Urteil des SozG Leipzig vom 09.01.2007
SozG Leipzig: produktion, ingenieur, ddr, gerichtsakte, gestaltung, einfluss, beschränkung, qualifikation, industrie, erfüllung
Sozialgericht Leipzig
Urteil vom 09.01.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Leipzig S 3 R 631/05
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16. November 2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. März 2005 verpflichtet, Zugehörig-keitszeiten des verstorbenen Ehemannes der
Klägerin, ..., zur Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 01. September 1977 bis zum 30. Juni 1990 sowie
die in diesem Zeitraum bezogenen Entgelte festzustellen. II. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche
Kosten zu erstatten. III. Die Revision wird unter Übergehung der Berufungsinstanz zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Versor-gungsträger für das
Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG)
verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten des am 07. Juni 2004 verstorbenen Ehemannes der Klägerin, ... (nachfolgend:
Versicherter), als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) fest-zustellen.
Dem 1950 geborenen Versicherten wurde am 25. Februar 1977 nach erfolgreichem Studi-um an der Technischen
Hochschule L. in der Fachrichtung "Technische Kybernetik und Automatisierungstechnik" das Recht zur Führung der
Berufsbezeichnung "Hochschul-Ingenieur" verliehen. Im zwischen den Beteiligten streitigen Zeitraum war der
Versicherte ausweislich der Eintragungen im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung vom 01. Sep-tember 1977 bis
zum 31. Dezember 1978 als "Ingenieur-Technologe" im VEB RFT-Fernmeldewerk L. , vom 01. Januar 1979 bis zum
31. Dezember 1981 als "Abteilungslei-ter" im VEB RFT-Fernmeldewerk L. und vom 01. Januar 1982 bis zum 30. Juni
1990 als "Mitarbeiter Produktionsplanung" im VEB Kombinat Nachrichtenelektronik bzw. im VEB RFT
Nachrichtenelektronik "Albert Norden" beschäftigt. Eine tatsächliche Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem
erfolgte nicht.
Die dem Versicherten für die Dauer seiner Tätigkeit als "Ingenieur-Technologe" obliegen-de Arbeitsaufgabe wurde im
Arbeitsvertrag vom 01. September 1977 mit der "Bearbeitung technologischer Unterlagen für die Vorfertigung und
Betreuung der Fertigung" umschrie-ben (Bl. 17 der Gerichtsakte). Ausweislich des Änderungsvertrages vom 09.
Oktober 1979 war der Kläger ab dem 01. Juni 1979 als Abteilungsleiter für die "Überleitung von Ferti-
gungserzeugnissen und die Betreuung der gerätegebundenen Fertigungstechnologien" ver-antwortlich (Bl. 19 der
Gerichtsakte). In einer Niederschrift über ein Leistungsgespräch wurden unter dem 07. Januar 1980 die dem
Versicherten als Abteilungsleiter Technologie obliegenden Aufgaben wie folgt beschrieben (Bl. 20 der Gerichtsakte):
"- selbstständiges lösen von Entwicklungsaufgaben in der Fertigungstechnologie - optimale Gestaltung von
Fertigungsprozessen und Überleitung in die Produktion - verantwortlich für technologische Mitarbeit bei der
Konstruktion neuer Erzeugn. - Überleitung von Fertigerzeugnissen entsprechend TVF-Aufgabenabgrenzung und
Fertigungsbetreuung - Verantwortlich für Erstellung von technologischen Unterlagen - Durchsetzung der Prinzipien der
sozialistischen Leitungstätigkeit in seinem Ver-antwortungsbereich"
In einer den Zeitraum 1977 bis 1980 umfassenden Leistungseinschätzung vom 26. März 1980 (Bl. 21 der
Gerichtsakte) wurde die Hauptaufgabe des Versicherten als "Baugruppen-technologe" in der Abteilung
Montagetechnologie mit der Sicherung der technologischen Leistungen im Überleitungsprozess und der
technologischen Betreuung der Fertigung sei-ner Erzeugnisse umschrieben. Ausweislich der Gehaltsveränderung vom
26. Januar 1984 (Bl. 27 der Gerichtsakte) war der Versicherte für die Sicherung der Kooperationsbeziehun-gen
zwischen den Kombinatsbetrieben sowie zur Sicherung der Konsumgüterproduktion verantwortlich. In der
Leistungseinschätzung vom 27. März 1984 (Bl. 28 der Gerichtsakte) wurde ausgeführt, der Versicherte sei in der Zeit
vom 01. Januar 1983 bis 26. März 1984 vorwiegend mit Aufgaben zur Sicherung der Konsumgüterproduktion des VEB
Kombinat Nachrichtenelektronik sowie mit der Koordinierung der Kooperationsleistungen für die
Konsumgüterproduktion anderer Kombinate beauftragt gewesen. Künftig werde er in der Abteilung "FP" mit dem
Sachgebiet Produktionsplanung betraut werden.
