Urteil des SozG Leipzig vom 14.11.2006

SozG Leipzig: eheähnliche gemeinschaft, lebensgemeinschaft, gerichtsakte, aussetzung, intimsphäre, anknüpfung, grundrecht, vergleich, gleichbehandlung, familie

Sozialgericht Leipzig
Urteil vom 14.11.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 19 AS 324/05
I. Die Klagen werden abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Vereinbarkeit der gesetzlichen Vorschriften über die Berücksichtigung des
Einkommens und Vermögens von Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft
leben, mit dem Grundgesetz (GG).
Die Kläger sind 1952 (Klägerin) und 1951 (Kläger) geboren. Sie kennen sich seit 1977. Seit 1978 leben sie zusammen
in Wohnungen, seit Juli 1988 in der jetzigen.
1. Mit Bescheid vom 2. Februar 2005 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) für Ja-nuar bis Mai 2005. Auf Blatt 57ff der
Verwaltungsakte wird wegen der Einzelheiten hierzu verwiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 22. Februar 2005 Widerspruch. Ihr Lebensunterhalt sei falsch berechnet worden. Sie
sei nicht verheiratet. Anderenfalls bitte sie "um Bestätigung von Wit-wenrente oder Familienversicherung u.s.w.".
Mit Bescheid vom 18. April 2005 "änderte" die Beklagte den o.g. Bescheid. Als Änderungen seien eingetreten:
"Rentenversicherung bei Bundesversicherungsanstalt für Angestellte". Auf Blatt 8ff der Gerichtsakte wird hierzu
verwiesen.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auf dessen In-halt wird ebenso verwiesen
(Blatt 71ff der Verwaltungsakte).
Dagegen richtet sich die am 7. Juni 2005 erhobene Klage im Verfahren S 19 (7) AS 324/05.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2005 "änderte" die Beklagte für die Zeiten von Januar bis Mai 2005 die "bisher in diesem
Zusammenhang ergangenen Entscheidungen". Als Änderungen seien eingetreten: "Anrechnung des Arbeitsentgeltes
des Partners bis 31.05.2005, Anrechnung des Arbeitslosengeldes Ihres Partners ab 20.04.2005". Auf Blatt 90ff der
Verwaltungsakte wird wegen der Einzelheiten hierzu verwiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 7. Juni 2005 Widerspruch.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2005 hob die Beklagte den Bescheid vom 2. Februar 2005 für Ap-ril bis Mai 2005 teilweise
in Höhe von 673,60 EUR auf. Ihr Lebenspartner erhalte seit dem 20. April 2005 Arbeitslosengeld. Dieses sei
anzurechnen.
Dagegen erhob die Klägerin am 23. Juni 2006 Widerspruch.
Über die beiden zuletzt genannten Widersprüche wurde bisher nicht entschieden.
2. Mit einem weiteren Bescheid vom 26. Mai 2005 bewilligte die Beklagte den Klägern Leis-tungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für Juni bis Oktober 2005. Auf Blatt 104ff der Verwaltungsakte wird hierzu verwiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 14. Juni 2005 Widerspruch. Die Begründung entsprach dem Widerspruch vom 22.
Februar 2005.
Mit Bescheid vom 18. Juli 2005 "änderte" die Beklagte den Bescheid vom 26. Mai 2005 für die "Zeit vom 01.06.2005
bis 31.10.2005". Als Änderungen seien eingetreten: "Ab 01.01.2005 wurde vom Einkommen des Partners auch die
30,00 (EUR) Pauschale für Versiche-rungen abgesetzt." Der Bescheid werde Gegenstand des
Widerspruchsverfahrens.
Dagegen erhob die Klägerin am 2. August 2005 Widerspruch.
Mit Bescheid vom 19. Juli 2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. Mai 2005 in der
Fassung des Bescheides vom 18. Juli 2005 zurück. Auf Blatt 149ff der Verwaltungsakte wird wegen der Einzelheiten
hierzu verwiesen.
Dagegen richtet sich die am 2. August 2005 erhobene Klage im Verfahren S 19 (7) AS 524/05.
3. Mit Schreiben vom 24. Juni 2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, über den Wider-spruch vom 7. Juni 2005
könne noch nicht entschieden werden. Die Einkommensbescheini-gungen ihres Partners für März und April 2005
seien vorzulegen.
Dagegen erhob die Klägerin am 6. Juli 2005 Widerspruch.
Mit einem weiteren Bescheid vom 19. Juli 2005 "verwarf" die Beklagte diesen Widerspruch als unzulässig.
Dagegen richtete sich die weitere am 2. August 2005 erhobene Klage im Verfahren S 19 (7) AS 525/05.
4. Mit Bescheid vom 9. August 2005 "verwarf" die Beklagte den Widerspruch vom 2. August 2005 gegen den
Bescheid vom 18. Juli 2005 als unzulässig.
