Urteil des StGH Hessen vom 22.12.1993
StGH Hessen: darstellung des sachverhaltes, einstweilige verfügung, rechtliches gehör, hessen, grundrecht, rundfunk, beratung, verfassungsbeschwerde, schlechterfüllung, menschenwürde
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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 1166
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 31 GG, Art 100 Abs 3 GG,
Art 1 Verf HE, Art 2 Verf HE,
Art 3 Verf HE
Leitsatz
1. Der Staatsgerichtshof hält sich in ständiger Rechtsprechung nicht für befugt, die
Anwendung von Bundesrecht am Maßstab der Landesverfassung zu überprüfen. Mit
dieser Rechtsprechung weicht er von der des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und
des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin ab und wäre grundsätzlich
verpflichtet,das Verfahren nach Art. 100 Abs. 3 GG dem Bundesverfassungsgericht
vorzulegen. Eine Vorlage kommt aber nur in Betracht, wenn die Vorlagefrage
entscheidungserheblich ist.
2. Es gehört zur Darlegungspflicht des Grundrechtsklägers, daß er einen aus sich
heraus verständlichen Sachverhalt schildert, aus dem sich - ohne daß es der
Hinzuziehung von Akten bedarf - nachvollziehbar der behauptete Grundrechtsverstoß
ergibt.
3. Die Sachverhaltsfeststellung ist allein Sache des Fachgerichts; grundsätzlich ist
davon auszugehen, daß die Fachgerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis
genommen und in ihre Erwägungen einbezogen haben. Das auch durch die Hessische
Verfassung gewährleistete Grundrecht auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn
sich aus besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, daß ein Gericht seiner Pflicht,
den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, nicht nachgekommen ist.
4. Art. 126 HV enthält kein Grundrecht.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
A Mit seiner als Verfassungsbeschwerde bezeichneten Eingabe wendet sich der
Antragsteller gegen eine zivilgerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts Y.
I. Der Antragsteller ist Arzt und Vorsitzender des Allgemeinen Patienten
Verbandes e.V. in … Anlässlich einer Fernsehsendung am 11. April 1991 mit dem
Titel „Ärzte, Fehler und Patienten - geschädigt und geleimt“ berichtete der
Hessische Rundfunk unter anderem über die Tätigkeit des Antragstellers. In der
Sendung wurden gegen den Antragsteller von Dritten erhobene Vorwürfe (des
unlauteren Wettbewerbs und der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht)
wiedergegeben. Nachdem ein erstes Gegendarstellungsverlangen des anwaltlich
vertretenen Antragstellers gerichtlich und außergerichtlich erfolglos geblieben war,
beauftragte er erneut seine Anwälte mit der Durchsetzung seiner Interessen; er
wollte gegen den Hessischen Rundfunk eine einstweilige Verfügung erwirken. Nach
den Darstellungen der beauftragten Rechtsanwälte - den späteren Klägern im
Zivilprozess - berieten sie den Antragsteller am 22. und 30. Juli 1991 ausführlich
telefonisch und wiesen ihn auf die mangelnden Erfolgsaussichten seines
Begehrens hin, forderten aber - entsprechend dem Wunsch des Antragstellers -
mit Schriftsatz vom 7. August 1991 ein Manuskript der Sendung an. Dies lehnte
der Hessische Rundfunk ab. Am 14. August 1991 stellten die Rechtsanwälte dem
Antragsteller für die anwaltliche Beratung 1111,50 DM in Rechnung. Der
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Antragsteller für die anwaltliche Beratung 1111,50 DM in Rechnung. Der
Antragsteller zahlte trotz mehrfacher Mahnung nicht, so dass die Anwaltssozietät
am 7. September 1992 einen Mahnbescheid gegen ihn erwirkte. Den dagegen
eingelegten Widerspruch begründete der Antragsteller damit, die Anwälte seien
„nicht auftragsgemäß tätig geworden“, ein Honoraranspruch stehe ihnen deshalb
nicht, ihre Einschaltung sei für ihn ohne jeden Wert gewesen.