Die Beklagte lehnte die Feststellung von fiktiven Zugehörigkeitszeiten zur AVItech mit Bescheid vom 16. November
2004 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 23. März 2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, der
Versicherte habe bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 01. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1
Abs. 1 AAÜG gehabt, weil er am 30. Juni 1990 nicht zum Kreis der obligatorisch Versorgungsbe-rechtigten nach der
AVItech gehört habe. Der Versicherte sei zwar berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen, er habe
jedoch am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung als Ingenieur, sondern als Mitarbeiter Produktionsplanung ausgeübt und
sei somit nicht in den unmittelbaren Produktionsprozess eingegliedert gewesen bzw. er habe trotz seiner techni-schen
Qualifikation nicht aktiv den Produktionsprozess beeinflussen können.
Mit der hiergegen am 22. April 2005 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt
sie aus, wesentliche Aufgabe des Versicherten als Mitarbei-ter Produktionsplanung sei die Sicherung der Produktion
entsprechend der zuvor erarbeite-ten Produktionspläne für bestimmte Erzeugnisgruppen, Bereiche und
Kombinatsbetriebe des VEB Kombinates Nachrichtenelektronik gewesen. Der Versicherte sei im Bereich der
Produktion/Fertigung für die frist-, sortiments- und qualitätsgerechte Bereitstellung der für die Produktion erforderlichen
Bauteile zuständig gewesen. In dieser Tätigkeit sei er dem Direktor für Produktion unterstellt gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. März 2005 zu verpflich-ten, Zugehörigkeitszeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin, , zur
Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 01. September 1977 bis zum 30. Juni 1990 sowie die in diesem
Zeitraum bezogenen Entgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt unter Verteidigung und Vertiefung ihrer im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, als Mitarbeiter Produktionsplanung habe der Versicherte die Erar-beitung des
Produktionsplanes zu verantworten gehabt und damit keinen unmittelbaren Einfluss auf den Produktionsprozess
gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwal-tungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat einen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch
nach § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und 2 Anspruchs- und An-wartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) auf
Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit des Versicherten zum Zusatzversorgungssystem der technischen
Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) im streitgegenständlichen Zeitraum sowie auf Feststellung der in diesem
Zeitraum erzielten Entgelte. Das AAÜG findet auf den Versicherten auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen
Sachlage grundsätzlich Anwendung (1). Auch liegen im streitgegen-ständlichen Zeitraum insgesamt alle
Voraussetzungen für die Feststellung von fiktiven Zugehörigkeitszeiten zur AVItech vor (2).
