Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 23.10.2009

OVG Koblenz: beschränkung, eugh, öffentliche sicherheit, wissenschaftliche forschung, vorläufiger rechtsschutz, aufschiebende wirkung, glücksspiel, verminderung, sport, internet

OVG
Koblenz
23.10.2009
6 B 10998/09.OVG
Gewerberecht, Lotterierecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Landes Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion,
Willy-Brandt-Platz 3, 54290 Trier,
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
gegen
- Antragsgegner und Beschwerdegegner -
wegen Lotterierechts
hier: aufschiebende Wirkung
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
23. Oktober 2009, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Mildner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 4.
September 2009 sowie der Beschluss des Senats vom 29. August 2008 abgeändert und der Antrag des
Antragsgegners auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs bzw. seiner
Klage gegen die Verfügung der Stadtverwaltung M… vom 6. März 2007 abgelehnt.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7.500,- € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Sie führt zu einer von dem angefochtenen
Beschluss abweichenden Interessenabwägung. Der vom Antragsteller gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO
begehrten Abänderung des Senatsbeschlusses vom 29. August 2008 – 6 B 10365/08.OVG - ist nach
Änderung des Landesglücksspielgesetzes sowie nach Übernahme der Mehrheit der Geschäftsanteile der
Lotto Rheinland-Pfalz GmbH durch das Land Rheinland-Pfalz zu entsprechen und das vorläufige
Rechtsschutzbegehren des Antragsgegners abzulehnen. Das öffentliche Interesse (I.) am Sofortvollzug
der Verfügung der Stadtverwaltung M… vom 6. März 2007, mit der dem Antragsgegner die gewerbliche
Tätigkeit als Vermittler privater Sportwetten untersagt wurde, wiegt im maßgeblichen Zeitpunkt der
Entscheidung des Senats schwerer als das Interesse des Antragsgegners an der Aussetzung der
Vollziehung (II.).
I.
Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 (GVBl. S. 318 – LGlüG -) und der Aufhebung der §§ 2
bis 14 des Landesglücksspielgesetzes vom 14. Juni 2004 ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Dauerverwaltungsakts vom 6. März 2007 nach dem neuen Recht zu beurteilen (vgl. BVerfG, 1 BvR
2218/06, NVwZ 2008, 301; VGH B-W, 6 S 1972/06, NVwZ 2007, 724; 6 S 3069/07, juris). Angesichts des
Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage durch § 1 LGlüG i.V.m. § 9 Abs. 2
des Glücksspielstaatsvertrags – GlüStV – wäre das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der
Untersagungsverfügung nur dann nicht vorrangig, wenn aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutz-
verfahren nur möglichen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage mehr dafür spräche, dass
diese behördliche Entscheidung der rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhalten wird.
Dies ist indessen nicht der Fall. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass die Aufrechterhaltung der
Untersagungsverfügung vom 6. März 2007 unter Geltung des neuen Rechts nicht mehr
ermessensfehlerhaft ist. Aufgrund der Änderung des Landesglücksspielgesetzes vom 22. Dezember
2008, der Übernahme der Mehrheit der Geschäftsanteile der Lotto Rheinland-Pfalz GmbH durch das Land
Rheinland-Pfalz und der Umsetzung der dadurch veranlassten Maßnahmen sind nämlich nach der in
diesem Verfahren nur möglichen vorläufigen Beurteilung die Voraussetzungen wohl erfüllt, an die das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276) die
dauerhafte Beibehaltung des Sportwettmonopols knüpft.
Die angefochtene Untersagungsverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 2 und 3 Nr. 1 LGlüG,
wonach eine ohne Erlaubnis durchgeführte Glücksspielvermittlung nach pflichtgemäßem Ermessen
untersagt werden kann. Dass dem Antragsgegner gemäß § 10 Abs. 5 GlüStV bzw. § 5 Abs. 1 und 3 LGlüG
wegen des dort normierten (staatlichen) Sportwettmonopols keine Vermittlungserlaubnis erteilt werden
darf, ist voraussichtlich weder aus verfassungsrechtlichen (1.) noch aus gemeinschaftsrechtlichen
Gründen (2.) zu beanstanden.
1.
organisatorischen und materiell-rechtlichen Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom
28. März 2006 (1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276) für eine dauerhafte Beibehaltung des
Sportwettmonopols für die Zeit nach dem 31. Dezember 2007, zu deren Umsetzung die Bundesländer den
am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag geschlossen haben, beachtet sein.
Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2320/00, juris) hat im Anschluss an sein Urteil vom 28. März 2006
(1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276) deutlich gemacht, dass die mit einem staatlichen Sportwettmonopol
einhergehende Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit nicht etwa schon mangels eines
legitimen Ziels oder wegen fehlender Eignung und Erforderlichkeit verfassungsrechtlich nicht zu
rechtfertigen, sondern insoweit grundsätzlich zulässig ist. Als Eingriff in das Grundrecht aus
Art. 12 Abs. 1
GG
ist sie den Grundrechtsträgern aber nur bei einer aktiv an der Begrenzung der Wettleidenschaft und
der Bekämpfung der Wettsucht ausgerichteten rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung des staat-
lichen Wettwesens zumutbar. Dabei kommt es nicht mehr nur auf eine im Mindestmaß vorhandene,
sondern auf eine "vollständige Konsistenz" der rechtlichen und tatsächlichen Monopolausgestaltung in
Rheinland-Pfalz an (vgl. BVerfG, 1 BvR 2410/08, juris). Mittlerweile spricht Überwiegendes dafür, dass das
Land Rheinland-Pfalz als Veranstalter der Sportwette ODDSET in einer den Anforderungen des in § 10
Abs. 3 GlüStV genügenden Weise gesetzlich verpflichtet worden ist, die Zahl der Annahmestellen zur
Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV zu begrenzen (a). Auch im Übrigen sind gesetzliche Maßnahmen zur
Eindämmung der Spielleidenschaft getroffen (b) und umgesetzt worden (c), die dem Maßstab
"vollständiger Konsistenz" genügen dürften.
a)
nach Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01,
BVerfGE 115, 276) gesetzten Frist, in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen voraussichtlich
entsprechenden Weise die Zahl der Annahmestellen begrenzt hat, ist nicht als verspätet zu beanstanden.
