Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 02.08.2001

OVG Koblenz: bebauungsplan, öffentliche bekanntmachung, erlass, konkretisierung, planungsziel, werbung, satzung, verhinderung, quelle, sperre

Baurecht
OVG
Koblenz
02.08.2001
1 C 10184/01.OVG
Die beabsichtigte Aufnahme von örtlichen Bauvorschriften in einen bestehenden
Bebauungsplan rechtfertigt nicht den Erlass einer Veränderungssperre.
T e n o r
Die am 18. Oktober 2000 beschlossene Satzung über den Erlass einer Veränderungssperre für einen
Bebauungsplanteilbereich "Rengsdorf Ortskern Obere Westerwaldstraße" der Ortsgemeinde Rengsdorf
wird für nichtig erklärt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden
Kosten abwenden, wenn nicht die Antragstellerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Veränderungssperre "Rengsdorf Ortskern Obere
Westerwaldstraße", die am 18. Oktober 2000 als Satzung beschlossen und am 10. November 2000
ortsüblich bekannt gemacht worden ist.
Dieser Veränderungssperre liegt ein Planaufstellungsbeschluss vom 18. Oktober 2000 für denselben
räumlichen Geltungsbereich zugrunde. Ziel des eingeleiteten Bebauungsplanverfahrens ist es, den
bestehenden Bebauungsplan gleichen Namens abzuändern. Dabei soll der Bebauungsplan nach einer
Stellungnahme der Verbandsgemeinde Rengsdorf an die Ortsgemeinde vom 29. November 2000
lediglich im Hinblick auf bauordnungsrechtliche Vorschriften, nicht jedoch bezüglich der Art und des
Maßes der baulichen Nutzung geändert werden. Vorgesehen ist, großflächige Werbung nicht mehr
zuzulassen. Hintergrund dieser beabsichtigten Regelung ist der in einem Verfahren auf Erteilung einer
Baugenehmigung für eine großflächige Werbung gegebene Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass die
alte Gestaltungssatzung der Antragsgegnerin mangels Differenzierung nichtig sei.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Hausanwesens W..................in R.............., welches im
Geltungsbereich der angegriffenen Veränderungssperre liegt. Sie beabsichtigt nach eigenen Angaben,
einen Bauantrag für die Anbringung einer großflächigen Werbebeschriftung auf der Hausgiebelfläche
ihres Anwesens zu stellen. Dem steht derzeit jedoch die angegriffene Veränderungssperre entgegen.
Mit einem am 7. Februar 2001 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin daher Antrag
auf Normenkontrolle gestellt. Sie macht insbesondere geltend:
Die Veränderungssperre sei nichtig. Die Antragsgegnerin wolle sich im vorliegenden Fall für den Erlass
der Veränderungssperre auf bauordnungsrechtliche Vorschriften stützen. Solche Bestimmungen könnten
zwar gemäß § 9 Abs. 4 BauGB nach Maßgabe des Landesrechts in einen Bebauungsplan aufgenommen
werden. Die einschlägige landesrechtliche Bestimmung sei hierfür die Vorschrift des § 88 LBauO. Nach
dessen Absatz 6 bestehe die Möglichkeit, örtliche Bauvorschriften als Festsetzungen in den
Bebauungsplan aufzunehmen. Nach § 88 Abs. 6 Satz 2 LBauO fänden aber nur die Vorschriften der §§ 3
und 4, 10 bis 13 Abs. 1 und §§ 214 bis 216 BauGB Anwendung. Die Vorschrift über die
Veränderungssperre nach § 14 BauGB sei hingegen in § 88 Abs. 6 Satz 2 LBauO nicht aufgeführt. Die An-
wendung der Vorschriften über die Sicherung der Planung durch befristete Zurückstellung oder
Veränderungssperre bedürfe jedoch der ausdrücklichen Anordnung im Landesrecht, was aber in der
Landesbauordnung Rheinland-Pfalz nicht geschehen sei. Auch könnten der Inhalt der Ratssitzung vom
17. November 2000 und der Befreiungsantrag vom 22. November 2000 nichts für einen
Satzungsbeschluss hergeben, der bereits zeitlich vorher getroffen worden sei. Die Veränderungssperre
sei an das im Zeitpunkt ihres Erlasses verfolgte Planungskonzept gebunden. Ein Austausch der
Planungsabsichten führe zur Unwirksamkeit der Veränderungssperre.
Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,
die am 10. November 2000 in Kraft getretene Veränderungssperre der Ortsgemeinde Rengsdorf für den
Bereich "Rengsdorf Ortskern-Obere Westerwaldstraße" für nichtig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt im Wesentlichen vor:
Es spreche viel dafür, dass der rheinland-pfälzische Gesetzgeber eine spezielle Verweisung für das
Aufstellungsverfahren getroffen habe, die jedoch nach überwiegender Kommentarliteraturmeinung nur
deklaratorische Bedeutung habe. Das bedeute indessen, dass nach wirksamer Aufnahme einer
gestalterischen Vorschrift als Festsetzung in den Bebauungsplan gleichsam automatisch die weiteren auf
den Bebauungsplan insgesamt anwendbaren Vorschriften auch für diese (landesrechtliche Festsetzung)
gelten würden. Letztlich könne die Frage jedoch dahingestellt bleiben, weil der zu sichernde Beschluss
über die Änderung des Bebauungsplans nicht nur gestalterische Vorschriften umfasse, sondern auch
bauplanerische. Dies ergebe sich aus dem Inhalt der Ratssitzung vom 17. November 2000 und auch aus
dem Befreiungsantrag vom 22. November 2000.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Satzungsaufstellungsunterlagen der Antragsgegnerin (1 Heft).
Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Der Normenkontrollantrag, über den der Senat gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung
entscheiden konnte, nachdem sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgegnerin darauf verzichtet
haben, ist zulässig und begründet.
Hinsichtlich der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 VwGO bestehen keine Bedenken, da die
Antragstellerin Eigentümerin eines Grundstücks ist, welches im räumlichen Geltungsbereich der
Veränderungssperre liegt, die derzeit der Genehmigung der von ihr beabsichtigten Verwirklichung einer
großflächigen Werbebeschriftung entgegensteht.
Darüber hinaus hat der Normenkontrollantrag auch in materiell-rechtlicher Hinsicht Erfolg. Nach § 14 Abs.
1 BauGB ist Voraussetzung für den wirksamen Erlass einer Veränderungssperre, dass ein Beschluss über
die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist. Dabei ist unschädlich, dass – wie vorliegend – der Be-
schluss über die Planaufstellung und über die Veränderungssperre gleichzeitig in einer Ratssitzung
ergehen (so BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1989, NVwZ 1989, 661). Die durch die
Veränderungssperre zu sichernde Planung muss jedoch einen Stand erreicht haben, der ein Mindestmaß
dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 27. Juli 1990, ZfBR 1990, 302; Urteil vom 10. September 1976, BVerwGE 51, 212). Das Gesetz
verlangt allerdings nicht, dass der Planaufstellungsbeschluss selbst Aussagen über den Inhalt der
beabsichtigten Planung machen müsse (BVerwG, Urteil vom 10. September 1976, a.a.O.), d.h. die
Konkretisierung der Planung muss nicht offen gelegt sein. Sie muss jedoch in einer Weise verlässlich
festgelegt sein, dass die Gemeinde gegebenenfalls in einem späteren Prozess nachweisen kann, dass im
Zeitpunkt des Erlasses der Sperre die Konkretisierung und Absehbarkeit bereits fixiert war (vgl. Lemmel in
Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl., § 14 Rdnr. 8 m.w.N.). Zur Ermittlung der Planungsabsichten
können dabei auch sonstige Unterlagen herangezogen werden. Im vorliegenden Fall ergibt sich das zum
Zeitpunkt des Erlasses des Planaufstellungsbeschlusses und der Veränderungssperre zugrunde liegende
Planungsziel, welches gesichert werden sollte, aus der Stellungnahme der Verbandsgemeinde vom
November 2000 an die Ortsgemeinde Rengsdorf. Darin wird klarstellend darauf hingewiesen, dass Ziel
der zu sichernden Planung zum damaligen Beschlusszeitpunkt die Aufnahme bauordnungsrechtlicher
Vorschriften (insbesondere solcher zur Verhinderung von großflächiger Werbung), nicht aber die
Änderung von planungsrechtlichen Vorschriften war. Dieser Konkretisierung des damaligen
Planungsziels zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 18. Oktober 2000 hat die Antragsgegnerin nicht
widersprochen.
Ging aber nach den vorstehenden Darlegungen das Planungsziel im Zeitpunkt der Beschlussfassung vom
18. Oktober 2000 nur dahin, den bestehenden Bebauungsplan allein durch bauordnungsrechtliche
Festsetzungen zu ergänzen, so vermögen diese bauordnungsrechtlichen Festsetzungen eine
Veränderungssperre nicht zu rechtfertigen. Bei solchen Festsetzungen, die hier insbesondere den
Ausschluss von großflächigen Werbeanlagen bewirken sollen, handelt es sich nämlich um örtliche
Baugestaltungsvorschriften i.S. von § 88 Abs. 1 Nr. 1 der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz – LBauO
n.F. – vom 24. November 1998 (GVBl S. 365). Vorschriften dieser Art können gemäß § 9 Abs. 4 BauGB
i.V.m. § 88 Abs. 6 Satz 1 LBauO n.F. in einen Bebauungsplan aufgenommen werden. Außerdem bestimmt
§ 9 Abs. 4 BauGB, dass die Länder auch regeln können, inwieweit auf diese in den Bebauungsplan
aufzunehmenden Festsetzungen die Vorschriften des Baugesetzbuches Anwendung finden. Der
rheinland-pfälzische Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung in § 88 Abs. 6 Satz 2 LBauO n.F.