1. Dass AAÜG findet vorliegend Anwendung, weil der Versicherte ungeachtet des Fehlens einer tatsächlichen
Versorgungszusage einen "Anspruch auf eine Versorgungszusage" er-worben hat. Über die Fälle der tatsächlichen
Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem zu DDR-Zeiten hinaus ist § 1 Abs. 1 AAÜG zur Vermeidung eines
Wertungswiderspru-ches zu § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass auch auf
diejenigen Personen das AAÜG anzuwenden ist, die am maßgeblichen Tag vor der Schließung der
Versorgungssysteme zum 01. Juli 1990 zwar nicht in ein Versorgungssys-tem tatsächlich einbezogen waren, für die
aber aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 01. August
1991 ein "Anspruch auf eine Versorgungszusage" im Hinblick auf die leistungsrechtlichen Regeln der Versor-
gungssysteme bestanden hätte (fiktive Zugehörigkeit). Danach finden die Vorschriften des AAÜG auf den
Versicherten Anwendung, wenn ihm aus bundesrechtlicher Sicht, insbe-sondere unter Beachtung des
Gleichheitsgebotes, eine Anwartschaft auf eine Versorgung durch Einzelfallregelung am 30. Juni 1990 hätte zuerkannt
werden müssen, so dass er - wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten - zum 01. Juli 1990
Leistungen aus dem Versorgungssystem hätte beanspruchen können (vgl. etwa BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4
RA 10/02). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass er nach den Regelun-gen der Versorgungssysteme obligatorisch im
Sinne einer "gebundenen Verwaltung" in den Kreis der Versorgungsberechtigten allein dadurch hätte einbezogen
werden müssen, dass er die abstrakt-generellen Voraussetzungen hierfür am 30. Juni 1990 erfüllt hatte, und zwar
nach der Art der ausgeübten Beschäftigung, der hierfür vorgesehenen beruflichen Qualifikation sowie der
"Beschäftigungsstelle". Aus bundesrechtlicher Sicht wären hinge-gen diese Voraussetzungen nicht erfüllt, wenn er
nach den Versorgungsordnungen, Durch-führungsbestimmungen oder sonstigen Regelungen der ehemaligen DDR
lediglich durch eine Ermessensentscheidung hätte einbezogen werden können. Denn eine derartige Ent-scheidung
konnte allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen wer-den und kann daher auf
bundesrechtlicher Grundlage nicht rückschauend ersetzt werden. Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben hatte der
Versicherte einen "Anspruch auf eine Versorgungszusage".
Maßstäblich hierfür sind die bundesrechtskonform auszulegenden Regeln der Verordnung über die zusätzliche
Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend
VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. 844) und die hierzu ergangene 2. Durchführungsbestimmung (2. DB vom 24.
Mai 1951 (GBl. 487)), während die 1. Durchführungsbestimmung zur VO AVItech (1. DB) vom 26. September 1950
(GBl. 1043), die durch § 10 Abs. 2 der 2. DB zum 01. Mai 1951 außer Kraft gesetzt worden ist, für die Auslegung nur
historisch-heuristische Bedeutung hat (vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 41/01 R). Auch wenn für das
Sprachverständnis dieser Texte grundsätzlich zunächst vom staatlichen Sprachgebrauch der DDR am 30. Juni 1990
auszugehen ist (BSG, a.a.O.), hat sich die Auslegung selbst an den objektiven Ausle-gungskriterien des
Bundesrechtes zu orientieren. Mithin kommt es weder auf die Ausle-gung der Versorgungsordnungen durch die
Staatsorgane der DDR, noch auf deren Verwal-tungspraxis an (BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 - B 4 RA 1/03). Von
diesen Grundsätzen ausgehend liegt eine fiktive Zugehörigkeitszeit nach der VO-AVItech i.V.m. der 2. DB nur vor,
wenn der "Versorgungsberechtigte" drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss erstens eine bestimmte Berufsbezeichnung
geführt haben (persönliche Voraussetzung), zweitens eine der Berufsbezeichnung entsprechende Beschäftigung oder
Tätigkeit verrichtet haben (sach-liche Voraussetzung) und drittens die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem
volksei-genen Betrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens ausgeübt haben (betriebliche Voraussetzung).
a) Die sogenannte persönliche Voraussetzung steht zwischen den Beteiligten auf Grund des am 25. Februar 1977
erworbenen Rechts des versicherten zur Führung der Berufsbezeich-nung "Hochschul-Ingenieur" und der
ausdrücklichen Benennung der "Ingenieure" als Ver-sorgungsberechtigte in § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB zu Recht
außer Streit.
