Urteil des SozG Bremen vom 26.06.2009

SozG Bremen: aufschiebende wirkung, aufnahme einer erwerbstätigkeit, zumutbare arbeit, auflage, bestimmtheit, erlass, ermessensausübung, interessenabwägung, rechtsgrundlage, merkblatt

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 26.06.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 1054/09 ER
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 19.03.2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 wird angeordnet. Die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers hat die Antragsgegnerin zu erstatten. II. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren rückwir-kend
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiord-nung von Rechtsanwältin Dr. B. bewilligt.
Gründe:
1. Der am 04.11.1985 geborene Antragsteller wendet sich gegen eine Sanktionierung. Er be-zieht von der
Antragsgegnerin laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II). Zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Schwestern bildet er eine Bedarfsgemeinschaft.
Mit Eingliederungsvereinbarung vom 16.10.2008 verpflichtete sich der Antragsteller, als Stra-ßenreiniger eine
Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung wahrzunehmen. Mit Schreiben vom 28.10.2008 wies die
Antragsgegnerin den Antragsteller für den Zeitraum 01.11.2008 bis 31.05.2009 einer Arbeitsgelegenheit zu. In der
Zuweisung heißt es, bei der Tätigkeit handele es sich um einen/eine "Helfer/in - Gartenbau". Die Tätigkeit wurde mit
"Maß-nahmen im Bereich Garten- und Landschaftsbau" beschrieben. Maßnahmeträger war der fa-den e. V. in A-Stadt.
Der Zuweisung war eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt, auf deren Inhalt insoweit verwiesen wird.
Der Antragsteller trat die Stelle an, beklagte sich aber in der Folgezeit über die körperlich schwere Arbeit. Wohl
Anfang des Jahres kam es deshalb zu einem Gespräch zwischen dem Antragsteller, seiner Mutter, der zuständigen
Arbeitsvermittlerin der Antragsgegnerin und ei-nem Mitarbeiter des Maßnahmeträgers. Im Rahmen dieses Gesprächs
einigten sich die Betei-ligten über einen Wechsel des Maßnahmeortes. Ab dem 22.01.2009 sollte der Antragsteller
körperlich leichtere Arbeiten verrichten, indem er eine Parkanlage im Ortsteil H. reinigen soll-te. Auf eine erneute
Zuweisung wurde (wohl aufgrund der einvernehmlichen Regelung) ver-zichtet. Mitte Februar beendete der
Maßnahmeträger die Maßnahme aufgrund von Fehlzeiten des Antragstellers, deren Ursache zwischen den Beteiligten
im Einzelnen streitig ist.
Mit Bescheid vom 22.01.2009 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum
01.02.2009 bis 31.07.2009 von monatlich 398,95 Euro. Der Bescheid führt le-diglich bei I. eine Sanktion auf.
Am 09.03.2009 sollte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin vorsprechen. Eine Einladung findet sich in der
Leistungsakte nicht. Der Antragsteller nahm diesen Termin nicht wahr. Die Mutter des Antragstellers entschuldigte
ihren Sohn telefonisch bei der zuständigen Sachbear-beiterin der Antragsgegnerin. Der genaue Inhalt des Telefonats
ist zwischen den Beteiligten streitig.
Bereits mit Schreiben vom 13.02.2009 (Bl. 1462 der Leistungsakte) gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller
Gelegenheit, zu einer beabsichtigten Sanktion wegen des Abbruchs der Arbeitsgelegenheit Stellung zu nehmen. Eine
Anhörung wegen des vermeintlichen Meldever-stoßes folgte erst mit Einladungsschreiben vom 20.03.2009 (nicht in
der Leistungsakte, vgl. aber Bl. 29 Gerichtsakte).
