Urteil des StGH Hessen vom 20.06.2002

StGH Hessen: nicht vermögensrechtliche streitigkeit, sachliche zuständigkeit, rechtliches gehör, hessen, anfechtung, verein, ausschluss, schlichtungsverfahren, stadt, befangenheit

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1661
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE, Art 3 Verf HE,
Art 103 Abs 1 GG, § 44 Abs 1
S 2 StGHG HE, § 43 Abs 1 S 1
StGHG HE
(StGH Wiesbaden: Unzulässige Grundrechtsklage – keine
Verletzung des Willkürverbots und des rechtlichen Gehörs
durch amtsgerichtliche Verhängung eines Ordnungsgeldes
wegen Nichterscheinens bei einer
Schlichtungsverhandlung)
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
A. I.
Der Antragsteller wendet sich gegen einen Ordnungsgeldbescheid des
Schiedsamtes der Stadt Büdingen und einen Beschluss des Amtsgerichts
Büdingen, durch den eine Anfechtungserklärung gegen den Ordnungsbescheid
zurückgewiesen wurde.
Die antragstellende Partei eines Schlichtungsverfahrens - kurz: Partei - nach dem
Hessischen Schiedsamtsgesetz vom 23. März 1994 (GVBl. l S. 148), zuletzt
geändert durch Art. 3 AusführungsG zu § 15a EGZPO vom 6. Februar 2001 (GVBl. I
S. 98) - kurz HSchAG - war etwa acht Jahre Mitglied des Antragstellers, eines
eingetragenen Vereins. Der Antragsteller teilte der Partei im März 2000 schriftlich
mit, dass sie wegen vereinsschädigenden Verhaltens aus dem Verein
ausgeschlossen worden sei. Am 28. Februar 2001 beantrage die Partei die
Einleitung eines Schlichtungsverfahrens beim Schiedsamt der Stadt Büdingen. Sie
führte aus, gegen den Ausschluss habe sie sich bislang erfolglos gewehrt. Die
Partei halte den Ausschluss für rechtswidrig und wolle wieder mit allen Rechten
Mitglied des Antragstellers werden.
Der Antragsteller wurde vom Schiedsamt zu einer Schlichtungsverhandlung
geladen. Daraufhin teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Schiedsamt
mit, dass für den Antrag der Partei dessen Zuständigkeit nicht gegeben sei. Er
könne daher dem Antragsteller nicht empfehlen, der Ladung Folge zu leisten.
Das Schiedsamt erklärte sich gegenüber dem Bevollmächtigten des Antragstellers
gegenüber für zweifelsfrei zuständig. Die Mitgliedschaftsrechte beim Antragsteller
umfassten auch geldwerte Vorteile. Die Partei habe beim Erwerb der Mitgliedschaft
eine so genannte Eintrittsgebühr entrichten und drüber hinaus auch einen
regelmäßigen Jahresbeitrag leisten müssen. Auch um eine eventuelle - zumindest
teilweise - Rückerstattung dieser Beträge werde vorliegend wohl gestritten. Auf die
Möglichkeit, ein Ordnungsgeld zu verhängen, werde nochmals hingewiesen.
Zum Schlichtungstermin erschien für den Antragsteller niemand. Das Schiedsamt
setzte mit Bescheid vom 19. April 2001 - lfd. Nr. 32 - ein Ordnungsgeld in Höhe
von 150,-- DM gegen den Antragsteller fest.
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Der Antragsteller erklärte mit Schreiben vom 20. April 2001 die Anfechtung
Ordnungsgeldbescheides. Er führte aus, bei dem Verfahren über einen
Vereinsausschluss handele es sich um eine nicht-vermögensrechtliche Streitigkeit.
