Urteil des SozG Augsburg vom 06.12.2005

SozG Augsburg: elektromagnetische strahlung, medizinische rehabilitation, behandelnder arzt, medizinische indikation, erwerbsfähigkeit, medizinischer grund, erwerbstätigkeit, form, behinderung, klinik

Sozialgericht Augsburg
Urteil vom 06.12.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 14 R 4048/05
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 6. August 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005
wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer
Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung zu gewähren.
Die am 1958 geborene Klägerin hat zwischen 1980 und 1983 den Beruf der chemisch-technischen Assistentin (CTA)
erlernt und war im Anschluss daran ausschließlich in diesem Beruf tätig. Seit 1992 ist die Klägerin bei einem
Wetterdienst beschäftigt. Nach Schließung der Dienststelle H. wurde die Klägerin 1996 von H. zur Dienststelle H.
versetzt. Seit 11.11.2002 bsteht Arbeitsunfähigkeit.
Mit Schreiben vom 09.07.2004 wurde ein Antrag auf Kostenüberbahme für eine Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung
an die Beklagte gestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin elektrosensibel sei. In der Nähe des
Arbeitsplatzes der Klägerin befände sich ein Mobilfunkmast. Die einschlägigen Grenzwerte am Arbeitsplatz seien
nicht überschritten. Wenn die Klägerin elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sei, z.B. auch durch Handy-
Telefonierer oder andere Mobilfunkmasten, würde der Calziumspiegel der Klägerin rapide absinken. Die
Leistungsfähigkeit der Klägerin sei aufgrund der Elektrosensibilität erheblich gefährdet.
Die Klägerin beantragte auch beim Arbeitsamt F. die Kostenübernahme für Strahlenschutzkleidung. Der Antrag wurde
einschließlich der umfangreichen Unterlagen der Klägerin an die Beklagte weitergeleitet. Nach den Unterlagen der
Klägerin habe sie im Jahr 1982 unfallbedingt einen Verlust der Schilddrüse und der Nebenschilddrüsen
(Epithelkörperchen) erlitten. Seitdem sei eine dauerhafte Substitution u.a. mit Calzium erforderlich. Bis zum August
1996 hätten keine Probleme mit dem Calziumspiegel bestanden. Nach der Versetzung zum H. sei zunehmend eine
höhere Calziumsubstitution notwendig geworden. Begleitbeschwerden wie Schmerzen, Erschöpfung und Schwindel
seien aufgetreten. Es komme zu Calziumkrisen mit Tatanien (Krampfanfällen). Ursache der Gesundheitsbeschwerden
sei die elektromagnetische Strahlung durch den Sendeturm in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes. Darauf befänden
sich Mobilfunk-, Rundfunk-, Fernseh- und Richtfunksendeantennen.
Eine medizinische Rehabilitation in der Klinik H. im Januar 2003 habe sie nach sechs Tagen abbrechen müssen, weil
der Calziumspiegel entgleist sei. Auf dem Dach der Klinik habe sich eine Mobilfunkanlage befunden. Geschildert
werden ferner Einschränkungen im Alltagsleben, etwa beim Einkaufen, beim Restaurantbesuch, bei der Wohnortwahl
oder bei Zugfahrten. Wenn Telefonat mit einem Handy oder einem schnurlosen Telefon erfolge, müsse sie flüchten.
Aufgrund der massiven Exposition von Hochfrequenzstrahlung am Arbeitsplatz sei sie mit nachhaltigen Folgen für das
gesamte Lebensumfeld krank geworden. Mit einem entsprechenden Schutzanzug könne sie an ihrem Arbeitsplatz
wieder erwerbstätig sein.
Dem Antrag waren beigefügt Daten zu Calziuminfusionen im Zeitraum ab 2002 und Atteste zu intravenösen
Calziuminjektionen, die zum Teil vonseiten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes erfolgten.
Vorgelegt wurden ferner mehrere Bestätigungen behandelnder Ärzte, wonach die Calziumkrisen durch
elektromagnetische Strahlenbelastungen verursacht seien. Nach einem Arzt sei auch eine Vorbelastung durch eine
Schwermetallintoxikation (Amalgamversorgung der Zähne) vorhanden. Eine Zahnsanierung erfolge derzeit.
