Urteil des SozG Aachen vom 04.06.2007

SozG Aachen: eheähnliche gemeinschaft, führung des haushalts, gemeinsamer haushalt, anfang, eigentümer, abgabe, angestellter, besuch, teilung, abrechnung

Sozialgericht Aachen, S 9 AS 53/07 ER
Datum:
04.06.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 9 AS 53/07 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1.Der Erlass auf Antrag einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2.Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Antragstellerin erhielt laufend die Regelleistung nach dem zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 345,-- EUR bis zum 31.01.2007 aufgrund einer
Bewilligung vom 02.08.2006. Auch für Februar und März - insoweit ohne schriftlichen
Bescheid - wurden jeweils 345,--EUR gezahlt. Ab April erfolgte keine Zahlung mehr. Die
Weitergewährung der Leistungen ab 01.04.2007 lehnte die Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 11.04.2007 ab, da die Antragstellerin mit dem Zeugen S. in einer
eheähnlichen Gemeinschaft zusammen lebe und im Hinblick auf das anzurechnende,
aber bei der Antragsgegnerin nicht angegebene Einkommen des Zeugen S.
Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht nachgewiesen sei.
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Mit ihrem am 10.04.2007 bei Gericht eingegangenen Antrag trägt die Antragstellerin vor,
ihr Freund, der Zeuge S., lasse sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse mietfrei
wohnen. Weitere Unterstützung erhalte sie nicht von ihm, es werde getrennt
gewirtschaftet und es seien getrennte Konten vorhanden. Sie sei mittellos und wisse
nicht, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten solle. Die Situation gefährde ihre kurz
vor dem Abschluss stehende Ausbildung zur Altenpflegehelferin, wo sie bereits eine
Beschäftigungzusage erhalten habe.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die
monatliche Regelleistung in Höhe von 345,-- EUR ab April 2007 und für die
Folgemonate weiter zu zahlen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragstellerin habe im Leistungsantrag am 11.07.2006 eine eheähnliche
Gemeinschaft mit dem Zeugen angegeben. Der Zeuge habe den Beginn der Beziehung
Anfang Juli 2006 bescheinigt. Die Antragstellerin wohne schon seit dem 05.01.2005 bei
dem Zeugen. Die Antragsgegnerin sei versehentlich von einem Jahr "Karenzzeit"
ausgegangen und habe daher zunächst Leistungen bewilligt. Sie gehe nach den
Umständen von einer eheähnlichen Gemeinschaft aus.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen R ... Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift des Termins vom
31.05.2007 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Ein Anordnungsanspruch besteht nicht.
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Nach § 86 b Abs.2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige
Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Es sind ein Anordnungsanspruch - hier ein Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II - und ein Anordnungsgrund - d. h. die Notwendigkeit einer
Eilentscheidung zur Abwendung wesentlicher Nachteile - glaubhaft zu machen.
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Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie zum leistungsberechtigten
Personenkreis nach § 7 SGB II gehört. Denn es fehlt an der Voraussetzung des § 7 Abs.
1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, wonach Personen Leistungen nur erhalten, wenn sie hilfebedürftig
sind. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und
den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht
oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Bei Personen, die in
einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des
Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Die Antragstellerin hat nicht
glaubhaft gemacht, dass unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bei ihr noch ein
Hilfebedarf besteht.
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Dies gilt auch nach eigener Darstellung der Antragstellerin für die Leistungen für
Unterkunft und Heizung, die konsequenterweise auch nicht beantragt sind, denn diese
Kosten trägt der Zeuge S. Aber auch der in voller Höhe geltend gemachte Regelsatz
steht der Antragstellerin auch schon nach ihrem eigenen Vortrag nicht zu, denn der
Zeuge S. trägt nach ihren und seinen eigenen Angaben darüber hinaus weitere Kosten,
die die Antragstellerin aus ihrer Regelleistung zu zahlen hätte, nämlich die Kosten für
Strom und für Warmwassernutzung. Insoweit ist seit Beginn des Leistungsbezugs eine
laufende Überzahlung entstanden.
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Hilfebedürftigkeit ist aber auch aus anderen Gründen insgesamt nicht glaubhaft
gemacht.
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Denn zur Bedarfsgemeinschaft gehört neben dem Hilfebedürftigen selbst auch dessen
Partner, der mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt, dass nach
verständiger Würdigkeit der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung für
einander zu tragen und für einander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c) SGB II),
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wobei dieser wechselseitige Wille vermutet wird, wenn Partner länger als ein Jahr
zusammenleben (§ 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II).
