Urteil des StGH Hessen vom 13.03.2017

StGH Hessen: vgg, landrat, bad, hessen, magistrat, stadt, gemeinde, grundstück, anfechtungsklage, vorfrage

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 118
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Art 133 Verf HE
Leitsatz
Art. 133 HV gibt dem Gericht die Möglichkeit, im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits
über eine Vorfrage eine Entscheidung des Verfassungsgerichts herbeizuführen.
Tenor
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht in Kassel zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Gründe
I.
Das Finanzamt Bad Hersfeld hat mit Bescheid vom 5.XI.1951 den Einheitswert für
das Grundstück des ... in ... von 37500 auf 25300 DM und dementsprechend auch
den Grundsteuermessbetrag herabgesetzt. Der Magistrat hat durch Bescheid vom
12.11.1951 den ermäßigten Grundsteuermessbetrag für das Grundstück ab
1.IV.1951 in Ansatz gebracht. Der Steuerpflichtige vertritt den Standpunkt, der
niedrigere Grundsteuermessbetrag müsse mit Rückwirkung ab 21.VI.1948 gelten.
Er hat daher gemäß § 48 a VGG beim Landrat in Bad Hersfeld Beschwerde gegen
den Grundsteuerbescheid der Stadt vom 12.XI.1951 eingelegt. Der beim Landrat
gebildete Einspruchs- und Beschwerdeausschuss hat nach mündlicher
Verhandlung durch Beschluss vom 7.I.1952 den angefochtenen Bescheid
aufgehoben, weil der ermäßigte Steuermessbetrag ab 1.IV.1949 gelte. Der
Landrat hat den Beschluss nicht beanstandet.
Gegen den Beschluss vom 7.I.1952, der keine Rechtsmittelbelehrung enthält, hat
der Magistrat am 30.I.1952 Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht in Kassel
erhoben. Einen Beklagten hat der Magistrat nicht benannt, auch keinen
besonderen Klageantrag gestellt. Seinem Vorbringen ist jedoch zu entnehmen,
dass er die Aufhebung des Beschlusses vom 7.I.1952 aus Rechtsgründen begehrt.
Das Verwaltungsgericht sieht die Klage als gegen das Land Hessen, vertreten
durch den Landrat in Bad Hersfeld, gerichtet an. Es hat am 25.II.1952, ohne den
Anfechtungsgegner gehört zu haben, beschlossen:
1) Das Verfahren wird ausgesetzt, weil das Gericht die §§ 40 a und 48 a VGG,
soweit sie sich auf Beschwerden in Selbstverwaltungsangelegenheiten der
kreisangehörigen Gemeinden beziehen, für verfassungswidrig hält.
2) Die Bedenken des Gerichts gegen die Verfassungsmäßigkeit der genannten
Vorschriften sind dem Präsidenten des Hess. Verwaltungsgerichtshofs zwecks
Herbeiführung einer Entscheidung des Hess. Staatsgerichtshofs mitzuteilen.
In den Gründen führt das Verwaltungsgericht aus, durch den § 40 a VGG sei in
einer Streitsache der Verwaltungsrechtsweg immer dann abgeschnitten, wenn der
Landrat den Beschluss des Beschwerdeausschusses nicht beanstande. Es sei also
allein in die Hand des Landrats gelegt, ob eine Entscheidung des Ausschusses
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allein in die Hand des Landrats gelegt, ob eine Entscheidung des Ausschusses
sofort rechtswirksam werde oder im Verwaltungsstreitverfahren nachgeprüft
werden könne. Darin erblickt das Gericht die Verfassungswidrigkeit der §§ 40 a und
48 a, soweit sie sich auf Selbstverwaltungsangelegenheiten der kreisangehörigen
Gemeinden beziehen. Ob eine Entscheidung rechtswirksam wird oder nicht, könne
aus allgemeinen rechtsstaatlichen Erwägungen heraus nicht in das Ermessen
eines Beamten gestellt werden. Die bezeichneten Vorschriften ständen außerdem
im Widerspruch zu Art 137 HV, der das Recht der Selbstverwaltung den
Gemeinden gewährleiste; die Staatsaufsicht habe sich darauf zu beschränken,
dass die Gemeinde ihre Verwaltung im Einklang mit den Gesetzen führt. Das
verfassungsmäßig gewährleistete Recht der Selbstverwaltung der Gemeinden
werde aber beeinträchtigt, wenn ihnen nicht die Möglichkeit gegeben sei, ihre
Ansprüche gegen Dritte, mögen sie zivilrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Art
sein, vor den Zivil- oder Verwaltungsgerichten zu verfolgen. Diese
Beeinträchtigung könne insbesondere, wenn es sich um Gemeindesteuern,
Gebühren und Beiträge handle, schwerwiegende Nachteile zur Folge haben. Die
Verfassungswidrigkeit der angeführten Bestimmungen ergebe sich schließlich auch
daraus, dass die Beschwerdeausschüsse bei den Landräten in der Regel auch über
Ermessensfragen in Kommunalsachen der Gemeinde entscheiden; in
Ermessensfragen sei jedoch die Gemeinde nach der Verfassung souverän.
