Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 08.06.2004
OVG Koblenz: waffe, mittelbarer schaden, grobe fahrlässigkeit, teilweiser erlass, ärztliche behandlung, stadt, zustand, schuss, patrone, fürsorgepflicht
OVG
Koblenz
08.06.2004
2 A 11972/03.OVG
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn A., A-Straße, A-Stadt,
- Kläger und Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B., B-Straße, B-Stadt,
gegen
das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Polizeipräsidenten in B-Stadt, C-Straße, B-Stadt,
- Beklagter und Antragsgegner -
wegen Regressforderung
hier: Zulassung der Berufung
hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
8. Juni 2004, an der teilgenommen haben
Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer
Richter am Oberverwaltungsgericht Bonikowski
Richterin am Oberverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.
September 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird abgelehnt.
Der Antragsteller hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 1.750,00 € festgesetzt.
G r ü n d e
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, dem Dienstherrn die von ihm erbrachten
Leistungen an einen Dritten, der durch einen Schuss aus der Dienstwaffe des Klägers verletzt wurde, zu
erstatten.
Der Kläger steht als Polizeikommissar im Dienste des beklagten Landes. Am 15. November 2001 suchte
er aus Anlass einer routinemäßigen Waffenrevision während seines Urlaubs die Dienststelle auf und
begab sich in eines der Vernehmungszimmer, um seine Dienstwaffe zur Vorbereitung der Überprüfung zu
reinigen. In der Absicht die Waffe zu zerlegen, richtete er diese schräg nach unten. Er zog den Schlitten
zurück, wobei eine Patrone ausgeworfen wurde. Beim anschließenden Versuch, das Magazin aus der
Waffe zu entnehmen, löste sich ein Schuss und schlug in den Fußboden ein. Dadurch erlitt ein im selben
Raum anwesender Kollege, der sich etwa 2,5 m vom Kläger entfernt befand, ein Knalltrauma und einen
beidseitigen Tinnitus. Die vom Beklagten während der Dienstunfähigkeit an diesen Beamten fortgezahlten
Dienstbezüge und die von ihm übernommenen Kosten für die ärztliche Behandlung belaufen sich auf
insgesamt 2.063,91 €. Nachdem die zuständige Personalvertretung lediglich einem Rückgriff in Höhe von
1.750,00 € zugestimmt hatte, forderte der Beklagte den Kläger durch Leistungsbescheid vom 20. März
2003 zur Erstattung des letztgenannten Betrages auf. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der
Kläger habe die ihm obliegenden Amtspflichten beim Umgang mit Dienstwaffen grob fahrlässig verletzt.
Vor allem sei ihm vorzuwerfen, dass er an der Waffe außerhalb der dafür vorgesehenen Ladeecke hantiert
habe, zumal ihm spätestens mit dem Auswerfen der Patrone der geladene Zustand der Waffe bekannt
gewesen sei. Dem trat der Kläger entgegen. Er wandte im Wesentlichen ein, eine grobe Fahrlässigkeit
könne ihm nicht angelastet werden. Vorkommnisse der vorliegenden Art passierten nun einmal.
Insbesondere fehle es auch an der Kausalität. Die Verletzung seines Kollegen wäre nämlich auch bei
einer Entladung der Waffe in der Ladeecke nicht zu verhindern gewesen. Im Übrigen gehöre die
Belastung mit Knallgeräuschen aus Schusswaffen zum allgemeinen Berufsrisiko der Polizeibeamten.
Widerspruch und Anfechtungsklage des Klägers blieben erfolglos. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt
der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen der damit geltenden
gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) nicht
vorliegen.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da sich
aufgrund des Zulassungsvorbringens keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür abzeichnet, dass der
Kläger in einem Berufungsverfahren mit seinem Begehren durchdringen könnte. Das angefochtene Urteil
erweist sich vielmehr als richtig. Das vorinstanzliche Entscheidungsergebnis wird insbesondere nicht
durch die vom Kläger erhobenen Bedenken in Frage gestellt.