Diese Übergangsfrist kann nicht als Ausschlussfrist für eine Neuregelung des Sportwettenrechts
verstanden werden, sondern als Zeitraum, während dessen aus verfassungsrechtlicher Sicht noch nicht
die "vollständige Konsistenz" der rechtlichen und tatsächlichen Monopolausgestaltung erreicht sein
musste, um an dem Glücksspielmonopol festzuhalten.
Die in § 10 Abs. 3 GlüStV festgelegte Aufgabe der Bundesländer, die Zahl der Annahmestellen zur
Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV zu begrenzen, beruht auf der Kritik des Bundesverfassungsgerichts in
seinem Urteil vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276) am seinerzeit in Bayern
eingerichteten Vertriebssystem der Sportwette ODDSET: Die Ausgestaltung des Vertriebs über ein breites
Netz von Annahmestellen, dem das Prinzip „weites Land – kurze Wege“ zu Grunde liege, sei nicht auf
eine Bekämpfung von Suchtgefahren bzw. auf eine Begrenzung der Wettleidenschaft ausgerichtet.
Vielmehr finde der Vertrieb in einer Vielzahl von Annahmestellen in bewusster Nähe zum Kunden statt, so
dass das Produkt zu einem allerorts verfügbaren normalen Gut des täglichen Lebens werde (BVerfG, 1
BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, Rdnrn. 137 ff.). Die vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten
Vertriebsmodalitäten für die Sportwette ODDSET waren also durch den GlüStV und in dessen Umsetzung
durch die Landesausführungs- bzw. Glücksspielgesetze neu zu justieren, und zwar auf die Zielsetzung
der Bekämpfung von Suchtgefahren bzw. der Begrenzung der Wettleidenschaft. Dies ist nach Auffassung
des Senats zwischenzeitlich durch qualitative (aa) und quantitative (bb) Einschränkungen in einer Weise
geschehen, die den verfassungsgerichtlichen Vorgaben gerecht werden dürfte.
aa)
Annahmestelle nur für Räumlichkeiten erteilt werden darf, die nach ihrer Lage, Beschaffenheit,
Ausstattung und Einteilung dem Ziel nicht entgegenstehen, nur ein begrenztes Glücksspielangebot
zuzulassen; in einer Spielhalle oder einem ähnlichen Unternehmen im Sinne des § 33 i Gewerbeordnung
darf eine Annahmestelle nicht eingerichtet werden. Darüber hinaus darf gemäß § 7 Abs. 4 LGlüG eine
Erlaubnis zum Betreiben einer Annahmestelle nur erteilt werden, wenn erstens keine Tatsachen die
Annahme rechtfertigen, dass der Interessent die für diese Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht
besitzt, zweitens keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Interessent den Anforderungen des
Jugendschutzes und des Spielerschutzes nicht hinreichend nachkommen wird, drittens der Interessent
sich verpflichtet, sich selbst und sein Personal im Hinblick auf die notwendigen Fachkenntnisse für den
Betrieb einer Annahmestelle für Lotterien und Sportwetten im erforderlichen Umfang schulen zu lassen,
und viertens keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Erlaubnis aus anderen Gründen
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird. Nach diesen Bestimmungen dürfen
Annahmestellen in der Nähe von Schulen grundsätzlich nicht zugelassen werden, auch wenn sie nicht
ausdrücklich verboten sind. Damit sind die Vertriebswege durch qualitative Einschränkungen so
eingerichtet, dass Möglichkeiten zur Realisierung des Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden (vgl.
BVerfG, 1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, juris). Demgegenüber verlangt das Verfassungsrecht kein
Verbot, die Tätigkeit der Annahmestellen auf Provisionsbasis zu entgelten. Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG,1 BvR 928/08, juris) hat zwar ein Provisionsverbot für gewerbliche Spielvermittler zur Bekämpfung
und Begrenzung der Spielsucht als geeignet angesehen, wenn diese dadurch davon abgehalten werden,
Maßnahmen zur Steigerung der Spieleranzahl oder zumindest der Spielverträge zu ergreifen, um höhere
Provisionszahlungen zu erlangen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, ein Provisionsverbot
sei für Annahmestellen verfassungsrechtlich unverzichtbar.Dass die Annahmestellen nicht räumlich
getrennt von Zeitschriften-, Tabakläden oder sonstigen Geschäften des Einzelhandels betrieben werden
müssen, lässt auch nicht den Eindruck entstehen, es handele sich um ein „normales Gut des täglichen
Lebens“. Vielmehr durfte der Gesetzgeber diese Vertriebsform aus Gründen der Suchtprävention sowie
des Spieler- und Jugendschutzes vorziehen, weil neben der „sozialen Kontrolle“ des Spielverhaltens die
Betreiber von Annahmestellen wirtschaftlich nicht ausschließlich vom Glücksspielgeschäft abhängig sind.
bb)
einer voraussichtlich verfassungsrechtlich tragfähigen Weise geregelt und wird umgesetzt. Nach § 7 Abs.
