Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 11.07.2001

OVG Koblenz: vorläufige dienstenthebung, wahrscheinlichkeit, disziplinarverfahren, unterschlagung, fahrbahn, gefährdung, polizeibeamter, verfügung, steigerung, verurteilter

Disziplinarrecht
OVG
Koblenz
11.07.2001
3 B 10956/01.OVG
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In der Disziplinarsache
wegen Dienstvergehens
(hier: Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen)
hat der 3. Senat - Senat für Disziplinarsachen - des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz
aufgrund der Beratung vom 11. Juli 2001, an der teilgenommen haben
Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer
Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Cloeren
Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch
beschlossen:
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Trier vom 01. Juni 2001 – 3 L 640/01.TR –
wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
G r ü n d e
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hätte den Antrag des Antragstellers, die mit Bescheid vom 23. Februar 2001
verfügte vorläufige Dienstenthebung und die mit gleicher Verfügung angeordnete Einbehaltung von 25
v.H. der Dienstbezüge auszusetzen, ablehnen müssen, weil keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen bestehen (§ 80 Abs. 1 LDG).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer vorläufigen Dienstenthebung gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 LDG
sowie einer teilweisen Einbehaltung von Dienstbezügen nach § 45 Abs. 2 Satz 1 LDG liegen vor. Bei
summarischer Prüfung der derzeitigen Sach- und Rechtslage ist im Disziplinarverfahren voraussichtlich
auf Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst zu erkennen. Der Antragsteller hat sich als
Polizeibeamter nach den gemäß § 16 Satz 1 LDG verbindlichen strafgerichtlichen Feststellungen einer
Unterschlagung im Dienst schuldig gemacht hat. Wie schon das Verwaltungsgericht sieht auch der Senat
keinen Grund für eine Lösung von den strafrichterlichen Feststellungen gemäß § 16 Satz 2 LDG. Eine
solche setzt voraus, dass das Disziplinargericht sonst gezwungen wäre, auf der Grundlage offensichtlich
unrichtiger oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Dies ist der Fall,
wenn etwa Feststellungen im Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen
oder aus sonstigen Gründen offenbar unrichtig bzw. in einem ausschlaggebenden Punkt unter
offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind (BVerwG, Urteil
vom 29. November 2000 - 1 D 13/99 – und auch das Senatsurteil vom 22. Juni 2001 – 3 A 10633/01.OVG
-, S. 13 UA). Derartige Mängel hat der Antragsteller weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der
Erwiderung auf die Beschwerde dargelegt. Insbesondere vermag die von ihm aufgeworfene Frage, wie
eine aus dem linken vorderen Fenster eines Autos geworfene Geldbörse an den rechten Fahrbahnrand
gelangen kann, die Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen nicht in Zweifel zu ziehen. Denn
ausweislich Seite 3 des amtsgerichtlichen wie auch des landgerichtlichen Urteils sind die Strafgerichte nur
davon ausgegangen, dass die Geldbörse auf „der Fahrbahn“ lag. Auch der Zeuge H. hat in der
mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht lediglich bekundet, dass sie „auf der ersten Fahrbahn“
gelegen hat (Bl. 200 VA). Zudem gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach während der Fahrt
aus dem linken Fahrzeugfenster geworfene Gegenstände mit geringem Gewicht zwingend auf der linken
Fahrspur auftreffen und dort verbleiben.
Ferner geht der erstinstanzliche Beschluss zu recht davon aus, dass es sich bei einer im Dienst
begangenen Unterschlagung um ein schwerwiegendes Dienstvergehen in Form eines Zugriffsdeliktes
handelt, das nach gefestigter Rechtsprechung der Disziplinargerichte regelmäßig mit der disziplinaren
Höchstmaßnahme zu ahnden ist. Der Senat kann auf diese Ausführungen zur Vermeidung unnötiger
Wiederholungen Bezug nehmen, zumal sie im Beschwerdeverfahren von keinem der Beteiligten
angegriffen worden sind.
Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat indessen keine der vorläufigen Dienstenthebung
entgegenstehenden Milderungsgründe zu erkennen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu § 95 Abs. 3 BDO (vgl. Beschlüsse vom 7. März 1990 - 1 DB 3.90 -, Dok.Ber.