Gleichwohl senkte die Antragsgegnern bereits mit Bescheid vom 19.03.2009 (Bl. 1457 der Leistungsakte) die
Leistungen des Antragstellers für den Zeitraum 01.04.2009 bis zum 30.06.2009 monatlich um 40 % mit der
Begründung, der Antragsteller sei trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am
09.03.2009 ohne wichtigen Grund nicht erschienen. Mit Bescheid vom selben Tage senkte die Antragsgegnerin die
Leistungen des Antragstellers dann weiter mit der Begründung um 100 %, er habe eine Arbeitsgelegen-heit ohne
wichtigen Grund nicht fortgeführt.
Ein Widerspruch gegen diese beiden Sanktionsbescheide findet sich in der Leistungsakte nicht. Dass innerhalb der
Monatsfrist Widerspruch eingelegt wurde, ist zwischen den Beteilig-ten aber (nicht mehr) streitig. Mit
Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 (ebenfalls nicht in der Leistungsakte) wurde "der Widerspruch vom 14.04.2009
[ ] gegen den Bescheid vom 19.03.2009" wegen vermeintlicher Verfristung als unzulässig verworfen. Nach der Wider-
spruchsbegründung richtete sich der Widerspruch alleine gegen die Leistungskürzung um 100 %.
Am 02.06.2009 hat der inzwischen anwaltlich vertretene Antragsteller den vorliegenden Eilan-trag gestellt und zugleich
unter dem Aktenzeichen S 26 AS 1026/09 Klage erhoben, die noch anhängig ist.
Er behauptet, im Hinblick auf das angebliche Meldeversäumnis habe seine Arbeitsvermittlerin die telefonische
Krankmeldung akzeptiert. Sie hätten sich auf einen neuen Termin geeinigt. Sie habe von ihm nicht verlangt, noch eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Im Hinblick auf die Kündigung der Maßnahme behauptet der
Antragsteller ebenfalls, arbeitsunfä-hig erkrankt gewesen zu sein. Eine entsprechende Bescheinigung seines Arztes
habe er nicht vorlegen können, da er zu dem Zeitpunkt über keine Versichertenkarte verfügte.
Er beantragt,
im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens die Beklagte ohne mündliche Verhandlung, wegen der Dringlichkeit
der Angelegenheit, zu verurteilen, dem Kläger das volle Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.04.2009 bis
30.06.2009 auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie behauptet, die zuständige Arbeitsvermittlerin habe anlässlich des Telefonats mit der Mut-ter der Antragstellerin
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Arbeitsunfähig-keitsbescheinigung einzureichen sei. Weiter
hält sie den Vortrag des Antragstellers, eine Be-scheinigung habe er im Januar und Februar 2009 aufgrund der
fehlenden Versichertenkarte nicht erhalten, für unglaubhaft. Im Übrigen meint sie, dass - selbst wenn diese
Behauptung zutreffend wäre - dies keinen wichtigen Grund darstelle, aufgrund dessen von einer Sanktio-nierung
Abstand zu nehmen sei.
Der 5. Band der Leistungsakte (21706-BG 0010547) hat dem Gericht vorgelegen.
2. Der Antrag des Antragstellers bedarf der Auslegung. Maßstab ist § 123 SGG in entspre-chender Anwendung.
Danach entscheidet das Gericht über den erhobenen Anspruch, ohne an die Fassung des Antrages gebunden zu sein.
Begehrte der Antragsteller - entsprechend des Antrages - tatsächlich den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs. 2 SGG, so wäre diese teilweise unzulässig, weil Leistungen vor Antragstellung bei Gericht grundsätz-lich
nicht zugesprochen werden können. Darauf kommt es aber nicht an, weil mit dem Bewilli-gungsbescheid vom
22.01.2009 eine gesicherte Rechtsposition besteht, in die der Sanktions-bescheid im Sinne einer teilweisen
Aufhebung eingreift. Soweit dem Widerspruch bzw. nun-mehr der Klage gegen die Sanktionsbescheide aufschiebende
Wirkung zukommt, "lebt" dieser Bewilligungsbescheid wieder "auf". Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist
nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG vorrangig gegenüber dem Erlass einer einstweiligen Anordnung. Bereits an dieser
Stelle ist darauf hinzuweisen, dass kein rechtliches Bedürfnis dafür besteht, den sich aus dem Bewilligungsbescheid
nunmehr ergebenden - noch nicht erfüllten - Auszah-lungsbetrag (abzüglich bereits gewährter Sachleistungen)
ebenfalls zu tenorieren. Es beste-hen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die Folgen der
aufschiebenden Wir-kung ignorieren wird.