Dagegen richtete sich die am 29. August 2005 erhobene Klage im Verfahren S 19 (7) AS 632/05.
5. Mit Beschluss vom 10. November 2006 hat das Gericht die o.g. Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 19 AS 324/05 verbunden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. November 2006 nahm die Klägerin die Kla-gen im Verfahren S 19 AS
525/05 und S 19 AS 632/05 zurück. Des weiteren erklärte sie, die Bescheide vom 26. Mai 2005 und 15. Juni 2005 für
Januar bis Mai 2005 sollen nicht Gegens-tand des Verfahrens S 19 AS 324/05 werden.
Für die Verfahren S 19 AS 324/05 und S 19 AS 524/05 ist sie der Auffassung, die Gleichbe-handlung von
eheähnlichen Gemeinschaften mit Ehen sei insoweit verfassungswidrig als das Einkommen und Vermögen des
Partners angerechnet werde. Auf das Schreiben vom 19. Ja-nuar 2006 wird verwiesen. (Blatt 26 in S 19 AS 324/06
und 29 in S 19 AS 524/05).
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 2. Februar 2005 in der Fassung des
Bescheides vom 18. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2005 (Bewilligungszeitraum:
1. Januar bis 31. März 2005) und des Beschei-des vom 26. Mai 2005 in der Fassung des Bescheides vom 18. Juli
2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2005 (Bewilligungszeitraum: 1. Juni bis 31. Oktober
2005) zu verurteilen, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die oben genannten
Bewilligungszeiträume ohne Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens von Herrn ... zu bewilligen und zu
erbringen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Auf die angefochtenen Entscheidungen werde verwiesen.
II. Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
1. Gegenstand des Verfahrens im Sinne des § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist für die Be-willigungszeiten von
Januar bis Mai 2005 der Bescheid vom 2. Februar 2005 in der Fassung des Bescheides vom 18. April 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2005 sowie für Juni bis Oktober 2005 der Bescheid vom 26. Mai
2005 in der Fassung des Bescheides vom 18. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli
2005.
Die (Widerspruchs-) Bescheide vom 19. Juli 2005 (Zusatz im Geschäftszeichen: W 11503/05) und 9. August 2005
sind bindend für die Beteiligten im Sinne des § 77 SGG. Denn die Klagen in den Verfahren S 19 AS 525/05 und S 19
AS 632/05 wurden gemäß § 102 Satz 1 SGG zurückgenommen.
Die Bescheide vom 26. Mai 2005 und 15. Juni 2005 für die Bewilligungszeiten von Januar bis Mai 2005 wurden
entgegen deren Rechtsbehelfsbelehrungen nach § 86 Halbsatz 1 SGG Ge-genstand des Widerspruchsverfahrens und
somit Gegenstand des Verfahrens S 19 AS 324/05. Die Klägerin konnte jedoch die Klage auf die Anfechtung des
Bescheides vom 2. Februar 2005 in der Fassung des Bescheides vom 18. April 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbe-scheides vom 31. Mai 2005 beschränken, vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. November
2005 - B 11a/11 AL 57/04 R mwN. Somit hat darüber zunächst die Beklagte zu entscheiden.
2. Beteiligt am Verfahren sind nach § 69 Nr. 1 SGG Frau Brigitte Zanotelli als Klägerin und Herr ... als Kläger. Denn
das Gericht geht mangels entgegenstehender Anhaltspunkte gemäß § 38 Satz 1f SGB II (in entsprechender
Anwendung) von einer Vertretung des Klägers durch die Klägerin aus. Denn die Klägerin bestreitet nicht, in einer sog.
Bedarfsgemeinschaft mit dem Kläger zu leben (hierzu sogleich). Im übrigen wird auf die nunmehr veröffentlichte Ent-
scheidung des BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R wegen der Einzelheiten zur "schwer verständliche(n)
gesetzliche(n) Regelung der Bedarfsgemeinschaft", der "tatsächli-che(n) Handhabung dieses Rechtsinstituts" und "für
eine Übergangszeit" daraus zu berück-sichtigenden Rechtsfolgen verwiesen.
3. Klagebegehren (§ 123 SGG) ist die Bewilligung und Erbringung von Leistungen zur Siche-rung des
Lebensunterhalts für Januar bis Oktober 2005 an die Klägerin ohne die Berücksich-tigung des Einkommens des
Klägers. Dieses Begehren ist weder mit dem geltenden Gesetz noch Recht vereinbar.
Zwischen den Beteiligten besteht ein (Rechts-) Verhältnis der Grundsicherung für Arbeitsu-chende. Denn die Kläger
sind leistungsberechtigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II und die Beklagte zuständiger Träger der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Aus diesem "Grundsicherungsverhältnis" leiten
sich diverse Rechte und Pflichten der Beteiligten ab, vgl. ausführlicher hierzu zB Waibel, Die Anspruchsgrundlage im
SGB II, NZS, 2005, 512, 516 (IV. Rechte und Pflichten im Grundsicherungsverhältnis). Streitig sind hier Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 19ff SGB II.
Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II (in der vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2006 geltenden und hier anwendbaren Fassung)
erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und
das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Die Kläger erfüllen beide diese Voraussetzungen.
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu
berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Leistungsträger erhält.
Bei Personen, die einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch das Einkommen und
Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsge-meinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen
Kräften und Mitteln gedeckt, gilt nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II (sogar) jede Person der Bedarfsgemeinschaft im
Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig. § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II ist dem Grunde nach
verfassungskonform, vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehört nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b) SGB II (in der vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2006
geltenden und hier anwendbaren Fassung) als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person, die mit dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist unter o.g. Beziehung eine
Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere
Lebensgemeinschaft gleicher Art zuläßt und sich durch innere Bindun-gen auszeichnet, die ein gegenseitiges
Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und
Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen, zu verstehen. Auf das Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 (zum
insoweit zumindest dem Grunde nach vergleichbaren Recht der Arbeitslosenhilfe) und den Beschluss vom 2. Sep-
tember 2004 - 1 BvR 1962/04 wird verwiesen.
Die Kläger leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft im o.g. Sinne. Dies ergibt sich bereits aus den Angaben der
Klägerin. Auf Blatt 1 ("eheähnliche Gemeinschaft seit 1977"), 4 Rück-seite unter 7. ("Verwandtschaftsverhältnis:
Lebenspartner"), 34, 48, 55, 76, 87, 110, 137 und 158 der Verwaltungsakte ("Mein Lebensgefährte", "Lebensgefährte",
"mein Lebensgefähr-ten" bzw. "wir waren ... ohne Lohn! ... niemand gefragt, wie wir die Miete zahlen können."), Blatt 1
der Gerichtsakte in den Verfahren S 19 AS 324/05 und S 19 AS 525/05 ("mein Le-benspartner") sowie die
Niederschrift zum Termin der mündlichen Verhandlung (Blatt 41 Rückseite der Gerichtsakte, "meinen Lebenspartner")
wird beispielhaft verwiesen.
Somit bilden die Kläger eine sog. Bedarfsgemeinschaft im o.g. Sinne. Unter Würdigung der weiteren, ebenso nicht
andeutungsweise bestrittenen und von der Beklagten zugrunde geleg-ten Tatsachen war die Klägerin in o.g. Zeiten
hilfebedürftig. Gleiches galt für den Kläger. Denn dessen Einkommen reichte nicht aus, um den Gesamtbedarf der
Bedarfsgemeinschaft zu decken. Auf die Ausführungen in den unter II. 1. genannten Bescheiden wird gemäß § 136
Abs. 3 SGG wegen der Einzelheiten hierzu verwiesen.
Die o.g. gesetzlichen Vorschriften über die Berücksichtigung des Einkommens und Vermö-gens unter Partnern von
eheähnlichen Gemeinschaften sind mit dem GG vereinbar.
§ 7 Abs. 3 Nr. 3 b) SGB II ist trotz der fehlenden gesetzlichen Definition des Begriffes "ehe-ähnlicher Gemeinschaft"
bestimmt genug. Denn das "aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Be-stimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht,
einen Tatbestand mit genau faßbaren Merk-malen zu umschreiben.", vgl. BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1
BvL 8/87.
Weiterhin hat das BVerfG in o.g. Entscheidung entschieden, daß die Einkommensanrechnung unter Partnern einer
eheähnlichen Gemeinschaft wie bei Ehegatten zwar von Verfassungs wegen nicht geboten ist, aber bei Auslegung
des Begriffes der eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft mit Art.
3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Ebenso liege kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß nur eheähnliche Gemein-
schaften, nicht aber auch andere Lebens-, Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaften - wie etwa Gemeinschaften
zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern oder Verwandten - dieser Anrechnung unterworfen werden. Schließlich
werde dadurch weder die allgemeine Hand-lungsfreiheit noch die Intimsphäre der Partner eheähnlicher
Gemeinschaften verletzt. Denn o.g. Anrechnung sei durch den Zweck gerechtfertigt, die Benachteiligung von Ehen
gegen-über eheähnlichen Gemeinschaften zu vermeiden.
Mit Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04 verwies das BVerfG auf die Geltung der Ausführungen im
o.g. Urteil zur Umschreibung der Begriffe "in eheähnlicher Gemein-schaft lebt" im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 b) SGB
II.