B 1990, 235, vom 22. Mai 1992 – 1 DB 5.92 – und vom 05. Juli 1993 – 1 DB 35.92 -, Dok.Ber. B 1993,
207), der sich der Senat hinsichtlich der entsprechenden Vorschrift des § 80 Abs. 1 LDG anschließt, kann
die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Entfernung aus dem Dienst nur durch evidente
Milderungsgründe reduziert werden. Im Rechtsschutzverfahren gegen eine vorläufige Dienstenthebung
müssen jedenfalls solche Milderungsgründe, die nicht ohne weiteres erkennbar sind, nicht gewürdigt
werden, weil ihre detaillierte Prüfung dem Disziplinarverfahren vorbehalten ist. Dessen Ergebnis wird
durch eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 80 Abs. 1 LDG nicht präjudiziert; auch entstehen dem
Beamten für den Fall, dass er im Disziplinarverfahren nicht aus dem Dienst entfernt wird, durch die
vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge keine irreversiblen Schäden
(vgl. § 108 Abs. 1 LDG).
Evidente Milderungsgründe für das regelmäßig die Dienstentfernung erfordernde Dienstvergehen des
Antragstellers sind derzeit nicht ersichtlich. Die mangelnde Evidenz der allenfalls in Betracht kommenden
Milderungsgründe erhellt schon aus den diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss:
Das Verwaltungsgericht zieht den bei Zugriffsdelikten anerkannten Milderungsgrund der Geringwertigkeit
bei Fehlen erschwerender Umstände zu Recht nicht nur im Hinblick auf die Wahrung der
Geringwertigkeitsgrenze, sondern auch hinsichtlich des Fehlens erschwerender Umstände selbst in
Zweifel. Der Milderungsgrund des unbedachten Handelns in besonderer Versuchungssituation bedarf
hingegen – wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat – nicht nur weiterer Ermittlungen, sondern
insbesondere auch einer „vernünftigen Einlassung“ des bisher die Tat leugnenden Antragstellers. Dass
bei einer derartigen Sachlage das Vorliegen eines Milderungsgrundes zwar nicht auszuschließen, aber
derzeit keinesfalls offensichtlich ist, liegt auf der Hand.
Im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers weist der Senat ergänzend daraufhin, dass bei
Zugriffsdelikten der vorliegend in Rede stehenden Art eine milde Kriminalstrafe (BVerwG, Urteil vom 27.
November 1997 – 1 D 48.97 -), eine lange unbeanstandete Dienstzeit mit guten Beurteilungen (BVerwG,
Urteil vom 02. April 1998 – 1 D 4.98 -), eine längere Weiterbeschäftigung nach dem Dienstvergehen
(BVerwG, Urteil vom 28. März 1995 – 1 D 33.94 -, Dok. Ber. B 1995, 234, 238) sowie eine eingetretene
Resozialisierung (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1988 – 1 D 145.87 -) ein Absehen von der regelmäßigen
Verhängung der Höchstmaßnahme nicht rechtfertigen. Schließlich steht der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit einer Dienstentfernung des Antragstellers auch nicht eine sogenannte
„Nachbewährung“ entgegen. Ungeachtet der Frage, ob und wann eine solche bei Zugriffsdelikten
überhaupt ein Absehen von der Dienstentfernung erlaubt, liegen im Falle des Antragstellers schon die
Voraussetzungen der Nachbewährung nicht vor. Denn der Begriff der Nachbewährung stellt auf die
Tatsache einer deutlichen Steigerung der dienstlichen Leistungen auf demselben Dienstposten ab
(BVerwG, Urteil vom 24. August 1999 – 2 WD 8.99 -, BVerwGE 113, 376, 389). Eine derartige Steigerung
ist beim Antragsteller, der sowohl 1995 als auch 1999 eine B-Beurteilung erhalten hat, nicht erkennbar.
Die angefochtene Verfügung weist auch keine durchgreifenden Ermessensfehler auf. Zwar ist der
Dienstherr bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der späteren Dienstentfernung rechtlich nicht
gezwungen, den Beamten vorläufig des Dienstes zu entheben. Liegen aber die tatbestandlichen
Voraussetzungen der vorläufigen Dienstenthebung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 LDG vor, so übt er das ihm
eingeräumte Ermessen regelmäßig fehlerfrei aus, wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.