Hierfür sei nicht das Schiedsamt, sondern das Landgericht zuständig. Darüber
hinaus sei in der Vereinssatzung bestimmt, dass der Ausgeschlossene gegen die
Entscheidung das ordentliche Gericht anrufen könne. Das Schiedsamt sei kein
ordentliches Gericht. Der Antragsteller könne nicht gezwungen werden, an einem
Verfahren teilzunehmen, für das eine Zuständigkeit nicht gegeben sei. Soweit das
Schiedsamt der Anfechtung nicht abhelfe und diese dem Amtsgericht zur
Entscheidung vorlegen wolle, werde um eine entsprechende Mitteilung gebeten.
Für diesen Fall sei beabsichtigt, zur Frage der Befangenheit des Mitglieds des
Amtsgerichts Büdingen, das zu einer Entscheidung über die Anfechtung berufen
sei, vorzutragen.
Das Schiedsamt half der Anfechtung nicht ab, teilte das dem Antragsteller aber
nicht mit. Das Amtsgericht Büdingen wies mit Beschluss vom 9. Mai 2001 - 318 E -
die Anfechtung zurück. Zur Begründung führte es aus, das Schiedsamt sei nach §
13 HSchAG für das vorliegende Schlichtungsverfahren zuständig. Bei dem von der
Partei geltend gemachten Anspruch handele es sich um einen
vermögensrechtlichen Anspruch, da er auch eine vermögenswerte Leistung zum
Gegenstand habe. Er gründe sich zwar auf ein nicht-vermögensrechtliches
Verhältnis, sei aber gleichwohl vermögensrechtlich, da die Vereinsmitgliedschaft
auch geldwerte Vorteile biete und das ausgeschlossene Mitglied Eintrittsgelder und
Beiträge bezahlt habe. Der 1. Vorsitzende des Antragstellers habe daher zum
Termin beim Schiedsamt erscheinen müssen. Der Beschluss des Amtsgerichts
wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 10. Mai 2001 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 7. Juni 2001 hat der Antragsteller
Grundrechtsklage erhoben. Sie ist am 11. Juni 2001, einem Montag, eingegangen.
Der Antragsteller begründet die Grundrechtsklage damit, dass das Schiedsamt
und das Amtsgericht gegen das Willkürverbot verstoßen hätten, indem die
sachliche Zuständigkeit des Schiedsamtes bejaht worden sei. Nach dem Inhalt des
Antrages auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens handele es sich offensichtlich
nicht um einen vermögensrechtlichen Anspruch. Die Partei habe einen solchen
nicht bezifferbaren Anspruch nicht geltend gemacht, sie wende sich gegen den
Ausschluss aus dem Verein. Das Amtsgericht habe auch ermitteln können, ob die
Partei vermögensrechtliche Ansprüche geltend mache. Außerdem sehe die
Satzung des Antragstellers vor, dass gegen einen Ausschluss aus dem Verein die
Entscheidung des ordentlichen Gerichts herbeigeführt werden könne. Darauf sei
bereits früher hingewiesen worden.
Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen
Gehörs vor. Das Schiedsamt habe den Antragsteller nicht von dessen
Nichtabhilfeentscheidung informiert, obwohl er dies beantragt habe. Das zur
Entscheidung über die Anfechtung berufene Mitglied des Amtsgerichts wäre
möglicherweise wegen Befangenheit abzulehnen gewesen.
Durch die angegriffenen Entscheidungen sei dem Antragsteller außerdem der
gesetzliche Richter entzogen worden, weil nach dem Gerichtsverfassungsgesetz
weder das Schiedsamt noch das Amtsgericht zur Entscheidung berufen gewesen
seien.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
1. festzustellen, dass der Ordnungsgeldbescheid des Schiedsamtes der Stadt
Büdingen vom 19. April 2001 - lfd. Nr. 32 - und der Beschluss des Amtsgerichts
Büdingen vom 9. Mai 2001 - 318 E - den Antragsteller in seinen Grundrechten aus
Art. 1, 3, 20 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Hessen verletzen,
2. die genannten Entscheidungen für kraftlos zu erklären.
II.
