht einen Sondernutzen aus dem der Gemeinde
gehörenden Vermögen, trägt aber heute nichts Besonderes und nicht in größerem
Maße zu den Lasten der Gemeinde bei als - nach Maßgabe der für alle geltenden
Steuergesetze - jeder andere Einwohner der Gemeinde, der an dem
Gemeindenutzen nicht teilnimmt. Indessen kommt es hierauf nicht an.
d) Das Gesetz vom 19. Oktober 1962 entzieht nämlich die bestehenden Rechte
nicht den derzeitigen Nutzungsberechtigten; es hält sie im Rahmen des geltenden
Ortsrechts ausdrücklich aufrecht (§ 2 I). Es unterbindet lediglich den Neuerwerb
durch andere, die weitere Übertragung und den weiteren Obergang auf andere,
sobald das Recht nach dem geltenden Ortsrecht in der Hand des beim
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sobald das Recht nach dem geltenden Ortsrecht in der Hand des beim
Inkrafttreten des Gesetzes Berechtigten endet.
Wenn nunmehr durch das Gesetz Bewerbern oder Anwärtern der künftige Erwerb
des Nutzungsrechts verschlossen ist, dann bedeutet dies keinen Eingriff in ihr
"Eigentumsrecht". Um einmal in den Genuß eines Nutzungsrechtes zu kommen,
mußte der Anwärter zahlreiche Voraussetzungen erfüllen. Er mußte seinen
Wohnsitz in der Gemeinde haben, ein bestimmtes Lebensalter (meist 25 Jahre)
erreicht haben, verheiratet sein, einen eigenen Hausstand besitzen. Es mußte ein
Los freigeworden und es mußten die in der Reihenfolge vor ihm Stehenden
weggefallen sein. Die Gemeinde dürfte von ihrer rechtlichen Möglichkeit, die
Nutzungsrechte aufzuheben, keinen Gebrauch gemacht haben. Die Erfüllung
dieser Voraussetzungen waren nicht oder nicht ohne weiteres von dem Willen des
Anwärters oder Bewerbers abhängig. Es handelt sich nicht um ein
Anwartschaftsrecht, sondern lediglich um eine unsichere Möglichkeit oder Aussicht
auf einen auch zeitlich ungewissen Eintritt in den Kreis der Nutzungsberechtigten.
Diese Position war nicht veräußerlich oder vererblich und wirtschaftlich nicht
verwertbar. Sie war so schwach, daß von einer rechtlich gesicherten Anwartschaft
nicht gesprochen werden kann. Die Anwartschaft hatte keinen irgendwie gearteten
Vermögenswert; sie war kein Eigentum im Sinne des Art. 45 HV (vgl. auch die
Urteile des Bad.-Württbg.VGH vom 23. Juli 1958 - VerwRechtspr. 11/1959 Nr. 75 S.
310 und vom 8. Mai 1962 - III 252/60 -).
Für den Nutzungsberechtigten selbst wollen die Antragsteller eine Verletzung der
Eigentums- und der Erbrechtsgarantie des Art. 45 HV durch das Auslaufenlassen
der Rechte nach § 2 II des Gesetzes in den Fällen erblicken, in denen nach dem
bisherigen Recht ein Nutzungsrecht bei Lebzeiten des Berechtigten durch Vertrag
auf einen anderen übertragen werden konnte oder durch Verfügung von Todes
wegen oder durch gesetzlichen Erbgang auf. einen anderen überging. Sie meinen,
diese Rechte kämen dem Eigentum sehr nahe, seien praktisch Eigentum der
Berechtigten, da sie vererblich und übertragbar, zumindest im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge (Übergabevertrag), gewesen seien.
