Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 24.10.2008

OVG Koblenz: örtliche zuständigkeit, haushalt, begriff, jugendhilfe, juristische person, nacht, versorgung, beratung, jugendlicher, aufnehmen

OVG
Koblenz
24.10.2008
7 A 10444/08.OVG
Jugendhilferecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Stadt Düren, vertreten durch den Bürgermeister, Kaiserplatz 2-4, 52349 Düren,
– Klägerin und Berufungsbeklagte –
gegen
den Landkreis Neuwied, vertreten durch den Landrat, Wilhelm-Leuschner-
Straße 9, 56564 Neuwied,
– Beklagter und Berufungskläger –
wegen Jugendhilferechts
hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz
aufgrund der Beratung vom 24. Oktober 2008, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch
Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Stahnecker
ehrenamtliche Richterin Hotel-Betriebswirtin Bocklet
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Wittkopf
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom
26. März 2008 die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass für den Jugendhilfefall J. gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII der
Beklagte örtlich zuständig ist.
Die am 28. September 1999 geborene J. wurde, nachdem sich ihre Eltern getrennt hatten und ihr Vater
aus dem Bereich des Kreises Düren in den der Klägerin umgezogen war, im April 2003 vom Jugendamt
des Kreises Düren zusammen mit ihren drei Geschwistern in Obhut genommen. Während letztere in
herkömmlichen Pflegefamilien untergebracht werden konnten, war dies nach Einschätzung des
Kreisjugendamtes wegen einer Traumatisierung und wegen einer erheblichen Entwicklungsverzögerung
bei J. nicht möglich. Um sie in einem familiären Umfeld gezielt pädagogisch fördern zu können, wurde sie
im Juli 2003 in der in der Trägerschaft des "Pädagogische Einrichtungen und Beratungen – P.E.B. – e.V."
stehenden "Fachfamilie K." in R. im Bereich des Beklagten untergebracht. Der Hilfeplan sah eine
"Unterbringung … nach § 34 KJHG" vor, dem P.E.B. e.V. sagte das Kreisjugendamt zu, die monatlich
anfallenden "Heimkosten" für die Unterbringung J.s in seiner "Einrichtung" zu tragen.
Aufgrund des Umzuges auch von J.s Mutter in den Bereich der Klägerin übernahm diese zum 1. Mai 2005
den Jugendhilfefall. In einem diesbezüglichen Bewilligungsbescheid der Klägerin gegenüber dem
Amtsvormund J.s vom 22. März 2005 heißt es: "Gewährte Hilfeart: § 34 KJHG (Erziehungsstelle)". Im
Rahmen der Fortschreibung des Hilfeplanes am 7. September 2005 wurde festgehalten, dass eine
"langfristige Unterbringung" J.s "in der Fachfamilie weiterhin dringend erforderlich" und "eine
Rückführung" zu ihrer Mutter "nicht angedacht" sei. Zum 1. Oktober kündigten die Eheleute K. die mit dem
P.E.B. e.V. abgeschlossenen Betreuungsverträge auch bezüglich J.s und schlossen neue
Betreuungsverträge mit dem "Pädagogische Fachfamilien im Verbund – PFiV – e.V.", deren Gründungs-
mitglieder sie zugleich sind. Die Klägerin beendete auf Bitte des P.E.B. e.V. das ihrerseits mit diesem
bestehende Vertragsverhältnis und begründete ein neues mit dem PFiV e.V.
Unter Hinweis auf ein dahingehendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7.
Juni 2005 in einem vergleichbaren Fall bat die Klägerin den Beklagten im Mai 2006 und danach
wiederholt unter Zusage der Kostenerstattung nach § 89a SGB VIII um Übernahme des Jugendhilfefalles
gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII. Nachdem dieser dies stets abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 9. November
2007 Feststellungsklage erhoben. Zu deren Begründung hat sie geltend gemacht, ungeachtet der
Jugendhilfebewilligung für J. nach § 34 SGB VIII seien die Eheleute K. deren "Pflegepersonen" im Sinne
von § 86 Abs. 6 SGB VIII. Da J. seit über 2 Jahren bei jenen wohne und ihr Verbleib dort bis zu ihrer
Verselbstständigung zu erwarten sei, sei der Beklagte nach dieser Bestimmung für den Jugendhilfefall
spätestens am 1. Juni 2006 örtlich zuständig geworden. Kostenerstattung sei ihm zugesagt worden.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte seit dem 1. Juni 2006 gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII für den Jugendhilfefall
J. örtlich zuständig ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Wie sich aus § 89a SGB VIII ergebe, setze eine örtliche
Zuständigkeit aufgrund des als Ausnahmevorschrift eng auszulegenden § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB eine
fortdauernde Vollzeitpflege im Sinne von § 33 SGB VIII voraus. Auch § 44 SGB VIII betreffe die
Vollzeitpflege in diesem Sinne. Entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-
Westfalen scheide deshalb eine Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bei Jugendhilfeleistungen
nach § 34 SGB VIII aus. Eine solche werde aber für J. erbracht. Mit der Durchführung der Hilfe sei der PFiV
e.V. beauftragt worden. Über diesen sei Frau K. beschäftigt, diesem sei für die Einrichtung "Fachfamilie K."
eine Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII erteilt worden und diesem werde ein Entgelt gezahlt.
Pflegepersonen hätten gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe
Erstattungsansprüche bezüglich Unfallversicherung und Altersvorsorge; Frau K. erhalte diese Leistungen
vom PFiV e.V. Ferner setze § 39 Abs. 6 SGB VIII voraus, dass Pflegepersonen kindergeldberechtigt seien,
wohingegen im vorliegenden Fall das Kindergeld von der Klägerin vereinnahmt werde. Schließlich gehe
die Klägerin selbst davon aus, dass derzeit Hilfe zur Erziehung J.s nach § 34 SGB VIII bewilligt werde.
