Urteil des StGH Hessen vom 08.11.2000

StGH Hessen: wiedereinsetzung in den vorigen stand, bekanntgabe, hessen, verfassungsbeschwerde, willkürverbot, daten, geschlecht, exemplar, beschuldigter, zustand

1
2
3
Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1350
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 1 S 1 StGHG, § 45
Abs 1 S 2 StGHG, § 25 StGHG
Leitsatz
1. Unbedeutende Mängel einer Entscheidungsausfertigung, die keinerlei Zweifel über
Art und Umfang der durch die Entscheidung eingetretenen Beschwer auszulösen
vermögen, hindern die Wirksamkeit ihrer Bekanntgabe nicht.
2. Sinn und Zweck des § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG gebieten, dass für alle Beteiligte
offensichtliche und aus sich selbst heraus erklärbare Unstimmigkeiten einer
Ausfertigung, die deren Verständnis nicht nachhaltig beeinträchtigen, dem mit
Übersendung einer solchen Ausfertigung ausgelösten Lauf der Grundrechtsklagefrist
nicht entgegenstehen.
Gründe
A.
I.
Der Antragsteller wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen einen Beschluss
des Landgerichts Frankfurt am Main, nach dem er trotz eines Freispruchs seine
notwendigen Auslagen in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht selbst zu
tragen hat.
Der Antragsteller, dem Vergehen der Straßenverkehrsgefährdung, des
unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie der Trunkenheit im Verkehr zur Last
gelegt wurden, wurde mit Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 19. März
1998 - 980 Ds 15 Js 25649.7/97 - freigesprochen. Die notwendigen Auslagen des
Antragstellers wurden der Staatskasse auferlegt. Auf sofortige Beschwerde der
Staatsanwaltschaft hin hob das Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom
15. Juli 1998 - 5/30 Qs 24/98 - die Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am
Main über die notwendigen Auslagen des Antragstellers auf und bestimmte, dass
davon abgesehen werde, diese der Staatskasse aufzubürden. Zur Begründung
führte das Landgericht auf Seite 4 der am 28. Juli 1998 beim Antragsteller
eingegangenen Beschlussausfertigung aus:
“Zugleich war angesichts dieser Umstände nach billigem Ermessen davon
abzusehen, die notwendigen Auslagen der Freigesprochenen der Staatskasse
aufzuerlegen. Denn er hat die Erhebung der offenreichen Klage dadurch veranlaßt,
daß er wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur
Beschuldigung geäußert hat (§ 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO). Er werde von dem
ermittelnden Polizeibeamten sogleich mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei der
Fahrer des Fahrzeugs gewesen. Dies wurde ihm mehrfach vorgehalten (Bl. 12),
womit für ihn deutlich war, daß er wegen Unfallflucht und Fahrens in trunkenem
Zustand beschuldigt wurde. Daß im Rahmen dieser ersten Ermittlungen keine
förmliche Vernehmung durchgeführt wurde, ist für § 467 Abs. 3 StPO unerheblich,
da es nach Lage der Dinge für den ehemals Beschuldigten keinen Zweifel geben
konnte, daß er als Beschuldigter und nicht etwa als Zeuge befragt wurde.
An den Umständen, unter denen sich den ermittelnden Polizeibeamten die Schuld
des Beschuldigten aufdrängen mußte, hatte sich bis zur Anklageerhebung nichts
geändert. Erst später wurden von ihm die Umstände vorgebracht, die bei dem
4
5
6
7
8
9
10
11
12
geändert. Erst später wurden von ihm die Umstände vorgebracht, die bei dem
Amtsgericht offenbar Zweifel an seiner Schuld erweckten”.
