Urteil des SozG Koblenz vom 26.04.2010
SozG Koblenz: aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, berufliche eingliederung, praktikum, vollziehung, anfechtungsklage, aufnehmen, zustandekommen, hauptsache, interessenabwägung
Sozialrecht
SG
Koblenz
26.04.2010
S 2 AS 411/10 ER
Ersetzen einer Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt
Eine Eingliederungsvereinbarung darf durch einen Verwaltungsakt ersetzt werden, wenn eine
Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II nach hinreichender Verhandlungsphase nicht
zustande kommt, der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt denselben Inhalt
aufweist wie die Eingliederungsvereinbarung, das Zustandekommen der Eingliederungsvereinbarung
nicht durch unzumutbare Anforderungen des Leistungsträgers vereitelt wurde und dieser sich ernsthaft
und konsensorientiert um den Abschluss der Eingliederungsvereinbarung bemüht hatte.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom
18.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2010 wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind der Antragstellerin nicht zu erstatten.
Gründe:
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer am 17.03.2010 gegen den Bescheid vom
18.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2010 erhobenen Klage anzuordnen, hat
keinen Erfolg.
Gemäß § 39 Nr. 1 SGB II, der eine sondergesetzliche Bestimmung im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 4
Sozialgerichtsgesetz (SGG) darstellt, haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen
Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet oder Leistungen
zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in
Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch für Verwaltungsakte, die eine
Eingliederungsvereinbarung ersetzen. Diese sind unmittelbar mit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
wirksam, was bedeutet, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 39 SGB II keine aufschiebende
Wirkung haben (Sonnhoff in: Juris PK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 15).
Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht allerdings die aufschiebende Wirkung von
Widerspruch bzw. Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Die Voraussetzungen für eine solche
Anordnung sind im Gesetz selbst nicht geregelt. Es entspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung, auch
des erkennenden Gerichts, die Eilentscheidung auf eine Interessenabwägung zu stützen, nämlich die
Belange des Antragstellers und die der Verwaltungsbehörde gegenüberzustellen und zu werten.
Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist im hier gegebenen Fall der Anfechtung
eines Bescheides zu berücksichtigen, dass bereits der Gesetzgeber mit der Regelung des § 39 Nr. 1 SGB
II ein allgemeines öffentliches Vollzugsinteresse angenommen und ihm generell den Vorrang vor dem
Suspensivinteresse des Betroffenen eingeräumt hat. Hiervon ausgehend, kann eine Ausnahme von der
sich aus § 39 Nr. 1 SGB II ergebenden Regel der sofortigen Vollziehbarkeit nur dann in Betracht kommen,
wenn der Betroffene den in Rede stehenden Bescheid mit überwiegender Aussicht auf Erfolg anfechten
kann oder wenn andere Gründe wie etwa eine durch die Vollziehung für den Betroffenen entstehende
unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte vorliegen, die eine Aussetzung
ausnahmsweise rechtfertigen können. Nur unter diesen engen Voraussetzungen kann das Interesse des
Betroffenen an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung höher bewertet werden als das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
angefochtenen Verwaltungsaktes hier das private Interesse der Antragstellerin bis zur rechtskräftigen
Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig vom Vollzug des Bescheides verschont zu bleiben. Die Klage
der Antragstellerin hat bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen
Überprüfung der Sach- und Rechtslage keine überwiegenden Erfolgsaussichten im oben dargelegten
Sinne. Vielmehr spricht mehr dafür als dagegen, dass der angefochtene Bescheid vom 18.12.2009 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2010 rechtmäßig ist und die Antragstellerin daher nicht in
ihren Rechten verletzt.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II. Hiernach sollen die
Regelungen i S d § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine
Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Dies setzt im Einzelnen voraus, dass eine
Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II nach hinreichender Verhandlungsphase
nicht zustande kommt, dass der die Vereinbarung ersetzende Verwaltungsakt denselben Inhalt aufweist
wie die Eingliederungsvereinbarung, also die vorgesehenen leistungsgewährenden oder -zusichernden
Bestandteile mit einer Konkretisierung der Mitwirkungsobliegenheiten zusammenfasst. Der
Leistungsträger darf das Zustandekommen der Eingliederungsvereinbarung zudem nicht durch
unzumutbare Anforderungen vereitelt haben und muss sich im Einzelfall ernsthaft und konsensorientiert
um eine Eingliederungsvereinbarung bemüht haben (Berlit in: LPK-SGB II § 15 RdNr. 39 ff., m. w. N.).