Die Klägerin legte weiter unterschiedliche Stellungnahmen verschiedener Einrichtungen und Personen zu den
Gefahren des Mobilfunks und den aktuellen Strahlengrenzwerten vor, u.a. - ein Interview mit Prof. Dr. Eckel, dem
Vorsitzenden des Ausschusses Umwelt und Gesundheit der Bundeärztekammer aus der Ärzte Zeitung vom
04.10.2000, - den "Freiburger Appell" der interdisziplinären Gesellschaft für Umweltmedizin e.V. vom 09.10.2002, -
das Themenpapier Nr. 05/2001 "Elektromagnetische Felder und Gesundheit" des Europäischen Parlaments,
Generaldirektion Wissenschaft - Direktion A, STOA-Technikfolgenabschätzung und - eine Mitteilung zu einem
Forschungsvorhaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
Mit Bescheid vom 05.08.2004 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für eine Hochfrequenz-
Strahlenschutzkleidung ab. Die Schutzkleidung sei nicht erforderlich. Es bestehe keine medizinische Indikation für die
Schutzkleidung. Die Störung des Calziumhaushaltes beruhe einzig und allein auf einem erworbenen und bestehenden
Hypoparathyreoidismus und sei nicht die Folge von Strahlung. Die bloße Annahme eines derartigen Zuammenhanges
sei für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht ausreichend.
Mit Schreiben vom 26.08.2004 wurde Widerspruch eingelegt. Die Schutzkleidung sei für die weitere Berufsausübung
dringend notwendig. Die Anfälligkeit der Klägerin für jegliche Strahlung steige. Ob durch eine Gewährung der Leistung
ein Präzedenzfall geschaffen werde, sei kein medizinischer Grund für eine Ablehnung der beantragten Leistung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Störung des
Calziumhaushaltes beruhe auf dem Hypoparathyreoidismus und sei nicht Folge der Strahlungen, sodass die begehrte
Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung nicht zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit diene. Es könne nur der Stand
der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzbar gemacht werden und nur anerkannte medizinische
Erkenntnisse der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Danach müsse davon ausgegangen werden, dass die
begehrte Schutzkleidung nicht zum Erfolg führen werde. Für den Strahlenschutz sei die Strahlenschutzbehörde
zuständig, für den Arbeitsschutz im Übrigen der Arbeitgeber. Der Rentenversicherungsträger könne nur Hilfsmittel
finanzieren, die eine Behinderung ausgleichen, nicht aber Mittel, die vor schädlichen Arbeitseinflüssen schützen
würden. Die begehrte Schutzkleidung sei kein Hilfsmittel, das zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes
diene.
Mit Schreiben vom 07.02.2005 wurde Klage erhoben. Zur Begründung wurde auf ein Attest des behandelnden
Orthopäden verwiesen, wonach der letzte tetanische Anfall wegen Calziummangels vor sechs Monaten erfolgt sei. Es
habe sich eine Besserung ergeben, weil die Klägerin einen Strahlenschutzanzug erhalten habe. Die Klägerin selbst
führt an, dass die Kenntnisse der Beklagten veraltet seien. Sie könne sich von Zeit zu Zeit einen Schutzanzug
ausleihen, weshalb sich der Calziumspiegel normalisiert habe. Ohne Schutzkleidung könne sie sich jedoch nur dort
aufhalten, wo eine Belastung durch elektromagnetische Strahlungen nicht zu befürchten sei. Weiter wurde vorgelegt
eine Stellungnahme einer behandelnden Ärztin sowie eine Auswertung ärztlicher Erhebungen in Oberfranken bei 356
Personen zu Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern.
Zur Abklärung der Ursache der Tetanien regte die Beklagte ein endokrinologisches Gutachten an, dem die Klägerin
zustimmte. Expositionsversuche mit und ohne Strahlenbelastung lehnte die Klägerin als völlig indiskutabel ab.