Zu den Dienstpflichten eines Polizeibeamten gehört es, mit seiner Dienstwaffe so umzugehen, dass
niemand unnötig gefährdet oder geschädigt wird. Die Pflicht zu sorgsamem und
verantwortungsbewusstem Umgang mit der Dienstwaffe gilt in besonderem Maße beim Aufenthalt in
geschlossenen Räumen, zumal wenn sich Dritte in der Nähe befinden. Verletzt der Beamte diese Pflicht
vorsätzlich oder grob fahrlässig, ist er dem Dienstherrn zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens
verpflichtet (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Landesbeamtengesetz - LBG -). Das Verschulden ist allein auf die
Dienstpflichtverletzung, nicht auch auf den eingetretenen Schaden zu beziehen. Der Schuldvorwurf der
groben Fahrlässigkeit ist gerechtfertigt, wenn der Beamte im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung
der gesamten Umstände die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt und das nicht
beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Grabendorff/Arend, LBG Rheinland-Pfalz,
Stand: August 2003, Teil B, § 86 Erl. 1. c) sowie Plog/Wiedow u.a., Kommentar zum BBG, Stand: Mai 2004,
§ 78 BBG Rdnr. 25 jeweils m.w.N.). Angesichts der mit Schusswaffen verbundenen erheblichen
Gefährdung von Leib oder Leben des Waffenträgers und Dritter ist es eine zumutbare und ohne weiteres
nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme, sich vor dem Zerlegen einer Waffe von ihrem ungeladenen
Zustand zu überzeugen und zumindest beim Vorliegen begründeter Zweifel bereits für diese Überprüfung
die Ladeecke aufzusuchen. Daher handelt ein Polizeibeamter in der Regel der ihm obliegenden Sorgfalt
in besonders hohem und offenkundigem Maße zuwider, wenn er mit der Zerlegung der Waffe außerhalb
der Ladeecke fortfährt, obwohl für ihn eindeutige und sichere Anhaltspunkte für ihren geladenen Zustand
gegeben sind.
In Anwendung dieses rechtlichen Maßstabes ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig anzusehen,
weil er, selbst nachdem beim Zurückziehen des Schlittens eine Patrone ausgeworfen wurde, und es sich
ihm daher geradezu aufdrängen musste, dass die Waffe entgegen seiner ursprünglichen Annahme nicht
ungeladen war, nicht die Ladeecke aufsuchte. Umstände, die ausnahmsweise einen minder schweren
Schuldvorwurf rechtfertigen könnten, sind vorliegend nicht erkennbar.
Dem Beklagte ist ferner - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - ein (mittelbarer) Schaden
durch die Fortzahlung der Dienstbezüge während der Dienstunfähigkeit und der Begleichung der
ärztlichen Behandlungskosten entstanden. Der Schadensbegriff des § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG schließt den
sogenannten Regressschaden ein, der dadurch entsteht, dass durch die Dienstpflichtverletzung ein Dritter
geschädigt wird und der Dienstherr für diesen Schaden einzutreten hat (vgl. Grabendorff/Arend, a.a.O., Erl.
1. d)). Soweit das Verwaltungsgericht im Übrigen einen Abzug von 313,91 € (= 15% der Schadenssumme)
für die Vorschädigung des rechten Ohres des verletzten Beamten für ausreichend gehalten hat, ist
dagegen mangels einer beachtlichen Verfahrensrüge des Klägers nichts zu erinnern.
Die Leistungen des Beklagten an den verletzten Dritten sind auch adäquat kausal bedingt durch die
Dienstpflichtverletzung des Klägers. Ein adäquater Ursachenzusammenhang ist zu bejahen, wenn nach
allgemeiner Lebenserfahrung die begangene Dienstpflichtverletzung für einen objektiven Betrachter
geeignet war, einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss
vom 30. August 2001 - 10 A 10683/01.OVG - veröffentlicht in ESOVGRP). Diese Voraussetzung ist hier
erfüllt. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein sorgfaltsgemäßes Verhalten des
Klägers den Schaden verhindert hätte. Es lag nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, dass sich beim
Entladen der Dienstwaffe außerhalb der Ladeecke versehentlich ein Schuss löste und das in
geschlossenen Räumen besonders intensive Knallgeräusch bei dem sich in unmittelbarer Nähe
befindlichen, keinen Schallschutz tragenden Kollegen des Klägers eine Tinnituserkrankung hervorrief.
Darüber hinaus stehen die besagten Aufwendungen des Beklagten - ohne damit die Frage nach dem
Erfordernis eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen pflichtwidrigem Verhalten und Schaden
generell und abschließend zu beantworten (vgl. auch offen gelassen durch BVerwG, Urteil vom
7. Dezember 1984 - BVerwG 6 C 199.81 - BVerwGE 70, 296 [300 f.]) - in einem inneren Zusammenhang
mit der vom Kläger geschaffenen Gefahrenlage. Denn sowohl die Überprüfung des (aktuellen)
Ladezustandes der Waffe in der Ladeecke als auch ihre dortige Entladung sollen gerade auch verhindern,
dass Dritte durch den Umgang mit der Waffe verletzt werden.
Schließlich liegen keine besonderen Umstände vor, die es geboten erscheinen lassen, von einer
Inanspruchnahme des Klägers ganz oder zum Teil abzusehen. Die Geltendmachung des
Schadensersatzanspruches nach § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG steht - anderes als der Kläger zu meinen scheint
- weder dem Grunde noch der Höhe nach im Ermessen des Beklagten (vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift
des § 78 Abs. 1 Satz 1 BBG: BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 2 C 42.00 - ZBR 2002, 315).