Der so verstandene und nach §§ 86a Abs. 2 Nr. 4, 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbin-dung mit § 39 Nr. 1 SGB II
statthafte Antrag ist begründet. Ein Antrag auf Anordnung der auf-schiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Klägers, den Vollzug des Bescheides bis zur Entscheidung
im Hauptsachever-fahren auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen sofortiger Vollziehung
überwiegt. Die aufschiebende Wirkung einer Klage ist in der Regel bereits dann anzuordnen, wenn sich der
angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist (vgl. nur OVG Bremen, Beschl. v. 10.10.2008 - S2 B
458/08 -). Anderenfalls bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass im Verwaltungsverfahren nicht immer hinreichend klar zum Ausdruck gekommen
ist, dass am 19.03.2009 zwei Bescheide erlassen wurden. Beide Bescheide sind Gegenstand des Eilverfahrens. Denn
eine Auszahlung der "vollen" Leistung kann der Antragsteller nur erreichen, wenn beide Sanktionsbescheide nicht
vollzogen werden können. Dem Gericht liegen die Widersprüche des Antragstellers nicht vor. Obwohl der Wi-
derspruchsbescheid vom 29.04.2009 nur auf die 100 %-Sanktionierung Bezug nimmt und auch nur von einem
Bescheid spricht, ist im Sinne der Beteiligten davon auszugehen, dass das Widerspruchsverfahren hinsichtlich der
Bescheide vom 19.03.2009 insgesamt abge-schlossen ist, indem über die weitergehende Sanktionierung ausdrücklich
entschieden wurde. Aufgrund der vermeintlichen Verfristung ging die Widerspruchsbehörde auf die unterschiedli-chen
Rechtsgrundlagen ohnehin nicht ein.
a. Der - eine 100 %-Sanktionierung vorsehende - Bescheid vom 19.03.2009 erscheint unter mehreren
Gesichtspunkten als nicht den gesetzlichen Anforderungen genügend.
Rechtsgrundlage für die Absenkung der Leistungen um 100 % ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. d) in Verbindung mit
Abs. 5 Satz 2 SGB II. Soweit sich ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II (richtig
eigentlich § 16d Satz 2 SGB II) aus-zuführen und es sich um eine wiederholte Pflichtverletzung handelt, wird sein
Arbeitslosen-geld II um 100 % gemindert, sofern er nicht für sein Verhalten einen wichtigen Grund nach-weist.
Es fehlt bereits an einer ausreichenden Rechtsfolgenbelehrung. Dem (ursprünglichen) Zuwei-sungsschreiben war
lediglich ein Merkblatt über mögliche Rechtsfolgen bei Pflichtverletzun-gen (bis hin zu Meldeversäumnissen)
beigefügt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozi-algerichts gilt - entsprechend den zu den unterschiedlichen
Sperrzeittatbeständen entwickel-ten Grundsätzen (BSG, Urt. v. 10.12.1981 - 7 RAr 24/81 -; BSGE 53, 13, 15 = SozR
4100 § 119 Nr. 18) - für die Rechtsfolgenbelehrung, dass sie konkret, verständlich, richtig und voll-ständig sein muss.