1 LGlüG soll es bis zum 31. Dezember 2011 landesweit nicht mehr als 1150 Annahmestellen geben.
Damit ist der Gesetzgeber von der Anforderung eines Konzepts zur Begrenzung der Anzahl der
Annahmestellen abgerückt und hat selbst eine Richt- bzw. Höchstzahl festgelegt. Der Verzicht auf ein
Begrenzungskonzept könnte nur dann beanstandet werden, wenn ein solches verfassungsrechtlich
geboten wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01,
BVerfGE 115, 276, juris) jedoch ein solches Konzept nicht gefordert. Es traf „gerade keine Aussagen über
den Vertrieb der vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten und die Modalitäten der
Vertriebsstruktur“ (BVerfG, 2 BvR 2680/07, juris). Im Urteil vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01, BVerfGE
115, 276, juris) heißt es, die Vertriebswege seien so auszuwählen und einzurichten, dass Möglichkeiten
zur Realisierung des Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden; insbesondere eine Verknüpfung von
Wettmöglichkeiten mit Fernsehübertragungen von Sportereignissen würde dem Ziel der Suchtbe-
kämpfung zuwiderlaufen und die mit dem Wetten verbundenen Risiken verstärken. Angesichts dessen
kann nicht beanstandet werden, dass der Gesetzgeber kein Begrenzungskonzept mehr verlangt.
Die maßgebliche verfassungsgerichtliche Forderung, die Vertriebswege so auszuwählen und
einzurichten, dass Möglichkeiten zur Realisierung des Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden,
dürfte durch § 7 Abs. 1 LGlüG erfüllt sein. Diese Bestimmung wird dem Erfordernis des § 10 Abs. 3 GlüStV,
die Zahl der Annahmestellen zur Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV zu begrenzen, voraussichtlich
gerecht. Denn nach dem Grundansatz des Landesgesetzgebers ist die Zahl der bislang vorhandenen
Annahmestellen zu vermindern und gleichzeitig sicherzustellen, dass auch künftig so viele
Annahmestellen vorgehalten werden, wie notwendig sind, um den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung
in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken (Landtags-Drucks. 15/2755, S. 6). Die vom Gesetzgeber
als Richtwert festgelegte Zahl der Annahmestellen auf 1.150 ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl von
Rheinland-Pfalz, die den wesentlichen Anhaltspunkt für die Zahl der Annahmestellen darstellt, nicht zu
beanstanden. Verglichen mit anderen Bundesländern entspricht sie einer besonders geringen Dichte des
Annahmestellennetzes. Denn damit ist eine Annahmestelle für 3.524 Einwohner vorgesehen, während in
Bayern eine Annahmestelle auf 3.376, in Baden-Württemberg auf 3.257 (vgl. VGH B-W, 6 S 3328/08), in
Sachsen auf 3.200, in Berlin auf 3.090 und in Thüringen auf 3.037 Einwohner entfällt. Angesichts dessen
spricht nichts für die Annahme, die in § 7 Abs. 1 LGlüG festgelegte Zahl überschreite das Maß der zur
Erreichung der Ziele des Staatsvertrags zulässigen Annahmestellen. Allein die Tatsache, dass sich der
gesetzliche Richtwert durch Verminderung der Anzahl der in einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen
Annahmestellen ergibt, stellt keinen Beleg für die Auffassung dar, die Ziele des Staatsvertrags würden
verfehlt. Die Orientierung am aufgrund der bisherigen Nachfrage zu Tage getretenen Spieltriebs der
Bevölkerung und die Verminderung der vorhandenen Spielmöglichkeiten unter Berücksichtigung der in
anderen Bundesländern getroffenen Maßnahmen sind geeignet, um die dargestellten
verfassungsgerichtlichen Forderungen zu erfüllen.
Es begegnet auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass § 7 Abs. 1 LGlüG lediglich eine „Soll-
Vorschrift“ darstellt. Denn eine Erhöhung der Zahl der Annahmestellen ist nicht zugelassen; vielmehr ist
eine Reduzierung erforderlich (vgl. Landtags-Drucks. 15/2755 S. 7). Außerdem bedeutet der bereits
erreichte Stand der Begrenzung von derzeit ca. 1.172 Annahmestellen, dass eine Annahmestelle
rechnerisch für 3.458 Einwohner vorgehalten wird. Dies ist nicht nur eine geringere Dichte des
Annahmestellennetzes als in den bereits erwähnten Bundesländern, sondern verdeutlicht auch, dass bis
zum Erreichen der gesetzlich vorgesehenen Zahl nur noch 22 Annahmestellen abzubauen sind. Dass
dies noch nicht geschehen ist, begründet der Antragsteller mit der Notwendigkeit, ein Ausweichen auf
nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern. Dies entspricht der gesetzgeberischen Intention, deren
Rechtfertigung sich aus § 1 Nr. 2 GlüStV ergibt.