Mit Schreiben vom 31. Juli 1998 sandte der Antragsteller die
Beschlussausfertigung an das Landgericht zurück und teilte mit, dass er die
getroffene Kostenentscheidung als Grundrechtsverletzung ansehe und
beabsichtige, dagegen Verfassungsbeschwerde einzulegen. Zuvor möchte er
indes der Kammer die Möglichkeit geben, eine lesbare und mit den Regeln der
Rechtschreibung und Grammatik in Einklang stehende Beschlussausfertigung zu
erstellen. Der Antragsteller sei, wie sich aus seinen persönlichen Daten ergäbe,
männlichen Geschlechts. Sollte sich der erste Satz auf Seite 4 der
Beschlussausfertigung auf ihn beziehen, müsste es heißen, dass die notwendigen
Auslagen des Freigesprochenen der Staatskasse nicht aufzuerlegen seien. Die in
der Beschlussausfertigung zitierte Freigesprochene weiblichen Geschlechts hätte
die Erhebung einer “offenreichen” Klage veranlasst, und zwar dadurch, dass er
wesentliche entlastende Umstände verschwiegen habe, obwohl er sich zur
Beschuldigung geäußert habe (“§ 4667 III 2 StPO”). Weder das Geschlecht noch
die Klage noch das Verb noch die zitierte Strafvorschrift stimmten. Läge hier eine
Entscheidung vor, die sich nicht auf den Antragsteller beziehe, so wäre sie im
Wege der Gegenvorstellung zu korrigieren. Im Hinblick auf § 93 Abs. 1 des
Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG - bitte er um Hereingabe
einer lesbaren Entscheidung innerhalb der nächsten 10 Tage.
Die an das Landgericht zurückgesandte Beschlussausfertigung wurde mit einem
korrigierten neuen Exemplar des Beschlusses am 21. September 1998 erneut an
den Antragsteller verschickt und ging diesem nach eigener Angabe am 25.
September 1998 zu.
Am Montag, dem 26. Oktober 1998, hat der Antragsteller Grundrechtsklage
erhoben.
Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs und
einen Verstoß gegen das Willkürverbot durch die im Beschluss des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 15. Juli 1998 getroffene Kostenentscheidung.
Wegen des Vorbringens des Antragstellers im Einzelnen wird auf die Antragsschrift
vom 26. Oktober 1998 Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 1998 - 5/30 Qs
24/98 - aufzuheben und seine notwendigen Auslagen in dem Ermittlungsverfahren
980 Js 15 Js 25649.7/97 der Staatskasse aufzuerlegen.
II.
Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unzulässig. Der Antragsteller
habe die Monatsfrist zur Erhebung der Grundrechtsklage versäumt, die mit
Zugang der Beschlussausfertigung am 28. Juli 1998 zu laufen begonnen habe.
Entscheidend für den Lauf der Frist, der gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes
über den Staatsgerichtshof - StGHG - an die schriftliche Bekanntgabe der
vollständigen Entscheidung anknüpfe, sei, dass dem Betroffenen eine zweifelsfreie
Beurteilungsgrundlage für seine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der
Entscheidung und seine Entschließung, ob er Grundrechtsklage erheben wolle oder
nicht, zur Verfügung stehe. Die Beschlussausfertigung, die dem Antragsteller am
28. Juli 1998 zugegangen sei, habe als solche Entscheidungsgrundlage genügt.
Denn diese Ausfertigung habe lediglich offenkundige äußerliche Fehler enthalten,
die nicht dazu geführt hätten, dass der Sinn der Gründe des Beschlusses für den
Antragsteller unklar geworden sei. Zudem habe der Antragsteller weder die
Möglichkeit einer Verletzung seines Gehörsrechts durch die getroffene
Kostenentscheidung plausibel dargelegt noch die eines Verstoßes gegen das
Willkürverbot.
III.
Die Landesanwaltschaft hat erklärt, sich an dem Verfahren über die
Grundrechtsklage des Antragstellers nicht zu beteiligen.
IV.
13
14
15
16
17
18
Die vom Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main
vom 15. Juli 1998 - 5/30 Qs 24/98 - erhobene Verfassungsbeschwerde hat die 2.
Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom
5. November 1998 - 2 BvR 1893/98 - nicht zur Entscheidung angenommen.
V.
