Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 07.07.2009

OVG Koblenz: grundstück, lwg, kanalisation, gewässer, entwässerung, körperschaft, aufwand, versickerung, beitragspflicht, verwertung

OVG
Koblenz
07.07.2009
6 A 11163/08.OVG
Abgabenrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte JR Jansen, Rossbach & Schellewald, Friedrichstraße 71,
56564 Neuwied,
gegen
die Verbandsgemeinde Birkenfeld, vertreten durch den Bürgermeister, Auf dem Römer 17, 55765
Birkenfeld,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Meiborg Rechtsanwälte, Hindenburgplatz 3, 55118 Mainz,
wegen Abwasserbeseitigungsbeitrags
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 7. Juli 2009, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Mildner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
Richterin am Oberverwaltungsgericht Brink
ehrenamtlicher Richter Elektroinstallationsmeister Benzmüller
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Büchler
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2008
ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Als Eigentümer des bebauten Grundstücks H…straße 16 in der Ortsgemeinde N… wendet sich der Kläger
gegen die Erhebung von Vorausleistungen auf einmalige Beiträge für die erstmalige Herstellung eines
Niederschlagswasser‑Teilkanals durch Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2007 in Höhe von 5.909,00 €.
Das Grundstück des Klägers liegt südlich der Landesstraße 174 (L 174) und grenzt an diese an. Es weist
ein Gefälle von Norden nach Süden auf. Im Süden hat das Grundstück eine gemeinsame Grenze mit dem
unterhalb gelegenen H… . Die dem Kläger unter dem 18. Juni 1998 erteilte Baugenehmigung für den
Umbau des früher landwirtschaftlich genutzten Gebäudes zu einem Einfamilienwohnhaus mit Garage ist
mit der Nebenbestimmung versehen, gesammeltes Oberflächenwasser nicht der L 174 zuzuführen.
Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß
§ 130b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils
Bezug, dessen tatsächliche Feststellungen er sich zu eigen macht.
Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger gegen den
Vorausleistungsbescheid Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, er könne das auf seinem
Grundstück anfallende Niederschlagswasser an Ort und Stelle versickern und bedürfe daher des in der
L 174 verlegten Niederschlagswasser‑Teilkanals zur Entwässerung seines Grundstücks nicht. Da die
meisten Grundstücke in der H…straße über Versickerungsmöglichkeiten verfügten, sei die Planung der
Beklagten in wasserrechtlicher Hinsicht fehlerhaft, weil der Niederschlagswasser‑Teilkanal nicht
erforderlich sei. Schon bisher habe eine ordnungsgemäße Oberflächenentwässerung in die im Eigentum
der Landesstraßenverwaltung stehenden Kanäle bestanden. Ungeachtet dessen könne die Beitragspflicht
wegen der Lage seines Grundstücks im Außenbereich nicht entstehen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage nach Durchführung einer Ortsbesichtigung stattgegeben. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwar liege das Grundstück des Klägers in einem
Bebauungszusammenhang, also nicht im Außenbereich. Allerdings seien die Kosten der Niederschlags-
entwässerung nicht beitragsfähig, da die Aufwendungen zur Errichtung eines Niederschlags-
wasser‑Entsorgungskanals nicht als erforderlich angesehen werden könnten. Niederschlagswasser solle
nach den Bestimmungen des Landeswassergesetzes nur in dafür zugelassene Anlagen eingeleitet
werden, soweit es nicht bei demjenigen, bei dem es anfalle, mit vertretbarem Aufwand verwertet oder
versickert werden könne. Dementsprechend hätten die beseitigungspflichtigen Körperschaften nur die
notwendigen Abwasseranlagen zu errichten und ggf. zu erweitern. Zwar bestehe insoweit ein
Einschätzungsspielraum der Beklagten. Diese habe jedoch nicht nachzuweisen vermocht, dass in dem
fraglichen örtlichen Bereich das anfallende Niederschlagswasser nicht versickert werden könne. Ohne
eine konkrete Untersuchung der Bodenverhältnisse auf eine Versickerungsmöglichkeit sämtlicher
Grundstücke, die die Beklagte jedoch nicht durchgeführt habe, könne die Notwendigkeit eines
Niederschlagswasser‑Beseitigungskanals nicht belegt werden. Solche Untersuchungen seien
insbesondere veranlasst gewesen, nachdem sich eine Oberflächenentwässerung des
Nachbargrundstücks durch Versickerung aufgrund des Konzepts der Landschaftsarchitekten G… vom 15.
Februar 2007 und der Fachtechnischen Stellungnahme des ingenieurgeologischen Büros Dr. W… vom
14. Juli 2007 als möglich herausgestellt gehabt habe. Da die Beklagte im Verlauf der L 174 mehrere
jeweils separate Niederschlagswasser‑Teilkanäle errichtet habe, müsse für jeden dieser Kanäle die
Erforderlichkeit gegeben sein. Zudem sei weder die Möglichkeit einer Verwertung des
Niederschlagswassers noch dessen unmittelbare Ableitung in ein oberirdisches Gewässer geprüft
worden.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt die Beklagte insbesondere vor, bisher
seien innerhalb der Ortsdurchfahrt der L 174 lediglich provisorische Regenwasserkanäle vorhanden
gewesen. Im Zuge der Erneuerung der Landesstraße sei eine Niederschlagsentwässerung geplant und
umgesetzt worden. Diese trage sowohl dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte innerhalb des
Bebauungszusammenhangs für die Fahrbahnentwässerung zuständig sei, als auch der Notwendigkeit,
insbesondere die nördlich der L 174 liegenden Grundstücke, die teilweise in erheblichem Umfang bebaut
bzw. befestigt seien, zu entwässern. Zwar bedürften große Teile der südlich der L 174 gelegenen Grund-
stücke, zumal wenn sie ein deutliches Gefälle nach Süden zum H… hin aufwiesen, einer
Niederschlagswasserbeseitigung an sich nicht. Sie könnten aber insbesondere ihre Dachflächen und die
straßennahen Einfahrten bzw. Hofbefestigungen in einen der Niederschlagswasser‑Teilkanäle
entwässern und würden dadurch von dieser Einrichtung bevorteilt. Im Übrigen verbiete der Grundsatz der
Solidargemeinschaft, lediglich die nördlichen Anlieger der L 174 an den Kosten der
Niederschlagswasserbeseitigung zu beteiligen, die südlich der Straße gelegenen jedoch zu verschonen.