Gebrauch gemacht. Dort heißt es: "Auf diese Festsetzungen sind die §§ 3 und 4, 10 bis 13 Abs. 1 und 214
bis 216 des Baugesetzbuches anzuwenden." Die Vorschriften der §§ 14 ff. BauGB über den Erlass einer
Veränderungssperre sind hierin nicht erwähnt. Hieraus wird man den Schluss ziehen müssen, dass eine
Veränderungssperre hinsichtlich landesrechtlicher Festsetzungen nicht in Betracht kommt (für die
Annahme einer solchen Schlussfolgerung in einem ähnlichen Fall unter Berücksichtigung der
Vorgängervorschrift des § 86 Abs. 6 LBauO a.F.: BVerwG, Urteil vom 18. April 1996, NVwZ 1996, 892).
Zwar wird in der Kommentarliteratur auch die Meinung vertreten, dass jedenfalls die Vorschriften des
Baugesetzbuches über das Aufstellungsverfahren eines Bebauungsplans auch ohne ausdrückliche
Benennung in den unter dem Regime des § 9 Abs. 4 BauGB ergangenen landesrechtlichen
Bestimmungen Anwendung finden müssten (vgl. z.B. Gaentzsch in Berliner Kommentar zum BauGB, 2.
Aufl., § 9 Rdnr. 70). Zu diesen Vorschriften zählen die Normen über die Sicherung der Planung durch Ver-
änderungssperre (§§ 14 ff. BauGB) jedoch nicht. Deren Anwendbarkeit auf die als Festsetzungen des
Bebauungsplans übernommenen örtlichen Baugestaltungsvorschriften bedarf vielmehr der
ausdrücklichen Anordnung im Landesrecht (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 9 BauGB, Rdnr. 171; Gierke
in Brügelmann, § 9 BauGB Rdnr. 552), woran es hier aber eindeutig fehlt.
Ist mithin die Veränderungssperre aus diesem Grunde nichtig, so vermag die (möglicherweise) neue
Konkretisierung der Planungsabsichten in der Ratssitzung vom 17. November 2000 und eventuell durch
den Befreiungsantrag vom 22. November 2000 dahin, dass mit dem zu sichernden Beschluss über die
Änderung des bestehenden Bebauungsplans nunmehr neben bauordnungsrechtlichen Gesichtspunkten
auch bauplanerische Absichten verfolgt werden sollen, keine Heilung herbeizuführen (so auch Lemmel in
Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl., § 14 Rdnr. 8). Die Veränderungssperre ist nämlich eng an das
im Zeitpunkt ihres Erlasses verfolgte Plankonzept gebunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September
1976, BRS 30 Nr. 76). Mit der Veränderungssperrre soll eine bestimmte, in gewissem Umfang bereits
konkretisierte Planung gesichert werden; der sachliche Inhalt hängt daher vom Zweck der Planung ab. Im
Hinblick darauf kann zwar ein Nachschieben von marginalen Änderungen hinsichtlich des Planungsziels
gegebenenfalls unschädlich sein. Das hier mit der zusätzlichen Aufnahme von bauplanerischen
Absichten verfolgte neue Planungsziel beinhaltet aber bereits konzeptionell etwas wesentlich anderes als
die ursprünglich vorgesehene bloße Integrierung von Baugestaltungsvorschriften in den Bebauungsplan.
Ein solches Nachschieben von späteren, konzeptionell anderen Planungsabsichten, die sich erst nach
Erlass der Satzung über die Veränderungssperre konkretisiert haben - die neuen Absichten haben sich
nach Vortrag der Antragsgegnerin frühstens in der Ratssitzung vom 17. November 2000 konkretisiert,
während der Satzungsbeschluss über die Veränderungssperre bereits am 18. Oktober 2000 gefasst
worden und die öffentliche Bekanntmachung am 10. November 2000 erfolgt ist - , vermag indessen die
ursprünglich fehlerhafte Veränderungssperre nicht zu heilen (s. OVG Berlin, Urteil vom 2. Dezember 1988,
ZfBR 1989, 173; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 1999, NVwZ 2000, 1061). Insoweit ist
vielmehr der Erlass einer neuen Veränderungssperre erforderlich (OVG Berlin, a.a.O.; OVG Lüneburg,
vielmehr der Erlass einer neuen Veränderungssperre erforderlich (OVG Berlin, a.a.O.; OVG Lüneburg,
a.a.O.).
Dem Normenkontrollantrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 GKG).