Höhere Anforderungen an die behördliche Ermessensentscheidung und ihre Begründung sind lediglich
dann zu stellen, wenn besondere Umstände des Falles es gebieten, auf die sich gegenüberstehenden
Rechte und Interessen näher einzugehen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der angeschuldigte
Beamte seit der Einleitung des Disziplinarverfahrens trotz überwiegender Wahrscheinlichkeit späterer
Dienstentfernung längere Zeit beanstandungslos weiterbeschäftigt worden ist und daher aktuell eine
empfindliche Störung oder besondere Gefährdung des Dienstbetriebes nicht ohne weiteres erkennbar ist
(vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 21. September 2000 – 1 DB 7.00 -, DVBl. 2001, 141, 143). Derartige
besondere Umstände, die den Antragsgegner zu eingehenden Ermessenserwägungen hätten
veranlassen müssen, sind vorliegend nicht erkennbar. Zwar ist der Antragsteller nach der unter dem 09.
Juli 1998 erfolgten Einleitung des Disziplinarverfahrens bis zu dem im Juni 2000 verhängten Verbot der
Amtsführung nach § 69 LBG weiterbeschäftigt worden. Die Beendigung der Weiterbeschäftigung stand
aber in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der am 25. Mai 2000 eingetretenen Rechtskraft der
strafgerichtlichen Verurteilung. Die aktuelle Gefahr einer empfindlichen Störung oder besonderen
Gefährdung des polizeilichen Dienstbetriebes ergab sich daher seit Mai 2000 daraus, dass in Person des
Antragstellers ein wegen im Dienst begangener Unterschlagung rechtskräftig verurteilter – und nicht nur
angeklagter - Polizeibeamter dem Bürger als Garant der staatlichen Ordnung gegenüber stand.
Bedenken gegen die angeordnete Höhe der Einbehaltung von Dienstbezügen des Antragstellers sind
weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Ermessensentscheidung über die vorläufige Einbehaltung von
Bezügeanteilen hat sich hinsichtlich ihres Umfangs an dem Grundsatz der angemessenen Alimentation
eines Beamten zu orientieren. Deshalb sind die wirtschaftliche Situation des Beamten und insbesondere
die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, unter denen der Beamte seinen Haushalt zu
führen und seine Einnahmen aufzuteilen hat. Im Rahmen der teilweisen Einbehaltung von Dienstbezügen
ist der Dienstherr nicht berechtigt, dem Beamten die Möglichkeit zur Tilgung seiner Schulden zu nehmen
und ihn der Notwendigkeit preiszugeben, seinen ihm gesetzlich obliegenden oder vertraglich
eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkommen zu können. Zwar muss der Beamte eine gewisse
Einschränkung seiner Lebenshaltung hinnehmen. Die Einbehaltung darf jedoch wegen ihres vorläufigen
Charakters nicht zu existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen oder nicht
wiedergutzumachenden Nachteilen führen (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2000 – 1 DB 8.00 -,
Buchholz 235 § 92 BDO Nr. 4 m.w.N). Angesichts der im Strafverfahren ermittelten persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (vgl. Seite 2 des landgerichtlichen Urteils vom 15. Februar
2000 – 2050 Js 38.092/98 – 7 Ns -), die im wesentlichen mit seinen eigenen Angaben in der Antragsschrift
übereinstimmen (S. 3f. GA), spricht nichts dafür, dass die vom Antragsgegner verfügte Einbehaltung von
25 Prozent der Dienstbezüge ohne Familienzuschlag (§§ 45 Abs. 2 Satz , 5 Abs. 1 Satz 2 LDG) gegen die
vorstehend dargelegten Grundsätze verstößt. Der mit Ehefrau und einem Kind in einem schuldenfreien
Eigenheim lebende Antragsteller hat Kreditschulden in Höhe von 35.000 DM zu bedienen. Es steht daher
nicht zu erwarten, dass die erfolgte Kürzung seines Grundgehalts angesichts der Höhe der verbleibenden
Nettobezüge zu einer Existenzgefährdung der Familie führt, zumal die Ehefrau des Antragstellers
ausweislich der strafgerichtlichen Feststellungen berufstätig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 100 Abs. 1 Satz 1 LDG.
gez. Prof. Dr. Meyer gez. Dr. Cloeren gez. Utsch