Kurz vor der mündlichen Verhandlung wechselten die Klägerbevollmächtigten. Die Klagebegründung wurde
dahingehend ergänzt, dass die Beklagte keine Bedenken wegen eines Präzedenzfalles haben müsste, da der
vorliegende Fall einzigartig sei. Wegen des Ausbaus des Mobilfunknetzes bestünden die Probleme praktisch an
jedem Arbeitsplatz, sodass die generelle Ewrerbsfähigkeit der Klägerin gefährdet oder gemindert sei. Die
elektromagnetischen Felder seien aufgrund der Verbreitung der Mobilfunktechnik allgegenwärtig.
Weiter wurde ausgeführt, dass ein offenkundiger Zusammenhang zwischen der Strahlungsbelastung und den
Calziumkrisen bestünde. Die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImschV sei kein Beleg für das Fehlen des
Kausalzusammenhanges, weil bereits fraglich sei, ob die 26. BImschV Schutz vor Schäden durch nichtthermische
Reaktionen gewährleiste. Dies ergebe sich aus der Begründung der Verordnung. Die Klägerin sei gesundheitlich durch
den Verlust der Schilddrüsen vorgeschädigt. Es sei wissenschaftlich anerkannt, dass elektromagnetische Felder den
Calzium-Ausstrom aus Zellen beeinflussen. Hingewiesen wurde auf entsprechende Versuche mit Zellkulturen. Die
Klägerin habe sachverständige Zeugen benannt und umfangreiches Belegmaterial vorgelegt. Nach den Grundsätzen
des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13.02.2004, Az.: V ZR 217/03 komme im Rahmen eines
zivilrechtlichen Unterlassungsanspruches der Einhaltung der Grenz- oder Richtwerte nur die Bedeutung bei, dass die
Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung indiziert sei. Diese Indizwirkung werde erschüttert, sofern die Klägerin
Umstände dargelegt und beweist um den Tatbestand des § 906 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die
Indizwirkung zu nehmen. Ein Kläger müsse nicht nachweisen, dass eine Beeinträchtigung wesentlich sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20.01.2005 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme für
eine Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der Klageakte sowie den
Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie erweist sich aber als nicht begründet. Die
Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Hochfrequenz-Strahlenschutzkleidung.
Nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben, um den Auswirkungen einer Krankheit oder Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten
entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit oder ein vorzeitiges
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder Versicherte möglichst dauerhaft wieder in das Erwerbsleben
einzugliedern. Die persönlichen Voraussetzungen sind nach § 10 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn die Erwerbsfähigkeit
wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet oder bereits gemindert ist und voraussichtlich durch die
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben die Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert, wiederhergestellt oder zumindest
erhalten werden kann. Nach § 16 SGB VI werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 33 bis 38 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) erbracht.
1. Ein Anspruch gegen die Beklagte besteht schon deswegen nicht, weil die Beklagte für die begehrte Leistung nicht
zuständig ist. Es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen der begehrten Leistung und der Erwerbstätigkeit der
Klägerin.
Bereits der Begriff "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben" zeigt, dass die Rentenversicherung nur dann Träger von
Leistungen sein kann, wenn die Leistungen final darauf ausgerichtet sind, die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu
fördern. Dies wird durch die Aufgabenbeschreibung in § 9 Abs. 1 SGB VI bestätigt. Auch die Beschreibung der
einzelnen Arten der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in § 33 SGB IX zeigt, dass ein enger innerer
Zusammenhang der Leistungen mit der Erwerbstätigkeit bestehen muss.
Der Strahlenschutzanzug wäre der Art nach ein Hilfsmittel nach § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX oder eine technische
Arbeitshilfe nach § 33 Abs. 8 Nr. 5 SGB IX. Aus § 33 Abs. 8 Nr. 4 und 5 SGB IX ergibt sich jedoch, dass derartige
Hilfsmittel bzw. Arbeitshilfen nur dann förderfähige Leistungen sein können, wenn sie zur Berufsausübung bzw. am
Arbeitsplatz erforderlich sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 12.10.1988, Az.: 3
RK 29/87) ist die gesetzliche Rentenversicherung dann zuständiger Träger, wenn ein Hilfsmittel für die konkrete
Beschäftigung erforderlich ist. Ist das Hilfsmittel aber zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse notwendig oder
um überhaupt eine Tätigkeit ausüben zu können, ist der Rentenversicherungsträger nicht zuständig. Insgesamt muss
für eine Zuständigkeit der Rentenversicherung eine berufsbezogene Notwendigkeit für die Leistungen bestehen, d.h.
ein innerer Zusammenhang der Leistung mit der Erwerbstätigkeit.
Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Ursächlichkeit elektromagnetischer Strahlung für ihre
Gesundheitsbeeinträchtigungen als zutreffend unterstellt, besteht kein innerer Zusammenhang der beantragten
Leistung mit der Erwerbstätigkeit der Klägerin. Wie die Klägerin darlegt, sei sie bei jedweder Form der
Lebensgestaltung durch ihre Erkrankung beeinträchtigt. Beim Einkaufen, bei einem Restaurantbesuch, bei einer Fahrt
mit dem Zug, kurz in allen Lebensbereichen sei sie von der elektromagnetischen Strahlung beeinträchtigt. Auch zur
mündlichen Verhandlung am 06.12.2005 hat die Klägerin einen Strahlenschutzanzug getragen. In der letzten
Klagebegründung wird ausgeführt, dass die elektromagnetischen Felder aufgrund der Verbreitung der Mobilfunktechnik
allgegenwärtig seien. Diese Einschätzung ist zutreffend: Nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine
Anfrage vom 11.10.2004 (Bundestags-Drucksache 15/3906) befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland
70.884 Mobilfunkbasisstationen. Damit ist ein Strahlenschutzanzug keine Leistung, die für die konkrete
Erwerbstätigkeit der Klägerin erforderlich wäre. Es würde sich vielmehr nach dem Vortrag der Klägerin um ein
Hilfsmittel handeln, das zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse in allen Lebenslagen notwenig wäre. Damit ist
aber eine Zuständigkeit der Beklagten als Trägerin von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeschlossen.
Ein innerer Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit der Klägerin wird auch nicht durch den Sendeturm in der Nähe
des Arbeitsplatzes geschaffen. Dieser Sendeturm hat mit der Erwerbstätigkeit selbst nichts zu tun, er befindet sich
zufällig in der Nähe des Arbeitsplatzes. Der Träger der Rentenversicherung ist nicht dafür zuständig, zufällige
Umgebungseinflüsse abzuwehren.
Zur Verdeutlichung der fehlenden Zuständigkeit der Beklagten wird auf folgende Beispiele hingewiesen: Wenn
Düsenflugzeuge den Arbeitsplatz überfliegen und dadurch besonderen Lärm verursachen würden, wäre der Träger der
Rentenversicherung nicht verpflichtet, für Lärmschutz (z.B. Schallschutzfenster am Arbeitsplatz) zu sorgen. Wenn
aufgrund einer Stoffwechselerkrankung eine besondere teure Diät erforderlich wäre, die mittelbar auch dazu dienen
würde, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, wäre der Träger der Rentenversicherung nicht verpflichtet, diese Diät als
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu bezahlen.
2. Eine Erfolgsaussicht der begehrten Leistung, d.h. ob der Strahlenschutzanzug die Erwerbsfähigkeit tatsächlich
verbessert oder erhält, ist nicht beweisbar. Es besteht lediglich eine Kausalvermutung der Klägerin, dass
elektromagentische Strahlung die Calziumkrisen auslöst. Damit fehlt es an der erforderlichen Erfolgsaussicht der
begehrten Leistung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI.
Die Kausalvermutung der Klägerin und einiger ihrer behandelnden Ärzte beruht auf dem räumlich-zeitlichen
Zusammenhang des Arbeitsplatzwechsels von H. zum H. und der nachfolgenden gesundheitlichen Entwicklung. Als
weitere Argumente werden der Verlauf der medizinischen Rehabilitation in der Klinik H. und die Besserung des
Gesundheitszustandes infolge der leihweisen Benutzung eines Strahlenschutzanzuges vorgebracht.
Diese Kausalvermutungen sind nicht geeignet, die Kausalität der Strahlung für die Gesundheitseinschränkungen und
damit eine Erfolgsaussicht der begehrten Leistung zu beweisen. Ein Beweis ist dann gegeben, wenn das Gericht sich
die volle Überzeugung von den beweiserheblichen Tatsachen verschafft hat. Erforderlich ist ein so hoher Grad an
Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. Meyer-Ladewig u.a., Sozialgerichtsgesetz, 8.
