Urteil des SozG Aachen vom 19.01.2005
SozG Aachen: eingriff in grundrechte, unbestimmter rechtsbegriff, meldung, beendigung, minderung, unverzüglich, bestimmtheit, verwaltung, mechaniker, firma
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Aachen, S 11 AL 91/04
19.01.2005
Sozialgericht Aachen
11. Kammer
Urteil
S 11 AL 91/04
Landessozialgericht NRW, L 19 AL 23/05
Arbeitslosenversicherung
nicht rechtskräftig
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 18.08.2004 in
der Fassung des Widerspruchs- bescheides vom 29.09.2004 verurteilt,
dem Kläger ungemindertes Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 23.07.
bis 14.10.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu
erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung des an ihn ausgezahlten
Arbeitslosengeldes (Alg) wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend.
Der am 00.00. 0000 geborene Kläger arbeitete zuletzt vom 23.07.2003 bis zum 22.07.2004
aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages als Mechaniker bei der Firma T D A GmbH in B.
Am 20.07.2004 meldete er sich arbeitlos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte mit
Bescheid vom 18.08.2004 Alg, nahm jedoch zugleich eine Minderung i.H.v. 1050.- Euro für
die Zeit vom 23.07. bis 14.10.2004 vor mit der Begründung, der Kläger habe sich 88 Tage
zu spät arbeitsuchend gemeldet. Seinen am 16.09.2004 eingelegten Widerspruch wies sie
mit Bescheid vom 29.09.2004 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Seit 18.10.2004 ist der Kläger
wieder in Arbeit.
Der Kläger führt aus, er habe bis kurz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf eine
ihm mehrfach in Aussicht gestellte Verlängerung vertraut. Im Übrigen lasse sich dem
Gesetz nicht entnehmen, wann die Meldung in den Fällen der Beendigung eines
befristeten Arbeitsverhältnisses zu erfolgen habe. Gemäß dem Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung sei jedenfalls nur eine Meldung kurz vor Beendigung des
Arbeitsverhältnisses sinnvoll.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.08.2004 in der Fassung des
Widerspruchs- bescheides vom 29.09.2004 zu verurteilen, ihm ungemindertes
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Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 23.07. bis 14.10.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger habe sich genau drei Monate vor Beendigung des
Arbeitsverhältnisses, also am 22.04.2004, arbeitsuchend melden müssen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind
rechtswidrig i. S. von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte
den Alg-Anspruch des Klägers nicht wegen verspäteter Meldung mindern.
Die §§ 37 b Satz 1 und 2, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch Arbeitsförderung (SGB III)
sind zu unbestimmt, um die Beklagte zur Minderung des verfassungsrechtlich garantierten
Anspruchs auf Alg zu ermächtigen; andere einschlägige Ermächtigungsgrundlagen der
vorgenommenen Minderung sind nicht ersichtlich.
Nach § 140 Satz 1 SGB III mindert sich der Anspruch auf Alg, wenn sich der Arbeitslose
entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet hat. Nach § 37 b Satz
1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich
unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für
Arbeit arbeitsuchend zu melden. Gemäß § 37 b Satz 2 SGB III hat die Meldung im Falle
eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu
erfolgen.
Diese Vorschriften sind keine geeignete Ermächtigungsgrundlage zur Minderung von Alg
in Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen. § 37 b Satz 2 SGB III ist in
Verbindung mit § 37 b Satz 1 SGB III derart unbestimmt, dass er (wiederum i.V.m. § 140
SGB III) keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in den grundrechtlich
geschützten Anspruch auf Alg darstellt (SG Dortmund, Urteil vom 26.07.2004 S 33 AL
127/04). Die Vorschrift besagt mithin nicht, dass sich der Alg-Anspruch (nach Maßgabe von
§ 140 SGB III) mindert, wenn die genannte Frist verstrichen ist und der Versicherte sich
nicht arbeitsuchend gemeldet hat. Vielmehr ist § 37 b Satz 2 SGB III bei
verfassungsrechtlich gebotener geltungserhaltender Reduktion (vgl. BVerfGE 69, 1, 55
m.w.N.) dahingehend auszulegen, dass er lediglich regelt, ab wann sich ein Versicherter
arbeitsuchend melden und somit die Pflicht der Beklagten zur Arbeitsvermittlung nach § 38
Abs. 4 SGB III auslösen kann.