Nur eine derartige Belehrung vermag dem Zweck der Rechtsfolgenbeleh-rung - nämlich der Warn- und
Steuerungsfunktion - zu genügen. Erforderlich ist danach eine konkrete Umsetzung auf den jeweiligen Einzelfall. Es
genügt mithin nicht, dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein Merkblatt an die Hand zu geben, aus dem er die für
seinen Fall maßge-benden Voraussetzungen und Rechtsfolgen selbständig ermitteln muss (vgl. nur BSG, Urt. v.
16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R -). Denn die Belehrung darf sich nicht in einer bloßen Formalie oder der formelhaften
Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen (Hessisches LSG, Beschl. v. 26.03.2007 - L 9 AS 38/07 -).
Zwar darf das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung - trotz der zu Recht hohen Anforderungen -
für den Grundsicherungsträger nicht zu einer unverhältnismä-ßig hohen Hürde im Falle der Sanktionierung werden.
Erforderlich ist demnach im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem, was von der Behörde verlangt werden kann und
dem, was sie zu leisten im Stande ist (SG Bremen, Urt. v. 22.04.2009 - S 26 AS 196/09 -). Danach aber gilt, dass die
Verwendung eines abstrakten Merkblattes aus Sicht der Behörde alleine der Arbeits-erleichterung gedient haben
dürfte. Denn es wäre auch ohne weiteres möglich gewesen, in dem Zuweisungsschreiben konkret auf die Absenkung
der Leistungen als Folge einer Pflicht-verletzung hinzuweisen. Der Mehraufwand hierfür hält sich in Grenzen.
Angesichts der ein-schneidenden Folgen einer Sanktionierung (Vorenthalten der Existenzsicherung gewidmeter
Leistungen) ist dies der Antragsgegnerin zuzumuten.
Bedenken ergeben sich weiter hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Zuweisung. Das Verwal-tungsgericht Bremen,
dessen Rechtsprechung die Kammer insoweit fortführt, hat in einem ebenfalls die Antragsgegnerin betreffenden
Verfahren mit Gerichtsbescheid vom 18.02.2008 zur - im Wesentlichen gleich lautenden - Vorgängervorschrift des §
16d SGB II ausgeführt (S7 K 784/07):
Der Sanktionsbescheid ist unabhängig von der Berechnung der Absenkung insge-samt rechtswidrig. Bei der
Absenkung des Arbeitslosengeldes II hat die Beklagte nicht beachtet, dass Voraussetzung der Sanktionierung die
Rechtmäßigkeit der He-ranziehung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II ist (vgl. nur Bayerisches LSG, Urteil vom
29.06.2007, L 7 AS 199/06, juris; LSG Hamburg, Beschluss vom 11.07.2005, L 5 B 161/05 ER AS, juris; LSG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2006, L 14 B 518/06 AS ER, juris; Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 31
Rn. 48; BAF. in Ga-gel, Kommentar zum SGB III, 30. EL 2007, § 31 SGB II Rn. 65; Rixen in BeckOK, 8. Edition, §
31 SGB II Rn. 27; Eicher in Eicher/Spellbrink, 2005, § 16 SGB II Rn. 226). Die Rechtmäßigkeit der Heranziehung ist
durch das Gericht von Amts wegen zu prü-fen. Insbesondere handelt es sich nicht um einen Gegengrund im Sinne
von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II, für den der Hilfebedürftige darlegungs- und beweispflichtig wä-re (vgl. Berlit in LPK-
SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 Rn. 48). Insofern ist es auch uner-heblich, dass der Kläger sich gegen die
Heranziehung in erster Linie aufgrund angeb-licher gesundheitlicher Einschränkungen gewehrt hat.
Nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II hat der Leistungsträger die Aufgabe, für Hilfebedürf-tige, die keine Arbeit finden
können, im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeitsgelegenheiten gegen Mehraufwandsentschädigung zu
schaffen. Vorausset-zung ist, dass solche Arbeiten nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i. V. m. §§ 260 ff. SGB III
als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert werden. Der Leistungsträger hat weiter zu berücksichtigen, dass nach
§ 3 Abs. 1 Satz 3 SGB II vorrangig Maß-nahmen einzusetzen sind, die die unmittelbare Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit er-möglichen. Nur wenn eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ab-sehbarer Zeit
nicht möglich ist, hat der erwerbsfähige Hilfebedürftige eine ihm ange-botene zumutbare Arbeitsgelegenheit zu
übernehmen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB II).
Ob eine Arbeitsgelegenheit im öffentlichen Interesse liegt oder nicht, richtet sich nach den Anforderungen des
Arbeitsförderungsrechts (Niewald in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 16 Rn. 39). Nach § 261 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB
III liegen Arbeiten grund-sätzlich dann im öffentlichen Interesse, wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient.
"Zusätzlich" ist eine Arbeit gemäß § 261 Abs. 2 SGB III nur in dem Fall, dass sie ohne die Förderung nicht, nicht in
diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt wird. Arbeiten, die auf Grund einer rechtlichen
Verpflichtung durchzuführen sind oder die üblicherweise von juristischen Personen des öffentlichen Rechts
durchgeführt werden, sind nur förderungsfähig, wenn sie ohne die Förderung voraussichtlich erst nach zwei Jahren
durchgeführt werden.
Ob die dem Kläger angebotene Arbeitsgelegenheit diese Voraussetzungen erfüllt o-der nicht, kann auf der Grundlage
des Zuweisungsschreibens nicht geprüft werden. Die Zuweisung enthält lediglich eine Auflistung möglicher
Tätigkeiten. Sie ist zudem aufgrund der teilweisen Verwendung von Abkürzungen unverständlich. Sie genügt schon
deshalb nicht den rechtlichen Anforderungen, weil sie zu unbestimmt ist.
Bereits im Rahmen der Sozialhilfe (vgl. § 19 Abs. 2 BSHG) war anerkannt, dass die Heranziehung zu gemeinnütziger
und zusätzlicher Arbeit hinsichtlich der Art der zu leistenden Arbeit, ihres zeitlichen Umfanges und ihrer zeitlichen
Verteilung sowie hin-sichtlich des "Entgelts" hinreichend bestimmt sein muss (vgl. nur BVerwGE 68, 97 ff). Diese
Grundsätze gelten auch im Rahmen des SGB II, wobei es unerheblich ist, ob man in dem Zuweisungsschreiben einen
Verwaltungsakt und demgemäß in dem Er-fordernis der Bestimmtheit eine formelle (so Niewald in LPK-SGB II, 2.
Auflage 2007, § 16 Rn. 51) oder gleich eine materielle Voraussetzung (so Eicher in Ei-cher/Spellbrink, 2005, § 16
SGB II Rn. 238) sieht (LSG Hamburg, Beschluss vom 11.07.2005, L 5 B 161/05 ER AS, juris). Selbst wenn man die
Zuweisung für einen Verwaltungsakt und die Bestimmtheit nur für eine formelle Voraussetzung nach § 33 Abs. 1 SGB
X hielte, könnte eine mangelnde Bestimmtheit nicht nach § 41 SGB X geheilt werden, da es sich nicht um einen
Formfehler handelt (Engelmann in von Wulffen, 5. Auflage 2005, § 33 SGB X Rn 10).
