Urteil des SozG Hamburg vom 21.03.2007

SozG Hamburg: untätigkeitsklage, gebühr, verwaltungsverfahren, vorverfahren, klageart, sozialleistung, widerspruchsverfahren, ermessen, post, aufwand

Sozialgericht Hamburg
Beschluss vom 21.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 61 AS 1905/06
Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 9. Februar 2007
insoweit abgeändert, als die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 141,52 EUR (in Worten:
hunderteinundvierzig 52/100) festgesetzt werden. Im Übrigen werden die Erinnerungen der Beklagten und die des
Klägers zurückgewiesen.
Gründe:
I. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hat der Kläger Untätigkeitsklage wegen der Nichtbescheidung seines
Widerspruchs vom 16.2. 2006 gegen den Bescheid der Beklagten vom 13.2.2006 erhoben. Die Beklagte hat während
des Klageverfahrens einen Abhilfebescheid erlassen, wonach der Rechtsstreit eine unstreitige Erledigung gefunden
hat. Mit Schriftsatz vom 13.11.2006 hat die Beklagte sich bereit erklärt, dem Kläger die notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 11.1.2007 hat der Bevollmächtigte des Klägers neben einer Verfahrensgebühr
(160,- EUR) eine Terminsgebühr (128,- EUR ) sowie eine Erledigungsgebühr (121.60 EUR zusammen 409,60 EUR)
zuzüglich 16 % Umsatzsteuer in Ansatz gebracht zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG),
insgesamt 498, 34 EUR. Die Beklagte hat sich lediglich zur Erstattung der Gebühren bereit gezeigt, die sich bei
Berücksichtigung einer dreifachen Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 60,00 EUR zuzüglich
Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG (12,- EUR) ergeben, insgesamt 83,52 EUR inklusive Umsatzsteuer.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat mit Beschluss vom 9. 2.2007, der Beklagten und dem Kläger zugestellt
am 15.2.2007 eine Verfahrensgebühr Nr. 3102 VVRVG in Höhe von 160,- EUR zuzüglich einer Post- und
Kommunikationspauschale von 20,- EUR zzgl. 28,80 EUR Mehrwertsteuer (zusammen 208,80 EUR) festgesetzt ...
Mit ihrer am 19.2.2007 hiergegen eingelegten Erinnerung, der die Urkundsbeamten nicht abgeholfen hat, hält die
Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass bei der Bemessung der Verfahrensgebühr der Rahmen der Nr. 3103 (und nicht
der Nr. 3102) VV RVG Anwendung finde, weil der Untätigkeitsklage eine Tätigkeit des Bevollmächtigten des Klägers
im Verwaltungs- und Vorverfahren vorausgegangen sei, so dass er im sozialgerichtlichen Verfahren einen geringeren
Aufwand gehabt habe.
Mit seiner am 14.3.2007 gegen den Beschluss vom 9.2.2997 eingelegten Erinnerung, der der Urkundsbeamte
ebenfalls nicht abgeholfen hat, hält der Kläger an seiner Auffassung fest, dass eine Terminsgebühr zum Ansatz zu
bringen sei.
II. Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigen Erinnerungen sind im tenorierten Umfang
begründet, im Übrigen hingegen unbegründet.
1. Zur Erinnerung der Beklagten:
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die zu erstattenden Kosten in Gestalt der Rechtsanwaltsgebühren zu
Unrecht auf mehr als 102,00 EUR zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale und 16% Umsatzsteuer (zusammen
141,52 EUR) festgesetzt.