Mit Urteil vom 26. März 2008 hat das Verwaltungsgericht festgestellt, der Beklagte sei seit dem 1. Juni
2006 für den Jugendhilfefall J. gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig, und zur Begründung
im Wesentlichen ausgeführt: Die Fachfamilie K. unterfalle dem Begriff der Pflegeperson im Sinne dieser
Vorschrift. Nach § 44 SGB VIII, der insoweit als Anhaltspunkt herangezogen werden könne, sei
Pflegeperson, wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinen Haushalt aufnehmen
wolle. Maßgeblich komme es somit auf die zeitliche Komponente sowie auf die (zumindest angestrebte)
emotionale Verbindung zwischen den "Facheltern" und dem Pflegekind an. Letzteres lege bereits die
Formulierung "in seinen Haushalt aufnehmen will" nahe und werde bestärkt durch den Begriff der "Pflege",
der nicht ohne weiteres mit dem der "Betreuung" im Sinne der Heimerziehung nach § 34 SGB VIII gleich-
gesetzt werden könne. Auch die historische Entwicklung des § 86 Abs. 6 SGB VIII sowie dessen Sinn und
Zweck stützten diese Auslegung. Der Gesetzgeber habe eine Ausnahme von der grundsätzlichen
Zuständigkeit des Jugendamtes am Wohnort der Kindeseltern für diejenigen Fälle regeln wollen, "in
denen das Kind oder der Jugendliche auf Dauer in eine andere Familie eingebunden ist". Werde also §
86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII in erster Linie der emotionalen Bindung zwischen Pflegekind und Pflegeeltern
gerecht, so sei die organisatorische Ebene der konkreten Hilfeleistung nach § 33 SGB VIII oder nach § 34
SGB VIII weniger wichtig. Im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der obigen
Aspekte sei die Fachfamilie K. als Pflegeperson im Sinne von § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII anzusehen. J.
lebe im Privathaushalt der Eheleute K., zwischen ihnen bestehe ein Aufsichts-, Betreuungs- und
Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und ihrem leiblichen Kind. Zwar gebe es auch gewichtige
Unterschiede zwischen herkömmlichen Pflegeeltern und einer Fachfamilie, doch ähnelten im
vorliegenden Fall die tatsächlichen Verhältnisse sowie die emotional-sozialen Bindungen denen in einer
herkömmlichen Pflegefamilie deutlich mehr als denen bei einer Heimerziehung. Auch bestehe zwischen
dem Trägerverein und den Facheltern kein Arbeitsverhältnis wie bei Pflegeheimbetreuern. Insbesondere
werde J. nicht durch den PFiV e.V. betreut, da nicht dieser, sondern die Facheltern ihre tägliche
Versorgung und Erziehung erbrächten. Letztere seien auch nicht weisungsgebunden. So habe die Fach-
familie den Verein und nicht etwa der Verein die Fachfamilie gewechselt. Dabei habe der Verbleib J.s in
der Fachfamilie nie in Frage gestanden. Im Falle einer Heimunterbringung sei so etwas unmöglich.
Am 24. April 2008 hat der Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen dieses
Urteil eingelegt. Zu deren Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend
verweist er darauf, dass der PFiV e.V. zufolge seiner Leistungsbeschreibung Leistungen nach § 34 SGB
VIII erbringe, dass es grundsätzlich ihm überlassen sei, durch welche seiner Fachfamilien er eine Leistung
erbringen lasse, und dass er gegenüber seinen Fachfamilien ein Weisungs- und Direktionsrecht
habe.Auch wenn es im Rahmen der in den letzten Jahren zunehmend entwickelten familienanalogen
Formen der stationären Heimunterbringung mit familienbezogenen Heimplätzen zu solch tiefgehenden
emotionalen Beziehungen zwischen den betreuenden Personen und dem betreuten Kind oder
Jugendlichen kommen könne, dass es in dessen Interesse liege, deren Abbruch zu vermeiden, so
nähmen deshalb die Mitarbeiter der Einrichtung auch dann nicht die Funktion der Familie ein und so
würden deshalb familienanaloge Formen der Heimunterbringung auch dadurch nicht zu Formen der
Familienpflege. Überdies komme es beim Wechsel solcher Mitarbeiter in eine andere Einrichtung
durchaus auch zu einem Wechsel der von ihnen bislang betreuten Kinder oder Jugendlichen in diese
neue Einrichtung. So sei es ja auch im vorliegenden Fall im Oktober 2005 gewesen. Ferner sei zu
berücksichtigen, dass in den Fachfamilien zumindest eine Fachkraft tätig sei, deren Weiterbildung und
Beratung durch den Träger oder doch auf dessen Veranlassung erfolge. Pflegefamilien im Sinne von § 33
SGB VIII benötigten indessen Betreuung und Beratung durch das Jugendamt und hätten deshalb gemäß §
37 Abs. 2 SGB VIII einen dahingehenden Anspruch. Diesem Umstand trage § 86 Abs. 6 SGB VIII
Rechnung, da die Betreuung und Beratung von Pflegeeltern nicht durch ein unter Umständen weit
entferntes Jugendamt erfolgen könne. Dieser Grund für einen Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6
SGB VIII bestehe bei Hilfen nach § 34 SGB VIII nicht.
Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 26. März2008dieKlageabzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist ergänzend auf ein Rechtsgutachten des
Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht vom 18. März 2008 sowie auf eine inzwischen
vorliegende Arbeitshilfe des Landschaftsverbandes Rheinland als Landesjugendamt zur Umsetzung des
§ 86 Abs. 6 SGB VIII.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf deren Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand
der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.
Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die
Feststellung, dass der Beklagte seit dem 1. Juni 2006 gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII für den
Jugendhilfefall J. örtlich zuständig ist.
Gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII ist oder wird dann, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre
bei einer Pflegeperson lebt und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist,
abweichend von den Absätzen 1 bis 5 dieser Bestimmung derjenige örtliche Träger der öffentlichen
Jugendhilfe zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die
örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII setzt mithin voraus, dass für ein Kind oder einen
Jugendlichen eine "Pflegeperson" vorhanden ist, dass das Kind oder der Jugendliche bei
dieser"Pflegeperson" bereits zwei Jahre lang lebt und dass das Kind oder der Jugendliche bei dieser
"Pflegeperson" voraussichtlich "auf Dauer" verbleiben wird. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden
Fall sämtlich deshalb nicht erfüllt, weil es sich bei den Eheleuten K., bei denen die inzwischen
neunjährige J. seit über fünf Jahren lebt und voraussichtlich bis zu ihrer Verselbstständigung auch
weiterhin leben wird, im Verhältnis zu ihr nicht um "Pflegepersonen" im Sinne (auch) von § 86 Abs. 6 SGB
VIII handelt.