Der Staatsgerichtshof hat die Verfahrensakte 15 Js 25649.7/97 beigezogen. Sie ist
Gegenstand der Beratung gewesen.
B.
I.
Die Grundrechtsklage ist unzulässig, weil sie verspätet erhoben worden ist.
Die Grundrechtsklage ist innerhalb eines Monats einzureichen, § 45 Abs. 1 Satz 1
StGHG. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG beginnt die Frist mit der schriftlichen
Bekanntgabe der vollständigen Entscheidung des höchsten in der Sache
zuständigen Gerichts des Landes Hessen an die antragstellende Person. Diese
Frist war bei Eingang der Grundrechtsklage beim Staatsgerichtshof am 26.
Oktober 1998 verstrichen. Die schriftliche Bekanntgabe der vollständigen
Entscheidung i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG war mit dem erstmaligen Eingang
der Beschlussausfertigung beim Antragsteller am 28. Juli 1998 erfolgt. Denn
hierdurch gelangte der Antragsteller in den Besitz einer mit Gründen versehenen
Beschlussausfertigung, die ihm die Prüfung ermöglichte, ob Anlass zur Erhebung
einer Grundrechtsklage bestand. Die offenbaren Unrichtigkeiten der
Beschlussausfertigung hinderten deren Verständnis nicht. Sinn und Zweck des §
45 Abs. 1 Satz 2 StGHG aber gebieten, dass für alle Beteiligten offensichtliche und
aus sich selbst heraus erklärbare Unstimmigkeiten einer Ausfertigung, die deren
Verständnis nicht nachhaltig beeinträchtigen, dem mit Übersendung einer solchen
Ausfertigung ausgelösten Lauf der Grundrechtsklagefrist nicht entgegenstehen
(vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1993, 763 f. für die nahezu wortgleiche Regelung in
Artikel 51 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Bayerischen
Verfassungsgerichtshof). Denn die Funktion des § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG besteht
zum einen darin, dass der von einer gerichtlichen Entscheidung Betroffene sich um
der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen möglichst bald schlüssig
werden soll, ob er von dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Grundrechtsklage
Gebrauch machen will. Zum anderen will § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG im Interesse
des Betroffenen ausschließen, dass die Klagefrist zu laufen beginnt, bevor ihm die
Entscheidung in einer Weise zugegangen ist, die es ihm ermöglicht, sich von der
Wahrung oder Beeinträchtigung seiner Grundrechte zu überzeugen (vgl. StGH,
Beschluss vom 10.11.1999 - P.St. 1428 -, StAnz. 1999, S. 3692). Beiden Zwecken
genügt auch eine schriftliche Bekanntgabe einer mit unbedeutenden, das
Verständnis nicht beeinträchtigenden Mängeln behafteten
Entscheidungsausfertigung. Die erneute Übersendung der Beschlussausfertigung
zusammen mit einem korrigierten Beschlussexemplar an den Antragsteller am 25.
September 1998 war damit für den Lauf der Grundrechtsklagefrist ohne Belang.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Grundrechtsklagefrist kann dem Antragsteller von Amts wegen nicht gewährt
werden. Einem fehlenden Verschulden des anwaltlich vertretenen Antragstellers,
das Voraussetzung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 25 StGHG
ist, steht bereits entgegen, dass auch nach den fachgerichtlichen
Verfahrensordnungen unbedeutende Mängel einer Entscheidungsausfertigung, die
keinerlei Zweifel über Art und Umfang der durch die Entscheidung eingetretenen
Beschwer auszulösen vermögen, die Wirksamkeit ihrer Bekanntgabe und den
damit verbundenen Lauf der Rechtsmittelfrist nicht berühren (vgl. Zöller-
Vollkommer, ZPO, 21. Aufl. 1999, § 319 Rdnr. 25, 25 a; Kopp/Schenke, VwGO, 12.
Aufl. 2000, § 118 Rdnr. 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, § 345
Rdnr. 5).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.