Innerhalb der ihm im Termin vor dem Amtsgericht gewährten Schriftsatzfrist
wiederholte der Antragsteller seine frühere Darstellung, die Anwälte hätten
auftrags- und weisungswidrig, dazu unzuverlässig gearbeitet, indem sie seinen
Anspruch auf Überlassung des Original-Skripts der Sendung - die Voraussetzung
für die Geltendmachung seines Begehrens - nicht durchgesetzt hätten. Er erklärte
deshalb die Aufrechnung mit einem ihm aus diesem Fehlverhalten seines
Erachtens erwachsenen Regressanspruchs.
In einem weiteren innerhalb der gewährten Frist eingegangenen Schriftsatz
erklärte der Antragsteller, er bestreite den gegnerischen Anspruch dem Grunde
und der Höhe nach und bitte um entsprechende Protokollergänzung. Dies lehnte
das Amtsgericht ab, weil sie im Hinblick auf den gewährten Schriftsatznachlass
nicht erforderlich sei.
Mit Urteil vom 25. März 1993 verurteilte das Amtsgericht Y (Az.: …) den
Antragsteller zur Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1111,50 DM
nebst Zinsen an die Rechtsanwaltssozietät. In dem Urteil wird gemäß § 313a der
Zivilprozessordnung - ZPO - auf die Darstellung des Sachverhaltes verzichtet und
festgestellt, die Kläger hätten den Antragsteller unstreitig am 22. und 30. Juli 1991
telefonisch beraten, weshalb er ihnen die geltend gemachte Vergütung schulde.
Dem stehe die von ihm behauptete Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages nicht
entgegen. Einen konkret bezifferten Schaden, mit dem er aufrechnen könnte,
habe der Antragsteller nicht dargetan. Auch soweit er die Höhe der
Gebührenforderung bestreite, sei sein Vortrag nicht substantiiert.
II. Gegen dieses ihm am 13. April 1993 zugestellte Urteil hat der Antragsteller mit
am 12. Mai 1993 beim Staatsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz
„Verfassungsbeschwerde“ erhoben. Er rügt die Verletzung des rechtlichen Gehörs,
des Rechtsstaatsprinzips „mit der Unterwerfung des Richters unter das Gesetz
und der Rechtsweggarantie“, des Gleichheitssatzes und der Menschenwürde (Art.
1, 2, 3 und 126 der Verfassung des Landes Hessen - kurz: Hessische Verfassung,
HV -) mit der Begründung, das Urteil beruhe auf richterlicher Willkür und habe
keinerlei tatsächliche und rechtliche Grundlagen. Er habe niemals seine
Zustimmung zum Verzicht auf den Tatbestand gegeben. Im übrigen habe er im
Verfahren die Behauptung des Klägers bestritten, ihn am 22. und 30. Juli 1991
telefonisch beraten zu haben, der Richter habe dies jedoch nicht zur Kenntnis
genommen, sondern sei unter Verstoß gegen die genannten
Verfassungsgrundsätze von der Richtigkeit des Vortrags der Kläger ausgegangen.
Die Verfassungsbeschwerde habe nicht den Inhalt des Urteils, sondern die
Verfahrensweise und das Fehlverhalten des Amtsrichters zum Gegenstand.
III. Der Ministerpräsident des Landes Hessen hält die Grundrechtsklage für
unzulässig. Das Urteil sei unter Anwendung von Bundesrecht ergangen und daher
der Prüfung durch das Landesverfassungsgericht entzogen. Auch verstoße der
Antrag gegen das Darlegungsgebot des § 46 Abs. 1 des Gesetzes über den
Staatsgerichtshof - StGHG -, weil der Antragsteller nicht dargetan habe, in
welchem seiner Schriftsätze er dem Vortrag, er sei anwaltlich beraten worden,
entgegengetreten sei. Der Behauptung eines Bestreitens insoweit ohne weitere
Konkretisierung fehle der ausreichende Tatsachenkern. Der Ministerpräsident weist
ergänzend auf die derzeit geltende Fassung des § 313a Abs. 1 ZPO sowie darauf
hin, dass sich aus der Akte des Amtsgerichts Frankfurt am Main keine
Anhaltspunkte für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ergäben.