Wer "Pflegeperson" in diesem Sinne ist, ergibt sich nicht ausdrücklich aus § 86 Abs. 6 SGB VIII selbst. Eine
Legaldefinition findet sich hingegen in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (so auch OVG NRW, Urteil vom 7. Juni
2005 – 12 A 2677/02 – JAmt 2006, 95 [96] sowie Mann in Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl.
2007, § 44 Rn. 5; vgl. ferner Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 44 Rn. 6 sowie DIJuF-
Rechtsgutachten vom 3. März 2003, JAmt 2003, 186; a.A.: Happe/Saurbier in Jans/Happe/Saurbier/Maas,
Kinder- und Jugendhilferecht, Loseblatt, Stand: August 2008, Art. 1 § 44 KJHG Rn. 14). "Pflegeperson" ist
nach der derzeitigen Fassung dieser Vorschrift aufgrund des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder-
und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfe-Weiterentwicklungsgesetz – KICK) vom 8. September 2005
(BGBl. I S. 2729), "wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinem Haushalt
aufnehmen will".
Wie sich aus der Wortfolge "aufnehmen will" ergibt, ist "Pflegeperson" bereits derjenige, der ein Kind oder
einen Jugendlichen in seinem Haushalt über Tag und Nacht erst noch aufzunehmen beabsichtigt, also
noch nicht aufgenommen hat (so auch Happe/Saurbier, a.a.O. Rn. 15).
Wer hingegen ein Kind oder einen Jugendlichen bereits über Tag oder Nacht in seinem Haushalt
aufgenommen hat, ist gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGBVIII "Pflegeperson"unabhängig davon, auf welcher
rechtlichen Grundlage diese Aufnahme beruht. Wie sich aus den in § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 SGBVIII
genannten Fallgruppen ergibt, in denen die "Pflegeperson" keiner Erlaubnis bedarf, kann die Aufnahme
zwar auf eine Bewilligung von Hilfe zur Erziehung oder von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte
Kinder und Jugendliche durch ein Jugendamt zurückzuführen sein (Nr. 1), muss es aber nicht. Der
Aufnahme kann, wie sich aus § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII weiter ergibt, beispielsweise auch eine
Vormundschaft oder Pflegschaft im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (Nr. 2), ein
Verwandschaftsverhältnis (Nr. 3), ein Schüler- oder Jugendaustausch (Nr. 5) oder eine Adoptionspflege
nach § 1744 BGB (Nr. 6) zugrunde liegen. In Betracht kommt ferner eine Aufnahme aufgrund der
Bewilligung von Eingliederungshilfe bei körperlicher oder geistiger Behinderung des Kindes oder des
Jugendlichen nach § 53 SGB XII (vgl. Kunkel in LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 86 Rn. 49). Es genügt aber
auch jede vertragliche Vereinbarung zwischen dem oder den Personensorgeberechtigten eines Kindes
oder Jugendlichen mit einem beliebigen Dritten, wodurch sich dieser, aus welchen Gründen auch immer,
zur Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen in seinem Haushalt verpflichtet hat (vgl. Happe/Saurbier,
a.a.O. Art 1 § 44 KJHG Rn. 25 sowie Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann, a.a.O. § 33 Rn. 18).
Unerheblich ist grundsätzlich auch, bezüglich welcher Leistung der Jugendhilfe das mögliche Bestehen
einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII geprüft wird. Insbesondere kommt es für eine
Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII – außer für einen Zuständigkeitswechsel – nicht darauf an,
ob die in Rede stehende Leistung der Jugendhilfe auf die Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen in
einen anderen Haushalt als den seines oder seiner Personensorgeberechtigten abzielt (zumindest
missverständlich daher OVG NRW, a.a.O.). § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII regelt keine Sonderzuständigkeit
"fürdie Vollzeitpflege" (so auch Grube in Hauck/Noftz, SGB VIII, Loseblatt, Stand Februar 2008, § 86 Rn. 31
und Ziegler in GK-SGB VIII, Loseblatt, Stand Juli 2005, § 86 Rn. 31; vgl. ferner BT-Drucks. 13/3082 S. 12
im Zusammenhang mit der Streichung der Wortfolge "für Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege oder für
Eingliederungshilfe bei einer Pflegeperson" vor der Wortfolge "aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86
Abs. 6" in § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII; missverständlich daher Wiesner, a.a.O. § 86 Rn. 33). Vielmehr
enthält § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII eine Sonderzuständigkeit "beifortdauernder Vollzeitpflege" (so die
Überschrift des § 89a SGB VIII, wonach die "aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6" SGB VIII
aufgewendeten Kosten zu erstatten sind). Auch ermöglicht § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht etwa nur einen
Zuständigkeitswechsel. Lebt ein Kind oder ein Jugendlicher aus einem der oben genannten Gründe
bereits seit zwei Jahren bei einer "Pflegeperson" und ist sein Verbleib bei dieser auf Dauer zu erwarten,
so ist für eine erst nunmehr erforderlich werdende Leistung der Jugendhilfe von Anfang an derjenige
Träger der öffentlichen Jugendhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die "Pflegeperson" ihren
gewöhnlichen Aufenthalt hat (so auch Grube, a.a.O., Kunkel, a.a.O., Reisch in Jans/Happe/Saurbier/Maas,
a.a.O. Art.1 § 86 KJHG Rn. 74, Wiesner, a.a.O. § 86 Rn. 34, DIJuF-Rechtsgutachten vom 3. März 2003,
JAmt 2003, 186). Dies gilt insbesondere bei erst nunmehr erforderlich werdenden Leistungen der
Jugendhilfe nach § 30 SGB VIII oder nach § 35a SGB VIII (so auch Grube, a.a.O.). Zwar sind dann, wenn
das Kind oder der Jugendliche nunmehr anderswo untergebracht werden soll als bisher, die
Voraussetzungen für eine örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht erfüllt, aber nur deshalb
nicht, weil der Verbleib des Kindes oder Jugendlichen bei der bisherigen "Pflegeperson" aufgrund der
beabsichtigten anderweitigen Unterbringung nicht mehr auf Dauer zu erwarten ist, und lässt damit nicht
den Schluss zu, das Kind oder der Jugendliche habe bislang nicht bei einer "Pflegeperson" gelebt.