Das Gesetz erfaßt, wie dargelegt, nur öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte. Diese
sind aber nicht frei übertragbar und nicht vererblich, und es ist gerade ein starkes
Indiz für die privatrechtliche Natur eines Nutzungsrechts, wenn es für sich und
unabhängig von dem Verhältnis des Besitzers zur Gemeinde veräußert und
vererbt werden kann (Meissner-Stern-Hodes, a.a.O., S. 454 f; Oeding, a.a.O., S. 43
f mit weiteren Nachweisen; Löwenstein, a.a.O., S. 145; Brandt, Gemeindenutzen
und Grundbuch, in Mitteilungen aus der Rechtspflege im Gebiet des vormaligen
Kurfürstentums Hessen, 3. Bd. 1894 S. 121 Nr. 7). Die Antragsteller haben auch
selbst keinen Fall benannt, in dem nach dem bisher geltenden Ortsrecht einer
Gemeinde ein Nutzungsrecht frei veräußerlich oder vererblich gewesen wäre. Es
kann auch keine solche Berechtigung geben; das Nutzungsrecht wäre dann
privatrechtlicher Natur. Es gab nur in manchen Ortsrechten die Möglichkeit, daß
der Berechtigte bei Lebzeiten das Nutzungsrecht auf den Sohn, den
Schwiegersohn oder einen anderen engeren Verwandten übertragen konnte,
vorausgesetzt, daß dieser die übrigen ortsrechtlichen Voraussetzungen,
insbesondere Gemeindezugehörigkeit, verheiratet, eigener Hausstand usw.
erfüllte. Hierbei handelte es sich um eine im Ortsrecht begründete Möglichkeit
eines bevorzugten Nachrückens außerhalb der Reihenfolge der Anwärterliste, eine
Möglichkeit, die die Gemeinde durch ihr Ortsrecht gegeben hatte und durch
Änderung ihres Ortsrechts jederzeit wieder beseitigen konnte. Die Zulässigkeit
solcher Übertragung beruhte auf der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des
Nutzungsrechts, nicht etwa auf einem eigentumsähnlichen Charakter des Rechts.
Dasselbe gilt auch für den etwa nach Ortsrecht möglichen Übergang des Rechtes
beim Erbgang zusammen mit dem Haus- oder Wirtschaftsgrundstück. Auch hier
handelte es sich um eine auf dem öffentlich-rechtlichen Ortsrecht des
betreffenden Gemeindenutzens beruhende Möglichkeit, die nicht Inhalt der
Eigentümerposition des bisherigen Grundstückseigentümers war. Die
Vererblichkeit ergab sich nicht aus dem allgemeinen bürgerlichen Erbrecht,
sondern aus der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Nutzungsrechts. Das
Nutzungsrecht wird von dem bürgerlichen Erbrecht nur mit dem Rechtsgehalt
erfaßt, den es beim Eintritt des Erbfalles besitzt. Als "Eigentum" genießt es den
verfassungsmäßigen Eigentums- und Erbrechtsschutz nur in der Gestalt, die der
einzelne "Vermögenswert" im Zeitpunkt des Erbfalles hat. Durch das Gesetz vom
19. Oktober 1962 ist das Ortsrecht aller Gemeinden dahin geregelt worden, daß
niemand nachrücken kann und das Recht mit der Beendigung in der Hand des
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niemand nachrücken kann und das Recht mit der Beendigung in der Hand des
derzeitigen Berechtigten erlischt und an die Gemeinde fällt. Alle auf dem Ortsrecht
der Gemeinde beruhenden öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechte waren von alters
her durch die Möglichkeit beschränkt, daß die Gemeinde durch Änderung ihres
Ortsrechts jederzeit in die bestehenden Rechte eingreifen, sie insbesondere durch
Umwandlung des Gemeindegliedervermögens in freies Gemeindevermögen
beseitigen konnte. Ihr Fortbestand war nicht von dem Willen oder der Zustimmung
der Berechtigten abhängig. Wenn durch das Gesetz vom 19. Oktober 1962 der
Landesgesetzgeber diesen Eingriff in der gemilderten Form des allmählichen
Auslaufens selbst und unmittelbar vorgenommen und sich nicht darauf beschränkt
hat, vorzuschreiben, daß die Gemeinden ihr bestehendes Ortsrecht so zu ändern
haben, wie es § 2 II vorsieht, dann ist er mit diesem Eingriff in die bestehenden
Rechte nicht über das Maß dessen hinausgegangen, was den Rechten an
Beschränkbarkeit oder Entziehbarkeit nach ihrer bestehenden rechtlichen
Ausgestaltung innewohnte.
Dem beim Inkrafttreten des Gesetzes Nutzungsberechtigten wird sein Recht nicht
entzogen; es bleibt in seinem Wesensgehalt unberührt, solange es in seiner Hand
ist. Die Wertminderung, die es durch den Wegfall der bisher schon stark
eingeschränkten Übertragbarkeit bei Lebzeiten und in der Verfügbarkeit von Todes
wegen durch § 2 II erleidet, läßt den Wesensgehalt des Rechts unberührt, stellt
keinen Eingriff in die Substanz des Eigentums- und des Erbrechts dar, sondern nur
eine dem Nutzungsrecht seiner rechtlichen Natur nach seit jeher innewohnende
Inhaltsbestimmung im Sinne des Art. 45 HV (vgl. dazu BVerfGE 17, 232 [248 ff]).