b) Auch war der Versicherte am 30. Juni 1990 – wie im gesamten streitgegenständlichen Zeit-raum – in einem
volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie beschäftigt. Sämtliche Be-schäftigungsbetriebe des Klägers (Kombinat
VEB RFT-Fernmeldewerk, VEB RFT-Fernmeldewerk L. , VEB Kombinat Nachrichtenelektronik, VEB RFT-
Nachrichtenelektronik "." L.) waren in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR der Wirtschaftsgruppe
16621 (Herstellung von Erzeugnissen der Drahtnachrichten- und –funktechnik) zugeordnet. Ausweislich des Vorwortes
zur Systematik der Volkswirt-schaftszweige für das Jahr 1985 handelte es sich bei ihr um eine verbindliche
Systematik für die Planung und statistische Abrechnung nach Wirtschaftsbereichen und –zweigen. Dabei wurde die
Zuordnung der einzelnen Betriebe ohne Rücksicht auf die (veränderliche) Unterstellung unter ein Staats- oder
wirtschaftsleitendes Organ allein entsprechend dem Schwerpunkt der Produktion bzw. Leistung oder Hauptzweck der
Tätigkeit vorgenommen. Diese Form der Zuordnung, die den Dienststellen der Staatlichen Zentralverwaltung für
Statistik in Zusammenarbeit den Fachorganen oblag, stellt nach Auffassung der Gerichts ein aus dem
Wirtschaftssystem der DDR selbst entwickeltes und damit besonders aussage-kräftiges Kriterium für die retrospektive
Ermittlung des Hauptzwecks eines Betriebes dar. Vorliegend bestanden keine Zweifel daran, dass der
Beschäftigungsbetrieb des Versicher-ten am 30. Juni 1990 wie auch sämtliche vorherigen Beschäftigungsbetriebe die
industriel-le Massenherstellung von Sachgütern, nämlich von Erzeugnissen der Drahtnachrichten- und –funktechnik,
zum Gegenstand hatten.
c) Zu Unrecht hat die Beklagte die sogenannte sachliche Voraussetzung verneint. Bezogen auf die am Stichtag 30.
Juni 1990 ausgeübte und mithin für die Eröffnung des Anwen-dungsbereiches des AAÜG maßgebliche Tätigkeit als
"Mitarbeiter Produktionsplanung" ergibt sich dies aus folgenden Überlegungen:
Der Versicherte verfügt über einen Hochschulabschluss in der Fachrichtung Technische Kybernetik und
Automatisierungstechnik. Als Mitarbeiter Produktionsplanung hat er eine Tätigkeit ausgeübt, die dieser beruflichen
Qualifikation entspricht. Eine weitergehende Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches auf bestimmte
Beschäftigungen, die von den erfassten Personen in den erfassten Betrieben ausgeübt wurden, kann aus dem Wort-
laut und dem Sinn der AVItech nicht hergeleitet werden, es sei denn, die erfassten Perso-nen waren berufsfremd, also
nicht ihrer Berufsbezeichnung entsprechend eingesetzt gewe-sen (BSG, Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA
47/05 R).
Als Mitarbeiter Produktionsplanung hatte der Versicherte der Einlassung der Klägerin zu-folge die Aufgabe, die
Produktion entsprechend den zuvor erarbeiteten Produktionsplänen für bestimmte Erzeugnisgruppen, Bereiche und
Kombinatsbetriebe des VEB Kombinat Nachrichtenelektronik zu sichern, wobei er im Bereich der Produktion und
Fertigung für die frist-, sortiments- und qualitätsgerechte Bereitstellung der für die Produktion erforder-lichen Bauteile
zuständig war. Die Kammer hat keinen Anlass gehabt, an diesen Angaben der Klägerin zu zweifeln. Sie decken sich
im Wesentlichen mit den nach Übertragung die-ser Arbeitsaufgabe zum 01. Januar 1982 erfolgten
Fremdeinschätzungen. So war der Ver-sicherte ausweislich der Gehaltsveränderung vom 26. Januar 1984 für die
Sicherung der Kooperationsbeziehungen zwischen den Kombinatsbetrieben sowie zur Sicherung der
Konsumgüterproduktion verantwortlich. Ausweislich der Leistungseinschätzung vom 27. März 1984 war der
Versicherte mit der Sicherung der Konsumgüterproduktion sowie der Koordinierung der Kooperationsleistungen für die
Konsumgüterproduktion anderer Kom-binat beauftragt, wobei die maßgebliche Einflussnahme auf die Produktion eines
Taschen-empfängers sowie auf die Sicherung der Zulieferung für den VEB Stern-Radio B. hervor-gehoben wurden.