Eine Einschränkung erfährt der der in § 44 SGB VIII definierte Begriff "Pflegeperson" allerdings dadurch,
dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmung – seit Inkrafttreten des Gesetzes zur
Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (a.a.O.) – vom Anwendungsbereich des neuen § 43 SGB
VIII ("Erlaubnis zur Kindertagespflege") und – von Anfang an und vor allem – vom Anwendungsbereich
des § 45 SGB VIII ("Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung") bzw. des § 48a SGB VIII abzugrenzen
ist, der seit dem 1. April 1993 die zuvor von § 45 SGB VIII mitumfasst gewesene Erlaubnis für sonstige
betreute Wohnformen regelt. Die erstere Abgrenzung erfolgt danach, ob jemand ein Kind oder einen
Jugendlichen nur "während des Tages" (so § 43 SGB VIII) oder "über Tag und Nacht" (so § 44 SGB VIII)
betreuen will, die letztere danach, ob es sich um "Familienpflege" handelt oder um die Betreuung in
"Einrichtungen" (vgl. die Überschrift zum Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des Sozialgesetzbuches
Achtes Buch). Während insoweit § 45 SGB VIII an den in § 34 SGB VIII verwendeten Rechtsbegriff
"Einrichtung" anknüpft, knüpft § 44 SGB VIII an § 33 SGB VIII an, der die danach mögliche Betreuung in
seinem Satz 2 selbst stets der "Familienpflege" zugeordnet hat, und betrifft seit seiner Neufassung durch
das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (a.a.O.) nur noch die in § 33 SGB VIII
geregelte "Vollzeitpflege" (vgl. auch Krug in Krug/Riehle, SGB VIII, Loseblatt, Stand März 2008, § 44 Erl. I;
vgl. ferner Happe/Saurbier, a.a.O. Art. 1 § 44 KJHG Rn. 16) sowie die dementsprechende "Hilfe durch eine
geeignete Pflegeperson" im Sinne von § 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII. § 44 SGB VIII ist jetzt auch
ausdrücklich mit "Erlaubnis zur Vollzeitpflege" überschrieben. Die Anknüpfung des in § 44 Abs. 1 Satz 1
SGB VIII definierten Begriffs "Pflegeperson" an die in § 33 SGBVIII geregelte Vollzeitpflege findet sich
ferner in § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der – wie oben bereits in anderem Zusammenhang angemerkt –
eine Erstattung der "aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6" SGB VIII aufgewendeten Kosten
anordnet und zugleich mit "Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege" überschrieben ist. In dieser
Bestimmung wird also die von § 86 Abs. 6 Satz 1 SGBVIII vorausgesetzte Aufnahme eines Kindes oder
Jugendlichen durch eine "Pflegeperson" in seinen Haushalt seit zwei Jahren und dessen voraussicht-
licher Verbleib bei dieser "Pflegeperson" mit dem Begriff – fortdauernde – "Vollzeitpflege" bezeichnet, der
licher Verbleib bei dieser "Pflegeperson" mit dem Begriff – fortdauernde – "Vollzeitpflege" bezeichnet, der
zuvor bereits in § 33 und in § 44 SGB VIII verwendet wurde. Zwar setzt deswegen der Begriff
"Pflegeperson" nicht das nach § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII erforderliche Vorliegen eines erzieherischen
Defizits bei dem oder den Personensorgeberechtigten des Kindes oder Jugendlichen voraus.
"Pflegeperson" ist jedoch nur, wer der Sache nach "Vollzeitpflege" im Sinne von § 33 SGB VIII leistet und
nicht etwa ein Kind oder einen Jugendlichen in einer "Einrichtung" oder einer "sonstigen betreuten
Wohnform" im Sinne von § 34 SGB VIII betreut (im Ergebnis ebenso Kunkel, a.a.O., Reisch, a.a.O. Rn. 70
f., Wiesner, a.a.O. § 86 Rn. 33, Ziegler, a.a.O. Rn. 35 und 37 sowie die Stellungnahme der
Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom November 2002, ZfJ 2003, 103 [112] und das
Rundschreiben des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung
vom10.September 2008 –LJA05-2008; a.A.:OVG NRW, a.a.O. sowie im Anschluss daran DIJuF-
Rechtsgutachten vom 18. März 2008, JAmt 2008, 202 [203 f.] und Landschaftsverband Rheinland,
Arbeitshilfe zur Umsetzung des § 86 Abs. 6 SGB VIII, S. 10 und 14).
Weiteren Einschränkungen unterliegt der Begriff "Pflegeperson" indessen nicht.