Die Landesregierung ist der Ansicht, die Grundrechtsklage sei unzulässig, weil ihr
an der erforderlichen Substantiierung fehle. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot
liege bereits deshalb nicht vor, weil der Beschluss des Berichts einfachrechtlich
fehlerfrei sei. Die Annahme einer vermögensrechtlichen Streitigkeit sei auch bei
einem Ausschluss aus einem Verein denkbar. Das Schiedsamt habe nicht vor der
Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung die Standpunkte der
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Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung die Standpunkte der
Beteiligten klären müssen. Aus der Anlage des Schiedsamtsgesetzes ergebe sich,
dass niemand einem Termin fernbleiben dürfe, weil er die Zuständigkeit des
Schiedsamtes anzweifele. Das Schlichtungsverfahren sei einer Regelung durch
Vereinssatzung entzogen. Eine Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs sei nicht
verletzt worden. § 18 Abs. 7 HSchAG könne keine Pflicht zu einem Hinweis, dass
einer Anfechtungserklärung nicht abgeholfen werde, entnommen werden,
vorliegend ebenso wenig dem Verfassungsrecht. Der Antragsteller habe nicht
dargelegt, was er bei Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, außerdem
habe er einen Befangenheitsantrag bereits mit der Anfechtungserklärung stellen
können. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter scheide
aus, weil die Zuständigkeit des Amtsgerichts in jedem Fall gegeben sei.
Der Landesanwalt hat erklärt, dass er sich nicht beteilige.
B
I.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig.
1. Die gegen den Ordnungsgeldbescheid des Schiedsamtes der Stadt Büdingen
erhobene Grundrechtsklage ist unzulässig, weil der Staatsgerichtshof nach § 44
Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - kurz: StGHG.- nur prüft,
ob die Entscheidung des höchsten in der Sache zustände Gerichts auf einer
Verletzung eines von der Verfassung des Landes Hessen gewährten Grundrechts
beruht.
2. Die Grundrechtsklage gegen den Beschluss des Amtsgerichts Büdingen ist
unzulässig, weil dem Antragsteller die Antragsbefugnis fehlt. Nach § 43 Abs. 1 Satz
1, Abs. 2 StGHG erfordert die Zulässigkeit einer Grundrechtsklage gegen ein
gerichtliche Entscheidung, dass in der Antragsschrift substantiiert ein Sachverhalt
geschildert wird, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt - plausibel die
Möglichkeit einer Verletzung der benannten Grundrechte der Verfassung de
Landes Hessen durch die angegriffene Entscheidung ergibt (ständige
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, Beschluss vom 10.10.2001 - P.St. 1415 -,
StAnz. 2001, S. 4123 <4124>).
a) Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 1 HV in seiner Ausprägung als
Willkürverbot ist nach dem Vorbringen des Antragstellers nicht plausibel. Die
Schwelle zur Willkür überschreitet ein Gericht durch die Anwendung und Auslegung
einfachen Rechts nur, wenn diese bei verständiger Würdigung der die Verfassung
bestimmenden Prinzipien schlechterdings nicht mehr verständlich sind und sich
daher der Schluss aufdrängt, dass die getroffene Entscheidung des Gerichts auf
sachfremden Erwägungen beruht (ständige Rechtsprechung des StGH, vgl. etwa
Beschluss vom 10.10.2001 - P.St. 1539 -, StAnz. 2001, S. 4338 <4340>). Das ist
hier nicht der Fall.
Die Annahme des Amtsgerichts, dass die Zuständigkeit des Schiedsamtes nach §
13 Nr. 2 HSchAG gegeben war, weil die Partei einen vermögensrechtlichen
Anspruch geltend gemacht habe, ist nicht schlechthin unvertretbar. Nach einer
Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 13, 5 <9>) ist auch bei einem Streit
über die Wirksamkeit eines Ausschlusses aus einem Idealverein denkbar, dass im
wesentlichen oder sogar ausschließlich wirtschaftliche Zwecke verfolgt werden und
damit eine vermögensrechtliche Streitigkeit vorliegt (vgl. auch Thomas/Putzo,
ZPO, 24. Aufl. 2002, Einl. IV Rdnr. 2).