Gemäß § 1 Nr. 2 GlüStV besteht ein Ziel des Staatsvertrags darin, das Glücksspielangebot zu begrenzen
und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken,
insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern. Wie der
Gesetzesbegründung (Landtags-Drucks. 15/2755, S. 7) zu entnehmen ist, besteht das wichtigste Ziel in
der Verhinderung und Bekämpfung von Glücksspielsucht, was durch Jugend- und Spielerschutz sowie
durch Begrenzung und Kanalisierung des Glücksspielangebots erreicht werden soll. Letzteres bedeute,
dass ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele verhindert werde; mit der schrittweisen Verringerung
der Zahl der Annahmestellen werde auch der Gefahr des Ausweichens auf nicht erlaubte Glücksspiele
entgegengewirkt. Weder die darin zum Ausdruck kommende Flexibilität hinsichtlich Zahl und Verteilung
der Annahmestellen noch der Umstand, dass möglicherweise derzeit noch mehr Annahmestellen
konzessioniert sind, als zur Sicherstellung der Versorgung unbedingt erforderlich sind, begegnen
Bedenken. Die Kanalisierung wird dadurch der Bekämpfung nicht vorgeordnet, sondern ihr wird als in § 1
Nr. 2 GlüStV ausdrücklich festgelegtes Ziel des Staatsvertrags die ihr zukommende Bedeutung
beigemessen (vgl. auch HambOVG, 4 Bs 101/08, juris). Dies lässt der Umstand deutlich werden, dass
derzeit (nur) 22 Annahmestellen mehr als endgültig vorgesehen konzessioniert sind, um eine Ausweichen
auf die mehr als 150 privaten Sportwettvermittler zu verhindern. Deshalb kann man nicht davon sprechen,
sämtliche derzeit vorhandenen Annahmestellen seien als „Gegengewicht“ zu diesen privaten
Sportwettvermittlern wohl kaum erforderlich. Außerdem geht der Senat davon aus, dass mit der zu
erwartenden Schließung privater Sportwettvermittlungen die Notwendigkeit, ein Abwandern zu
verhindern, abnimmt und dementsprechend die Zahl der Annahmestellen (weiter) zurückgeführt wird. Im
Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2410/08, juris) zum niedersächsischen Recht (vgl.
NdsOVG, 11 MC 71/08, juris) ausgeführt, das Oberverwaltungsgericht habe im Ergebnis
beanstandungsfrei insbesondere davon ausgehen dürfen, dass die zum Zeitpunkt des Ergehens des
oberverwaltungsgerichtlichen Beschlusses noch nicht erfolgte Neuausrichtung der Kapazität des
Annahmestellennetzes der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH kein im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
relevantes grundlegendes Umsetzungsdefizit der rechtlichen Vorgaben darstelle. Angesichts dessen
muss nicht aufgeklärt werden, inwieweit unterschiedliche Kundenkreise der privaten Sportwettvermittler
einerseits und der Sportwette ODDSET andererseits festzustellen sind. Soweit eingewandt wird, ein
Vertriebskonzept, das bisher verfassungsrechtlich zu beanstanden gewesen sei, könne kaum in fast
unveränderter Form nunmehr der Suchtbekämpfung dienen, darf nicht übersehen werden, dass nicht nur
die Zahl der Annahmestellen vermindert wurde, sondern die Vertriebsmodalitäten im Übrigen – wie
bereits ausgeführt - entscheidend umgestaltet wurden. Auch sein Vergleich mit der Zahl der Postfilialen
überzeugt angesichts der vielfältigen Möglichkeiten nicht, die Postdienstleistungen über das Internet in
Anspruch zu nehmen. Schließlich ist irrelevant, welche Erklärungen die Lotto Rheinland-Pfalz GmbH zur
Verminderung der Zahl der Annahmestellen abgibt, nachdem das Land selbst Veranstalter geworden ist
und über die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion die Zahl der Annahmestellen steuert, und zwar auch
unter Berücksichtigung der Besiedlungsdichte und damit der Erreichbarkeit der Annahmestellen. Einer
Aufklärung der Ausgestaltung und Strukturierung des Annahmestellennetzes bedarf es angesichts dessen
nicht.
b)
ergriffen worden sein, um von einer "vollständigen Konsistenz" der Monopolausgestaltung zur
Begrenzung der Wettleidenschaft und zur Bekämpfung der Wettsucht sprechen zu können:
Neben dem Erfordernis einer Erlaubnis für die Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen (
§ 4 Abs.
1 GlüStV
) wurde ein Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele im Internet
normiert (
§ 4 Abs. 4 GlüStV
, mit begrenzter Ausnahmereglung für Lotterien). Gleichzeitig wurden die
Vorgaben für die Werbung beschränkt, Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, Internet und
über Telekommunikationsanlagen verboten (
§ 5 GlüStV
). Über die Wahrscheinlichkeit von Gewinn und
Verlust, die Suchtrisiken und das Verbot der Teilnahme Minderjähriger ist zu informieren und auf die
Möglichkeit einer Beratung hinzuweisen (
§ 7 GlüStV
). Lose und Spielscheine müssen Hinweise auf die
Suchtgefahr enthalten (
§ 7 GlüStV
). Zum Schutz der Spieler ist ein übergreifendes Sperrsystem zu
unterhalten (
§ 8 GlüStV
). Nach § 2 Abs. 1 LGlüG wird ein angemessener Anteil der in Rheinland-Pfalz
getätigten Spieleinsätze für den Ausbau und den Betrieb eines Netzes von Beratungsstellen für
Glücksspielsucht verwendet. Gemäß
§ 10 GlüStV
sind die Länder bei der Festlegung des Glücksspiel-
angebots von einem Fachbeirat, der sich aus Experten in der Bekämpfung der Glücksspielsucht
zusammensetzt, zu beraten. Die Auswirkungen des neuen Glücksspielstaatsvertrages sind unter
Mitwirkung des Fachbeirates zu evaluieren; das Ergebnis ist drei Jahre nach Inkrafttreten, also Ende 2010,
vorzulegen (
§ 27 GlüStV
). Darüber hinaus stellen die Länder die wissenschaftliche Forschung zur
Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren durch Glücksspiele sicher (
§ 11 GlüStV
, § 3 LGlüG).
§ 9 Abs.
6 GlüStV
schreibt die Trennung der Glücksspielaufsicht von den Veranstaltern des Glücksspiels vor.