Die §§ 140 Satz 1 i.V.m. 37 b Satz 2 SGB III ordnen eine Minderung des von der
verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes
(GG) erfassten Anspruchs auf Alg (BVerfG, Beschluss vom 10.02.1987 1 Bvl 15/83; ganz
h.M.) an. Sie fungieren somit als Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz
2 GG (aus neuerer Zeit etwa SG Aachen, Urteil vom 18.06.2004 S 8 AL 82/04, SG
Frankfurt an der Oder, Beschluss vom 01.04.2004 S 7 AL 42/04). Aus dem
Rechtsstaatsprinzip, Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt sich, dass eine Ermächtigung
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der Verwaltung zum Eingriff in Grundrechte durch Gesetz erfolgen und insbesondere
hinreichend bestimmt sein muss. Klarheit und Bestimmtheit einer Vorschrift bedeutet
Erkennbarkeit des gesetzgeberisch Gewollten. Betroffene müssen die Rechtslage
erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Das Handeln
der Verwaltung muss für den Bürger voraussehbar und berechenbar sein (BVerfGE 56, 1,
12; BVerwGE 100, 230, 236; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 20, Rn. 60,
61).
§ 37 b Satz 2 SGB III wird diesen Anforderungen schon deswegen nicht gerecht, weil die
Vorschrift in Zusammenschau mit § 37 b Satz 1 SGB III, auf den sie sich unmittelbar
bezieht, mehrere ungefähr gleich naheliegende und plausible Auslegungen zulässt, die
jedoch im Einzelfall zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen: § 37 b Satz 1 und 2
SGB III kann zum einen so verstanden werden, dass die Meldung mit Ablauf des nächsten
dienstbereiten Tages zu erfolgen hat, nachdem der Versicherte Kenntnis von der Befristung
hat und es nur mehr 3 Monate bis zur Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses
sind (Satz 1 als nähere Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals "frühestens" in Satz 2).
Denkbar ist jedoch auch eine Auslegung, wonach die Meldung ab Kennntnis und
Unterschreitung der Frist erfolgen kann, jedoch nicht unverzüglich erfolgen muss (das
Tatbestandsmerkmal "frühestens" in Satz 2 verdrängt das Tatbestandsmerkmal
"unverzüglich" in Satz 1). Diese Unklarheiten betreffen nicht nur den isoliert betrachteten
Norminhalt von § 37 Satz 2 SGB III, sondern auch die Frage, ob neben § 37 b Satz 2 SGB
III noch Raum für eine subsidiäre Anwendung von § 37 b Satz 1 SGB III ist. Welche der
möglichen Auslegungen die vom Gesetzgeber gewollte ist, erschließt sich den regelmäßig
mit juristischen Auslegungsmethoden ohnehin nicht vertrauten Betroffenen selbst bei
genauer Kenntnis des Wortlauts von § 37 b SGB III nicht. Die von dieser Regelung
betroffenen Versicherten haben mithin keinerlei Möglichkeit, das gesetzgeberisch Gewollte
zu erkennen und ihr Verhalten an der gesetzlichen Regelung auszurichten.
Es handelt sich schließlich auch nicht um einen derjenigen Fälle, in denen ein Minus an
inhaltlicher Bestimmtheit zulässig ist, da der Gesetzgeber die fragliche Materie nur durch
Generalklauseln und/oder durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe regeln kann (zu
derartigen Konstellationen Jarass, a.a.O., Rn. 61). Dies mag auf die Verwendung des
Begriffs "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 SGB III zutreffen, der Begriff "frühestens" ist jedoch
kein unbestimmter Rechtsbegriff.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.