Urteil des SozG Hamburg vom 05.02.2002

SozG Hamburg: rente, sozialstaatsprinzip, erwerbsfähigkeit, berufsunfähigkeit, eigentumsgarantie, belastung, entlastung, vertrauensschutz, dispositionen, rechtsstaatsprinzip

Sozialgericht Hamburg
Urteil vom 05.02.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 20 RJ 286/01
1. Die Klage wird abgewiesen 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der 1941 geborene Kläger bezieht seit Dezember 1977 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit von der Beklagten.
Mit Schreiben vom 8.11.2000 informierte die Beklagte den Kläger über die ab 1.1.2001 geltenden
Hinzuverdienstgrenzen und wies ihn u.a. auf seine Mitteilungspflichten hinsichtlich eines Einkommens aus einer
Beschäftigung hin.
Nachdem der Kläger die Beklagte über seine Einkünfte aus Beschäftigung informiert hatte, teilte die Beklagte dem
Kläger mit Bescheid vom 21.12.2000 mit, ab 1.1.2001 werde seine Rente nicht mehr ausgezahlt, weil die
Hinzuverdienstgrenze überschritten sei. Die bereits zu einem früheren Zeitpunkt geschaffene Regelung über
Hinzuverdienstgrenzen trete nunmehr für Versicherte, deren Rente vor dem 1.1.1996 begonnen habe, in Kraft.
Den Widerspruch des Klägers vom 4.1.2001 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6.3.2001 zurück.
Mit der am 12.3.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ficht die von der Beklagten
vorgenommene Gesetzesanwendung nicht an, hält aber die Regelung über die Geltung der Hinzuverdienstgrenzen
auch für Versicherte, die bereits seit vor dem 1.1.1996 eine Rente beziehen, für verfassungswidrig. Sie verstoße
gegen die Eigentumsgarantie und das Sozialstaatsprinzip.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 21.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6.3.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den Akteninhalt und die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte der Kammer und die in der
Sitzungsniederschrift vom 5.2.2002 genannten Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf die Zahlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der Bescheid der Beklagten entspricht der nunmehr in § 96 a Absatz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
festgelegten Regelung, dass eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht geleistet wird, wenn die
Hinzuverdienstgrenzen überschritten sind. Darüber besteht zwischen den Beteiligten auch Einigkeit.
Diese Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Die vom Gesetzgeber getroffene Regelung über die Anrechnung von Einkommen auf Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit auch für Versicherte, die bereits vor dem 1.1.1996 eine Rente bezogen haben (Bestandsrentner),
verstößt nicht gegen die Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz (GG).
Grundsätzlich gehören Renten und Rentenanwartschaften als auf eigener Leistung beruhende vermögenswerte
subjektive Rechte öffentlich-rechtlicher Natur zu den von Artikel 14 GG geschützten Positionen. Die Reichweite der
durch Artikel 14 GG geschützten Positionen ist dabei nicht vorgesetzlich fest definiert. Der Inhalt der als Eigentum
geschützten Rechtspositionen ergibt sich vielmehr aus den Gesetzen, wird also vom Gesetzgeber bestimmt (Inhalt-
und Schrankenbestimmung). Für zukünftige Rechtspositionen resultiert daher aus neuen gesetzlichen Regelungen
schon keine Beeinträchtigung. Für bereits bestehende Rechtspositionen – wie hier der Anspruch der Bestandsrentner
– wird dagegen in die geschützte Rechtsposition eingegriffen. Ein solcher Eingriff durch den Gesetzgeber ist aber so
lange unproblematisch wie er die Grenzen der Verhältnismäßigkeit wahrt. (vgl. Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland, 5. Auflage 2000, Artikel 14 GG Rn. 11f., 18, 26 ff.). Dabei steht ihm ein weiter
Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Gegebenenfalls sind angemessene Übergangsregelungen zu schaffen.
Verfassungswidrigkeit besteht nur, wenn bei einer Gesamtabwägung der Schwere des Eingriffs und der Dringlichkeit
der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist
(vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 78, 249, 285). Diese Grenze ist mit den genannten Regelungen nicht
überschritten worden.
Die neu eingeführte Anrechnung von Einkommen auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit trägt einem
legitimen gesetzgeberischen Ziel, nämlich der Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung. Zugleich
wird die Lohnersatzfunktion von Renten gestärkt (vgl. auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vom 21.11.2001,
Az. L 8 RA 46/01). Die damit verbundene Belastung für den Grundrechtsinhaber hat der Gesetzgeber in nicht zu
beanstandender Weise gestuft, indem er die Höhe des Betrages, um die sich die Rentenzahlung verringert, von der
Höhe des jeweils erzielten Einkommens abhängig gemacht hat. Das Rentenstammrecht hat er unberührt gelassen. Es
führt zu einem vollen Zahlungsanspruch, sobald kein Einkommen mehr erzielt wird. Mit § 313 Absatz 7 SGB VI in der
bis 31.12.2000 geltenden Fassung hat der Gesetzgeber auch eine Übergangsregelung geschaffen, die dem
Vertrauensschutz der Versicherten Rechnung getragen hat. Versicherten, deren Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit bereits vor dem 1.1.1996 begonnen hatte, sind dadurch bis zum 31.12.2000 von der Geltung der
Hinzuverdienstgrenzen ausgenommen worden. Damit ist ihnen seit Inkrafttreten der Neuregelung über
Hinzuverdienstgrenzen eine mehrjährige Frist eingeräumt worden, sich auf die neue gesetzliche Regelung einzustellen
und entsprechende Dispositionen zu treffen.
Die streitbefangenen Regelungen verstoßen auch nicht, wie der Kläger meint, gegen das Sozialstaatsprinzip des
Artikel 20 GG. Aus dem Sozialstaatsprinzip lassen sich selbständige subjektive Rechte nicht ableiten. Es kann aber
im Zusammenwirken mit den Grundrechten, hier Artikel 14 GG, von Belang sein. Adressat des Sozialstaatsprinzips
ist nämlich der Gesetzgeber. Er hat das Sozialstaatsprinzip bei der Schaffung von Normen zu beachten. Ihm ist aber
der Abbau von Sozialleistungen auch in erheblichem Umfang nicht genommen, wobei er allerdings auch hier die
Grenzen des Vertrauensschutzes, wie sie aus Artikel 14 GG und dem Rechtsstaatsprinzip folgen, zu beachten hat.
(vgl. Jarass / Pieroth, aaO., Artikel 20 Rn 103, 109, 114). Diese Grenzen sind nach den obigen Ausführungen
eingehalten worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.