Urteil des SozG Augsburg vom 13.09.2005
SozG Augsburg: einkommen aus erwerbstätigkeit, zukunft, anfang, verwaltungsakt, beitrag, rücknahme, ergänzung, durchschnitt, freibetrag, vorrang
Sozialgericht Augsburg
Urteil vom 13.09.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 AS 292/05
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 37/05
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 20. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21. Juli 2005 verurteilt, für September 2005 weitere 120,00 EUR zu bewilligen. II. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen. III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Berücksichtigung des Existenzgründungszuschusses (EGZ) - § 421 l des Sozialgesetzbuches Drittes
Buch (SGB III) als Einkommen nach § 11 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) und die Berücksichtigung
der Betriebsausgaben.
Der Kläger, geb. 1965, hatte zum 01.01.2005 Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt.
Der Kläger betreibt seit 01.09.2003 als Selbstständiger eine Schuhreparatur mit Schlüsseldienst. Dies wird von der
Agentur für Arbeit Augsburg mit EGZ gefördert und zwar seit 01.09.2004 in Höhe von 360,00 EUR und ab 01.09.2005
in Höhe von 240,00 EUR.
Mit Bescheid vom 09.03.2005 und Weiterbewilligungsbescheid vom 16.03.2005 bewilligte die Beklagte für den Kläger,
die Ehefrau und ein Kind Leistungen nach SGB II in Höhe von 1.237,91 EUR für die Zeit bis 30.09.2005.
Im Weiteren wurde mit Bescheiden vom 30.05.2005 die Leistungsbewilligung insoweit zurückgenommen, als
monatlich der EGZ in Höhe von 360,00 EUR abzüglich Beitrag zur Rentenversicherung in Höhe von 78,00 EUR
angerechnet wurde. Auf den Widerspruch des Bevollmächtigten vom 02.06.2005 wurde mit Bescheid vom 20.06.2005
die Rücknahme auf die Zeit vom 01.07.2005 bis 30.09.2005 begrenzt.
Unter Berücksichtigung dieser Abhilfe wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2005
zurückgewiesen.
Dagegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 02.08.2005 Klage zum Sozialgericht Augsburg ein.
Dargelegt wurde, dass aus der selbstständigen Tätigkeit bisher kein Gewinn erzielt werde, den Betriebsausgaben in
Höhe von 682,56 EUR monatlich nur Einnahmen in Höhe von 165,60 EUR im Durchschnitt gegenüberstünden. Der
EGZ sei nicht Einkommen im Sinn von § 11 SGB II, der Verlust aus der selbstständigen Tätigkeit sei zu
berücksichtigen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13.09.2005 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
21.07.2005 zu verurteilen, es für die Zeit vom 01.07.2005 bis 30.09.2005 bei der monatlichen Leistungsbewilligung in
Höhe von 1.237,91 EUR zu belassen.
Die Vertreterin der Beklagten beantragte im Termin die Klageabweisung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Leistungsakte der Beklagten sowie der Klageakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur bezüglich einer Korrektur für September 2005 begründet.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 19
Satz 1 Nr. 1 SGB II). Das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen mindert den Anspruch (§ 19 Satz 2 SGB
II).
Dem SGB II liegt der Grundgedanke zu Grunde, dass jeder Mensch grundsätzlich selbst dafür verantwortlich ist,
seinen eigenen Unterhaltsbedarf zu sichern. Nur soweit er hierzu nicht fähig ist hat der Staat dafür die entsprechende
Verantwortung zu übernehmen (Bundestagsdrucksache vom 05.09.2003, 15/1516, S. 44). Als besonders wichtiger
Leistungsgrundsatz ist die Nachrangigkeit der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei der Grundsicherung
für Arbeitsuchende festgelegt. Leistungen der Grundsicherung dürfen vom Träger der Grundsicherung nur erbracht
werden, falls die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann (§ 3 Abs. 3 SGB II). Der Nachrang von
Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht auch im Verhältnis zu anderen Leistungen. Solche
Leistungen sind insbesondere Leistungen anderer Sozialleistungsträger (§ 5 Abs. 1 SGB II).