Ausweislich der übersandten Leistungsakten bemüht sich die Antragsgegnerin seit 2008 um die
berufliche Eingliederung der Antragstellerin mit unterschiedlichen Angeboten. Zuletzt wurde ihr am
02.12.2009 der Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung ausgehändigt, der vorsah, dass die
Antragsgegnerin sich verpflichten sollte, der Antragstellerin Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten,
soweit geeignete Stellenangebote vorlägen und dass sie das Bewerberprofil der Antragstellerin in:
"
www.arbeitsagentur.de
" aufnehmen sollte. Im Gegenzug sollte die Antragstellerin sich nachweislich um
einen Kindergartenplatz für ihre jüngste Tochter (2 ½ Jahre alt) bemühen und Unterlagen über ein
Praktikum vorlegen, das sie aus eigenem Antrieb Anfang 2010 aufnehmen wollte. Insbesondere sollte der
Praktikumsbetrieb zur Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung der Antragstellerin nach dem Praktikum
Stellung nehmen. Einen Folgetermin, der für den 03.12.2009 vereinbart war, sagte die Antragstellerin
wegen einer Erkrankung ihrer Tochter ab. Den für den 04.12.2009 vereinbarten neuen Termin sagte sie
ebenfalls ab. Am 14.12.2009 sprach sie wiederum bei der Antragsgegnerin vor und legte eine ärztliche
Bescheinigung bezüglich der Erkrankung ihrer Tochter vor. Am 16.12.2009 erfolgte eine weitere
persönliche Vorsprache, in der es um ihre Leistungsangelegenheit ging und im Verlaufe derer festgestellt
wurde, dass die von der Antragstellerin vorzulegenden Unterlagen nicht vollständig waren. Am
17.12.2009 reichte die Antragstellerin die fehlenden Unterlagen ein. Am 18.12.2009 sprach sie wegen der
Eingliederungsvereinbarung erneut bei der Antragsgegnerin vor und ließ nach Aktenlage durch ihren
Beistand erklären, dass sie "das nicht brauche und ein Verwaltungsakt erlassen werden könne". Damit
waren die Vertragsverhandlungen gescheitert. Auch wenn man das Vorbringen der Antragstellerin, der
Mitarbeiter der Antragsgegnerin habe gesagt, dass er dann ( wenn die EGV nicht unterzeichnet werde ?)
einen Verwaltungsakt erlassen werde, der Beurteilung zugrunde legt, bleibt es bei diesem Ergebnis.
Allein das Scheitern ist erheblich, die Gründe für das Scheitern hingegen nicht (Berlit, a.a.O., § 15 Rdnr.
40, m.w.N.). Es ist also davon auszugehen, dass eine Eingliederungsvereinbarung im vorliegenden Fall
nicht zustande kam, und zwar trotz hinreichend langer Verhandlungsphase / Überlegungsfrist .Die
entsprechenden Verhandlungen begannen am 02.12.2009 und endeten am 18.12.2009. Vorstellungen
der Antragstellerin wurden berücksichtigt (Praktikum bei Top Magazin).
Der am 18.12.2009 erlassene Verwaltungsakt weist einen identischen Inhalt wie die unter dem
02.12.2009 entworfene Eingliederungsvereinbarung aus.
Diese enthält auch keine unzumutbaren Anforderungen an die Antragstellerin, sondern beinhaltet
lediglich die Verpflichtung, den Nachweis zu führen, dass sie sich um einen Kindergartenplatz für ihre
jüngste Tochter bemüht und mit dem künftigen Praktikumsbetrieb Kontakt wegen der Vereinbarung eines
Praktikums aufgenommen und einer Aussage des Praktikumsbetriebes zu eventuellen
Beschäftigungsmöglichkeiten erwirkt hatte. Es ging also weder darum, die Antragstellerin zu verpflichten,
ihre Tochter unverzüglich in einer Betreuungseinrichtung unterzubringen noch darum, sie ab einem
bestimmten Zeitpunkt zur Aufnahme eines Praktikums oder einer Beschäftigung zu bewegen, sondern die
Verpflichtung bestand allein darin, beides durch Ausloten der entsprechenden Möglichkeiten
vorzubereiten. Aus diesem Grund kann es dahin stehen, ob die Mutter eines 2 ½ jährigen Kindes und
eines an ADS leidenden älteren Geschwisterkindes zumutbar zur Aufnahme eines Praktikums oder einer
Beschäftigung aufgefordert werden kann.
In Anbetracht der Art der Verpflichtungen, die die Antragstellerin eingehen sollte, und aufgrund der
Tatsache, dass sie den Praktikumsbetrieb selbst vorgeschlagen hatte, war ein vorheriges Profiling, dessen
Fehlen in der Antragsbegründung kritisiert wird, entbehrlich.
Nach alledem spricht nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage alles dafür, dass die
Klage keinen Erfolg haben wird, zumindest kann jedenfalls derzeit von einer überwiegenden
Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs zur Hauptsache nicht gesprochen werden.
Da auch im Übrigen keine sonstigen Gründe ersichtlich sind, die bei der Interessenabwägung zugunsten
der Antragstellerin sprechen könnten ‑ insbesondere ist der notwendige Lebensunterhalt der
Antragstellerin und ihrer Kinder im Hinblick auf den bestehenden Anspruch auf
Grundsicherungsleistungen sichergestellt - war nach alledem der Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.