Urteil des SozG Aachen vom 20.06.2006

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Sozialgericht Aachen, S 11 AS 92/05
Datum:
20.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 11 AS 92/05
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 24.08.2005 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2005 verurteilt,
der Klägerin und dem Kläger Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende ab dem 01.08.2005 als Beihilfe anstatt als Darlehen zu
gewähren. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin und des Klägers zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin und dem Kläger angesichts der Größe
des von ihnen bewohnten Hausgrundstücks die Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende als Beihilfe oder lediglich als Darlehen zustehen.
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Die Klägerin (geboren am 00.00.1950) und der Kläger (geboren am 00.00.1948)
bewohnen ein in ihrem Eigentum stehendes Hausgrundstück; die Wohnfläche beträgt
105 qm, die Gesamtfläche 1380 qm; weiteres Vermögen neben dem Hausgrundstück ist
nicht vorhanden. Nachdem die Beklagte Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende zunächst als Beihilfe gewährt hatte, bewilligte sie mit Bescheid vom
24.08.2005 die Leistungen ab dem 01.08.2005 nur noch darlehensweise und führte zur
Begründung aus, das Hausgrundstück sei unangemessen groß, da es den
maßgeblichen Grenzwert von 800 qm Gesamtgröße überschreite. Ihren am 13.09.2005
eingelegten Widerspruch begründeten Klägerin und Kläger damit, sie seien bereit, auf
580 qm im rückwärtigen Bereich des Grundstücks zu verzichten; dieser Grundstücksteil
sei jedoch nicht von der Straße aus zugänglich und die Nachbarn seien nicht am Ankauf
interessiert. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 29.09.2005 mit der
Begründung zurück, das Hausgrundstück stelle wegen Überschreitung der maximal
angemessenen Gesamtgröße kein geschütztes Vermögen dar und sein Verkehrswert
liege auch nach Abzug der derzeitigen Belastungen bei 133.680,49 Euro und somit über
dem ermittelten Vermögensfreibetrag i.H.v. 23.700.- Euro.
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Hiergegen richtet sich die am 07.11.2005 erhobene Klage.
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Klägerin und Kläger sind der Wertberechnung durch die Beklagte entgegengetreten und
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haben einen Lageplan des Grundstücks vorgelegt.
Die Klägerin und der Kläger beantragen,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.08.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29.09.2005 zu verurteilen, ihnen Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 01.08.2005 als Beihilfe anstatt als Darlehen
zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält es - analog dem Verfahren bei unangemessenen Kraftfahrzeugen - für
zumutbar, ein unangemessen großes Hausgrundstück zu veräußern, um sodann vom
Veräußerungserlös ein angemessen großes zu erwerben. Der hierzu benötigte Teil des
Erlöses sei als Schonvermögen anzusehen.
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Das Gericht hat eine Auskunft der Beklagten zu den Kosten einer Teilungsvermessung
eingeholt sowie die Richtwertliste des Gutachterausschusses für Grundstückswerte im
Kreis I (Stand 01.01.2005) beigezogen. Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige
Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen sind
rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin und der
Kläger haben Anspruch auf Leistungen in Form der Beihilfe.
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Streitig ist nach dem eindeutigen Klageantrag die Leistungsgewährung im Zeitraum ab
dem 01.08.2005. Der vorangehende Bescheid vom 08.08.2005, mit dem die Leistungen
für Juli 2005 vorläufig darlehensweise gewährt worden sind, ist nicht angefochten.
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Dass grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende besteht, ist nicht streitig. Der Beklagte darf die Leistungsgewährung
auch nicht auf ein Darlehen nach § 9 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch -
Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) beschränken. Der Tatbestand der
Darlehensgewährung nach § 9 Abs. 4 SGB II wäre nur dann erfüllt, wenn das
Hausgrundstück zu berücksichtigendes Vermögen im Sinne dieser Vorschrift ist. Hieran
fehlt es jedoch, denn das Hausgrundstück bleibt nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2
Nr. 1 SGB II insgesamt unberücksichtigt.
