Urteil des SozG Bremen vom 17.11.2009

SozG Bremen: krankengeld, freiwillige versicherung, mitgliedschaft, alter, arbeitsunfähigkeit, krankheit, erwerbsfähigkeit, arbeitslosenhilfe, berufungsschrift, rente

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 17.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 4 KR 165/05
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum 25.06.2004 bis 31.12.2004.
Die am 05.05.1962 geborene Klägerin bezog in der Zeit vom 01.11.2002 bis zum 10.03.2003 Arbeitslosenhilfe. Vom
11.03.2003 bis zum 05.05.2003 bezog sie Krankengeld. Vom 06.05.2003 bis zum 24.06.2004 erhielt sie für ihre am
25.06.2002 geborene Tochter AN. Er-ziehungsgeld und war dadurch bei der Beklagten krankenversichert. Am
02.06.2004 meldete sie sich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend. Ab dem 24.06.2004, also am letzten
Tag ihres Erziehungsurlaubs, und durchgehend bis Ende des Jahres, wurde sie aufgrund ei-ner depressiven Episode
ihres behandelnden Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. FL. arbeitsunfähig krankgeschrieben. Aufgrund eines
bereits am 21.06.2004 gestellten Reha-Antrages war die Klägerin ab dem 25.06.2004 bei der Beklagten als
Rentenantragstellerin krankenversichert. In der Zeit vom 12.10.2004 bis zum 09.11.2004 nahm sie an einer statio-
nären Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten des Rentenversicherungsträgers teil.
Mit Bescheid vom 18.12.2004 lehnte die Bundesagentur für Arbeit die Gewährung von Ar-beitslosenhilfe ab
Antragstellung mit der Begründung ab, die Klägerin habe dem Arbeitsmarkt vor dem 25.06.2004 nicht zur Verfügung
gestanden; danach sei sie arbeitsunfähig gewesen. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde als unbegründet
zurückgewiesen. Klage erhob die Klägerin insoweit nicht.
Mit Bescheid vom 14.02.2005 bewilligte die Landesversicherungsanstalt Oldenburg/Bremen als
Rentenversicherungsträger ab dem 01.01.2005 eine zunächst bis zum 30.06.2007 befris-tete Rente wegen voller
Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI. Einer Gewährung der Rente ab dem Leistungsfall (25.06.2004) stünden
§§ 99, 101 Abs. 1 SGB VI entgegen. Da-nach würden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor
Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Die nach erfolglosem
Vorverfahren gegen diese teilweise Ablehnung erhobene Klage vor dem Sozial-gericht Bremen (S 8 R 181/05) nahm
die Klägerin zurück.
Am 15.08.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Krankengeld für das zweite Halbjahr
2004. Mit Bescheid vom 18.08.2005 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte die Gewährung von
Krankengeld mit der Begründung ab, bei Arbeitslosen bestehe keine Pflichtmitgliedschaft mit Anspruch auf
Krankengeld während einer Kindererzie-hungszeit.
Mit Schreiben vom 06.09.2005 legte die Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid der Be-klagten Widerspruch ein,
den diese mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2005 als unbegrün-det zurückwies. Die Klägerin sei noch während
des Bezuges von Erziehungsgeld und sodann durchgehend bis Einsetzen der Rentenleistung arbeitsunfähig gewesen.
Nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts begründe die während des Bezuges von Erziehungsgeld nach §
192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fortbestehende Mitgliedschaft ehemals Versicherungspflichti-ger kein
Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld.
Am 17.11.2005 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, sie sei nach § 44 SGB V sehr
wohl krankengeldberechtigt, weil sie unter keine der in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V genannten Ausnahmen falle. Zudem
sei sie nach § 125 SGB III leistungsbe-rechtigt gewesen. Deshalb habe die Beklagte an sie gemäß § 43 SGB I
vorläufige Leistungen zu gewähren. Sie habe in der Zeit Schulden machen müssen und vom Einkommen ihres E-
hemannes gelebt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
02.11.2005 zu verurteilen, ihr Krankengeld für den Zeitraum 25.06.2004 bis 31.12.2004 in gesetzlicher Höhe zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Klage unter Verweis auf das Urteil des BSG vom 08.08.1995 (1 RK 21/94) entge-gengetreten.
Das Gericht hat die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte zum Verfah-ren S 8 R 181/05 und die
Akte der Bundesagentur für Arbeit (217A181628 - Band III) beige-zogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
deren Inhalt sowie auf den Inhalt der Ge-richtsakte, insbesondere im Hinblick auf die Sitzungsniederschrift vom
17.11.2005, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage
ist nicht begründet. Der Ablehnungsbescheid vom 18.08.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 02.11.2005 sind
nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie hat für den Zeitraum 25.06.2004 bis
31.12.2004 keinen An-spruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Krankengeld.
Nach § 44 Abs. 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2477) haben Versicherte
Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Die nach § 5 Abs. 1 Nr. 5, 6, 9 oder 10
sowie die nach § 10 Versicherten haben keinen An-spruch auf Krankengeld.
