Urteil des SozG Hamburg vom 20.01.2003
SozG Hamburg: arbeitslosenhilfe, arbeitsunfähigkeit, krankenkasse, krankengeld, krankheit, urlaub, kopie, arbeitsloser, verschulden, sozialversicherungsabkommen
Sozialgericht Hamburg
Urteil vom 20.01.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 8 AL 939/98
Der Bescheid vom 12.3.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 29.5.1998 werden dahingehend abgeändert, dass
die Beklagte der Klägerin auch für den Zeitraum 1.1.98 bis 1.2.98 Arbeitslosenhilfe zu gewähren hat. Die Beklagte hat
die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998. Die
Klägerin stand bei der Beklagten im laufenden Leistungsbezug und erhielt zuletzt Arbeitslosenhilfe. Am 11.12.1997
stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe mit Wirkung ab 01.01.1998.
Vom 10.12.1997 bis 31.12.1997 befand sich die Klägerin im Urlaub in Polen. Dieser Urlaub war von der Beklagten
genehmigt. Mit Schreiben vom 02.01.1998, bei der Beklagten am 08.01.1998 eingegangen, teilte der Sohn der
Klägerin mit, dass die Klägerin in Polen erkrankt sei. Dem Schreiben war eine Kopie einer ärztlichen Bescheinigung
der Ärztin für Neurologie S.- Z. aus S. beigefügt, in welcher ausgeführt wurde, dass die Klägerin im Zeitraum
30.12.1997 bis 12.01.1998 arbeitsunfähig erkrankt sei. Mit Schreiben vom 25.01.1998 teilte der Sohn der Klägerin mit,
dass die Klägerin weiterhin erkrankt sei und überreichte eine Kopie der ärztlichen Bescheinigung der Ärztin S.- Z., in
welcher eine weitere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin für den Zeitraum 13.01.1998 bis 31.01.1998 bescheinigt wurde.
Am 02.02.1998 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten persönlich nach Rückkehr aus Polen arbeitslos.
Mit Bescheid vom 12.03. 1998 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosenhilfe ab 02.02.1998. Hiergegen legte
die Klägerin am 26.03.1998 Widerspruch ein und begehrte die Zahlung von Arbeitslosenhilfe auch für den Zeitraum
01.01.1998 bis 01.02.1998. Mit Schreiben vom 16.03.1998 teilte die AOK H. der Klägerin mit, dass die Erkrankung in
Polen nicht anerkannt werden könne, da die gesetzliche Krankenversicherung kein Sozialversicherungsabkommen mit
Polen habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Die Klägerin habe der Beklagten im Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998 nicht zur Verfügung gestanden, da sie
während ihres genehmigten Urlaubs am 30.12.1997 in Polen erkrankt sei und bis zum 31.1.1998 arbeitsunfähig
krankgeschrieben gewesen sei. Die deutsche Krankenkasse könne aber aufgrund der fehlenden Abkommen mit den
polnischen Versicherungsträgern diese Zeit nicht als Arbeitsunfähigkeitszeit anerkennen. Insoweit komme eine
Gewährung von Leistungen gemäß § 126 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nicht in Betracht.
Hiergegen hat die Klägerin am 06.07.1998 Klage erhoben. Sie trägt vor, das Bestehen auf einer besonders
formgebundenen Bescheinigung sei unstatthaft. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum die Leistungsfortzahlung an
einem fehlenden Sozialabkommen scheitern solle.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12.03.1998 und den Widerspruchsbescheid vom 29.05.1998 dahingehend abzuändern, dass der
Klägerin auch für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998 Arbeitslosenhilfe zu gewähren ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, wenn mangels zwischenstaatlichem Abkommen
die Voraussetzungen für Krankengeld wegen einer im Ausland eingetretenen Arbeitsunfähigkeit nicht vorlägen, könne
auch kein Anspruch auf Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III anerkannt werden. Dies folge daraus, dass Sinn und
Zweck der Vorschrift des § 126 SGB III sei, einen Wechsel der Leistungsträger bei kurzzeitigen Erkrankungen zu
vermeiden. Es sei daher unerheblich, dass die Klägerin tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 12.03.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 29.05.1998
sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf
Erbringung von Arbeitslosenhilfeleistungen auch für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998.
Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998 folgt aus
§§ 198, 126 SGB III. Gemäß §§ 198, 126 Abs. 1 SGB III verliert ein Arbeitsloser, der während des Bezuges von
Arbeitslosenhilfe infolge Krankheit arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, nicht den Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Die Klägerin war im Zeitraum
30.12.1997 bis 31.01.1998 arbeitsunfähig erkrankt. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der ärztlichen
Atteste der Ärztin S.- Z. vom 29.12.1997 und 12.01.1998 fest. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte an den
Feststellungen der Ärztin zu zweifeln. Auch die Beklagte selbst zweifelt nicht an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin.