Aus dem Bestimmtheitserfordernis folgt, dass der SGB II-Träger selbst die Art und die Bedingungen für den
angebotenen Ein-Euro-Job festlegen muss. Er darf dies nicht dem Maßnahmeträger überlassen (BAF. in Gagel,
Kommentar zum SGB III, 30. EL 2007, § 31 SGB II Rn. 65; SG Berlin, Beschluss vom 18.07.2005, S 37 AS 4801/05
ER, juris; LSG Hamburg, Beschluss vom 11.07.2005, L 5 B 161/05 ER AS, juris; so bereits zum BSHG BVerwGE 68,
97 ff.). Nur so kann er selbst die Voraus-setzungen nach § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II prüfen und damit seiner
Gesetzesbindung Genüge tun. Demnach wäre es unzulässig, wenn erst der Anbieter der Arbeitsgele-genheit über Art,
Umfang und zeitliche Verteilung der Tätigkeit entscheidet (BAF., a. a. O.). Dies folgt im Grunde bereits aus dem
Charakter der Arbeitsgelegenheit als Eingliederungsleistung. Der Anspruch auf Eingliederung besteht gegenüber dem
Leistungs- und nicht gegenüber dem Maßnahmeträger. Weiter verlangt das Be-stimmtheitserfordernis, dass die Art
der Tätigkeit, ihr zeitlicher Umfang und die zeitli-che Verteilung im Arbeitsangebot bezeichnet werden. Nur ein solches
Angebot er-möglicht es dem Hilfebedürftigen zu prüfen, ob die angebotene Tätigkeit den Voraus-setzungen des § 16
Abs. 3 Satz 2 SGB II entspricht, insbesondere ob sie zumutbar ist oder ob zulässige Ablehnungsgründe vorliegen
(LSG Hamburg, Beschluss vom 11.07.2005, L 5 B 161/05 ER AS, juris; Voelzke in Hauck/Noftz, § 16 SGB II Rn.
418).
Zumindest im Hinblick auf die Anforderungen an die Bestimmtheit entspricht dies inzwischen auch der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urt. v. 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R -).
Das Gericht verkennt nicht, dass sich die Verwaltungspraxis der Beklagten in der Zwischen-zeit auf diese
Anforderungen der Rechtsprechung eingestellt hat. Die Beschreibung "Maß-nahmen im Bereich Garten- und
Landschaftsbau" ist aber noch immer zu unbestimmt, um tatsächlich überprüfen zu können, ob es sich um
zusätzliche Arbeiten handelt. Auch war für das Gericht nicht ersichtlich, warum noch in der kurz zuvor
abgeschlossenen Eingliederungs-vereinbarung von "Straßenreiniger" die Rede war. Auch die - ohne erneute
Zuweisung - er-folgte Änderung der Tätigkeit hin zu der Reinigung einer Parkanlage stößt im Hinblick auf das Merkmal
der Zusätzlichkeit auf Bedenken. Die Antragsgegnerin hat außerhalb des hier an-hängigen Verfahrens immer
versichert, insbesondere die Voraussetzung der Zusätzlichkeit werde von ihr in Abstimmung mit den
Maßnahmeträgern zentral überprüft. Das mag sein. Aus der Leistungsakte ergibt sich eine Überprüfung nicht. Ohnehin
muss es für den Leistungsemp-fänger, der regelmäßig keine Aktenkenntnis hat, und nicht nur für das Gericht
nachvollziehbar sein, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Auch dies kann mithilfe von Textbau-steinen
gelöst werden, so dass von der Antragsgegnerin nichts verlangt wird, was sie nicht leisten kann. Dass sie mit der
Erfüllung dieser Anforderungen solche Schwierigkeiten hat dürf-te eher daran liegen, dass ihr oft nur teilweise bekannt
ist, wo konkret die Leistungsempfänger eingesetzt werden. Das kann sie aber nicht entlasten. Denn sie (und nicht den
Maßnahmeträ-ger) trifft die Verantwortlichkeit zur Überprüfung der gesetzlichen Voraussetzungen einer Ar-
beitsgelegenheit (siehe oben).
b. Erhebliche rechtliche Bedenken ergeben sich aber auch gegen den eine 40 %-Sanktionierung vorsehenden weiteren
Bescheid vom 19.03.2009.