Mit Beschluss vom 28. September 2005 - 1 BvR 1789/05 lehnte es das BVerfG ab, eine (Vor-ab-) Entscheidung über
die Vereinbarkeit der vorgenannten Vorschrift mit dem GG zu treffen, soweit dadurch nur verschieden- und nicht auch
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften erfaßt werden. Mit Wirkung zum 1. August 2006 hat der Gesetzgeber im
übrigen diese (nach nahezu einhelliger Auffassung nicht verfassungswidrige) Ungleichbehandlung beseitigt, vgl. § 7
Abs. 3 c) SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.
Juli 2006, BGBl. I, 1706f, 1720.
Unter Anknüpfung an die vorstehenden Entscheidungen des BVerfG sind nach nahezu einhel-liger Auffassung
jedenfalls die o.g. (bis zum 31. Juli 2006 geltenden) Vorschriften des SGB II mit dem GG vereinbar. Auf die ständige
und übereinstimmende Rechtsprechung der sächsi-schen Sozialgerichtsbarkeit, vgl. zB Sächsisches
Landessozialgericht, zB Beschlüsse vom 14. April 2005 - L 3 B 30/05 AS-ER und 1. August 2005 - L 3 B 94/05 AS-
ER, Sozialgericht Dresden, zB Beschluss vom 1. Juni 2005 - S 23 AS 212/05 und Sozialgericht Leipzig, zB Be-
schlüsse vom 30. Mai 2005 - S 1 AS 141/05 ER und 13. Oktober 2005 - S 1 AS 501/05 ER, wird verwiesen.
Die erkennende Kammer hat dem inhaltlich im Ergebnis nichts wesentliches hinzuzufügen. Somit schied die
Aussetzung des Verfahrens und Einholung einer (erneuten) Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG aus.
Verfassungsrechtlicher Maßstab ist insoweit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Der allgemeine
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem
Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er bei Regelungen,
die Personengruppen be-treffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders
behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß
sie die gleiche Behandlung rechtfertigen können. Vgl. zum Vorstehen-den die ständige Rechtsprechung des BVerfG,
zB Beschlüsse vom 11. Mai 2005 - 1 BvR 36897 u.a. und 30. August 2005 - 1 BvR 619/99, jeweils mwN.
Art. 6 Abs. 1 GG setzt der Freiheit des Gesetzgebers, welche Sachverhalte er gleich und wel-che ungleich behandelt,
Grenzen. Denn dem Gesetzgeber ist es untersagt, die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften zu
diskriminieren, insbesondere Verheiratete gegenüber Nichtverheirateten bei der Gewährung rechtlicher Vorteile zu
benachteiligen. Denn Art. 6 Abs. 1 GG gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe
und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung.
Vgl. ausführlicher zum Vorstehenden zB BVerfG, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 BvR 624/01 sowie hierzu zB
Baumeister, Gleichheitssatz und Saldierung von Vor- und Nachteilen, SGb 7/2004, 398ff.
Unter Würdigung dieser Kriterien ist der Gesetzgeber nach Auffassung der Kammer (zumin-dest) berechtigt gewesen,
Ehegatten und Partner eheähnlicher Gemeinschaften hinsichtlich der gegenseitigen Berücksichtigung des
Einkommens und Vermögens gleich zu behandeln, soweit eine eheähnliche Gemeinschaft im o.g. Sinne besteht.
Anderenfalls wäre die unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehende Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG)
gleichheitswid-rig (Art. 3 Abs. 1 GG) benachteiligt, (insoweit) weiterhin ebenso zB Beaucamp / Mädler, So-
zialrechtliche Einkommensanrechnung bei eheähnlichen Gemeinschaften, ZFSH / SGB 6/2006, 323ff, 327 und Riehle,
Partnerschaftsähnliche Lebensgemeinschaft - Eine sozialtypi-sche Erscheinung?, ZFSH / SGB 5/2006, 272, 274f.
Soweit die Klägerin sinngemäß vorträgt, sie begehre dann die gleichen Rechte wie verheirate-te Personen (Frauen),
kann die Kammer darüber mangels Zuständigkeit nicht entscheiden. Abgesehen von der Eheschließung nach §§
1310ff Bürgerliches Gesetzbuch bleibt es der Klä-gerin insoweit unbenommen, in den jeweiligen Rechtsgebieten vom
zuständigen (Leistungs-) Träger ihre Rechte geltend zu machen. Auf den Vorlagebeschluß des erkennenden Gerichts
vom 28. März 2003 - S 8 KR 87/02 (Aktenzeichen beim BVerfG: 1 BvL 5/03) wird beispiel-haft für Verfahren mit
streitgegenständlichen (Verfassungs-) Fragen zur Gleichbehandlung von Nichtverheirateten und Verheirateten
verwiesen.
Die Aufwendungen des Klägers für die Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin können im übrigen steuerlich
berücksichtigt werden, vgl. hierzu zB Winkler, Die eheähnliche Ge-meinschaft oder Die Kuhle im Doppelbett, info also
6/2005, 251, 253f.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.