So muss die Aufnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen in den eigenen Haushalt einschließlich
seiner Betreuung nicht stets aus ideellen Gründen ("ehrenamtlich") erfolgen (so aber das Rundschreiben
des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung vom 10. September 2008,
a.a.O. S. 6 f.), sondern kann – jedenfalls auch – Erwerbszwecken dienen. Gemäß § 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 4 und Abs. 4 Satz 3 SGB VIII "sollen" zwar die laufenden Leistungen im Rahmen der Hilfe in
Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) oder bei einer geeigneten Pflegeperson (§ 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII) in
einem vom Landesgesetzgeber nach § 39 Abs. 5 SGB VIII festgesetzten monatlichen Pauschalbetrag
gewährt werden, "soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalles abweichende Leistungen geboten
sind". Ist – beispielsweise bei besonders entwicklungsbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen (vgl. §
33 Satz 2 SGB VIII) – eine pädagogisch besonders qualifizierte oder gar professionelle Pflegeperson er-
forderlich, die für den festgesetzten Pauschalbetrag nicht zu gewinnen ist, und muss diese deshalb höher
honoriert werden, so ändert allein deren höhere Bezahlung nichts daran, dass sie alle in § 44 Abs. 1 Satz
1 SGB VIII genannten Voraussetzungen einer "Pflegeperson" erfüllt (vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom
13. Februar 2006 – 12 LC 12/05 – FEVS 58, 79 [81] m.w.N.).
Ebenso ist es nicht erforderlich, dass das Kind oder der Jugendliche im Rahmen des
Familienleistungsausgleichs nach § 31 EStG bei der "Pflegeperson" berücksichtigt wird (so aber ebenfalls
das Rundschreiben des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung vom
10. September 2008 a.a.O.). Sofern dies der Fall ist, ist nach Maßgabe von § 39 Abs. 6 SGB VIII zu
verfahren, andernfalls sind nicht etwa die in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII genannten Voraussetzungen für
die Annahme einer "Pflegeperson" deswegen nicht erfüllt.
Ferner ist "Pflegeperson" nicht nur derjenige, der ein Kind oder einen Jugendlichen dauerhaft in seine
Familie einbinden will (so aber OVG NRW, a.a.O.). Wie im Gesetz deutlich zum Ausdruck kommt, genügt
vielmehr auch eine kurzfristige Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen über Tag und Nacht in den
eigenen Haushalt. Wer ein Kind oder einen Jugendlichen bis zur Dauer von acht Wochen oder im
Rahmen eines Schüler- oder Jugendaustauschs über Tag oder Nacht aufnimmt, bedarf zwar nach § 44
Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und 5 SGB VIII abweichend von Satz 1 dieser Bestimmung keiner Erlaubnis zur
Vollzeitpflege, ist gleichwohl aber "Pflegeperson"; andernfalls wären die diesbezüglichen
Ausnahmeregelungen in § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und 5 SGB VIII überflüssig. Auch dem Begriff "Voll-
zeitpflege" ist eine auf Dauer angelegte Aufnahme des Kindes oder Jugendlichen nicht etwa immanent.
Vielmehr kann Vollzeitpflege gemäß § 33 Satz 1 SGB VIII nicht nur als auf Dauer angelegte Lebensform,
sondern auch als lediglich befristete Erziehungshilfe konzipiert werden, etwa bei einer vorübergehenden
Erkrankung, bei einer Inhaftierung oder bei einem Auslandsaufenthalt des Personensorgeberechtigten
oder bei sonst bestehender Aussicht auf Rückkehr des Kindes oder des Jugendlichen in dessen Haushalt.
Vorstellbar ist aber auch die Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen über Tag und Nacht lediglich an
mehreren Tagen pro Woche, etwa an allen Werktagen (so auch Fischer, a.a.O. § 33 Rn. 3,
Grüner/Dalichau in Krug/Riehle, a.a.O. § 33 Anm. I [S. 8], Happe/Saurbier, a.a.O. Art. 1 § 33 KJHG Rn. 16b,
Kunkel, a.a.O. § 33 Rn. 1 sowie Wiesner, a.a.O. § 33 Rn. 20). Nicht also der Begriff "Pflegeperson" und
nicht einmal die weitere Voraussetzung des § 86 Abs. 6 SGBVIII, wonach ein Kind oder ein Jugendlicher
schon zwei Jahre bei einer "Pflegeperson" gelebt haben muss, verlangt die dauerhafte Einbindung eines
Kindes oder eines Jugendlichen in eine andere Familie, sondern erst die in § 86 Abs. 6 zusätzlich
vorausgesetzte Erwartung seines Verbleibs auf Dauer bei der "Pflegeperson".
Desgleichen setzt der Begriff "Pflegeperson" keine zwischen ihr und dem aufgenommenen Kind oder
Jugendlichen bestehende oder doch zumindest angestrebte emotionale Verbundenheit ähnlich wie bei
einem Eltern-Kind-Verhältnis voraus, schon gar nicht "in erster Linie". Dies lässt sich zunächst nicht der
vom Verwaltungsgericht für diese Annahme angeführten Wortfolge "in seinen Haushalt aufnehmen will"
entnehmen. Die Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen kann auch aus anderen Gründen erfolgen,
etwa zu Erwerbszwecken, und sogar als belastend empfunden werden, etwa bei einer Aufnahme aus
sittlicher Verpflichtung. Auch der vom Verwaltungsgericht weiter angeführte Begriff "Pflege" indiziert ent-
gegen dessen Annahme keine größere – zumindest angestrebte – emotionale Verbindung als der im
Zusammenhang mit der Heimerziehung in § 45 SGB VIII verwendete Begriff "Betreuung". Bis zu seiner
Neufassung durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (a.a.O.) bedurfte gemäß
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII einer "Pflegeerlaubnis", "wer ein Kind oder einen Jugendlichen außerhalb des
Elternhauses in seiner Familie regelmäßig betreuen oder ihm Unterkunft gewähren will (Pflegeperson)";
dabei "beschränkt(e) sich" nach der dafür gegebenen amtlichen Begründung "die Neuformulierung" des §
44 Abs. 1 SGB VIII – im Anschluss an die "eigenständige Regelung zur Erlaubnis der Tagespflege" – "auf
den Erlaubnisvorbehalt für die Vollzeitpflege" (vgl. BT-Drucks. 15/5616 S. 25 f.). Eine inhaltliche Änderung
des Begriffs "Pflegeperson" war durch den Wegfall des Begriffs "betreuen" mithin nicht beabsichtigt, wie
auch daraus folgt, dass dieser Begriff im neuen § 43 SGB VIII für die Kindertagespflege weiterverwendet
(vgl. hierzu auch Mörsberger, a.a.O. § 43 Rn. 8) und im gleichzeitig neugefassten § 94 Abs. 4 i.V.m. § 92
Abs. 1 Nr. 4 und 5 SGB VIII sogar im Zusammenhang mit dem Aufenthalt eines jungen Menschen bei
einem Elternteil oder aber bei seinem Ehegatten oder Lebenspartner verwendet wird. Dass der Begriff
"Pflegeperson" keine – zumindest angestrebte – emotionale Bindung zwischen dieser und dem
aufgenommenen Kind oder Jugendlichen ähnlich einem Eltern-Kind-Verhältnis voraussetzt, folgt im
Übrigen schon daraus, dass "Pflegeperson" auch derjenige ist, der ein Kind oder einen Jugendlichen erst
noch aufnehmen will, sowie aus der Möglichkeit einer nur kurzfristig angelegten oder nur werktäglichen
Vollzeitpflege. Es ist nicht einmal gewährleistet, dass dann, wenn – wie § 86 Abs. 6 SGB VIII weiter
voraussetzt – ein Kind oder Jugendlicher seit zwei Jahren bei der "Pflegeperson" lebt und voraussichtlich
auf Dauer bei ihr verbleiben wird, eine einem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechende emotionale
Verbundenheit entstanden ist oder zumindest allseitig gewünscht wird, außer aus den oben bereits
genannten Gründen etwa beim Vorhandensein eigener Kinder der "Pflegeperson" in seinem Haushalt
oder aufgrund sonstiger Umstände des Einzelfalles. Dies wurde auch im Gesetzgebungsverfahren so
gesehen (vgl. die amtliche Begründung der Bundesregierung zu § 85 Abs. 5 des Entwurfs des SGB VIII –
BT-Drucks. 11/5948 S. 104 –, in der es heißt: "Aus dieser formalen Regelung lassen sich jedoch nicht
ohne weiteres Rückschlüsse auf die Schutzwürdigkeit inzwischen eingegangener Bindungen und die
Zielrichtung der Pflegeelternarbeit ziehen.").