Eine Partnerschaft in diesem Sinne - von "eheähnlicher Gemeinschaft" spricht das
Gesetz nicht - liegt nach den bekannten Tatsachen bei der Antragstellerin und dem
Zeugen S. vor. Eine Paarbeziehung ist nicht Voraussetzung für die nach dem Gesetz
lediglich geforderte Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft (Sozialgericht
Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2007, S 29 AS 317/06 ER) liegt aber zur
Überzeugung des Gerichts hier vor. Denn die Antragstellerin hat im Leistungsantrag
vom 11.07.2006 das Verhältnis als eheähnliche Gemeinschaft gekennzeichnet und der
Zeuge S. hat im gleichen Monat eine Bescheinigung ausgestellt, wonach "unsere
Beziehung" erst Anfang Juli 2006 begonnen habe. Die verwendeten Begriffe gehen so
eindeutig über die von der Antragstellerin und dem Zeugen S. nunmehr behauptete
bloße Zweckwohngemeinschaft hinaus, dass es nicht glaubhaft erscheint, dass die
Bedeutung dieser Begriffe (insoweit) unbekannt gewesen sein sollte. Niemand käme auf
die Idee, eine Wohngemeinschaft als eheähnlich zu bezeichnen. Dass der Zeuge S.
nunmehr der Antragstellerin sogar eine wissentlich falsche Bescheinigung ausgestellt
haben will, um ihr einen Gefallen zu tun, kann das Gericht nicht glauben, zumal er sich
hiermit der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt hätte. Im Übrigen wäre aber
auch die Bereitschaft zur Abgabe falscher Bescheinigungen gegenüber Behörden eher
ein Indiz gegen die von der Antragstellerin nun behauptete lockere Zweckgemeinschaft.
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Für das Gericht entscheidend ist die Tatsache, dass der Zeuge S., der Eigentümer des
Wohnraums ist, die Antragstellerin nicht nur dort wohnen lässt, sondern - nach eigenen
Angaben je nach Bedarfslage - auch die auf sie entfallenden laufenden Kosten mit
übernimmt, insoweit also für die Antragstellerin einsteht. Soweit im übrigen § 7 Abs. 3
Ziffer 3 Buchst. c) einen gemeinsamen Haushalt voraussetzt, den die Antragstellerin und
der Zeuge bestreiten, kann dies einen Anspruch ebenfalls nicht begründen. Denn zur
Überzeugung des Gerichts liegt ein solcher gemeinsamer Haushalt vor. Dies ergibt sich
zum einen daraus, das offenbar eine verbrauchsscharfe Abrechnung von Kosten nicht
erfolgt (beispielsweise wiederum der Stromkosten). Die Tatsache, dass der Zeuge S.
nach eigener Bekundung zwar anlässlich des Zusammenziehens gehofft hatte, einen
Unkostenbeitrag von der Antragstellerin zu erhalten, hierauf aber wegen ihrer
finanziellen Verhältnisse nicht bestand zeigt, dass vorrangig vor dem Ziel der
Kostenersparnis das Ziel des gemeinsamen Wohnens war und das insoweit die
Bereitschaft bestand, auch aus einem Topf zu wirtschaften. Auch eine Teilung des
Arbeitsaufwandes, also der Führung des Haushalts, war vorgesehen. Soweit der Zeuge
vorgetragen hat, nicht über eigenes Geschirr zu verfügen und die eigene Küche
praktisch nicht zu benutzen, sondern nur im Betrieb oder bei seiner Mutter zu essen,
kann das Gericht dies ebenfalls nicht in vollem Umfang glauben. Die Nutzung der
Betriebskantine an Arbeitstagen und der gelegentliche Besuch der Mutter sind gut
nachvollziehbar, aber ohne jede Indizwirkung für oder gegen das Bestehen einer
Haushaltsgemeinschaft mit der Antragstellerin. Dass der Zeuge aber auch die Morgen-
und Abendmahlzeiten stets im Betrieb einnimmt, hat er auf präzisere Nachfrage des
Gerichts nicht aufrecht erhalten und insoweit durchaus gemeinsame Mahlzeiten
eingeräumt. Dass die Antragstellerin und der Zeuge ihr Verhältnis nunmehr so
beschreiben, als ob sie sich im Alltag kaum begegnen, hält das Gericht angesichts der
früher aktenkundigen Wortwahl - bis hin in die Antragsschrift - "eheähnliche
Gemeinschaft", "Beziehung", "mein Freund" nicht für glaubhaft, zumal auch der Zeuge
angegeben hat, er sei nicht gern allein und deshalb ein Freund von
Wohngemeinschaften.
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Der Zeuge ist Technischer Angestellter und nach eigenen Angaben vollzeitbeschäftigt.
Das Gericht geht vor diesem Hintergrund davon aus, das die Antragsgegnerin zu Recht
unterstellt, das sein Einkommen hoch genug ist, die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin
entfallen zu lassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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