Auflage, § 118 RdNr. 5). Hiervon kann keine Rede sein.
Es fehlen die wissenschaftlichen Grundlagen für die zentrale Frage, ob die Gesundheitsbeeinträchtigungen der
Klägerin durch die elektromagnetische Strahlung verursacht oder aufrecht erhalten wird. Die Forschung zur
Elektrosensibilität steckt in den "Kinderschuhen". Dies ergibt sich bereits aus den Quellen, die die Kägerin übermittelt
hatte:
- Prof. Dr. Heyo Eckel, der Vorsitzende des Ausschusses Um welt und Gesundheit der Bundesärztekammer, führt in
dem In terview in der Deutschen Ärzte Zeitung vom 04.10.2000 aus, dass es bislang nur wenige Arbeiten gibt, die
sich mit der Folgenabschätzung von gepulster Strahlung durch den Mobilfunk für den Menschen beschäftigen. Dabei
handelt es sich vor al lem um tierexperimentielle Studien.
- Das Themenpapier des Europäischen Parlaments Nr. 05/2001 zu elektromagnetischen Feldern und Gesundheit führt
insbesondere zur hier einschlägigen Störung des Calziumsspiegels aus, dass man annimmt, dass der Calziumspiegel
der Zellen unter elek tromagnetischer Strahlung absinke. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass man diese
Wirkung nur vermutet, nicht aber gesichertes Wissen hierzu hat.
- Im Freiburger Appell vom 09.10.2002 werden mehrere Erkrankun gen und mehrere Gesundheitsstörungen aufgeführt.
Die im vor liegenden Fall einschlägige Gesundheitsstörung, Calziumkrisen mit Tetanien, ist hier aber gerade nicht
aufgeführt.
- Die Berliner Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi zin hat bis Ende 2004 zahlreiche Tests durchgeführt,
um Elek trosensibilität bei Testpersonen nachzuweisen. Diese Versuche wurden Ende 2004 wegen Erfolglosigkeit
eingestellt.
Lediglich ergänzend wird auf die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zu Auswirkungen von
Mobilfunkstrahlung vom 11.10.2004 (Bundestags-Drucksache 15/3906) verwiesen. Dort hat die Bundesregierung
mitgeteilt, dass es bei Einhaltung der geltenden Grenzwerte nach derzeitigem international anerkanntem
wissenschaftlichem Erkenntnissstand keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit gegeben sind. Diese
Bewertung beruhe auf den Empfehlungen anerkannter unabhängiger internationaler Fachgremien wie der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der internationalen Kommission zum Schutz von nichtionisierenden Strahlen
(ICNIRP) sowie der Deutschen Strahlenschutzkommission. Einzelne vorliegende Hinweise auf biologische Effekte
unterhalb oder in der Nähe der Grenzwerte müssten durch weitere Forschungsanstrengungen geklärt werden.
Im vorliegenden Fall fehlt es nicht nur an den wissenschaftlichen Grundlagen für die Kausalvermutung der Klägerin,
es gibt auch mehrere denkbare Alternativursachen für die Gesundheitsprobleme der Klägerin.
Bereits 1982 hat die Klägerin die Schilddrüse und die Nebenschilddrüsen verloren. Die Nebenschilddrüsen produzieren
das Parathormon, das den Calziumstoffwechsel steuert. Das Fehlen der Nebenschilddrüsen hat u.a. einen
Calziummangel ggf. mit Tetanien zur Folge (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage unter
Hypoparathyreoidismus). Es wurde von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt, dass dieser Calziummangel wegen
des Fehlens der Nebenschilddrüsen bei ihr besteht. Dies wurde von ihr, den Klägerbevollmächtigten und auch von
ihren behandelnden Ärzten als Vorschädigung bezeichnet. Aus diesem Grund wurde seit 1982 Calzium subsituiert.