Für Sportwetten gelten zusätzliche Einschränkungen: Livewetten während des Sportereignisses sind
verboten (
§ 21 Abs. 2 GlüStV
). Annahmeschluss für Sportwetten ist 15 Minuten vor Spielbeginn (§ 9 Abs. 2
LGlüG). Ein Wettgewinn darf erst am nächsten Werktag ausgezahlt werden (§ 9 Abs. 3 LGlüG). Außerdem
sollen in der Erlaubnis für Sportwetten "Art und Zuschnitt der Sportwetten im einzelnen" geregelt werden
(
§ 21 GlüStV
). Die Veranstaltung/Vermittlung von Sportwetten ist organisatorisch, rechtlich, wirtschaftlich
und personell von der Veranstaltung des Sportereignisses zu trennen (
§ 21 Abs. 2 GlüStV
); eine Ver-
knüpfung der Übertragung von Sportereignissen in Rundfunk/Telemedien mit Trikot- und Bandenwerbung
ist nicht zulässig (
§ 21 Abs. 2 GlüStV
).
Diese Regelungen sind grundsätzlich geeignet, die verfassungsrechtlich geforderten Restriktionen im
Bereich des Vertriebs und des Bewerbens staatlicher Sportwetten herbeizuführen. Das gilt auch für die
vom Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, juris) geforderten inhaltlichen
Kriterien zu Art und Zuschnitt zulässiger Sportwetten. Denn nach
§ 21 Abs. 1 GlüStV
sind Sportwetten nur
in Form von Kombinationswetten oder Einzelwetten auf den Ausgang von Sportereignissen
erlaubnisfähig. In Verbindung mit den im einzelnen genannten Regelungen der Vertriebsmodalitäten
kann ein Regelungsdefizit, das insoweit bisher möglicherweise vorhanden war, im Eilverfahren als
unerheblich angesehen werden (vgl. BVerfG, 1 BvR 2410/08, juris).
An der verfassungsrechtlich geforderten "vollständigen Konsistenz" der Monopolausgestaltung fehlt es
auch nicht etwa wegen der Aufteilung zwischen staatlicher Veranstaltung und privatem Vertrieb der
monopolisierten Sportwetten. Werden die Annahmestellen sorgfältig ausgewählt, rechtlich verbindlich auf
die verfassungsgerichtlich geforderten Vertriebsmodalitäten verpflichtet, hinreichend geschult und
gewissenhaft kontrolliert, können die staatsvertraglich vereinbarten Ziele umgesetzt werden, ohne dass
auch der Vertrieb der Sportwetten in staatlicher Hand sein müsste. Es mangelt auch nicht etwa deshalb an
der "vollständigen Konsistenz" der Monopolausgestaltung, weil nicht alle zugelassenen Glücksspielarten
konsequent und kohärent begrenzt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
28. März 2006 (1 BvR 1054/01, BVerfGE 115, 276, juris) deutlich gemacht, dass es aus verfassungs-
rechtlicher Sicht auf eine "Kohärenz und Systematik" des gesamten Glücksspielsektors einschließlich des
gewerberechtlich zugelassenen Automatenspiels für die Vereinbarkeit eines staatlichen Wettmonopols mit
Art. 12 Abs. 1 GG
grundsätzlich nicht ankommt. Vielmehr muss (nur) das aus ordnungsrechtlichen
Gründen beim Staat monopolisierte Sportwettangebot konsistent ausgestaltet sein (BVerfG, 1 BvR
2410/08, juris). Deshalb kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht auf die Umsätze, die Beliebtheit
und die Suchtgefahren von Pferdewetten, die nicht monopolisiert sind, im Vergleich mit den
monopolisierten Sportwetten an.
c)
Antragsteller hat zudem durch Erteilung einer Veranstaltererlaubnis an das Finanzministerium, durch
hoheitliche Beleihung der Lotto Rheinland-Pfalz GmbH und durch Neukonzessionierung der
Annahmestellen nach Überprüfung und Belehrung das monopolisierte Glücksspiel in Rheinland-Pfalz den
neuen rechtlichen Vorgaben angepasst. Bewerber für Annahmestellen werden einem umfangreichen
Bewerbungsverfahren unterzogen, um deren Zuverlässigkeit zu testen. Zudem wurde für ODDSET, Toto,
Keno und Quicky eine Kundenkarte eingeführt, die nur an Erwachsene ausgegeben wird und damit einen
wirksamen Jugendschutz sowie Spielersperren ermöglicht. Gerade die Einführung der Kundenkarte für
ODDSET, einer Sperrdatei für Spielsüchtige, die Anbringung von Suchthinweisen auf den Spielscheinen
und weitere Aufklärungsmaßnahmen lassen nicht mehr den Eindruck entstehen, bei den monopolisierten
Glücksspielen handele es sich um ein „normales Gut des täglichen Lebens“.
Auch in Bezug auf die Werbung für öffentliches Glücksspiel, die sich gemäß § 5 Abs. 1 GlüStV zur Ver-
meidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Glücksspielmöglichkeiten
anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken
hat, sind Maßnahmen ergriffen worden, die dieser Vorgabe entsprechen sowie sicherstellen sollen, dass
sie im Sinne des § 5 Abs. 2 GlüStV nicht in Widerspruch zu den Zielen des § 1 GlüStV steht, insbesondere
nicht gezielt zur Teilnahme am Glücksspiel auffordert, anreizt oder ermuntert. Die Werbung darf sich
außerdem nicht an Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Zielgruppen richten, nicht irreführend sein
und muss deutliche Hinweise auf das Verbot der Teilnahme Minderjähriger, die von dem jeweiligen
Glücksspiel ausgehende Suchtgefahr und Hilfsmöglichkeiten enthalten. In diesem Zusammenhang
wurden der Lotto Rheinland-Pfalz GmbH durch das Finanzministerium die Werberichtlinien der
Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder verbindlich vorgeschrieben. Soweit Werbemaßnahmen für
Lotterien kritisiert werden, lässt sich daraus nicht schließen, die Information über die Möglichkeit zur
Sportwette nehme Aufforderungscharakter an.