Richtig ist zwar, dass die Zuständigkeit in § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII als Korrektur der
Zuständigkeitsbestimmungen in § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII für diejenigen Fälle geschaffen werden sollte,
"in denen das Kind oder der Jugendliche in eine andere Familie eingebunden ist" (vgl. nochmals BT-
Drucks. 11/5948 S. 104). Dem wurde durch das Tatbestandsmerkmal "und ist sein Verbleib bei dieser
Pflegeperson auf Dauer zu erwarten" Rechnung getragen. Deswegen geht es nicht an, den Begriff
"Pflegeperson" einschränkend auszulegen oder aber ungeachtet der Gesetzessystematik und der
einzelnen Tatbestandsmerkmale in § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII als alleinige Voraussetzung für die
Zuständigkeit nach dieser Bestimmung anzusehen, dass ein Kind oder ein Jugendlicher "in eine andere
(Pflege-)Familie" dauerhaft eingebunden ist und dass damit "typischerweise" die "Ausbildung besonderer
persönlicher und familiärer Bindungen zwischen dem Kind oder dem Jugendlichen und den Pflegeeltern
als den zentralen und längerfristig zur Verfügung stehenden Bezugspersonen" einhergeht (so aber OVG
NRW, a.a.O. sowie DIJuF-Rechtsgutachten vom 18. März 2008, JAmt 2008, 202 [203 f.]) oder doch
"zumindest angestrebt" wird (so das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil).
Unter Berücksichtigung von alledem sind die Eheleute K. deswegen keine "Pflegepersonen" im Sinne
(auch) von § 86 Abs. 6 SGB VIII, weil sie das Kind J. in einer Einrichtung oder sonstigen betreuten
Wohnform im Sinne von § 34 SGB VIII, nicht aber in Vollzeitpflege im Sinne von § 33 SGB VIII betreuen.
Zwar lebt J. im Haushalt der Eheleute K.. Mittlerweile werden je- doch auch Hilfen nach § 34 SGB VIII in
zunehmendem Maße familienähnlich ausgestaltet, während sich andererseits Pflegeeltern im Sinne von §
33 SGB VIII, vor allem in Anwendung von dessen Satz 2, immer häufiger auch besonders
entwicklungsbeeinträchtigter Kinder und Jugendlicher annehmen und dementsprechend in höherem
Maße fachlich vorgebildet sein müssen. In diesem Grenzbereich überschneiden sich die Hilfen nach § 33
SGB VIII und nach § 34 SGB VIII, zumindest sind die Übergänge fließend (vgl. Fischer, a.a.O. § 34 Rn.15,
Nonninger in LPK-SGB VIII, a.a.O. § 34 Rn. 14, Stähr in Hauck/Noftz, a.a.O. § 33 Rn. 8, Wiesner, a.a.O. §
34 Rn. 13, Meysen, JAmt 2002, 326 [329] sowie Nr. 1.2.2 der "Weiterentwickelten Empfehlungen des
Deutschen Vereins zur Vollzeitpflege/ Verwandtenpflege" [Februar 2004]). Deshalb stellt das
Zusammenleben von betreuender Person und betreutem Kind oder Jugendlichem in einem Haushalt
allein kein ausreichendes Kriterium dar, um abgrenzen zu können, ob die Hilfe im konkreten Einzelfall
nach § 33 SGB VIII oder nach § 34 SGB VIII gewährt wird (so wohl auch Meysen, a.a.O.). Entscheidend ist
vielmehr, ob das zu betreuende Kind bzw. der zu betreuende Jugendliche an die betreuende Person
selbst vermittelt wurde, die deshalb umfassend allein persönlich verantwortlich ist – dann ist von einer
Vollzeitpflege im Sinne von § 33 SGB VIII auszugehen – oder ob das Kind bzw. der Jugendliche nicht
unmittelbar an die die betreuende Person vermittelt wurde und ob Verantwortung daher in einem formalen
Zusammenhang wahrgenommen bzw. mit anderen geteilt wird und angesichts des organisatorischen
Hintergrundes gegebenenfalls unabhängig von der betreuenden Person weiterbestehen würde – dann ist
vom Bestehen einer Einrichtung oder einer sonstigen betreuten Wohnform im Sinne von § 34 SGB VIII
auszugehen (vgl. insbes. Mörsberger, a.a.O. vor § 43 Rn. 8 und § 44 Rn. 7 sowie Nonninger, a.a.O.).
