Urteil des SozG Augsburg vom 20.04.2005

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Sozialgericht Augsburg
Urteil vom 20.04.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 10 KR 320/04
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. III. Die Sprungrevision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Offenlegungspflicht betreffend die Höhe der jährlichen Vergütungen ihrer einzelnen
Vorstandsmitglieder einschließlich Nebenleistungen sowie deren wesentlichen Versorgungsleistungen.
Die Beklagte hat die Klägerin mit Nachricht vom 27.05.2004 aufgefordert, ihrer Veröffentlichungspflicht nach § 35 a
Abs. 6 Satz 2 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV)
nachzukommen. Danach sei die Vergütung und die Gewährung weiterer Leistungen ihres Vorstandes im
Bundesanzeiger sowie der eigenen Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen.
Mit Nachricht vom 06.07.2004 hat die Beklagte die Klägerin an ihre Veröffentlichungspflicht für Vorstände der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gemäß § 35 a Abs. 6 Satz 2 SGB IV erinnert.
Im Folgenden hat die Beklagte am 05.08.2004 einen entsprechenden Verpflichtungsbescheid gemäß § 89 Abs. 1 Satz
2 SGB IV erlassen. "Die BKK E. wird verpflichtet, die Höhe der jährlichen Vergütung der Vorstandsmitglieder
einschließlich Nebenleistungen sowie die wesentlichen Versorgungsregelungen für das Jahr 2004 unverzüglich sowie
in den Folgejahren jeweils zum 1. März im Bundesanzeiger und in ihrer Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen."
Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 03.09.2004 ging am 06.09.2004 im Sozialgericht Augsburg ein. Vonseiten
des Gerichts wurden die Akten der Beklagten beigezogen.
Die Klägerin und die Beklagte trugen mit wechselseitigen Schriftsätzen im Wesentlichen vor, dass § 35 a Abs. 6 Satz
2 SGB IV verfassungswidrig bzw. verfassungskonform sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2005 in Immenstadt erschien für die Beteiligten wie angekündigt niemand.
Die Klägerin hat bereits mit Klageschrift vom 03.09.2004 beantragt,
den Verpflichtungsbescheid vom 05.08.2004, eingegangen am 09.08.2004, in dem die BKK E. verpflichtet wird, die
Höhe der jährlichen Vergütung der Vorstandsmitglieder einschließlich Nebenleistungen sowie die wesentlichen
Versorgungsregelungen für das Jahr 2004 unverzüglich sowie in den Folgejahren jeweils zum 1. März im
Bundesanzeiger und in ihrer Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen, aufzuheben.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29.09.2004 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend befürwortete die Beklagte mit Nachricht vom 15.03.2005 die Zulassung der Sprungrevision gegen die zu
erwartende Entscheidung gemäß § 161 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und erklärte ausdrücklich ihre
Zustimmung nach § 161 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 SGG.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Unterlagen der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Augsburg form- und fristgerecht erhobene Klage ist gemäß §§
51 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Eines Vorverfahrens hat es hier gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
SGG nicht bedurft.
Die Klage erweist sich als unbegründet. Der Gesetzgeber hat mit Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190) § 35 a
Abs. 6 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) wie folgt durch die
Sätze 2 und 3 ergänzt: " ... Die Höhe der jährlichen Vergütungen der einzelnen Vorstandsmitglieder einschließlich
Nebenleistungen sowie die wesentlichen Versorgungsregelungen sind in einer Übersicht jährlich zum 01.03., erstmalig
zum 01.03.2004 im Bundesanzeiger und gleichzeitig, begrenzt auf die jeweilige Krankenkasse und ihre Verbände, in
der Mitgliederzeitschrift der betreffenden Krankenkasse zu veröffentlichen. Die Art und die Höhe finanzieller
Zuwendungen, die den Vorstandsmitgliedern im Zusammenhang mit ihrer Vorstandstätigkeit von Dritten gewährt
werden, sind dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Verwaltungsrates mitzuteilen."
Dieser Pflicht ist die Klägerin aktenkundig bislang nicht nachgekommen. Die Klage gegen den Verpflichtungsbescheid
vom 05.08.2004 im Sinne von § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist daher abzuweisen gewesen.
Kernpunkt des Rechtsstreits ist, ob § 35 a Abs. 6 Satz 2 SGB IV verfassungskonform ist oder nicht. Eine Vorlage an
das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ist nicht erforderlich gewesen,
weil das erkennende Gericht § 35 a Abs. 6 SGB IV in der nunmehr gültigen Fassung nicht für verfassungswidrig hält.
Im Einzelnen:
Entsprechend Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die
Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. - Das
allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst im Rahmen seines sachlichen Schutzbereiches auch das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung (Di Fabio in Maunz-Dürig, Rdz 173 ff zu Art. 2 Abs. 1 GG). Das informationelle
Selbstbestimmungsrecht ist damit Ausprägung eines sich an moderne Entwicklungen anpassenden
Persönlichkeitsschutzes. Insoweit hebt die Klägerin mit Klagebegründung vom 28.09.2004 grundsätzlich zutreffend
hervor, dass eine Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden
Allgemeininteresse zulässig ist.
Aus der Sicht des erkennenden Gerichts besteht ein solches "überwiegendes Allgemeininteresse" (vgl. Di Fabio in
Maunz- Dürig, Rdz 181 zu Art. 2 Abs. 1 GG) im Hinblick auf das in Art. 20 Abs. 1 GG normierte Sozialstaatsprinzip. -
Das System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist durch das Solidaritätsprinzip gekennzeichnet. Die Mittel
werden gemäß §§ 220 ff des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) grundsätzlich
paritätisch aufgebracht. Die Verwendung und Verwaltung der Mittel (vgl. §§ 259 ff SGB V) hat im Hinblick auf das in §
12 SGB V normierte Wirtschaftlichkeitsgebot sparsam zu erfolgen. - Die Veröffentlichung von Vergütungen der
einzelnen Vorstandsmitglieder einschließlich Nebenleistungen ist grundsätzlich geeignet einen Beitrag zur
Kostendämpfung zu leisten.
Der Gesetzgeber hat somit durch § 35 a Abs. 6 Satz 2 SGB IV dem in Art. 20 Abs. 1 GG normierten
Sozialstaatsprinzip Vorrang eingeräumt vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Sinne von Art. 2
Abs. 1 GG. - Insoweit sind Vorstände gesetzlicher Krankenkassen in einer ähnlichen Situation wie Spitzenpolitiker,
hohe Beamte oder Richter. Auch deren Bezüge können dem Bundesgesetzblatt bzw. den entsprechenden
Gesetzblättern der Länder entnommen werden. Nachdem der Leserkreis des Bundesanzeigers ebenfalls als gering
anzusehen ist, ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Vorstände von Krankenkassen nur gering tangiert.
Im Übrigen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die unmittelbar betroffenen Mitglieder aus der
jeweiligen Mitgliederzeitschrift informiert werden.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht unmittelbar in
eigenen (Grund-)Rechten betroffen ist. Wenn sie sich gegen den Verpflichtungsbescheid der Beklagten vom
05.08.2004 wendet, nimmt die Klägerin vielmehr die Interessen ihrer Vorstände wahr.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen gewesen. - Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 193 und 197 a
SGG.
Die Sprungrevision ist gemäß §§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 161 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen
gewesen.