Lediglich in engen Ausnahmefällen, etwa bei einer außergewöhnlichen Schadenshöhe, kann aufgrund
des Fürsorgegrundsatzes ein vollständiger oder teilweiser Erlass angezeigt sein (vgl. Plog/Wiedow u.a.,
a.a.O., Rdnr. 50 m.w.N.). Die vorliegend geltend gemachte Schadensersatzforderung erfüllt diese
Anforderung jedoch erkennbar nicht. Damit ist aber noch nichts über eine Haftungsbeschränkung bei
einer etwaigen Inanspruchnahme des Klägers für spätere (Folge)Schäden gesagt; insoweit erscheint es
dem Senat im Gegenteil durchaus erwägenswert und sachgerecht zu sein, unter dem Gesichtspunkt der
Fürsorgepflicht von einem Härtefall auszugehen.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen
Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Es kann bereits - wie aufgezeigt - aufgrund des bisherigen
Sach- und Streitstandes ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens hinreichend sicher beurteilt
werden, dass der gegenüber dem Kläger nach § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG im Wege des Rückgriffs geltend
gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 1.750,00 € keiner Beanstandung unterliegt.
3. Ferner ist die Berufung nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Insoweit formuliert der Kläger entgegen der ihm nach § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO
obliegenden Darlegungslast keine bestimmte, noch ungeklärte, fallübergreifende Rechtsfrage von ent-
scheidungserheblicher Bedeutung. Soweit er die grundsätzliche Bedeutung damit begründet, dass das
Aufsuchen der Ladeecke entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall gerade
keine annähernde Gewähr dafür geboten hätte, eine Gefährdung Dritter auszuschließen, setzt er der
tatrichterlichen Würdigung der Vorinstanz lediglich seine eigene abweichende Einschätzung entgegen.
Dies vermittelt der Rechtssache aber noch keine grundsätzliche Bedeutung. Entsprechendes gilt für seine
umfangreichen Ausführungen bezüglich der Abweichung des angefochtenen Urteils von den näher
bezeichneten und skizzierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes. Denn allein mit Vorwurf einer
fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen durch die Vorinstanz kann eine
Grundsatzrüge nicht begründet werden.
4. Der Zulassungsantrag dringt auch nicht insoweit durch, als der Kläger gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
geltend macht, die angefochtene Entscheidung weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 17. September 1964 - BVerwG 2 C 147.61 - (BVerwGE 19, 243) ab, weil sich das Verwaltungsgericht
mit der danach anerkannten Möglichkeit des vollständigen oder teilweisen Erlasses aus Gründen der
Fürsorgepflicht nicht auseinandergesetzt habe. Die streitgegenständliche Forderung von 1.750,00 € weist
nämlich - wie bereits erwähnt - (noch) keine existenzbedrohende Höhe auf, sodass für den Beklagte
(bislang) auch keine Veranlassung bestand, über eine Haftungsbeschränkung aufgrund des Fürsorge-
grundsatzes zu befinden.
5. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO)
zuzulassen. Ohne Erfolg bemängelt der Kläger, die angefochtene Entscheidung beruhe im Hinblick auf
den Krankheitsbefund seines verletzten Kollegen sowie die Räumlichkeiten und die Gepflogenheiten in
der Dienststelle in Bezug auf die Aufbewahrung der Dienstwaffen während der Urlaubszeit auf einer
unzureichenden Ermittlung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Denn das Verwaltungsgericht hatte von
seiner, für den Umfang der Aufklärungspflicht allein maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung her
keine Veranlassung, weitere Ermittlungen in eine vom Kläger im Übrigen nicht näher bezeichnete
Richtung anzustellen. Alle für die Entscheidung über den Regressanspruch nach § 86 Abs. 1 Satz 1 LBG
erforderlichen Tatsachen sind ausweislich der vorstehenden Ausführungen vielmehr hinreichend geklärt.
Soweit sich der Kläger auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1
Grundgesetz - GG -) beruft, weil er erstmals in der mündlichen Verhandlung von dem Inhalt des
Verwaltungsvorgangs Kenntnis erlangt habe, genügt sein Vorbringen nicht den
Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn der Zulassungsantrag lässt jede
Ausführung darüber vermissen, welchen Sachvortrag der Kläger bei hinreichender Gehörsgewährung
noch unterbreitet hätte und inwiefern sein weiterer Vortrag zur Begründung seines Klagebegehrens
geeignet gewesen wäre. Schließlich bleibt auch die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht
(§ 86 Abs. 3 VwGO) erfolglos. Dass das Verwaltungsgericht Einzelheiten aus dem beigezogenen und zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsvorgang zur Grundlage seiner
Entscheidung machen kann, ist eine Selbstverständlichkeit, die in der Regel keines ausdrücklichen
Hinweises bedarf. Soweit der Kläger sein Vorbringen als Verstoß gegen das Verbot von
Überraschungsentscheidungen verstanden wissen will, benennt er keine konkrete, aus dem
Verwaltungsvorgang entnommene Tatsache, mit deren Verwertung er bei Anwendung der gebotenen
Sorgfalt nach dem Verlauf des Rechtsstreits nicht zu rechnen brauchte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus §§
13 Abs. 2, 14 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -.
gez. Prof. Dr. Meyer gez. Bonikowski gez. Stengelhofen