Ergänzend bzw. indiziell ist insoweit zu berücksichtigen, ob eine Hilfe nach § 33 SGB VIII oder aber nach
§ 34 SGB VIII bewilligt wurde, ob für die Betreuung des Kindes oder Jugendlichen Leistungen nach § 39
SGB VIII, insbesondere in Form von Pauschalbeträgen, unmittelbar an die betreuende Person erbracht
werden oder aber dafür ein mit dem Träger der Einrichtung vereinbartes Entgelt im Sinne von §§ 78a ff.
SGB VIII an diesen gezahlt wird sowie ob der betreuenden Person für das betreute Kind bzw. den
betreuten Jugendlichen eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 SGB VIII oder aber einem
Einrichtungsträger unabhängig von der Person des konkret betreuten Kindes oder Jugendlichen eine
Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung gemäß § 45 SGB VIII, gegebenenfalls i.V.m. § 48a SGB VIII,
erteilt wurde (vgl. Reisch, a.a.O. Rn. 71 sowie Meysen, a.a.O. S. 328 f.).
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass J. von den Eheleuten K. in einer Einrichtung oder
sonstigen betreuten Wohnform im Sinne von § 34 SGB VIII, nicht aber in Vollzeitpflege im Sinne von § 33
SGB VIII betreut wird.
Mit deren Betreuung hat die Klägerin nämlich nicht etwa die Eheleute K. betraut, sondern den
"Pädagogische Fachfamilien im Verbund – PfiV – e.V.", dessen Mitglieder die Eheleute K. zwar sind, mit
dem sie aber auch eine vertragliche Vereinbarung geschlossen haben. Sollten die Eheleute K. als
Betreuungspersonen ausfallen, müsste der PFiV e.V. mithin eine anderweitige Betreuung J.s
sicherstellen. Das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und dem PFiV e.V. besteht also unabhängig
von der Betreuung J.s durch die Eheleute K.. Zufolge der Leistungsbeschreibung des PFiV e.V., die auch
dem Landschaftsverband Rheinland und dem rheinland-pfälzischen Landesamt für Soziales, Jugend und
Versorgung als Landesjugendämtern im Rahmen von Leistungs- und Entgeltvereinbarungen im Sinne
von § 78c SGB VIII bzw. zur Erteilung von Betriebserlaubnissen nach § 45 SGB VIII vorgelegt wurde, übt
dieser zudem gegenüber den Eheleuten K. die "Fachaufsicht" aus und hat diesen gegenüber ein
"Weisungsrecht in grundsätzlichen Fragen", aber auch ein "Belegungsrecht" sowie ein "Betretungsrecht".
Der PFiV e.V. ist mithin den Eheleuten K. gegenüber weisungsberechtigt, kann über bei jenen etwa frei
werdende Plätze verfügen und darf deren Haus zur Wahrnehmung seiner Aufsichtsberechtigung und -
verpflichtung betreten. Ferner trägt der PFiV e.V. danach die "Gesamtverantwortung für die Einhaltung der
Rahmenbedingungen und fachgerechten Durchführung der Erziehungshilfenangebote" (vgl. jeweils S. 70
der Gerichtsakte – GA –). Folglich wurde ein "Sachstandsbericht" über die Betreuung und Entwicklung J.s
bis April 2006 vom PFiV e.V. und nicht von den Eheleute K. vorgelegt (vgl. S. 65 ff. der Teilverwaltungsakte
I – VA I – der Klägerin).
Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass "die tägliche Versorgung
und Erziehung J.s" nicht durch den PFiV e.V., sondern durch die Eheleute K. erbracht wird, rechtfertigt dies
nicht den Schluss auf deren Letztverantwortlichkeit. Auch bei klassischer Heimerziehung erfolgt nämlich
die tägliche Versorgung und Erziehung eines in der Einrichtung betreuten Kindes bzw. Jugendlichen in
aller Regel nicht durch den Träger der Einrichtung selbst, zumal wenn es sich dabei – wie im
vorliegenden Fall – um eine juristische Person handelt, sondern durch die Personen, die der
Einrichtungsträger mit der Betreuung gerade dieses Kindes oder Jugendlichen betraut hat. Die
Letztverantwortlichkeit der Eheleute K. kann entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nicht
etwa mit dem Einrichtungsträgerwechsel zum 1. Oktober 2005 begründet werden. Dies gilt bereits
deshalb, weil die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Eheleuten K. und dem
"Pädagogische Einrichtungen und Beratung – P.E.B. – e.V." keinerlei Rückschlüsse auf die Ausgestaltung
des Rechtsverhältnisses zwischen den Eheleuten K. und dem PFiV e.V. zulässt. Im Übrigen trifft die
Annahme des Verwaltungsgerichts, es habe nie in Frage gestanden, dass J. auch unter neuer
Trägerschaft bei den Eheleuten K. verbleiben würde, was im Falle ihrer Betreuung in einer Einrichtung
oder sonstigen betreuten Wohnform unmöglich gewesen wäre, schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu.
Zum einen handelte es sich insoweit nicht um das "Ausscheiden eines Mitarbeiters", sondern um den
Wechsel einer Einrichtung oder doch eines Teiles hiervon von einem auf einen anderen Träger; mit
Personalwechsel ist dies nicht zwingend verbunden. Selbst aber für den Fall des Wechsels eines
Mitarbeiters in eine andere Einrichtung hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass damit
zumindest in Einzelfällen auch der Wechsel eines Kindes oder Jugendlichen in die andere Einrichtung
einhergeht. Zum anderen genügte für das Verbleiben J.s bei den Eheleuten K. nicht etwa lediglich deren
Kündigungserklärung gegenüber dem P.E.B. e.V. Vielmehr setzte dies voraus, dass der P.E.B. e.V. die
Klägerin ausdrücklich darum gebeten hat, nunmehr den PFiV e.V als neuen Trägerverein "zu beauftragen
und uns vom Auftrag zu entbinden", um von den "untergebrachten Kindern jede Belastung durch den
Trägerwechsel abzuwenden", zugleich aber darauf hingewiesen hat, dass er andernfalls "in der Fach- und
Dienstaufsicht für die betroffenen Kinder und Jugendlichen" verbleibe (vgl. S. 49 VA I). Voraussetzung
hierfür war ferner, dass die Klägerin dieser Bitte entsprochen, nunmehr aber nicht etwa mit den Eheleuten
K. eine besondere Form der Familienpflege für J. im Sinne von § 33 Satz 2 SGB VIII mit erhöhter
Honorierung vereinbart, sondern den PFiV e.V. mit deren Betreuung beauftragt hat, die sich mit Blick auf
dessen Weisungsrecht gegenüber den Eheleuten K. und auf dessen Letztverantwortlichkeit als Hilfe nach
§ 34 SGB VIII darstellt.