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Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist ein selbst genutztes Hausgrundstück von
angemessener Größe als Vermögen nicht zu berücksichtigen. Den Begriff der
Angemessenheit definiert das Gesetz (bis auf den Hinweis auf die während des
Leistungsbezugs maßgeblichen Lebensumstände, § 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II) nicht
näher. Da das Gesetz anders als in § 90 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - Sozialhilfe
- (SGB XII) nicht von einem angemessenen Hausgrundstück spricht, ist der
Verkehrswert des Grundstücks nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift
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bei der Frage der Angemessenheit nicht zu berücksichtigen (Zeitler, in: Mergler/Zink,
SGB II/SGB XII, § 12 SGB II, Rn 90; Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12, Rn. 70).
Dies entspricht auch der Intention der Vorschrift, die angemessen große (nicht:
angemessen wertvolle) Wohnung als Lebensmittelpunkt zu schützen (Brühl, in: LPK-
SGB II, § 12, Rn. 43).
Die angemessene Größe der Wohnfläche wird von der Beklagten nicht angezweifelt
und ist angesichts des hier weitgehend für einschlägig gehaltenen Grenzwerts von 130
qm (vgl. hierzu die Nachweise bei Brühl, a.a.O., Rn. 44) auch zu bejahen. Soweit die
Beklagte aus der Überschreitung des entsprechenden Grenzwerts für die
Grundstücksgröße (800 qm in ländlichen Gebieten, vgl. auch hierzu die Nachweise bei
Brühl, a.a.O., Rn. 45) automatisch auf die Unangemessenheit des Hausgrundstücks
schließt, folgt das Gericht dem nicht.
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Wie der Konflikt zwischen Haus- und Grundstücksgröße zu lösen ist, gibt das Gesetz
nicht vor. Angesichts des Wortlauts abzulehnen ist jedenfalls die in der Literatur
vertretene Auffassung, es komme maßgeblich auf die Größe der Wohneinheit an (so
Brühl, a.a.O.). Festzuhalten ist allerdings, dass der Hilfebedürftige nicht zur
vollständigen Veräußerung eines Hausgrundstücks gezwungen sein darf, wenn das
Grundstück mit einem "an sich" angemessenen Wohnhaus bebaut ist, denn § 12 Abs. 3
Satz 1 Nr. 4 SGB II soll gerade die eigene Wohnung als Lebensmittelpunkt schützen
und will es dem Hilfebedürftigen im Zweifel nicht auferlegen, dass er sein
Hausgrundstück insgesamt veräußern muss, um es wirtschaftlich gleichsam gegen ein
angemessenes einzutauschen (Mecke, a.a.O., Rn. 73; Brühl, a.a.O., Rn. 43; vgl. auch
SG Berlin, Urteil vom 30.01.2004, S 58 AL 490/03, info also 2004, 164 ff. zur
arbeitsförderungsrechtlichen Rechtslage bis zum 31.12.2004). Die Kammer entnimmt
dies nicht allein "ideellen" Erwägungen zum Schutz eines bisherigen
Lebensmittelpunktes, sondern stützt ihr Ergebnis auch auf den Gegenschluss aus § 12
Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB II. Hieraus ergibt sich, dass die Auffassung der Beklagten, der
Erlös aus der Veräußerung eines unangemessenen Hausgrundstücks sei in Höhe der
zum Erwerb eines angemessenen Grundstücks benötigten Aufwendungen als
Schonvermögen anzusehen, nicht mit dem SGB II in Einklang steht. § 12 Abs. 3 Satz 1
Nr. 5 SGB II schützt Vermögen, das nachweislich zur baldigen Beschaffung eines
Hausgrundstücks von angemessener Größe bestimmt ist, nur insoweit, als das
Hausgrundstück zu Wohnzwecken behinderter oder pflegebedürftiger Menschen
bestimmt ist und dieser Zweck durch Einsatz oder Verwertung des Vermögens gefährdet