Der Präsident des Hess. Verwaltungsgerichtshofs hat den Beschluss des
Verwaltungsgerichts gemäß Art 133 HV dem Staatsgerichtshof zum Zwecke einer
Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der bezeichneten Vorschriften
vorgelegt.
Der Landesanwalt hat sich dem Verfahren angeschlossen mit dem Antrage zu
erkennen, dass Art 6 des Gesetzes zur Änderung des VGG vom 30.VI.1949 GVBl.
S. 79, durch welchen § 48 a eingefügt wurde, gegen Art 137 HV verstoße und
ungültig sei.
II.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist verfahrensrechtlich ausdrücklich auf Art
100 GG und auf Art 133 HV sowie auf § 41 StGHG gestützt. Da er materiell nur von
einer Verletzung des Landesverfassungsrechts, nämlich des Art 137 HV. ausgeht,
ist die Zuständigkeit des Hess. Staatsgerichtshofs begründet (Art 100 Abs. 1 GG).
Nach Art 133 HV kann ein Gericht eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs
herbeiführen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit
es bei einer Entscheidung ankommt. Das Verwaltungsgericht vertritt den
Standpunkt, dass es bei der von ihm zu treffenden Entscheidung auch darauf
ankomme, ob die §§ 40 a, 48 a VGG der Verfassung entsprechen. Seien nämlich
diese Bestimmungen verfassungsmäßig, so sei die Klage der Stadt Bad Hersfeld
als unzulässig abzuweisen. Seien sie dagegen verfassungswidrig, dann sei dem
Steuerpflichtigen gegen den Steuerbescheid nicht die Beschwerde an den Landrat,
sondern der Einspruch beim Magistrat gegeben und gegen dessen Entscheidung
die Klage im Verwaltungsstreitverfahren (§§ 69, 70 Preuß. Kommunalabg. Ges.
vom 14.VII.1893 – Pr. Ges. S. Seite 134).
Indes kann auf dem vom Verwaltungsgericht eingeschlagenen Wege eine
Entscheidung des Staatsgerichtshofs über die Gültigkeit der §§ 40 a, 48 a VGG,
wenigstens derzeitig, nicht herbeigeführt werden. Art 133 HV gibt ebenso wie Art
100 GG dem Gericht nur die Möglichkeit, im Rahmen eines konkreten Rechtsstreits
über eine Vorfrage eine Entscheidung des Verfassungsgerichts herbeizuführen
(sog. Inzidentkontrolle im Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle, die von den
in § 17 Abs. 2 StGHG genannten Antragstellern veranlasst werden kann; vgl. Urteil
des Staatsgerichtshofs vom 4.VIII.1950 über die Gültigkeit von Vorschriften des
Betriebsrätegesetzes P. St. 62 Ziff. VI 2 b, abgedruckt StA. 1950 Beilage 7 zu Nr.
37). Diese Voraussetzung ist dadurch erfüllt, dass die Stadt Bad Hersfeld gegen
die Entscheidung des Einspruchs- und Beschwerdeausschusses Anfechtungsklage
erhoben hat. Das Verwaltungsgericht muss sich nun darüber schlüssig werden, ob
die auf Beschwerde des Steuerpflichtigen ergangene Entscheidung des
Einspruchs- und Beschwerdeausschusses einen gegenüber der
Anfechtungsklägerin ergangenen Verwaltungsakt darstellt (§§ 22, 35 Abs. 1 VGG).
Verneint das Gericht diese Frage, so wird es die Klage abweisen müssen, sodass
die Verfassungsmäßigkeit der §§ 40 a, 48 a VGG von ihm gar nicht zu erörtern ist.
Bejaht es dagegen die Frage, so ist vorerst nicht ersichtlich, warum dem Verfahren
nicht Fortgang gegeben werden soll. Es kommt also darauf an, wie die Beschlüsse
der Einspruchs- und Beschwerdeausschüsse verwaltungsrechtlich zu bewerten
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der Einspruchs- und Beschwerdeausschüsse verwaltungsrechtlich zu bewerten
sind. Der Staatsgerichtshof ist für diese Entscheidung nicht zuständig.
Die Sache war daher an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.