Selbst ein Recht auf Erhaltung des demnächstigen Erbes kann nicht anerkannt
werden, wie auch das Bundesverwaltungsgericht jüngst zum Ausdruck gebracht
hat (Urteil vom 26. Januar 1966, Zeitschrift für Sozialhilfe 1966, S. 144).
IV.
Aus den Darlegungen der Antragsteller ist nicht zu entnehmen, inwiefern das
allmähliche Auslaufenlassen der Nutzungsrechte am Gemeindeeigentum und
deren Anfall an die Gemeinde und damit die Befreiung dieses Eigentums von
belastenden Rechten Dritter eine Überführung in Gemeineigentum im Sinne des
Art. 41 HV sein könnte. Art. 41 hat mit dem Inkrafttreten der Verfassung die
Betriebe der Grundstoffindustrien, der Energiewirtschaft und des Verkehrs in
Gemeineigentum übergeführt. Art. 41 ist eine Spezialvorschrift für diese
Wirtschaftszweige und steht mit dem durch das Gesetz vom 19. Oktober 1962
vorgeschriebenen Auslaufen der Gemeindenutzungsrechte und der Zuweisung der
freiwerdenden Anteile an die Gemeinde in keinerlei Zusammenhang.
V.
Das Gesetz vom 19. Oktober 1962 stellt auch keine Verletzung des
Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden dar.
Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten, das Recht,
"alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in
eigener Verantwortung zu regeln" (Art. 28 II GG). Diese institutionelle Garantie
gewährleistet nur das Selbstverwaltungsrecht als solches, bedeutet aber nicht,
daß der Staat - durch Gesetz - keinerlei Einschränkungen im Bestand und in den
Rechten der Gemeinde vornehmen könne. Die Selbstverwaltung darf nur nicht
gänzlich aufgehoben und auch nicht derart eingeschränkt werden, daß sie innerlich
ausgehöhlt wird (BVerfGE 1, 167 [175]). Andererseits verbürgt die Vorschrift der
Verfassung den Gemeinden nicht die Selbstverwaltungsrechte in allen
Einzelheiten, wie sie ihnen zur Zeit der Verkündung der Verfassung zustanden
(BVerfGE 1, 167 [175]). Beschränkungen der Selbstverwaltung der Gemeinden
sind vielmehr mit Art. 137 III HV vereinbar, wenn und insoweit sie deren
Kernbereich unberührt lassen (BVerfGE 1, 167 [175]; 17, 172 [182]). Bei der
Bestimmung dessen, was zum Wesen der Selbstverwaltung und damit zu ihrem
Kernbereich gehört und deshalb durch die Verfassung gegen jede gesetzliche
Schmälerung gesichert ist, muß der geschichtlichen Entwicklung und den
verschiedenen historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung
getragen werden (BVerfGE 11, 266 [274]; 17, 172 [182]). Nur der Wesensgehalt
der gemeindlichen Selbstverwaltung ist geschützt, so wie er sich geschichtlich
entwickelt hat (BVerfGE 7, 358 [364]; 8, 332 [359]; 11, 266 [273 ff]). Daher sind
alle herkömmlichen Beschränkungen rechtmäßig, z. B. Vermögensveräußerungen,
Aufnahme von Darlehen und Bestellung von Sicherheiten nur mit Genehmigung
der Aufsichtsbehörde.>
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Dies gilt auch für das Gesetz vom 19. Oktober 1962, durch das den Gemeinden
das Recht genommen wird, über die bestehenden öffentlich-rechtlichen
Nutzungsrechte am Gemeindevermögen nach eigenem Ermessen in eigener
Verantwortung zu verfügen. Den Gemeinden ist die Neuzulassung zur Teilnahme
an diesen Rechten, die Neuaufnahme in den Kreis der Nutzungsberechtigten und
die Erhöhung des Wertes der Nutzungsanteile nicht mehr möglich, und das Gesetz
unterbindet das Nachrücken in solche Rechte. Dadurch wird der Kern des
Selbstverwaltungsrechts, wie er sich geschichtlich entwickelt hat, jedoch nicht
berührt. Denn wie die Rechtsentwicklung gerade des Gemeindenutzens zeigt, hat
der Landesgesetzgeber schon seit langer Zeit gerade hier in die freie
Entschließung der Gemeinde eingegriffen, um die Rechte einzuschränken und
aufzuheben. Er hat die Umwandlung von Gemeindegliedervermögen in
Privatvermögen der Bürger verboten, - § 52 III HNStO von 1897, § 38 III HNLGO von
1897 und die darin aufrechterhaltenen Bestimmungen vom 13. Mai 1867 und 5.