Dazu, dass neben dieser grundlegenden Störung des Calziumhaushaltes die elektromagnetische Strahlung einen
wesentlichen Beitrag zu den Calziumkrisen der Klägerin leistet, fehlt es an belastbaren Beweisen. Ein
endokrinologisches Gutachten wurde trotz Bereitschaft der Klägerin nicht erstellt, weil der Hypoparathyreoidismus der
Klägerin unbestritten vorliegt und ein endokrinologisches Gutachten nicht geeignet wäre, einen Anspruch der Klägerin
auf eine Strahlenschutzkleidung zu begründen. Ein Gutachten mit Expositionsversuchen (mit und ohne
Strahlenexposition) kam nicht in Betracht, weil die Klägerin dies - aus ihrer Sicht durchaus verständlich - ablehnte und
es an den wissenschaftlichen Grundlagen zur Bewertung der Ergebnisse derartiger Versuche fehlt. Die
Amtsermittlungspflicht des Gerichtes nach § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geht nicht weiter als der derzeitige
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Auch ein behandelnder Arzt erörtert eine weitere Ursache, die die Ursachenvermutung der Klägerin in Frage stellt. Die
Klägerin leide unter einer Schwermetallintoxikation wegen Amalgamfüllungen der Zähne. Es erfolge eine
Zahnsanierung. Die Klägerin könnte also auch die Amalgambelastung für ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen
verantwortlich machen. Die von der Klägerin zuletzt berichtete deutliche Besserung des Gesundheitszustandes
könnte dann auf die mittlerweile erfolgte Zahnsanierung zurückgeführt werden.
Der Klägerbevollmächtigte hat auf das Urteil des BGH vom 13.02.2004, Az.: V ZR 217/03 (NJW 2004, S. 1317) zum
Strahlenschutz und der 26. BImschV verwiesen. Hierbei ging es um einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch
gegen einen Betreiber einer Mobilfunksendeanlage. Dies ist aber eine völlig andere materiell- und prozessrechtliche
Situation als im vorliegenden Klageverfahren. Beim zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch geht es um die Frage, ob
ein Betroffener von einem Störer, d.h. hier einem Betreiber einer Mobilfunkanlage, ein Unterlassen der Einwirkung
verlangen kann. Hier stellt § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit der 26. BImschV eine Beweislastverteilung
dergestalt dar, dass die Einhaltung der Grenzwerte ein Indiz für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung ist. Der
Störer muss also zunächst nur die Einhaltung der Grenzwerte nachweisen. Wenn aber der Betroffene besondere
Umstände des Einzelfalls darlegt und beweist, dass ein wissenschaftlich begründeter Zweifel an der Richtigkeit der
festgelegten Grenzwerte und ein fundierter Verdacht einer Gesundheitsgefährdung besteht, dann wird diese
Indizwirkung der Einhaltung der Grenzwerte erschüttert. In diesem Fall muss dann der Störer die Unwesentlichkeit der
Beeinträchtigung weiter beweisen. Diese Beweislastverteilung ist hier schon deswegen nicht einschlägig, weil die
Beklagte nicht Betreiberin von Mobilfunkanlagen ist.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen
Strahlenschutzanzug gegen die Beklagte hat, weil die Beklagte für eine derartige Leistung nicht zuständig ist und weil
es aufgrund des derzeitigen Stands der Wissenschaft keine Beweise für die Verursachung der Gesundheitsprobleme
der Klägerin durch die elektromagnetische Strahlung gibt.
Abschließend sei auf Folgendes hingewiesen: Die Klägerin hat auch bei der Agentur für Arbeit, der Krankenkasse und
der Berufsgenossenschaft einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Strahlenschutzkleidung gestellt. Sie geht
davon aus, dass irgendein Träger der Sozialversicherung für diese Leistung zuständig sein muss. Angesichts der
langjährigen Arbeitsunfähigkeit und der überschaubaren Kosten für einen derartigen Strahlenschutzanzug (nach
Angaben der Klägerin rund 2.400 EUR) ist zu bedenken, dass einerseits die Grenzen der wissenschaftlichen
Erkenntnis im Hinblick auf eine Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Strahlung nicht nur den Anspruch
gegen den Rentenversicherungsträger betreffen und dass andererseits durchaus Bedarfssituationen bestehen können,
für die kein Sozialversicherungsträger die Kosten übernehmen muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.