würde. Eine weite Auslegung dieses bewußt eng gefassten Ausnahmetatbestands
scheidet aus. Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund der Vorgängervorschriften über die
Berücksichtigung eines Hausgrundstücks beim Bezug von Arbeitslosenhilfe (Alhi)
auszulegen. Während hier nach § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 der einschlägigen Verordnung
(Alhi-VO) 1974 noch das zum alsbaldigen Erwerb angemessenen Wohnraums
bestimmte Vermögen geschützt war, verengte bereits § 1 Abs. 3 Nr. 5 Alhi-VO 2002 den
Schontatbestand auf Vermögen, das zur Erhaltung (nicht: zum Erwerb) von Wohnraum
verwendet werden sollte. All dem liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, wonach
die Bezieher von Fürsorgeleistungen ihr Vermögen vorrangig zum Lebensunterhalt und
nicht zum Erwerb von Immobilien einsetzen sollen. Für Fälle wie den vorliegenden
bedeutet dies aber zugleich, dass der Veräußerungserlös, soweit er den Freibetrag (§
12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) übersteigt, nicht als Schonvermögen anzusehen wäre und der
Hilfebedürftige Gefahr liefe, auf den vorrangigen Einsatz dieses Vermögens verwiesen
zu werden, ohne dass ihm sein Einwand weiterhelfen könnte, er wolle sich hiervon ein
angemessenes Hausgrundstück anschaffen. Dies aber führt dazu, dass der
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Hilfebedürftige vor der Neuinvestition des Veräußerungserlöses in ein Hausgrundstück
von angemessener Größe keinen Leistungsanspruch hat und die Neuinvestition des
Geldes selbst möglicherweise den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 4 Nr. 1 SGB II
verwirklicht sowie - was erheblich schwerer wiegt - einen Ersatzanspruch nach § 34
SGB II auslöst. Angesichts des oben dargestellten Normzwecks von § 12 Abs. 3 Satz 1
Nr. 4 und 5 SGB II erscheint es zumindest gut vertretbar, wenn der Leistungsträger dem
Hilfebedürftigen entgegenhält, es käme im Anwendungsbereich der §§ 31, 34 SGB II
nicht darauf an, ob die Bedürftigkeit durch den Erwerb von Schonvermögen
herbeigeführt worden ist.
Die Klägerin und der Kläger sind auch nicht auf eine Beleihung des Grundstücks als
Form der Verwertung (§ 9 Abs. 4 SGB II) verweisbar, denn auf diese Weise könnte
lediglich ein Vermögenszuwachs erzielt werden, der unter dem von der Beklagten
angenommenen Vermögensfreibetrag von 23.700.- Euro (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F.)
läge. Die Beklagte legt ihrer Wertberechnung einen qm-Preis von 6,20 Euro für die
rückwärtigen 400 qm des Grundstücks sowie von 11 Euro für die daran angrenzenden
356 qm zugrunde. Nach dieser Rechnung hätte die aus den 580 rückwärtigen qm
bestehende Fläche also einen Verkehrswert von 4.460.- Euro. Diese Werte erscheinen
auch angesichts der Richtwertliste des Gutachterausschusses für Grundstückswerte imn
Kreis I angemessen, denn es handelt sich ausschließlich um Hinterland, dessen Wert
sich nur auf einen Bruchteil (maximal 10 %) des Wertes von Bauland beläuft.
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Erst recht kann die Beklagte die Klägerin und den Kläger auch nicht auf eine
Abtrennung und Veräußerung der rückwärtigen 580 qm verweisen. Dies ergibt sich
bereits daraus, dass sich die Kosten einer Teilungsvermessung ausweislich der
eingeholten Auskunft auf 3.264.- Euro und somit auf beinahe drei Viertel des
Verkehrswertes des abzutrennenden Grundstücks belaufen würden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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