IV. Der Landesanwalt hat sich dem Verfahren nicht angeschlossen.
V. Die Akten … des Amtsgerichts Y lagen dem Staatsgerichtshof vor.
B Der als Grundrechtsklage (Art. 131 Absätze 1 und 3 HV und §§ 45 ff. StGHG)
auszulegende Antrag kann keinen Erfolg haben.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine gerichtliche Entscheidung, die unter
Anwendung von Bundesrecht ergangen ist. Der Staatsgerichtshof als
Landesverfassungsgericht hat sich in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf
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Landesverfassungsgericht hat sich in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf
Art. 31 des Grundgesetzes - GG - nicht befugt gehalten, die Anwendung von
Bundesrecht am Maßstab der Hessischen Verfassung zu überprüfen (vgl. zuletzt
Beschluss vom 23. Juni 1993 - P.St. 1155 -, StAnz. S. 1814).
Diese Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs weicht allerdings von der des
Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs des
Landes Berlin ab. Der Bayerische Verfassungsgericht sieht sich in ständiger
Rechtsprechung zwar auch grundsätzlich gehindert, auf Bundesrecht beruhende
Entscheidungen am Maßstab der Landesverfassung zu messen, macht eine
Ausnahme davon allerdings dann, wenn der Antragsteller die Verletzung von
Prozessgrundrechten, die auch die Landesverfassung gewährt, geltend macht (vgl.
z.B. BayVerfGH, Entscheidung vom 18. Mai 1973, NJW 1973, S. 1644; Schmitt
Glaeser, Die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, BayVBl.
1992, S. 673, 685 m.w.N.). Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ist -
ohne Einschränkungen - der Auffassung, die von der Landesverfassung gewährten
Grundrechte seien für die rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin in den
Grenzen der Artikel 142 und 31 GG auch bei Anwendung von Bundesrecht
verbindlich (vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 23. Januar 1992, NJW 1993, S. 513;
Beschluss vom 12. Januar 1993, NJW 1993 S. 515). Auf der Grundlage seiner
bisherigen Rechtsprechung könnte der Staatsgerichtshof danach grundsätzlich
verpflichtet sein, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 3 GG dem
Bundesverfassungsgericht vorzulegen (vgl. StGH, Beschluss vom 14. April 1989 -
P.St. 1076 -, StAnz. S. 1661). Eine Vorlage kommt aber nur dann in Betracht,
wenn die Vorlagefrage entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.
Januar 1974, BVerfGE 36, 342).
Das ist hier nicht der Fall. Die auf die Verletzung der Artikel 1, 2 und 3 HV
gestützte Grundrechtsklage bliebe - bei unterstellter Prüfungskompetenz des
Staatsgerichtshofs - offensichtlich erfolglos.
Es kann dahinstehen, ob in der Behauptung des Antragstellers, er habe „die
Darstellung einer angeblichen Beratung durch die Kläger mit Entschiedenheit
bestritten“, der Richter habe diesen Vortrag jedoch nicht zur Kenntnis genommen,
die hinreichend substantiierte Darlegung eines Verletzungsvorgangs im Sinne des
§ 46 Abs. 1 StGH gesehen werden kann. Grundsätzlich gehört nämlich zur
Darlegungspflicht des Grundrechtsklägers, dass er einen aus sich heraus
verständlichen Sachverhalt schildert (vgl. StGH, Beschluss vom 23. Juni 1993 -
P.St. 1160 -, StAnz. S. 1871), aus dem sich - ohne dass es der Hinzuziehung von
Akten bedarf - nachvollziehbar der behauptete Grundrechtsverstoß ergibt (vgl.