Die Klägerin ist keine "Versicherte" im Sinne dieser Vorschrift.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. nur Urt. v. 05.05.2009 - B 1 KR 20/08 R -)
bestimmt das bei Entstehen eines Krankengeldanspruchs bestehende Versi-cherungsverhältnis, wer in welchem
Umfang als "Versicherter" Krankengeld beanspruchen kann.
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.1988
(BGBl. I S. 2477) von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.
Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit war hier der 24.06.2004. Tag darauf war der 25.06.2004. An
diesem Tag war die Klägerin nicht mehr nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 in Verbin-dung mit § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V
krankenversichert, sondern als Rentenantragstellerin nach § 189 SGB V. Zwar hat die Klägerin schon am 21.06.2004
(über § 116 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) einen Rentenantrag gestellt. Die Formalmitgliedschaft nach § 189 SGB V ist
gegenüber der fortbestehenden Mitgliedschaft nach § 192 SGB V aber nachrangig (Peters in Kasseler Kom-mentar, §
189 SGB V, Rdnr. 9), weshalb sie erst ab dem 25.06.2004 wirken konnte.
Die Klägerin war auch nicht als Rentenantragstellerin nach § 189 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld versichert.
Zwar greifen auch in diesem Fall die ausdrücklich in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V alter Fassung genannten Ausnahmen
nicht. Zu berücksichtigen ist aber, dass ein Krankengeldanspruch des Rentenantragstellers dem
Entgeltersatzcharakter des Krankengel-des nicht gerecht werden würde. Denn der Anspruch auf Krankengeld setzt
stets voraus, dass dem Betroffenen Einkommen wegen Krankheit entgeht (vgl. LSG Berlin, Urt. v. 04.08.2004 - L 9
KR 114/02 -, juris). Dementsprechend sind Rentner und Rentenantragsteller nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts nur dann mit Anspruch auf Krankengeld versichert, wenn sie bei Entstehen des
Krankengeldanspruchs aus einer neben dem Rentenbezug aus-geübten Beschäftigung oder Tätigkeit Arbeitsentgelt
oder Arbeitseinkommen erzielt haben, das der Beitragsberechnung unterliegt (vgl. Urt. v 26.06.2007 - B 1 KR 8/07 R -
). Dies aber war bei der Klägerin, die zu dieser Zeit von wohl hauptsächlich vom Einkommen ihres Ehe-mannes lebte,
nicht der Fall.
Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn es - wie die Beteiligten meinen - auf die Art des
Versicherungsverhältnisses am 24.06.2004 ankommen würde, kein Anspruch der Kläge-rin auf Gewährung von
Krankengeld bestehen würde. Zwar weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass sie nicht unter die Ausschlussgründe
des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V alter Fassung fällt. Die Beklagte hat aber zu Recht auf die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (Urt. v. 08.08.1995 - 1 RK 21/94 -) hingewiesen, wonach eine fortbestehende Mitgliedschaft
nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V keinen Krankengeldanspruch begründen kann. Denn (ungeschrie-benes)
Tatbestandsmerkmal des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist, dass die Mitgliedschaft einem Versicherungstatbestand nach
§ 5 SGB V zugeordnet werden kann, der nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB V alter Fassung zu einem
ausdrücklichen Ausschluss vom Krankengeldan-spruch führt. Der Anspruch setzt also eine freiwillige Versicherung
oder die Versicherungs-pflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 oder Nr. 6 bis 8 SGB V voraus (BSG, a. a. O.). Dies trifft
auf den Fall der Klägerin nicht zu. Hintergrund für diese einschränkende Regelung sind nicht zu-letzt die
Besonderheiten einer nur fortbestehenden Mitgliedschaft. Sie führt eben gerade nicht dazu, dass der Versicherte
genauso behandelt werden müsste wie vorher. Vielmehr können nur diejenigen Regeln des
Versicherungsverhältnisses weiter angewandt werden, die vom ursprünglichen Versicherungspflichttatbestand
unabhängig sind (BSG, a. a. O.). Es handelt sich also um eine Art Versicherung "auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner". Mit einem An-spruch auf Gewährung von Krankengeld ist dies nicht vereinbar. Etwas anderes folgt auch
nicht aus § 43 Abs. 1 SGB I. Es ist nicht ersichtlich, was sich im Hinblick auf den Kranken-geldanspruch der Klägerin
aus dieser Norm ableiten ließe. Auch fehlt es an einem Zuständig-keitsstreit. Im Übrigen ist die Ablehnung der
Gewährung von Arbeitslosenhilfe durch die Bun-desagentur bestandskräftig und damit für die Beteiligten nach § 77
SGG in der Sache bindend geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Nie-dersachsen-
Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozial-gerichts Niedersachsen-
Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Nieder-schrift des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das
angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begrün-dung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel angeben.
Ist das Urteil im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei Monaten.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
gez. Dr. Harich Richter