Urteil des StGH Hessen vom 22.04.1998

StGH Hessen: vollzugsplan, hessen, rechtsschutz, körperverletzung, betäubungsmittelgesetz, erlass, anstaltsleitung, besitz, unterbringung, persönlichkeitsrecht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1300
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 44 StGHG
Leitsatz
Dem Antragsteller droht kein eine Vorabentscheidung des Staatsgerichtshofs
rechtfertigender schwerer und unabwendbarer Nachteil, wenn ihm zur Abwehr einer
etwaigen Grundrechtsverletzung fachgerichtlicher Eilrechtsschutz zu Gebote steht.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen den Vollzugsplan
der Justizvollzugsanstalt W 1 vom 12. Februar 1998.
Der Antragsteller befindet sich seit dem 12. Januar 1986 in Haft. Das Strafende ist
auf den 12. Mai 2004 bestimmt. Zwei Drittel der Freiheitsstrafe des Antragstellers
werden am 2. Juni 1998 verbüßt sein. Der Antragsteller verbüßt seit dem 4.
Februar 1989 eine Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten wegen
schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Diese Straftaten
beging der Antragsteller während eines Urlaubs aus der Justizvollzugsanstalt W 1
am 4. Oktober 1986. Eine weitere Freiheitsstrafe von sechs Monaten hat der
Antragstel-ler wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verbüßen.
Diese Strafe resultiert aus dem Besitz von 80,24 Gramm Cannabisharz während
seiner Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt W 1 am 14. Oktober 1992.
Für den Antragsteller wurde ein Vollzugsplan erstellt. Gegen dessen
Fortschreibung durch die Justizvollzugsanstalt W 1 vom 22. September 1995
beantragte der An-tragsteller gerichtliche Entscheidung. Die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts W wies den Antrag mit Beschluss
vom 19. Dezember 1995 - Az.: … - zurück. Auf die Rechtsbeschwerde des
Antragstellers hob das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom
18. März 1997 - Az.: … - den Beschluss vom 19. Dezember 1995 auf und wies die
Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer beim
Landgericht W zurück. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts W hob mit
Beschluss vom 25. August 1997 - Az.: … - den Voll-zugsplan vom 22. September
1995 auf und wies die Justizvollzugsanstalt W 1 an, einen neuen Vollzugsplan unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts aufzustellen. Die
Justizvollzugsanstalt W 1 nahm am 19. Dezember 1997 eine
Vollzugsplanfortschreibung vor. Mit Bescheid vom 12. Februar 1998 wurde dieser
Vollzugsplan dem Antragsteller am 16. Februar 1998 schriftlich bekanntgegeben.
Mit Schreiben vom 2. März 1998 stellte der Antragsteller bei der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts W einen Antrag auf gerichtliche
Entscheidung mit dem Begehren „unter Androhung eines Zwangsgeldes von 500
000 Deutsche Mark bei Zuwiderhandlung die JVA W 1 zur umgehenden Neufassung
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000 Deutsche Mark bei Zuwiderhandlung die JVA W 1 zur umgehenden Neufassung
des Vollzugsplanes unter Beachtung der Auffassung der StVK gemäß Beschluss
vom 25. August 1997 zu verpflichten“.
Am 16. März 1998 hat der Antragsteller Grundrechtsklage erhoben und um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Der Antragsteller meint, im Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt W 1 vom 12.
Februar 1998 werde die Rechtsauffassung, welche die Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts W im Beschluss vom 25. August 1997 zum Ausdruck gebracht
habe, nicht berücksichtigt. Dies verstoße gegen sein Grundrecht auf effektiven
Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 3 der Verfassung des Landes Hessen (im folgenden:
Hessische Verfassung - HV -) und verletze seine allgemeine Handlungsfreiheit
sowie sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 HV, da ihm die Möglichkeit einer
ordnungsgemäßen Resozialisierung genommen werde. Zwar bestehe die
Möglichkeit eines erneuten Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 des
Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden
Maßnahmen der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz (StVollzG) -.
Diesen Rechtsweg vor An-rufung des Verfassungsgerichts auszuschöpfen, sei ihm
jedoch nicht zumutbare. Der Vollzugsplan untersage jede Lockerung des Vollzugs.
In Anbetracht dessen, dass er am 2. Juni 1998 zwei Drittel seiner Freiheitsstrafe
verbüßt haben werde, würde ihm durch das Abwarten einer erneuten
landgerichtlichen Entscheidung ein schwerer und unabwendbarer Nachteil
entstehen. Es würde ein irreversibler Verlust von Zeit eintreten, in der es nicht zu
Erprobungen durch Lockerungen des Vollzugs gekommen wäre. Dies begründe
sowohl die Zulässigkeit der Grundrechtsklage ohne vorherige Erschöpfung des
Rechts nach § 44 Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG - als
auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 26 StGHG.
Der Antragsteller beantragt,
den Vollzugsplan der Justizvollzugsanstalt W 1 vom 12. Februar 1998
aufzuheben und die Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt W 1 anzuweisen,
einen neuen Voll-zugsplan unter Berücksichtigung der Ausführungen des
Beschlusses des Landgerichts W vom 25. August 1997 zu erstellen.
II.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
Ist für den Gegenstand einer Grundrechtsklage der Rechtsweg zulässig, so kann
die Grundrechtsklage nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StGHG grundsätzlich erst erhoben
wer-den, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. Der Antragsteller hat den ihm nach §
109 StVollzG eröffneten Rechtsweg nicht erschöpft. Eine Entscheidung über seinen
Antrag vom 2. März 1998 auf Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist
bislang nicht ergangen.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs vor
Erschöpfung des Rechtswegs sind nicht gegeben. Nach § 44 Abs. 2 StGHG
entscheidet der Staatsgerichtshof vor Erschöpfung des Rechtswegs n ur, wenn die
Bedeutung der Sache über den Einzelfall hinausgeht oder wenn der
antragstellenden Person ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls
sie zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Ein Verfahren hat eine über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung, wenn die begehrte Entscheidung die
Interessen der Gesamtheit oder einer erheblichen Personengruppe berührt, über
den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleichgelagerter
Fälle schafft oder wenn die Klärung der verfassungsrechtlichen Probleme im
Interesse des Gemeinwohls geboten erscheint (StGH, Beschluss vom 13.
November 1990 - P.St. 1096 -; Urteil vom 11. Januar 1991 - P.St. 1114 -, StAnz.
1991 S. 417 = NVwZ 1991 S. 465). Eine über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung in diesem Sinne kommt der Grundrechtsklage des Antragstellers nicht
zu. Dem Antragsteller droht ohne Vorabentscheidung des Staatsgerichtshofs auch
kein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne des § 44 Abs. 2 StGHG. Denn
zur zeitnahen Abwehr einer etwaigen Grundrechtsverletzung durch den
Vollzugsplan steht ihm Eilrechtsschutz durch die Strafvollstreckungskammer nach
§ 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zu Gebote. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht
eine einstweilige Anordnung erlassen; § 123 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.
Lange F. Fertig Kern Rainer Enders G. Paul Dr. Wilhelm Buchberger Voucko
Schmidt- Teufel von Rhein
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.