dazu BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1968, BVerfGE 24, 203, 213). Ob dazu
angesichts des wechselnden Vortrags des Antragstellers im Zivilprozess die bloße
Behauptung, im fachgerichtlichen Verfahren sei der Sachvortrag der Gegenseite
bestritten worden, ohne nähere Angaben darüber, aus welchen Stellungnahmen
im einzelnen mit welchem Inhalt sich das Bestreiten ergeben soll, ausreicht,
erscheint zweifelhaft. Die Grundrechtsklage wäre aber jedenfalls deshalb
offensichtlich unbegründet, weil keinerlei Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen
das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs ersichtlich sind (zur
Gewährleistung dieses Rechts durch die Hessische Verfassung vgl. StGH,
Beschluss vom 5. August 1992 - P.St. 1132 -, StAnz. S. 2173). Grundsätzlich ist
davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis
genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind nicht verpflichtet, jedes
Vorbringen ausdrücklich zu erwähnen und zu bescheiden (vgl. dazu StGH,
Beschluss vom 5. August 1992 - P.St. 1132 -, a.a.O.). Die Feststellung des
Sachverhalts ist allein Sache des Gerichts. Grundsätzlich vermag die Behauptung,
die richterliche Tatsachenfeststellung sei falsch oder der Richter habe einem
tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung zugemessen, keinen Verstoß
gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs zu begründen. Erst wenn sich
aus besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht seine Pflicht,
den Vortrag zur Kenntnis zu nehmen, verletzt hat, kann das Verfassungsgericht
von einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör ausgehen (so BVerfG, Beschluss
vom 19. Juli 1967, BVerfGE 22, 267, 273 f.).
Wie sich eindeutig aus den beigezogenen Akten des Amtsgerichts … ergibt, ist der
Antragsteller im amtsgerichtlichen erfahren gerade nicht der Behauptung der
dortigen Kläger entgegengetreten, ihn am 22. und 30. Juli 1991 telefonisch beraten
zu haben, sondern er hat sich gegen den daraufhin erhobenen Gebührenanspruch
gewandt mit der Begründung, die Rechtsanwälte seien nicht auftragsgemäß tätig
geworden. Damit hat er die Schlechterfüllung des zwischen ihm und den Anwälten
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geworden. Damit hat er die Schlechterfüllung des zwischen ihm und den Anwälten
zustande gekommenen Vertrages geltend gemacht, aber gerade nicht die
Tatsache, dass Beratung stattgefunden hat, bestritten. Ein solches Bestreiten
kann auch nicht seiner allgemeinen Formulierung, dass er dem gegnerischen
Anspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach entgegentrete, gesehen
werden. Denn der Antragsteller hat seine gesamte Klageerwiderung im Verfahren
vor dem Amtsgericht gerade darauf aufgebaut, dass die Anwälte nicht
weisungsgemäß gehandelt hätten und ihnen von daher kein Gebührenanspruch
zustehe. Dass er sowohl am 22. als auch am 30. Juli 1991 telefonische
Unterredungen mit Mitgliedern der Anwaltssozietät geführt hat und dass es dabei
auch um die Erfolgsaussichten eines erneuten Gegendarstellungsbegehrens ging,
hat der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 24. Februar 1993 an das
Amtsgericht … selbst vorgetragen (vgl. dort S. 2 und S. 5).
Die Rügen der Verletzung des Willkürverbots, des Gleichheitssatzes, seiner
Menschenwürde und der Rechtsweggarantie, die der Antragsteller im
Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erhebt, sind aus
den genannten Gründen ebenfalls offensichtlich unbegründet.
Art. 126 HV, den der Antragsteller ergänzend benennt, enthält kein Grundrecht;
seine Verletzung kann daher auch nicht im Wege der Grundrechtsklage geltend
gemacht werden (StGH, Beschluss vom 22. Januar 1992 - P.St. 1127 -).
Der Verzicht auf den Tatbestand im Urteil des Amtsgerichts entspricht der
neugefassten Vorschrift des § 313a Abs. 1 ZPO. Inwieweit in der Anwendung dieser
Vorschrift eine Grundrechtsverletzung liegen soll, ist nicht erfindlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.