2.
vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage
mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen behördlichen Entscheidungen spricht.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, C-243/01, NJW 2004, 139 - Gambelli -;
EuGH, C-338/04 u.a., Slg 2007, I-1891 - Placanica u.a. -; EuGH, C-42/07, ZfWG 2009, 304 – Liga
Portuguesa -) ist ein staatliches Glücksspielmonopol europarechtlich nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Es steht den Mitgliedsstaaten vielmehr frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet des Glücksspiels
festzulegen und das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen, sofern die Beschränkungen dem
gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Vom nationalen Gericht ist dann zu
prüfen, ob die Beschränkungen geeignet sind, die Verwirklichung des vom jeweiligen Mitgliedstaat
geltend gemachten Zieles zu gewährleisten oder ob sie über das hinausgehen, was zur Erreichung
dieses Zieles erforderlich ist. Eine systematische und kohärente Begrenzung der Wetttätigkeit im
öffentlichen Interesse wird danach als hinreichende Rechtfertigung für eine Beschränkung von
Grundfreiheiten des EG-Vertrages – EGV - angesehen.
Der Senat teilt nicht die Auffassung, wonach sich aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache
Rosengren (C-170/04, Slg. 2007, I 4072) ergebe, dass das Sportwettmonopol ungeeignet sei, um den
notwendigen Jugendschutz zu gewährleisten. In dieser Entscheidung hat der EuGH ein aus Gründen des
Jugendschutzes errichtetes Einfuhrmonopol für alkoholische Getränke beanstandet, weil die
Alterskontrollen unzulänglich waren, zumal Alkoholika auf dem Postweg auch an minderjährige Besteller
geliefert wurden. So liegen die Dinge beim Sportwettmonopol nicht; schon wegen der Notwendigkeit
einer Kundenkarte für den Abschluss einer ODDSET-Wette ist der Minderjährigenschutz gewährleistet.
Soweit Streit darüber besteht, ob die angefochtene Untersagungsverfügung gegen die
Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EGV verstößt, ist die dem EuGH vorgelegte Frage von Bedeutung, ob
die Prüfung der kohärenten und systematischen Begrenzung der Spielleidenschaft auf einen einzelnen
Glücksspielbereich (z.B. Sportwetten) begrenzt vorzunehmen oder ob auf einen erweiterten
Glücksspielbereich abzustellen ist. Da insbesondere von Spielautomaten eine größere Suchtgefahr
ausgeht als von Sportwetten (vgl. auch BVerfG, 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197) und die zum 1. Januar
2006 in Kraft getretene Änderung der Spielverordnung die Möglichkeiten, Spielautomaten aufzustellen,
erweitert hat, könnte der Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens insoweit berechtigt sein. Der Senat hat
deshalb das Berufungsverfahren 6 A 10393/08.OVG bis zur Entscheidung des EuGH in den verbundenen
Rechtssachen C-316/07 u. a. (Vorlagebeschlüsse des VG Gießen vom 7. Mai 2007 - 10 E 13/07 - und des
VG Stuttgart vom 24. Juli 2007 - 4 K 4435/06 -) ausgesetzt. Damit sind die Erfolgsaussichten des
Widerspruchs bzw. der Klage unter diesem Gesichtspunkt offen, auch wenn viel dafür spricht, die
Rechtfertigungsanforderungen für Beschränkungen von Grundfreiheiten nur an die monopolisierten
Glücksspiele zu stellen. Der EuGH hat in der Rechtssache Liga Portuguesa (C-42/07, ZfWG 2009, 304,
RdNrn. 60, 67, 69 f.) geprüft, ob die Beschränkung des Anbietens von „Glücksspielen über das Internet“
verhältnismäßig ist, also nicht sämtliche Glücksspiele in den Blick genommen (in diesem Sinne bereits:
Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Liga Portuguesa, ZfWG 2008, 323, RdNr. 305
f.). Dass es zivilgerichtliche Entscheidungen zu „Online-Lottoscheinen“ gibt, denen eine hiervon
abweichende Beurteilung zugrunde liegt, ändert nichts daran, dass die Erfolgsaussichten des
Widerspruchs bzw. der Klage offen sind und angesichts des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung
von Widerspruch und Klage durch § 1 LGlüG i. V. m. § 9 Abs. 2 GlüStV nicht ausreichen, um dem privaten
Interesse an der Aussetzung der Vollziehung den Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse
einzuräumen.
Im Übrigen hält der Senat an seinen gemeinschaftsrechtlichen Ausführungen im Verfahren 6 B
10118/07.OVG (NVwZ-RR 2007, 610, ESOVGRP, juris) fest:
„Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil in den Rechtssachen C-338/04 u.a. - Placanica u.a. -
wie schon im Urteil in der Rechtssache C-243/01 (NJW 2004, 139 = GewArch 2004, 30 - Gambelli -) eine
systematische und kohärente Begrenzung der Wetttätigkeit im öffentlichen Interesse als hinreichende
Rechtfertigung für eine Beschränkung von Grundfreiheiten des EG-Vertrages angesehen.
Als Gemeinwohlbelange, die eine Beschränkung von Grundfreiheiten des EG-Vertrages durch eine
systematische und kohärente Begrenzung der Wetttätigkeit rechtfertigen, dürfen der Verbraucherschutz,
die Betrugsvorbeugung, die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das
Spielen sowie die Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen berücksichtigt werden.