Rechtsgrundlage für die Kostenfestsetzung ist vorliegend § 197 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 2, 3 und 14 RVG sowie dem
VV RVG. Danach setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag den Betrag der zu
erstattenden Kosten fest. Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen solchen Antrag gestellt. Nach den zitierten
Bestimmungen des RVG entstehen in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen - wie vorliegend - das
Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Diese bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem
Ermessen. Sein besonderes Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten – hier der
Beklagten – zu ersetzen, ist die vom Anwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle geht zu Unrecht davon aus, dass die Verfahrensgebühr vorliegend nach dem
Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG (40,00 bis 460,00 EUR) statt nach dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00
bis 320,00 EUR) zu bemessen ist, denn es ist im Sinne der Nr. 3103 VV RVG eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren
oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen. Der
Prozessbevollmächtigte des Klägers hat für diesen den Widerspruch vom 16.2.2006 gegen den ablehnenden
Bescheid der Beklagten vom 13.2.2006 eingelegt. Insoweit ist es ohne Belang, dass es sich bei dem gerichtlichen
Verfahren um eine Untätigkeitsklage gehandelt hat und demgemäß das Widerspruchsverfahren noch nicht
abgeschlossen war. Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG stellt allein darauf ab, dass der Rechtsanwalt oder
die Rechtsanwältin zuvor in einem der dort aufgeführten Verfahren tätig war. Mit dem reduzierten Gebührenrahmen der
Nr. 3103 VV RVG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Tätigkeit in diesen Verfahren die Tätigkeit
im gerichtlichen Verfahren erleichtert. Hierfür kommt es auf die Frage des Abschlusses des jeweiligen
Verwaltungsverfahrens ebenso wie auf die Klageart nicht an (ebenso: Sozialgericht Hamburg 5. Juli 2006 - S 58 AS
329/05, 25. September 2006 - S 52 AS 1626/05, 11. Januar 2007 - S 59 AS 234/06). Der Gedanke des geringeren
Aufwands greift auch bei Untätigkeitsklagen: Während ein Bevollmächtigter, der bereits im Verwaltungs- oder
Vorverfahren tätig war, mit dem Sachverhalt vertraut ist und sich bei Antragstellung bzw. Widerspruchseinlegung die
Frist zur Erhebung einer Untätigkeitsklage notiert haben dürfte, müsste ein erstmalig zwecks Erhebung der
Untätigkeitsklage aufgesuchter Rechtsanwalt zunächst im Mandantengespräch den Sachverhalt klären, sich
Unterlagen vorlegen lassen und dann prüfen, ob die Erhebung der Klage zulässig, begründet und sinnvoll ist.
Ausgehend von dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) mit einer Mittelgebühr in Höhe von 170,00
EUR erscheint eine Gebühr in Höhe der dreifachen Mindestgebühr (60,00 EUR) allerdings unangemessen niedrig. Zu
bewerten ist die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen einer durchschnittlichen Untätigkeitsklage. Die Untätigkeitsklage
zielt darauf, den Fortgang des Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens zu erzwingen. Sie ist nur darauf gerichtet,
überhaupt eine Entscheidung des Sozialleistungsträgers herbeizuführen. Die begehrte Sachentscheidung kann mit ihr
nicht erreicht werden. Sie hat daher für den Kläger in aller Regel weniger Bedeutung als die übrigen Klagearten.
Zudem ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit typischerweise gering. Regelmäßig ist bei einer Untätigkeitsklage
daher eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr anzusetzen. Gleichwohl muss die Untätigkeitsklage im
Zusammenhang mit der begehrten Sozialleistung (gleichsam als ihrem "Fernziel") betrachtet werden, zu deren
Durchsetzung sie dient. Aus diesem Grund darf die Gebühr nicht zu niedrig angesetzt und sollte auch nicht im
Verhältnis zur Mindestgebühr, sondern zur Mittelgebühr dargestellt werden, schon um ein angemessenes Verhältnis
zur Bewertung der Untätigkeitsklage bei fehlender vorausgegangener Tätigkeit nach Nr. 3102 VV RVG zu
gewährleisten. Bei einer Bemessung der Verfahrensgebühr, die von der Mindest- statt von der Mittelgebühr ausgeht,
ergäbe sich bei der Anwendung der Nr. 3102 VV RVG eine der Sache nach kaum zu rechtfertigende Verdoppelung
gegenüber derjenigen der Nr. 3103 RVG. Daher hält das Gericht bei durchschnittlichen Untätigkeitsklagen eine
Verfahrensgebühr in Höhe von 60% der Mittelgebühr des jeweiligen Rahmens für angemessen, was im Falle der Nr.
3102 VV RVG 150,00 EUR ergibt und im Falle der Nr. 3103 VV RVG - wie vorliegend - etwa ein Drittel weniger,
nämlich 102,00 EUR (vgl. auch zu dem Vorangegangenen: SG Hamburg, Beschl. v. 13.2.2007, S 53 AS 2116/06).
Hinzu kommen hier noch die Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 EUR sowie, da der Rechtsstreit und damit die
Leistungserbringung durch den Bevollmächtigten des Klägers vor dem 1. Januar 2007 geendet hat, 16% (statt
nunmehr 19%) Umsatzsteuer in Höhe von 19,52 EUR
2. Zur Erinnerung des Klägers:
Die Erinnerung des Klägers wegen der Nichtfestsetzung einer Terminsgebühr hingegen wird zurückgewiesen. Das
Gericht folgt insoweit vollen Umfangs den Ausführungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle im angegriffenen
Beschluss vom 9.2.2007, denen es nichts hinzuzufügen gibt und auf die im Rahmen dieser Entscheidung Bezug
genommen wird.
III. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).