Weitere Ermittlungsansätze hat die Kammer insbesondere aufgrund des Versterbens des Versicherten nicht gesehen.
Vielmehr stand auf der Grundlage der von der Klägerin gemachten Angaben und der vorhandenen Dokumente fest,
dass der Versicherte am 30. Juni 1990 eine Tätigkeit in der Produktionsplanung in Gestalt der Koordination und
Überwachung der Einhaltung von Produktionsplänen ausgeübt hat.
Die Beklagte hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um eine Tätigkeit handelt, mit der
Versicherte auf Grund seines technischen Wissens und Könnens den Produktionsprozess hätte aktiv gestalten
können (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 2004 – B 4 RA 31/03 R). Insoweit ist nämlich maßgeblich auf die Anordnung
über die Einführung der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Indust-rie und des Bauwesens
vom 10. Dezember 1974 (GBl. I Nr. 1 S. 1) und die in der Anlage der vorgenannten Anordnung wiedergegebene
"Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens" abzustellen. Danach
wurde die Stel-lung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens durch folgende Gliederung nach
Arbeitsbereichen charakterisiert:
10 Produktionsdurchführende Bereiche (Produktion mit wirtschaftsbereichstypischen und
nichtwirtschaftsbereichstypischen Leistungen) 20 Produktionshilfsbereiche (innerbetrieblicher Transport, Reparaturen
und Instand-haltung, Vorrichtungs-, Werkzeug-, Lehren- und Modellbau, TKO, Gütekontrolle, Energiewirtschaft,
sonstige Produktionshilfsbereiche) 30 Produktionsvorbereitende Bereiche (Forschung und Entwicklung, Konstruktion,
Projektierung, Technologie, Produktionsvorbereitung, Investitionsabteilung, sonsti-ge produktionsvorbereitende
Bereiche, wissenschaftliche Arbeitsorganisation) 40 Leitungs- und produktionssichernde Bereiche (Leitung, Planung
(Produktions-, Ar-beitskräfte- und Finanzplanung, Plankoordinierung), Finanzökonomie/Preise, Ar-beit und Löhne,
Rechnungsführung und Statistik, Betriebs- und Leitungsorganisati-on einschließlich Organisationszentrum,
Datenverarbeitung, Information und Do-kumentation, allgemeine Verwaltung) 50 Beschaffung und Absatz (Material-
und Lagerwirtschaft, Absatz, Kundendienst und Werbung) 60 Kultur-, Sozialwesen und Betreuungseinrichtungen 70
Kader und Bildung 80 Betriebssicherheit 90 Übrige Arbeitsbereiche (Fuhrpark, zweigtypische Arbeitsbereiche)
Dem Kriterium der aktiven Gestaltung des Produktionsprozesses können nur solche Tätig-keiten genügen, die den
Bereichen 1 bis 3 zugeordnet waren. Tätigkeiten in den Bereichen 4 bis 9 stellen sich hingegen als außerhalb der
eigentlichen Produktion und Forschung ste-hende Hilfstätigkeiten unterschiedlichster Ausrichtung dar, die zwar für die
Verfolgung des betrieblichen Hauptzwecks unabdingbar waren, mit denen jedoch die dort Beschäftig-ten nicht selbst
aktiv-gestaltend in den Produktionsprozess eingreifen konnten. Die Pro-duktionsplanung war in dieser
Rahmenrichtlinie zutreffend der Gruppe 42 "Planung" und damit dem produktionsferneren Leitungs- und
produktionssichernden Bereich zugeordnet.
Unzutreffend ist jedoch der hieraus von der Beklagten gezogene Schluss, der Versicherte erfülle die sachliche
Voraussetzung für die Feststellung von fiktiven Zugehörigkeitszeiten zur AVItech nicht. Es reicht nämlich aus, dass
der Versicherte entsprechend seiner berufli-chen Qualifikation und nicht berufsfremd eingesetzt war gewesen (BSG,
Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA 47/05 R). Für einen Ingenieur der Fachrichtung "Technische Kybernetik und
Automatisierungstechnik" stellt die Koordination und Überwachung der Einhaltung von Produktionsplänen eine
qualifikationsgerechte, jedenfalls nicht berufs-fremde Tätigkeit dar.