April 1869, § 70 II PrGemFinGes., § 65 I DGO, § 65 I HGO von 1945, § 96 II HGO von
1952 -, die Umwandlung von Gemeindevermögen in Gemeindegliedervermögen
untersagt (§ 70 II PrGemFinGes., § 65 II DGO, § 65 II HGO von 1945, § 96 III HGO
von 1952) und die Umwandlung von Gemeindeglieder- und
Gemeindegliederklassenvermögen in freies Gemeindevermögen auch gegen den
Willen der Berechtigten zugelassen (§ 53 I HNStO von 1897, § 39 I HNStO von
1897, § 70 II, III PrGemFinGes.).
Hinzu kommt, daß durch das Auslaufenlassen der Rechte und ihren Anfall an die
Gemeinde das Gemeindeeigentum allmählich von den Belastungen durch die
Nutzungsrechte frei wird, und die vielfach bestehenden Ungleichheiten, die schon
von alters her zu Mißhelligkeiten und sozialen Spannungen in Gen Gemeinden
führten (vgl. Bader, Das mittelalterliche Dorf als Friedensund Rechtsbereich, 1957,
S. 58 bis 60; Oertel, Komm. zur StO für die preußischen östlichen Provinzen vom
30. Mai 1853, 1905, S. 183 f, Anm. 3 b zu § 49), beseitigt werden. Die gesetzlichen
Maßnahmen wirken sich also als Stärkung der Gemeinden aus, nicht als
Beschränkung. (Vgl. auch Bad.-Württbg. VGH vom 23. Juli 1958 - VerwRechtspr.
11/1959 Nr. 75 S. 310).
VI.
Die Auffassung der Antragsteller, die Nutzholzverordnung des Beauftragten für
den Vierjahresplan vom 30. Juli 1937 (RGBl. I S. 876) mache das Gesetz vom 19.
Oktober 1962 verfassungswidrig, läßt nicht erkennen, inwiefern das Gesetz vom
19. Oktober 1962 gegen die Hessische Verfassung verstoßen sollte. Die im
Rahmen der Autarkiebestrebungen der nationalsozialistischen Zeit erlassene
Verordnung sollte den Holzverbrauch einschränken, verbot eine weitere Zulassung
und Ausdehnung der Holznutzungsrechte, auch soweit sie auf öffentlichem Recht
beruhten, machte alle solche Rechte gegen Entschädigung ablösbar und erklärte
sie entschädigungslos als erloschen, wenn sie länger als 30 Jahre nicht ausgeübt
worden waren.
Diese Verordnung ist in Teil III des BGBl (Ziffer 790 - 5) abgedruckt, wird also von
der Bundesregierung als geltendes Bundesrecht angesehen. Der Bayerische
Verfassungsgerichtshof hat sie in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1951 als
Landesrecht behandelt (VerwRechtspr. 1952 Nr. 63). Dies kann dahingestellt
bleiben. Der Hessische Staatsgerichtshof kann die Gültigkeit hessischer Gesetze
nur an den Bestimmungen der Hessischen Verfassung messen, nicht an
einfachem Landesrecht und nicht an Bundesverfassungsrecht oder anderem
Bundesrecht.
VII.
Soweit die Antragsteller der Ansicht sind, das Gesetz vom 19. Oktober 1962
verstoße gegen das Flurbereinigungsgesetz vom 14. Juli 1953 (BGBl I S. 591), also
gegen Bundesrecht, und sei deshalb verfassungswidrig, ist der Hessische
Staatsgerichtshof ebenfalls nicht zur Prüfung berufen. Es kann daher unerörtert
bleiben, ob der Anspruch im Flurbereinigungsverfahren auf Landabfindung für
Gemeindenutzungsrechte nach § 49 FlurbGes. nicht nur dann gegeben ist, wenn
ein solches Recht nach dem in der Gemeinde geltenden Orts- und Landesrecht
überhaupt (noch) besteht. Der Staatsgerichtshof kann die Gültigkeit eines
hessischen Gesetzes nur an hessischem Verfassungsrecht messen.
