Urteil des StGH Hessen vom 23.06.1999

StGH Hessen: wiedereinsetzung in den vorigen stand, rechtliches gehör, bewährung, hessen, widerruf, zustellung, beschwerdefrist, grundrecht, polizei, albanien

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1400
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 44 Abs 2 StGHG HE, § 44
Abs 1 StGHG HE
Leitsatz
Eine Vorabentscheidung nach § 44 Abs. 2 StGHG ist nur zulässig, wenn der Rechtsweg
noch beschritten werden kann.
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
A
I.
Der Antragsteller wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen den Widerruf seiner
Strafaussetzung zur Bewährung und einen Vollstreckungshaftbefehl.
Das Amtsgericht Q verurteilte den Antragsteller mit Urteil vom 16. November
1995 - Az.: … - zu drei Monaten Freiheitsstrafe. Die Strafe wurde zur Bewährung
ausgesetzt. Für die Dauer der Bewährungszeit von vier Jahren wurde der
Antragsteller der Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt. Ihm wurde
aufgegeben, jeden Wechsel des Wohnsitzes dem Gericht und dem
Bewährungshelfer unverzüglich nachzuweisen. Vom August 1998 an hielt sich der
Antragsteller nicht mehr unter seiner Wohnanschrift auf. Er behauptet, seiner
Bewährungshelferin im Juli 1998 mitgeteilt zu haben, dass er sich für ca. ein Jahr
nach Griechenland und evtl. später nach Zypern und Albanien begeben werde.
Das Amtsgericht Q widerrief mit Beschluss vom 17. November 1998 - Az.: … - die
Strafaussetzung zur Bewährung. Mit Beschluss vom 24. November 1998 in
derselben Sache ordnete es die öffentliche Zustellung an, da der Antragsteller
unbekannten Aufenthalts sei. Der Widerrufsbeschluss wurde vom 27. November
1998 bis zum 16. Dezember 1998 an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Q
ausgehängt. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Gießen erließ am 11. Januar
1999 einen Vollstreckungshaftbefehl - Az. … -. Am 15. Mai 1999 wurde der
Antragsteller in W von der Polizei festgenommen und befindet sich seitdem in
Strafhaft. Mit Schreiben vom 18. Mai 1999 erbat er vom Amtsgericht die
Übersendung des von ihm vermuteten Widerrufsbeschlusses und legte vorsorglich
Beschwerde ein.
Der Antragsteller rügt die Verletzung seines Anspruches auf rechtliches Gehör und
des Willkürverbots sowie die Missachtung des Rechtsstaatsprinzips und des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Er sei vor Erlass des Widerrufsbeschlusses
nicht angehört worden. Die Gründe des Widerrufs der Strafaussetzung seien ihm
unbekannt. Der Widerruf der Strafaussetzung sei jedenfalls unverhältnismäßig.
Das Amtsgericht Q habe bislang auf seine Eingabe nicht reagiert. Der Antragsteller
beantragt sinngemäß,
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1. festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Q vom 17. November 1998
- Az.: … - sein Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs und das Willkürverbot
verletzt sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip und den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt,
2. den Beschluss des Amtsgerichts Q vom 17. November 1998 - Az.: … - für
kraftlos zu erklären und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Q zurückzuverweisen,
3. den Vollstreckungshaftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht
Gießen - Az.: … - für kraftlos zu erklären.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Antragsschrift vom 17. Juni 1999 Bezug
genommen.
II.
Landesregierung und Landesanwaltschaft, denen Gelegenheit zur Äußerung
gegeben worden ist, haben nicht Stellung genommen.
III.
Die Verfahrensakte … und das Bewährungsheft haben vorgelegen.
B
I.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
Soweit der Antragsteller sich gegen den Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts Q
vom 17. November 1998 wendet, hat der Antragsteller den Rechtsweg nicht
erschöpft. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof -
StGHG - kann die Grundrechtsklage, wenn für ihren Gegenstand der Rechtsweg
zulässig ist, erst erhoben werden, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. Der
Beschluss, mit dem die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wird, ist gemäß
§ 453 Abs. 2 Satz 3 der Strafprozessordnung - StPO - mit der sofortigen
Beschwerde anfechtbar. Eine solche hat der Antragsteller nicht rechtzeitig
erhoben.
Für eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs vor Erschöpfung des Rechtsweg
nach § 44 Abs. 2 StGHG ist kein Raum. Eine derartige Vorabentscheidung ist nur
zulässig, wenn der Rechtsweg noch beschritten werden kann (ständige
Rechtsprechung des StGH, vgl. Beschluss vom 04.06.1991 - P.St. 1108 -, StAnz.
1991, S. 2654). Diese Möglichkeit besteht für die Antragsteller nicht mehr. Gegen
den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung steht dem Verurteilten gemäß §
453 Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde nach § 311 StPO zu. Für diese
gilt gemäß § 311 Abs. 2 StPO eine Beschwerdefrist von einer Woche, die mit der
Bekanntmachung der Entscheidung beginnt. Der Beschluss des Amtsgerichts Q
vom 17. November 1998 wurde dem Antragsteller, der unbekannten Aufenthalts
war, gemäß § 40 StPO öffentlich zugestellt.
Nach dieser Vorschrift galt die Zustellung dieses Beschlusses zwei Wochen nach
seiner am 27. November 1998 erfolgten Aushang an der Gerichtstafel, also am 11.
Dezember 1998, als bewirkt. Innerhalb der mit Ablauf des 18. Dezember 1998
endenden Beschwerdefrist legte der Antragsteller keinen Rechtsbehelf ein. Ob bei
Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das Amtsgericht
etwas anderes gelten würde, kann hier dahingestellt bleiben. Wiedereinsetzung ist
bisher nicht gewährt worden. Soweit der Antragsteller den Vollstreckungshaftbefehl
der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Gießen vom 11. Januar 1999 angreift, hat
er ebenfalls den Rechtsweg nicht erschöpft. Der Vollstreckungshaftbefehl wird mit
der Überführung des Verurteilten gegenstandslos, bei Vorliegen eines
berechtigten Interesses kann der Verurteilte jedoch die Feststellung der
Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme nach § 28 Abs. 1 Satz 4 des
Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz - EGGVG - beantragen (vgl.
OLG Hamm, NStZ 1982, 524; MDR 1987, 519). Dies hat der Antragsteller
unterlassen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.