Eine weitergehende Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches auf bestimmte Be-schäftigungen, die von den
erfassten Personen in den erfassten Betrieben ausgeübt wurden, kann aus dem Wortlaut und dem Sinn der AVItech
nicht hergeleitet werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat sich die Auslegung der
einschlägi-gen Versorgungsordnungen eng am jeweiligen Wortlaut zu orientieren, weil nur so ausge-schlossen werden
kann, dass beliebige Umstände außerhalb des von den Texten der Ver-sorgungsordnungen vorgegebenen Rahmens,
die sich mangels gesicherter faktischer Beur-teilungsgrundlage nicht willkürfrei erschließen lassen, bei der Auslegung
der Versor-gungsordnungen herangezogen werden (BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R). Das
Bundesverfassungsgericht hat diese Sichtweise zu Recht bestätigt (Beschluss vom 04. August 2004 - 1 BvR
1557/01) und hervorgehoben, dass es zwangsläufig zu neuen Ungleichheiten innerhalb der Versorgungssysteme und
im Verhältnis der Versorgungssys-teme zueinander führen, wenn man unter Missachtung des Textes der
Versorgungsordnun-gen rückschauend eigene Kriterien für die Aufnahme in die Versorgungssysteme entwi-ckeln
würde.
Dem Wortlaut der VO-AVItech lässt sich kein Hinweis darauf entnehmen, dass nur Perso-nen erfasst werden sollen,
die mit ihrem technischen Wissen und Können aktiv den Pro-duktionsprozess gestalten. Zwar heißt es in der
Präambel zur VO-AVItech, die Einführung der AVItech ziele darauf ab, der technischen Intelligenz einen höheren
Lebensstandard zu vermitteln, weil diese für den Aufbau der Friedenswirtschaft der DDR bedeutsame "wis-
senschaftliche und technische Aufgaben" durchzuführen habe. Angesichts der nachfolgen-den detaillierten Definition
der Anspruchsberechtigten in der VO-AVItech und der 2. DB wäre es jedoch systematisch verfehlt, aus diesem vagen
Programmsatz eine Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises zu folgern. Nicht weiterführend ist
auch die Umschreibung des Kreises der Versorgungsberechtigten in § 1 der 1. DB mit "Ingenieure, Chemiker und
Techniker, die konstruktiv und schöpferisch in einem Produktionsbetrieb verantwortlich tätig sind und hervorragenden
Einfluss auf die Herstellungsvorgänge neh-men, sowie konstruktiv und schöpferisch tätige Baumeister und
Architekten". Die 1. DB ist nämlich durch § 10 Abs. 2 der 2. DB zum 01. Mai 1951 außer Kraft gesetzt worden und
somit bundesrechtlich nicht maßgeblich. Schließlich ergibt sich auch aus § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB keine
Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises in dem von der Beklagten vertretenen Sinne. Nach der
genannten Vorschrift konnten auf Antrag des Werkdirektors durch das zuständige Fachministerium bzw. die
zuständige Hauptverwal-tung auch andere Personen, die verwaltungstechnische Funktionen bekleiden, eingereiht
werden, die zwar nicht den Titel eines Ingenieurs oder eines Technikers hatten, aber durch ihre Arbeit bedeutenden
Einfluss auf den Produktionsprozess ausübten. Die beschriebene Personengruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass
die persönliche Voraussetzung für die Einbeziehung in die AVItech nicht vorliegt. Im Ermessenswege konnten solche
Beschäf-tigte daher einbezogen werden, wenn sie – sozusagen zur Kompensation dieses Qualifika-tionsmangels -
besonderen Einfluss auf den Produktionsprozess ausübten. Für diejenigen, die über eine Ausbildung zum Ingenieur
verfügten, ist dergleichen weder in der genannten Vorschrift noch in anderen verbindlichen Rechtsnormen angeordnet.