Das Schiedsamt war bei seiner Entscheidung, den Antragsteller zur
Schiedsverhandlung zu laden, nicht verpflichtet, abschließend zu prüfen, ob die
Partei auch wirtschaftliche Zwecke verfolge. Der Antrag auf Einleitung eines
Schlichtungsverfahrens bedarf keiner ins Einzelne gehenden Begründung. Er muss
lediglich die Namen und Anschriften der Parteien angeben und von der
antragstellenden Partei unterschrieben sein (§ 14 Abs. 1 Satz 4 HSchAG). Er soll
den Gegenstand des Streits und das Begehren allgemein bezeichnen (§ 14 Abs. 1
Satz 5 HSchAG). Der strenge Beibringungs- oder Verhandlungsgrundsatz, wie er
die Zivilprozessordnung beherrscht, gilt für das Schlichtungsverfahren so nicht. Die
Schlichtungsverhandlung dient der Schiedsperson dazu, den Streitstoff von den
Parteien überhaupt erst einmal geschildert zu bekommen (vgl.
Landtagsdrucksache 13/3987, S. 37). Daher sind die Parteien nach § 18 Abs. 1
Satz 1 HSchAG verpflichtet, in dem anberaumten Termin persönlich zu
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Satz 1 HSchAG verpflichtet, in dem anberaumten Termin persönlich zu
erscheinen, und dürfen grundsätzlich dem Termin nicht deshalb fernbleiben, weil
sie die Zuständigkeit des Schiedsamtes anzweifeln. Anderes kann allenfalls dann
gelten, wenn eine Zuständigkeit des Schiedsamtes unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt ernsthaft in Betracht kommen kann. Das ist vorliegend aber nicht
der Fall. Das Schiedsamt hat der Erklärung der Partei, sie wolle wieder mit allen
Rechten Mitglied des Antragstellers werden, entnommen, sie verbinde mit der
Mitgliedschaft auch geldwerte Vorteile. Diese Annahme ist nicht willkürlich.
Ohne Bedeutung ist, dass die Satzung des Antragstellers vorsieht, ein vom Verein
Ausgeschlossener könne die ordentlichen Gerichte anrufen. Das gesetzlich
vorgeschriebene Schlichtungsverfahren kann durch Vereinssatzung nicht
ausgeschlossen werden.
b) Der Antragsteller hat auch die Möglichkeit einer Verletzung des durch Art. 3 HV
in Verbindung mit dem der Hessischen Verfassung innewohnenden
Rechtsstaatsprinzip verbürgten Grundrechts auf rechtliches Gehör nicht plausibel
dargetan. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Amtsgericht den Anspruch des
Antragstellers auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt hat, dass es
ihm vor seiner Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
Der Antragsteller hat dem Darlegungserfordernis nämlich deswegen nicht genügt,
weil er nicht angibt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs
vorgetragen hätte. Der Antragsteller hat insbesondere nicht dargelegt, dass und
aus welchen nachvollziehbaren Gründen er gerade die entscheidende Richterin, ...
wegen Befangenheit abgelehnt hätte.
c) Eine Verletzung des aus Art. 20 Abs. 1 Satz 1 HV folgenden Grundrechts auf
den gesetzlichen Richter ist gleichfalls nicht substantiiert dargetan. Eine
Verletzung dieses Grundrechts könnte überhaupt nur dann in Betracht gezogen
werden, wenn das Amtsgericht seine Zuständigkeit zur Überprüfung der
Ordnungsgeldfestsetzung zu Unrecht angenommen hätte, wobei nicht schon die
bloße fehlerhafte, sondern erst die willkürliche, nicht vertretbare Rechtsanwendung
das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter beeinträchtigt (StGH, Beschluss vom
10.10.2001 - P.St. 1415 -, a.a.0.). Zur Entscheidung über das festgesetzte
Ordnungsgeld war nach § 18 Abs. 7 und 8 HSchAG gerade das Amtsgericht
zuständig.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.