Nach dieser Rechtsprechung in den Rechtssachen C-338/04 u.a. - Placanica u.a. - und in der
Rechtssache C-243/01 (NJW 2004, 139 = GewArch 2004, 30 – Gambelli -) ist die Unterbindung der
Vermittlung von Sportwetten in andere Mitgliedsstaaten mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn sie
wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und die Finanzierung sozialer
Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine Nebenfolge, nicht
aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist. Im Urteil in der Rechtssache C-243/01
(NJW 2004, 139 = GewArch 2004, 30 – Gambelli -) hat der Europäische Gerichtshof die Berufung auf die
Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, allerdings dann nicht gelten lassen, um
Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen, wenn die Behörden des Mitgliedstaats die
Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit
der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen. Wie in dem Urteil in den Rechtssachen C-338/04 u.a. -
Placanica u.a. (Rn 49) noch einmal bekräftigt wurde, muss die Beschränkung der Grundfreiheit darüber
hinaus verhältnismäßig sein und darf nicht in diskriminierender Weise angewandt werden. Für jede mit
den nationalen Rechtsvorschriften auferlegte Beschränkung ist danach zu prüfen, ob sie geeignet ist, die
Verwirklichung des damit verfolgten Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur
Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs in der Rechtssache C-42/02 (Slg. I 2003, 13519 – Lindman -), die eine Rechtfertigung nicht
von Untersuchungen abhängig macht, die erweisen, dass private Wetten aus dem EG-Ausland
„gefährlicher“ sind als inländische Monopolwetten. Diese Entscheidung enthält allerdings den Hinweis
(Rn 25), dass die Rechtfertigungsgründe, die von einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden können,
von einer Untersuchung zur Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit der von diesem Staat
erlassenen beschränkenden Maßnahme angesichts der Schwere der Gefahren, die mit dem Betreiben
von Glücksspielen verbunden sind (Rn 26), begleitet werden müssen. Eine solche Untersuchung ist vom
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung der Universität Bremen im Mai 2005 veröffentlicht worden
(
www.mags.nrw.de\Publikationen
).
Das in Rheinland-Pfalz bestehende Sportwettmonopol ist nach diesen Maßstäben nicht diskriminierend
gegenüber Wettanbietern aus anderen Mitgliedstaaten, weil es inländische wie ausländische Dienstleister
ohne Konzession i.S.d. § 2 Abs. 2 LGlSpG in gleicher Weise vom Markt fernhält…..
Die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit in Gestalt des Sportwettenmonopols ist nach Auffassung
des Senats auch verhältnismäßig. Die Eignung dieser Beschränkung zur Verminderung der Spiel- und
Wettmöglichkeiten und damit zur Eindämmung der Spielleidenschaft und zur Bekämpfung der Wettsucht
ergibt sich neben dem bereits erwähnten Werbeverbot aus dem begrenzten – weil monopolisierten –
Angebot (so auch Hayer/Meyer, Das Suchtpotenzial von Sportwetten, Sucht 2003, 212 [218]). Als milderes
Mittel bietet sich die Zulassung privater Wettanbieter unter Einschränkungen nicht an (vgl. Meyer/Hayer,
Stellungnahme zur Neuordnung des Glücksspielrechts, www-user.uni-bremen.de/~drmeyer). Einerseits
könnte die zur Kontrolle der Einhaltung dieser Einschränkungen erforderliche staatliche Aufsicht nicht
annähernd so effektiv sein wie die Überwachung eines Monopolbetriebes. Andererseits würde eine mit
der Zulassung privater Wettanbieter einhergehende Vermehrung der Spiel- und Wettmöglichkeiten bereits
dem Ziel der Eindämmung der Wettleidenschaft zuwiderlaufen. Der bereits genannten Untersuchung des
Instituts für Psychologie und Kognitionsforschung der Universität Bremen kann entnommen werden, dass
angesichts des vorherrschenden Konkurrenzkampfs der Sportwettanbieter die Vermutung nahe liege,
dass das Spielbedürfnis über die fortwährende Einführung neuer Spielanreize weiterhin stimuliert werde
(S. 158 f.). Dieser Untersuchung zufolge (S. 35) besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der
leichten Verfügbarkeit und einem verstärkten Nachfrageverhalten; eine Vergrößerung des
Glücksspielangebots erhöht danach die Auftretenshäufigkeit problematischen Spielverhaltens bei einem
entsprechend anfälligen Personenkreis. Die Beschränkungen der Wettvermittlung sind auch im Blick auf
die mit Sportwetten verbundenen Gefahren verhältnismäßig. Wie sich ebenfalls aus der erwähnten
Untersuchung ergibt, wird das Gefährdungspotenzial bei Sportwetten beispielsweise durch die
Möglichkeit gesteigert, über die Berücksichtigung bestimmter Informationen oder die Aneignung
spezifischer Kenntnisse die Gewinnchance (minimal) günstiger zu gestalten (S. 36). Mit der
Überschätzung der eigenen Einflussnahme steige die Überzeugung, langfristig Gewinne zu verbuchen (S.
46). In Staaten mit einem mannigfaltigen legalen oder illegalen Sportwettangebot (wie in Großbritannien,
Kanada, USA) machten Sportwetter einen hohen Anteil der Spieler in Suchtkranken-
Versorgungseinrichtungen aus (S. 61). Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass bei Sportwetten
nach festen Quoten von einem gegenüber Lotterien gesteigerten Suchtpotential auszugehen ist (S. 45,
137 f., 158). Dabei werden „ODDSET“-Wetten und Sportwetten in privaten Wettbüros unter der Überschrift
„Problemfeld Festquotenwette“ (Punkt 10.1.6) und unter Punkt 11.3 zusammengefasst bewertet. Der Anteil
der Problemspieler bei „ODDSET“ und bei privaten Wettbüros ist nach dieser Untersuchung ungefähr
gleich groß (S. 158). Allerdings kann von privaten Sportwetten ein größerer Spielanreiz ausgehen, weil
die Gewinnquoten günstiger als bei der mit Konzessionsabgaben belasteten Monopolgesellschaft sind
(vgl. Hayer/Meyer, Das Suchtpotenzial von Sportwetten, Sucht 2003, 212 [214]).