Es erschien der Kammer auch widersinnig, dass entsprechend ihrer Berufsausbildung be-schäftigte
Ingenieurökonomen die sachliche Voraussetzung erfüllen (so BSG, Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA 47/05
R), während für Ingenieure weitere einschränkende Voraussetzungen gelten sollen. Das würde dazu führen, dass die
Erfüllung der sachlichen Voraussetzung z.B. im Falle eines im Bereich der Materialwirtschaft eingesetzten Beschäf-
tigten (so der dem vorgenannten Urteil des BSG zu Grunde liegende Fall) davon abhängig wäre, ob er eine Ausbildung
zum Ingenieur oder zum Ingenieurökonomen absolviert hat. Auch ist der erfolgreiche berufliche Werdegang eines
Beschäftigten oft dadurch gekenn-zeichnet, dass er den ursprünglich zugewiesenen, ausbildungsnahen und -
gerechten Auf-gaben mehr und mehr entwächst und andere, anspruchsvollere und (scheinbar) fachfremde Aufgaben,
z. B. Führungs- oder Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Es erscheint nicht plau-sibel, dass gerade diese beruflichen
Aufsteiger, die nicht mehr an vorderster Front aktiv den Produktionsprozess gestalten, sondern koordinierend oder
leitend tätig sind, von der Wohltat der zusätzlichen Altersversorgung nicht profitieren sollen. Nicht zuletzt begegnet
ein Merkmal der "aktiven Gestaltung des Produktionsprozesses" in der Praxis der Instanz-gerichte kaum zu
überwindenden Abgrenzungsproblemen, so dass sich die Betroffenen oftmals des Gefühls nicht erwehren können,
dass der gerichtlichen Entscheidung etwas Zufälliges anhaftet. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit sprechen daher die besseren Gründe dafür, auch bei Ingenieuren die ausbildungsgerechte Beschäfti-
gung als für die Erfüllung der sachlichen Voraussetzung ausreichend anzusehen.
Mithin lag nach Auffassung der Kammer am Stichtag 30. Juni 1990 aufgrund der Tätigkeit des Versicherten auch die
sogenannte sachliche Voraussetzung vor, so dass das AAÜG anwendbar ist.
2. Alle Voraussetzungen für die Feststellung von fiktiven Zugehörigkeitszeiten zur AVItech liegen auch im gesamten
verfahrensgegenständlichen Zeitraum vor. Für die persönliche und betriebliche Voraussetzung wurde das bereits oben
ausgeführt. Auch die sachliche Voraussetzung liegt vor, weil der Kläger zeit seines Berufslebens nach Abschluss der
Hochschulausbildung als Ingenieur-Technologe bzw. Abteilungsleiter Technologie seiner Berufsausbildung
entsprechende Tätigkeiten ausübte und nicht berufsfremd eingesetzt war. Mit der Bearbeitung technologischer
Unterlagen für die Vorfertigung und Betreuung der Fertigung, der Überleitung von Fertigungserzeugnissen und der
Betreuung der gerätege-bundenen Fertigungstechnologien, dem selbstständigen Lösen von Entwicklungsaufgaben in
der Fertigungstechnologie, der optimalen Gestaltung von Fertigungsprozessen und der Überleitung in die Produktion
sowie der technologischen Mitarbeit bei der Konstruktion neuer Erzeugnisse hat er sogar Aufgaben wahrgenommen,
die das von der Beklagten für maßgeblich gehaltene Kriterium der aktiven Gestaltung des Produktionsprozesses
erfüllen.
3. Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kammer
hat die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz nach §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG
zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzli-che Bedeutung hat. Soweit ersichtlich hat das Bundessozialgericht
bislang nicht entschie-den, ob es zur Erfüllung der sogenannten sachlichen Voraussetzung bei der Feststellung von
fiktiven Zugehörigkeitszeiten zur Altersversorgung der technischen Intelligenz auch für Ingenieure - entsprechend den
für Ingenieurökonomen geltenden Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 07. September 2006 – B 4 RA 47/05 R) -
ausreicht, dass sie nicht berufs-fremd eingesetzt waren. Mit Rücksicht auf eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle
erscheint eine höchstrichterliche Klärung wünschenswert.