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung ausgeführt, dass es unerheblich sei, dass die Klägerin tatsächlich
arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ist auch während des Bezuges von
Arbeitslosenhilfe eingetreten. Das Merkmal des Bezuges ist dahingehend zu konkretisieren, dass zumindest ein
realisierbarer Anspruch auf Zahlung für die Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestanden haben muss (BSG SozR
4100 § 105b Nr. 3, Nr. 6). Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ist während eines genehmigten Auslandsaufenthaltes
eingetreten. Für den Zeitraum des genehmigten Urlaubs vom 10.12.1997 bis 31.12.1997 bezog die Klägerin
rechtmäßig Arbeitslosenhilfe. Die Arbeitsunfähigkeit ist am 30.12.1997 damit während des Bezuges von
Arbeitslosenhilfe eingetreten.
Einem Anspruch der Klägerin auf Leistungsfortzahlung gemäß § 126 SGB III steht auch nicht entgegen, dass die
AOK H. festgestellt hat, dass die Erkrankung in Polen nicht anerkannt werden könne, da kein
Sozialversicherungsabkommen mit Polen bestehe. Erkrankt der Arbeitslose in der Urlaubszeit, für die
Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe zu zahlen ist, so besteht grundsätzlich ein Anspruch auf
Leistungsfortzahlung. Dies gilt auch während eines Auslandsaufenthaltes, d.h. wenn die sich über einen längeren
Zeitraum hinziehende Arbeitsunfähigkeit an einem weiter entfernten Urlaubsort eingetreten ist, so dass der Arbeitslose
das Arbeitsamt nicht täglich aufsuchen kann. Da der Arbeitslose nicht verfügbar ist und § 126 SGB III auf die
Verfügbarkeit für die Leistungszahlung verzichtet, muss der Arbeitslose auch nicht wie ein gesunder Arbeitsloser
erreichbar sein (vgl. Gagel, Kommentar zum SGB III, § 126, Rn. 26). Nach Auffassung der Kammer kann das
entscheidungserhebliche Tatbestandsmerkmal des § 126 SGB III, das die Arbeitsunfähigkeit "während des Bezuges
von Arbeitslosengeld" eintreten muss, nicht je nachdem unterschiedlich ausgelegt werden, ob dem jeweiligen Kläger
während des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld zustand oder nicht. Der
Gesetzeswortlaut setzt nur voraus, dass der Arbeitslose während des Bezuges von Arbeitslosengeld infolge Krankheit
arbeitsunfähig wird und differenziert gerade nicht danach, ob für den betreffenden Zeitraum ein Anspruch auf
Krankengeld besteht oder nicht. Zwar ist zu bedenken, dass der Zweck der Leistungsfortzahlung bei
Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich weder darin besteht, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des erkrankten
Arbeitslosen noch eine Entlastung der für die Zahlung des Krankengeldes zuständigen Krankenkasse herbeizuführen,
sondern Leistungsberechtigten wie Leistungsverpflichteten bei kurzfristigen Erkrankungen die "Unzuträglichkeit"
ersparen will, dass anstelle der Beklagten eine Krankenkasse Krankengeld in der gleichen Höhe wie die bisher
gewährte Leistung wegen Arbeitslosigkeit zu zahlen hat (BT-Drucksache 8/4022, S. 89 ff., BSG SozR 3-4100 § 105b
Nr. 2; BSG, Urt. v. 07.02.2002, Az.: B 7 AL 28/01 R). Es könnte insoweit überlegt werden, dass die "Unzuträglichkeit"
des Wechsels nicht besteht, wenn die Krankenkasse von vornherein nicht als leistungspflichtig in Betracht kommt.
Einer solchen Auslegung steht jedoch der eindeutige und abschließende Wortlaut der Vorschrift des § 126 SGB III
entgegen. Dieser ist dahingehend gefasst, dass eine Leistungsfortzahlung eintritt, wenn der Arbeitslose während des
Bezuges von Arbeitslosengeld infolge Krankheit arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Der
Gesetzeswortlaut macht den Fortzahlungsanspruch eindeutig nicht von einem parallel gegebenen
Krankengeldanspruch oder der Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit bzw. Erkrankung durch die zuständige
Krankenkasse abhängig. Der Wortlaut einer Norm stellt die Grenze zulässiger Auslegung dar (BVerfGE 73, 206, 235).
Dies gilt unabhängig davon, welches Verständnis man bei der in Frage stehenden Vorschrift als sachgerecht ansieht.
Abgesehen davon ist zu bedenken, das der Verwaltungsvereinfachungsgedanke, der hinter der Regelung des § 126
SGB III steht, gerade unterlaufen würde, wenn generell die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die
Gewährung von Krankengeld durch die Krankenkasse erforderlich wäre.
Da die Klägerin während des rechtmäßigen Bezuges von Arbeitslosenhilfe arbeitsunfähig erkrankt ist, tritt eine
Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III ein.
Soweit die Beklagte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gehabt haben sollte – was die Beklagte allerdings
nicht vorgetragen hat - wäre sie verpflichtet gewesen, gemäß § 126 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V
eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes einzuholen. Dies ist von Seiten der Beklagten nicht
erfolgt.
Die Klägerin hat sich am 02.02.1998 erneut arbeitslos gemeldet, so dass ein Leistungsanspruch für den 01.02.1998
(Sonntag) aus §§ 198, 122 Abs. 3 SGB III i.V.m. §§ 117 ff. SGB III folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.