Soweit es in dem ergänzenden Aufforderungsschreiben (2003/4350) der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften heißt, in Deutschland gebe es keine verlässlichen Daten über die Zahl von
Suchtspielern, die einer Behandlung bedürften, und nur ein extrem niedriges Risiko für die Spielsucht,
darf nicht übersehen werden, dass die systematische und kohärente Begrenzung der Wetttätigkeit nicht
erst im Falle behandlungsbedürftiger Spielsucht eine Beschränkung von Grundfreiheiten rechtfertigen
kann. Eine solche Beschränkung darf vielmehr auch im Interesse des Verbraucherschutzes, der
Betrugsvorbeugung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das
Spielen, also auch zur Verminderung problematischer Spielleidenschaft, sowie zur Verhütung von
Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen erfolgen (vgl. EuGH, C-243/01, NJW 2004, 139 =
GewArch 2004, 30 – Gambelli -, sowie Urteil in den Rechtssachen C-338/04 u.a. - Placanica u.a. -).“
Soweit weitergehende Untersuchungen zur Spielsucht vor dem Erlass von Regelungen, die
Grundfreiheiten beschränken, für erforderlich gehalten werden, folgt dem der Senat nach seiner
vorläufigen Bewertung nicht. Die bereits erwähnten aussagekräftigen Untersuchungen insbesondere der
Wissenschaftler Meyer und Hayer mögen noch keine repräsentative epidemiologische Studie zur
Verbreitung des problematischen und pathologischen Glücksspielens in Deutschland darstellen. Dies
führt aber nicht dazu, dass derzeit keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht ergriffen
werden dürften. Vielmehr kann auch nach der Rechtsauffassung der EU-Kommission (vgl. Stellungnahme
gegenüber dem EuGH vom 10.12.2007 in den Rechtssachen
C-316/07
u.a., - Stoss u.a. - ZfWG 2008, 94,
RdNr. 44) diesem Erfordernis durch eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des
Grundfreiheiten beschränkenden Gesetzes Rechnung getragen werden.
II.
öffentliche Vollzugsinteresse.
Soweit die Frage der Vereinbarkeit des Sportwettmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht als offen
anzusehen ist, muss es ebenfalls bei der Wertung des § 1 LGlüG i. V. m. § 9 Abs. 2 GlüStV bleiben. Etwas
davon Abweichendes ergibt sich nicht aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Unibet (C-
432/05, Slg 2007, I-2271, juris). Danach gelten für den Erlass vorläufiger Maßnahmen bei Zweifeln an der
Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht bis zur Entscheidung des
zuständigen Gerichts darüber die anzuwendenden nationalen Kriterien, sofern diese weder weniger
günstig ausgestaltet sind als die für entsprechende innerstaatliche Klagen noch die Ausübung der durch
die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig
erschweren. Da die Voraussetzungen, unter denen vorläufiger Rechtsschutz gewährt wird, unabhängig
davon sind, ob es um die Anwendung deutschen Rechts oder des Gemeinschaftsrechts geht, bleibt
insoweit zu prüfen, ob einem privaten Sportwettvermittler die Ausübung von Grundfreiheiten praktisch
unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. Davon kann hier nicht gesprochen werden. Denn
selbst die Bejahung der den Gegenstand der Vorlagen bildenden Frage nach der Notwendigkeit einer
Kohärenz des gesamten in einem Mitgliedsstaat zugelassenen Glücksspielangebots würde nicht
unmittelbar die Möglichkeit uneingeschränkter privater Sportwettvermittlung eröffnen, sondern allenfalls
nach Maßgabe näherer gesetzlicher Bestimmungen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvR
2410/08, juris) hat im Zusammenhang mit dem staatlichen Sportwettmonopol in Niedersachsen
ausgeführt, der Nachteil, der dem privaten Sportwettvermittler aus der sofortigen Vollziehung entstehe,
falls sich die gesetzliche Neuregelung und die tatsächliche Ausgestaltung des niedersächsischen
Wettmonopols als unzureichend erweisen sollte, stelle sich als grundsätzlich - einstweilen - zumutbar dar;
dies gelte auch im Hinblick darauf, dass ihm im Falle einer gegebenenfalls festzustellenden
Verfassungswidrigkeit der neuen Regelungslage eine Tätigkeit als Wettvermittler nicht endgültig verwehrt
wäre. Im Hinblick auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten stünden erhebliche und unzumutbare
(schwere) Nachteile nicht zu befürchten. Da die in Rede stehende Inkohärenz das staatliche
Sportwettmonopol nur mittelbar betreffe, sei das Oberverwaltungsgericht auch nicht gehalten gewesen,
einer etwaigen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des gesetzlichen Vermittlungsverbots im Rahmen der
Interessenabwägung besonders Rechnung zu tragen (vgl. auch BVerfG, 1 BvR 3082/06, juris).
Dem Interesse des Antragsgegners, die gewerbliche Tätigkeit eines privaten Sportwettvermittlers
einstweilen fortsetzen zu können, gebührt auch nicht deshalb der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse,
weil er aufgrund des Senatsbeschlusses vom 29. August 2008 die private Vermittlung von Sportwetten
unter Auflagen fortführen durfte und möglicherweise Aufwendungen für die Ausübung dieses Gewerbes
erbracht hat, die nun nutzlos werden. Diese waren vor dem Hintergrund einer unklaren Rechtslage
erkennbar risikobehaftet und deshalb in ihrer Schutzwürdigkeit gemindert (vgl. BVerfG, 1 BvR 2410/08,
juris).
Der Beschwerde war nach alledem mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge
stattzugeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG.
gez. Dr. Mildner
gez. Dr. Frey
gez. Dr. Beuscher