Vorrangig sind nur z.B. bestimmte Leistungen nach SGB III. Welche derartigen Leistungen nach SGB III vorrangig
sind, bestimmt § 22 Abs. 4 SGB III. § 421 l SGB III ist in § 22 Abs. 4 SGB III nicht aufgeführt. Bezüglich des
Existenzgründungszuschusses gilt also die allgemeine Nachrangigkeitsregelung des SGB II. Der
Existenzgründungszuschuss ist somit für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit als Einkommen zu berücksichtigen. Es
kann sich nur - wie im Falle des Klägers - aus SGB II ein Aufstockungsanspruch ergeben, solange aus der
selbstständigen Tätigkeit noch kein Gewinn erzielt wird (vgl. Eicher/Spellbrink, Kommentar SGB II, § 5 Rdnr 9, 10).
Die Beklagte hat somit zutreffend dem Grunde nach den Existenzgründerzuschuss als die Hilfebedürftigkeit
verminderndes Einkommen im Sinne von § 11 SGB II berücksichtigt.
Es kommen auch keine weiteren Absetzbeträge in Betracht über die von der Beklagten angesetzten hinaus. Der
Existenzgründungszuschuss ist einkommensteuerfrei, so dass ein Absetzbetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB
II nicht in Betracht kommt. Die Beiträge zur Pflichtversicherung in der Rentenversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 des
Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) sind bei der Berechnung der Höhe des anzurechnenden EGZ mit 78,00
EUR zutreffend in Abzug gebracht.
Als Absetzbeträge kommen noch die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben in
Betracht und für Erwerbstätige ein Betrag nach § 30 SGB II (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, 6 SGB II). Diese
Abzugsbeträge können sich aber nur auf Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit beziehen. Beim
Existenzgründungszuschuss handelt es sich jedoch um einen pauschalen Beitrag zum Lebensunterhalt (Ralf Becker
in Praxiskommentar SGB III, 2. Auflage, § 421 l Rdnr 6), nicht um ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Die
Betriebsausgaben des Klägers können somit nur gegenüber den Betriebseinnahmen in Abzug gebracht werden.
Solange die Betriebsausgaben die Betriebseinnahmen übersteigen, wird somit (nur) kein sonstiges nach § 11 SGB II
zu berücksichtigendes Einkommen erzielt. Entsprechendes gilt für den Einkommensfreibetrag nach § 30 SGB II bzw.
§ 3 Nr. 2 Arbeitslosengeld-II-Sozialgeld-Verordnung. Der Freibetrag dient auch dem Ausgleich erwerbsbedingter
Mehraufwendungen (Eicher/Spellbrink, SGB II, § 30 Rdnr 5).
Somit war die Leistungsbewilligung wegen Nichtberücksichtigung des EGZ von Anfang an rechtswidrig im Sinn von §
45 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X).
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet hat, rechtswidrig ist, ist
er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 mit Wirkung für die Zukunft
zurückzunehmen (§§ 45 Abs. 1 SGB X, 330 Abs. 2 SGB III, 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Das Vertrauen auf einen
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt ist in der Regel schutzwürdig, wenn die erbrachte Leistung verbraucht
worden ist oder eine irreversible Vermögensdisposition getroffen wurde (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Bei Aufhebungen
für die Zukunft liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Insoweit hat das öffentliche Interesse an der Korrektur
rechtswidriger Verwaltungsakte Vorrang. Die Beklagte hat insoweit zutreffend die Rücknahme auf die Zukunft
(01.07.2005) beschränkt, auch wenn die Nichtberücksichtigung des EGZ von Anfang an rechtswidrig gewesen war.
Der Bescheid vom 20.06.2005 war für September 2005 nur insoweit zu korrigieren, als der Kläger ab September 2005
nur noch 240,00 EUR EGZ erhält.
Im Übrigen war die Klage mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge
abzuweisen. Bei dem nur geringfügigen Erfolg war auf eine Kostentragungspflicht der Beklagten nicht zu erkennen.