VIII.
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Der Staatsgerichtshof ist auch insoweit nicht zur Prüfung berufen, als die
Antragsteller die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes damit begründen, es gelte
nach seiner Fassung auch für das Weiderecht im Dillkreis, das privatrechtlichen
Charakter habe und nach Art. 125 GG als Bundesrecht fortgelte, weil es auch in
Teilen des heutigen Landes Rheinland-Pfalz bestehe.
Abgesehen davon, daß das Gesetz vom 19. Oktober 1962 - wie dargelegt - nur
öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte betrifft, entscheidet nach Art. 126 GG nur das
Bundesverfassungsgericht Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von
Recht als Bundesrecht.
IX.
Das Gesetz vom 19. Oktober 1962 verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz
des Art. 1 HV in Verbindung mit dem Hessischen Losholzgesetz vom 8. April 1962
(GVBl. S. 93).
Nach dem § 6 IV des Losholzgesetzes ist denjenigen Einwohnern kein Losholz aus
dem Staatswald zuzuteilen, die auf Grund eines Nutzungsrechts mit Hausbrand
versorgt sind. Wenn ein solches Nutzungsrecht infolge des Gesetzes vom 19.
Oktober 1962 weggefallen und dadurch ein Einwohner nicht mit Hausbrand
versorgt ist, ist der gesetzliche Grund für den Ausschluß von der Zuteilung
weggefallen; das Losholz steht ihm zu. Es kann also der Fall der unterschiedlichen
Behandlung gar nicht eintreten.
X.
Die Ansicht der Antragsteller, § 70 des Preuß. Gemeindefinanzgesetzes vom 15.
Dezember 1933 (PrGS S. 442), der dieselbe Materie geregelt habe, sei noch in
Kraft und stehe daher der Gültigkeit des Gesetzes vom 19. Oktober 1962
entgegen, ist unzutreffend. Wenn § 70 auch niemals ausdrücklich - auch nicht in
dem beanstandeten Gesetz - aufgehoben worden ist, so ist er doch durch § 96 der
Hessischen Gemeindeordnung vom 25. Februar 1952, der dieselbe Materie
geregelt hat, und durch das Gesetz vom 19. Oktober 1962, das sie nunmehr
abschließend regelt, außer Kraft gesetzt (Surén, Die Gemeindeordnungen in der
Bundesrepublik, Bd. II, Gemeindewirtschaftsrecht, 1960, S. 99).
XI.
Die Ermächtigung des Ministers des Innern in § 9 des Gesetzes zum Erlaß von
Rechtsvorschriften zur Ausführung des Gesetzes beruht nach der Rechtsprechung
des Staatsgerichtshofs (Beschlüsse vom 6. September 1958, P.St. 221, und vom
22. Januar 1960, P.St. 295) auf Art. 107 HV und ist danach verfassungsmäßig.
Der Staatsgerichtshof sieht auch nach dem von den Antragstellern vorgelegten,
von Professor Görg in einer anderen Sache erstatteten Gutachten vom 25. Januar
1961 und der Ergänzung dazu vom 30. März 1961 und nach der Kritik, die seine
Entscheidung vom 6. September 1958 - P.St. 221 - von Klein in DÖV 1959 S. 101
gefunden hat, keinen Anlaß, von seiner Auffassung abzugehen, daß Art. 107 HV
durch Art. 80 GG nicht berührt wird. Ob, wie die Antragsteller meinen, Art. 107 HV
den Bestimmungen des Art. 80 I GG und damit den Grundsätzen rechtsstaatlicher
Ordnung im Sinne des Grundgesetzes widerspricht und deshalb ungültig ist,
könnte nur das Bundesverfassungsgericht, nicht der Hessische Staatsgerichtshof
entscheiden.
D.
Das Gesetz ist demnach verfassungsmäßig zustandegekommen, sein Inhalt ist
ausreichend klar. Keine seiner Vorschriften steht mit den von den Antragstellern
bezeichneten oder mit anderen Bestimmungen der Verfassung des Landes
Kessen in Widerspruch. Dies war dem Antrage des Ministerpräsidenten
entsprechend festzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.