Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 13.01.2003

OVG Koblenz: vorläufiger rechtsschutz, rechtliches gehör, erlass, dringlichkeit, anfang, hochschule, stamm, organisation, ausnahme, quelle

Hochschulzulassungsrecht
OVG
Koblenz
13.01.2003
6 D 11940/02.OVG
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Zulassung zum Studium der Psychologie
hier: einstweilige Anordnung
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
13. Januar 2003, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner
Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 3.
Dezember 2002 – 15 M 3228/02.KO – wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.000,-- € festgesetzt.
G r ü n d e
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund nicht
glaubhaft zu machen vermocht (§ 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung – ZPO -).
Für eine Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit dem Ziel, vorläufig bei einer
Hochschule einen Studienplatz zu einem bestimmten Semester zu erhalten, liegt der erforderliche
Anordnungsgrund vor, wenn eine solche Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder aus
anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer Regelung ist nach einem strengen Maßstab zu
beurteilen, weil durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung die Hauptsache
vorweggenommen wird (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3.
Aufl. 1986, Rdnr. 968). Die vorläufige Zulassung zum Studium lässt sich nämlich nicht rückgängig
machen, selbst wenn der Antragsteller im Klageverfahren unterliegt: Weder kann er die in Anspruch
genommene Ausbildungskapazität zurückgewähren noch gehen ihm die aufgrund der vorläufigen
Zulassung erbrachten Studienleistungen verloren. Deshalb kommt die vorläufige Zulassung zum Studium
im Wege der einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn es für den Antragsteller schlechthin
unzumutbar ist, auf das Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden; die begehrte Anordnung muss für ihn
besonders dringlich sein (Finkelnburg/Jank, a.a.O. Rdnr. 969). Von der Dringlichkeit einer
Regelungsanordnung kann indessen nicht gesprochen werden, wenn der Studienbewerber versäumt,
das ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um mit Erfolg am Studium des betreffenden Semesters
teilnehmen zu können. Dazu gehört es auch, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung so
frühzeitig gestellt wird, dass im Falle einer für den Studienbewerber positiven Entscheidung ein sinnvolles
Studium in dem fraglichen Semester noch möglich ist (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Dezember
1998, NVwZ-RR 1999, 542). Eine gerichtliche Eilentscheidung, die dem nicht (mehr) gerecht werden
kann, ist nicht geboten; sie erscheint im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht nötig (OVG Hamburg,
Beschluss vom 24. Juni 1991, NVwZ-RR 1992, 22 [25]). Der Zweck der vorläufigen Zulassung zum
Studium erschöpft sich nämlich nicht in der rechtlichen Eröffnung des Zugangs zur Hochschule. Ihr Sinn
liegt vielmehr in der kapazitätsausschöpfenden Ausnutzung „verschwiegener“ Studienplätze durch die
erfolgreiche Teilnahme an den Veranstaltungen des jeweiligen Semesters. Der Zugangsanspruch ist auch
nicht auf eine Studienzulassung schlechthin bezogen, sondern auf eine solche zu einem bestimmten
Bewerbungssemester (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 1977, NJW 1978, 1340 f.). Nach der
Organisation des Studiums ist davon auszugehen, dass der für ein Semester vorgesehene Lernerfolg
wesentlich davon abhängt, dass die Lehrveranstaltungen von Anfang an ohne vermeidbare Fehlzeiten
besucht werden. Dementsprechend kann der im einstweiligen Anordnungsverfahren geltend gemachte
Anspruch eines Studienbewerbers nur auf die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen von Anfang an
unter vorläufiger Zulassung zum Studium gerichtet sein. Die Aufnahme des Studiums im Laufe des
Semesters der Wahl ist insoweit von anderer Qualität als die Zulassung, für die er sich beworben hat; stellt
der Studienbewerber den Antrag zu einem Zeitpunkt, zu dem der von ihm erhobene Anspruch so, wie er
ausgeformt ist, nicht mehr befriedigt werden kann, ist die erforderliche Dringlichkeit nicht gegeben (OVG
Hamburg, Beschluss vom 24. Juni 1991, a.a.O., S. 24). Deshalb folgt der Senat der Auffassung nicht, ein
Zulassungsantrag könne solange mit Erfolg gestellt werden, wie ein ordnungsgemäßes Studium gerade
noch gewährleistet erscheint (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 1977, a.a.O.).
Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass Studienbewerbern, die sich bei der Hochschule um
Zulassung beworben haben und (rechtzeitig) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
gestellt haben, prozessualer Bestandsschutz gewährt wird, wenn während der Dauer des gerichtlichen
Verfahrens das Bewerbungssemester fortschreitet oder sogar endet. Hat ein Studienbewerber das ihm
Zumutbare getan, um seinen Zugangsanspruch zu verwirklichen, soll dieser allein durch Zeitablauf nicht
untergehen (vgl. Bahro/Berlin/Hübenthal, Das Hochschulzulassungsrecht, 3. Aufl. 1994, S. 386;
Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 983). Dieses Institut des prozessualen Bestandsschutzes, das ersichtlich
auf die erwähnte Ausnahmesituation zugeschnitten ist, kann nicht zur Folge haben, dass die Dringlichkeit
einer einstweiligen Anordnung, die während des laufenden Vorlesungsbetriebes begehrt wird, auch dann
bejaht wird, wenn eine erfolgreiche Teilnahme an den Lehrveranstaltungen des Bewerbungssemesters
und damit die einzig sinnvolle Ausnutzung der geschaffenen Ausbildungsmöglichkeiten aus Gründen zu
bezweifeln ist, die vom Studienbewerber zu vertreten sind. Die vom Bundesverfassungsgericht
(grundlegend Urteil vom 18. Juli 1972, BVerfGE 33, 303 [329 ff.] sowie Urteil vom 8. Februar 1977,
BVerfGE 43, 291 [312 ff.]) geforderte volle Ausschöpfung aller mit öffentlichen Mitteln geschaffenen
Ausbildungsmöglichkeiten darf nicht dahin missverstanden werden, dass eine Studienzulassung
(vorläufig) unabhängig davon erstritten werden kann, ob der Studienbewerber seinerseits alles
unternommen hat, um von Anfang an und mit Erfolg an den Lehrveranstaltungen des
Bewerbungssemesters teilnehmen zu können.
Nach diesen Maßstäben fehlt es dem Begehren des Antragstellers an der erforderlichen Dringlichkeit.
Dabei braucht aus Anlass der vorliegenden Fallgestaltung nicht entschieden zu werden, ob ein
Anordnungsgrund grundsätzlich schon dann nicht (mehr) gegeben ist, wenn der Antrag auf die
einstweilige Anordnung bei Gericht erst nach dem ersten Vorlesungstag des Bewerbungssemesters
eingeht (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschluss vom 24. Juni 1991, a.a.O.; OVG Greifswald, Beschluss vom
18. Dezember 1998, a.a.O.). Dringlich ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der
vorläufigen Zulassung zum Studium hier bereits deshalb nicht, weil der Rechtsschutzantrag – und
übrigens auch der bei der Antragsgegnerin gestellte Zulassungsantrag – erst am 20. November 2002
einging, also zu einem Zeitpunkt, als der Vorlesungsbetrieb bereits seit mehr als 3 Wochen lief. Damit hat
der Antragsteller zu erkennen gegeben, dass ihm die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen des Winter-
semesters, für das er die vorläufige Zulassung zum Studium begehrt, nicht dringlich ist, zumal er nicht
damit rechnen konnte, dass seine Einwendungen gegen die Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin
innerhalb weniger Tage unter Beachtung des Anspruchs der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör
abschließend würden geprüft werden können. Wer sein Begehren erst mehr als drei Wochen nach
Vorlesungsbeginn anhängig macht, nimmt angesichts der gerichtlichen Verfahrensabläufe über zwei
Instanzen in Kauf, dass (mindestens) zwei Monate der Vorlesungszeit ungenutzt bleiben. Einem solchen
Studienbewerber ist es regelmäßig zumutbar, seinen Anspruch im Hauptsacheverfahren zu verfolgen.
Das gilt auch für den Antragsteller des vorliegenden Verfahrens.
Die Beschwerde war nach alledem mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge
zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GKG.
gez. Hehner gez. Stamm gez. Dr. Beuscher
1.
Beschlussausfertigung formlos an
1.
Beschlussausfertigung formlos an
a) Ast./Kl.-Bev.
mit SS v.
b) Antragsg./Bekl.
mit SS v.
2. Statistik Berichterstatter:
3. Kosten
4. Akten an VG zurücksenden
Der Vorsitzende/
Der/Die Berichterstatter/in