Dies hat stets auch die Klägerin so gesehen. Im Zusammenhang mit der Übernahme des
Jugendhilfefalles nach dem Umzug auch von J.s Mutter in ihren Bereich hat sie nämlich am 22. März 2005
gegenüber dem damaligen Amtsvormund J.s einen förmlichen Bescheid erlassen und darin als
Rechtsgrundlage der für J. bewilligten Hilfe – in Übereinstimmung mit der Sichtweise des zuvor zuständig
gewesenen Kreises Düren (vgl. S. 3 und S. 13 f. VA I) – ausdrücklich "§ 34" SGB VIII genannt (S. 26 VA I;
vgl. ferner S. 37 VA I). Wäre die Klägerin von einer Jugendhilfegewährung nach § 33 SGB VIII aus-
gegangen, so hätte sie zudem wohl schon im Juli 2005, spätestens aber nach der Fortschreibung des
Hilfeplanes im September 2005 den Beklagten unter Hinweis auf § 86 Abs. 6 SGB VIII um die Übernahme
des Falles gebeten. Ferner geht sie noch immer selbst davon aus, dass auch derzeit die Hilfe für J. zu
Recht nach § 34 SGB VIII gewährt wird (vgl. S. 75 und 78 VA I und vor allem die Bescheide vom 23.
Januar und vom 19. Juni 2007 [S. 85 und 87 VA I]), meint aber im Anschluss an das ihr erst im April 2006
bekannt gewordene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 2005 (a.a.O.),
an das DIJuF-Rechtsgutachten vom 18. März 2008 (a.a.O. S. 203 f.) und an die Arbeitshilfe des
Landschaftsverbands Rheinland zur Umsetzung des § 86 Abs. 6 SGB VIII (S. 10 und 14), gleichwohl seien
die Eheleute K. "Pflegepersonen" im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB VIII und von § 86 Abs. 6 SGB VIII (S. 2 f.,
16 f. und 75 f. i.V.m. 78 f., 87 und 91 GA). Unter diesen Umständen kann ausgeschlossen werden, dass
die Klägerin die bislang von ihr erbrachte Jugendhilfeleistung für J. lediglich irrtümlich als § 34 SGB VIII
unterfallend angesehen hat.
Für die Erbringung der Hilfe zur Erziehung J.s nach § 34 SGB VIII spricht weiter der Umstand, dass für die
Betreuung J.s durch die Eheleute K. nicht Leistungen nach § 39 SGB VIII an diese erfolgen, sondern dass
auf das Konto des PFiV e.V. das mit diesem gemäß § 78c Abs. 2 SGB VIII vereinbarte Entgelt in Form von
Tagessätzen und sogar das Bekleidungsgeld, das Taschengeld sowie die Weihnachtsbeihilfen für J.
überwiesen werden (vgl. S. 45, 53 und 60 VA I sowie S. 21 ff. der Teilverwaltungsakte IV der Klägerin).
Gleiches gilt überdies deshalb, weil das rheinland-pfälzische Landesamt für Soziales, Jugend und
Versorgung als Landesjugendamt am 15. September 2005 dem PFiV e.V. auf dessen Antrag hin eine
"
Betriebserlaubnis
Einrichtung:Fachfamilie K." erteilt hat (kursive Hervorhebung durch den Senat). Diese "gilt für 2
angebotene Plätze für Mädchen und Jungen ab 2 Jahren bei einer personellen Mindestbesetzung von 1,0
Stellen im Erziehungsdienst", also unabhängig von der Person J.s. Ferner ist danach "die Betreuung der
Kinder/ Jugendlichen … durch ausreichend qualifiziertes Personal sicherzustellen", also nicht zwingend
nur durch die Eheleute K., und "für ausreichenden Versicherungsschutz (Unfall- und
Haftpflichtversicherung für die Betreuten und die Betreuer) … Sorge zu tragen", was beides die
Letztverantwortlichkeit des PFiV e.V. bestätigt (vgl. jeweils S. 67 f. GA).
Ist nach alledem die Jugendhilfeleistung für J. vom PFiV e.V., von den Eheleuten K. und von der Klägerin
bewusst als Hilfe nach § 34 SGB VIII ausgestaltet worden, so sind sie hieran festzuhalten. Dies schließt es
ein, dass die Eheleute K. keine "Pflegepersonen" im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und von § 86
Abs. 6 Satz 1 SGB VIII sind und dass die letztgenannte Vorschrift deshalb im vorliegenden Fall keine
Anwendung finden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO
nicht erhoben, weil es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen
Sozialleistungsträgern handelt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 167 Abs. 2 und Abs. 1
i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da der Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung mit Blick darauf zukommt, dass die entscheidungserhebliche Frage, ob "Pflegeperson" im
Sinne von § 86 Abs. 6 SGB VIII auch sein kann, wer ein Kind oder einen Jugendlichen in einer Einrichtung
oder in einer sonstigen betreuten Wohnform im Sinne von § 34 SGB VIII betreut, vom erkennenden Senat
verneint, vom Senat eines anderen Oberverwaltungsgerichts aber bejaht wird und sich das
Bundesverwaltungsgericht – soweit ersichtlich – hierzu noch nicht geäußert hat.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Wünsch gez. Wolff gez. Dr. Stahnecker