Rechtsgrundlage ist insoweit § 31 Abs. 5 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 2 SGB II. Bedenken ergeben sich bereits in
formeller Hinsicht, weil die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche An-hörung nach den dem Gericht vorliegenden
Unterlagen erst nach Erlass des Bescheides, nämlich mit Schreiben vom 20.03.2009, erfolgte. Eine Heilung nach §
41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X kann zumindest im Widerspruchsverfahren nicht eingetreten sein, weil der Widerspruch we-
gen angeblicher Verfristung als unzulässig verworfen wurde.
Es ergeben sich aber auch Bedenken, ob die materiellen Voraussetzungen der Ermächti-gungsgrundlage erfüllt sind.
Insbesondere konnte das Gericht nicht überprüfen, ob schriftlich und auch im Übrigen ordnungsgemäß über die
rechtlichen Folgen des Nichterscheinens be-lehrt wurde. Das Einladungsschreiben befand sich nicht in der
Leistungsakte, soweit sie dem Gericht vorgelegt wurde.
Weiter nimmt der Bescheid Bezug auf ein Meldeversäumnis vom 23.04.2008 als erstmaligen Pflichtverstoß. Darüber
ist dem Gericht nichts bekannt, weil die Antragsgegnerin trotz der Auf-forderung zur Vorlage der bei ihr befindlichen
Unterlagen nur den fünften Band der Leistungs-akte vorgelegt hat, in der sich nur Vorgänge ab Juli 2008 befinden.
Nicht im Eilverfahren geklärt werden kann zudem die Frage, ob der Antragsteller einen wichti-gen Grund für sein
Nichterscheinen nachgewiesen hat. Dies wäre der Fall, wenn seine Ar-beitsvermittlerin tatsächlich die telefonische
Krankmeldung (unter Vergabe eines neuen Ter-mins, der von dem Antragsteller eingehalten wurde) hat genügen
lassen. In diesem Punkt ist der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht streitig. Die bisherigen Erklärungen der
zuständigen Arbeitsvermittlerin der Antragsgegnerin und insbesondere der Mutter des Antragstellers sind nach dem
bisherigen Streitstand nicht miteinander in Einklang zu bringen. Im Hauptsachver-fahren würde das Gericht beide als
Zeugen vernehmen. Im vorläufigen Rechtsschutz ist der Sachverhalt insoweit offen.
Im Hinblick auf die 40 %-Sanktionierung ist der Bescheid zwar nicht offensichtlich rechtswid-rig. Die vorzunehmende
Interessenabwägung kann aber nur die Anordnung der aufschieben-den Wirkung zur Folge haben. Denn zum einen
bestehen nach wie vor erhebliche Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit (wobei eine Heilung noch möglich
wäre), zum anderen fehlen dem Gericht entscheidungserhebliche Unterlagen, die aus der Sphäre der Antragsgeg-nerin
stammen. Zuletzt war zu berücksichtigen, dass es sich um existenzsichernde Leistun-gen handelt.
c. Da bereits aus anderen Gründen durchgreifende Bedenken gegen die beiden Bescheide vom 19.03.2009 bestehen,
kommt es nicht mehr darauf an, ob die Antragsgegnerin die Vor-gaben des § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II hinreichend
beachtet hat. Nach dieser Vorschrift kann der Grundsicherungsträger bei denjenigen Leistungsempfängern, die das
25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Absenkung und den Wegfall der Regelleistung unter Berück-sichtigung
aller Umstände des Einzelfalles auf sechs Wochen verkürzen. Es ergeben sich erhebliche Bedenken, ob die wohl als
Textbaustein verwendete Formulierung "Eine Verkür-zung der Absenkung auf 6 Wochen ist nach Abwägung der in
Ihrem Fall vorliegenden Um-stände mit den Interessen der Allgemeinheit nicht gerechtfertigt" den Anforderungen an
eine solche Ermessensausübung (oder zumindest den Anforderungen an eine hinreichend doku-mentierte
Ermessensausübung) noch genügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.