Die Erforderlichkeit einer Niederschlagswasser-Beseitigungseinrichtung sei – anders als das
Verwaltungsgericht angenommen habe – schon dann gegeben, wenn nur ein Grundstück sie mangels
Versickerungs- bzw. Verwertungsmöglichkeit in Anspruch nehmen müsse. Dabei sei auf die bereits
verwirklichten und die darüber hinaus zulässigen Versiegelungen abzustellen. Auch jene
Grundstückseigentümer, die große Teile ihrer Grundstücksfläche zur Versickerung des
Niederschlagswassers einsetzen oder dieses unmittelbar in den H… einleiten könnten, hätten ein
satzungsrechtliches Benutzungsrecht.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt sein Vorbringen, sein Grundstück liege im
Außenbereich. Er hält daran fest, die Planung der Beklagten sei schon deshalb zu beanstanden, weil
weder die Versickerungs- noch die Verwertungsmöglichkeiten anfallenden Niederschlagswassers geprüft
worden seien. Das auf seinem Grundstück anfallende Niederschlagswasser könne an Ort und Stelle
versickert werden.
Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den
zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen, den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen
sowie den Ausführungen des Herrn Dipl.-Ing. H…, des Herrn Bauoberamtsrats M… und der Beteiligten im
Erörterungstermin vom 12. Mai 2009. Sie waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie
die von der Beklagten vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Herrn Dipl.-Ing. H… vom 22. Juni
2009.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen
Vorausleistungsbescheid vom 1. Juni 2007 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 22.
Januar 2008 im Ergebnis zutreffend aufgehoben. Durch diese Heranziehung zu Vorausleistungen wird
der Kläger in seinen Rechten verletzt.
Die Heranziehung des Klägers kann nicht auf § 7 Abs. 5 Satz 1 Kommunalabgabengesetz ‑ KAG ‑ i.V.m.
§ 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Entgelten für die öffentliche
Abwasserbeseitigungsanlage vom 25. Januar 1996 i.d.F. vom 22. Oktober 2001 ‑ ESA ‑ gestützt werden.
Nach diesen Vorschriften können ab Beginn einer Maßnahme Vorausleistungen auf einmalige Beiträge
bis zur voraussichtlichen Höhe des Beitrags festgesetzt werden. Dies setzt voraus, dass eine
Beitragspflicht ‑ prognostisch betrachtet ‑ überhaupt entstehen kann. Davon ist nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG
allerdings nicht auszugehen, wenn ein Grundstückseigentümer durch die Möglichkeit der
Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung voraussichtlich keinen beitragsrechtlich relevanten Vorteil
hat. Ein solcher Vorteil kann einem Grundstückseigentümer nur durch eine öffentliche Einrichtung
vermittelt werden, die in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht den Anschluss des Grundstücks an
die Einrichtung auf Dauer ermöglicht. Eine (Entwässerungs‑)Beitragspflicht entsteht nicht schon dann,
wenn entlang dem betreffenden Grundstück eine Entwässerungsleitung verlegt ist, an die das Grundstück
tatsächlich angeschlossen werden kann. Vielmehr muss darüber hinaus die Möglichkeit gegeben sein,
das auf dem Grundstück aufkommende Abwasser in einer Weise abzuleiten, wie sie in der der
Entwässerungseinrichtung zugrunde liegenden ordnungsgemäßen Planung vorgesehen ist (OVG RP, 12
A 12381/92.OVG, ESOVGRP; 12 A 11112/00.OVG, ESOVGRP). Dies ist hier aufgrund einer speziellen
baurechtlichen Genehmigungssituation im Zeitpunkt der maßgeblichen Planung nicht der Fall. Deshalb
kann eine Beitragspflicht für die Beseitigung des Niederschlagswassers hinsichtlich des Grundstücks des
Klägers nicht entstehen.
Von einer ordnungsgemäßen Planung in dem vorgenannten Sinn kann in Bezug auf das Grundstück des
Klägers und den dafür geplanten (und mittlerweile errichteten) Teilkanal nicht gesprochen werden, weil
die Einrichtung insoweit und die von der Beklagten vorgesehene Ableitungsmöglichkeit mit § 52 Abs. 5
Satz 1 Landeswassergesetz - LWG – unvereinbar sind. Danach haben die abwas-
Satz 1 Landeswassergesetz - LWG – unvereinbar sind. Danach haben die abwas-
serbeseitigungspflichtigen Körperschaften (nur) die notwendigen Abwasseranlagen unter Beachtung des
Planungsleitsatzes des § 2 Abs. 2 LWG (vgl. OVG RP, 8 A 11981/03.OVG, ESOVGRP) zu errichten, zu
erweitern oder anzupassen. Als Abwasseranlage in diesem Sinn ist der Niederschlagswasser‑Teilkanal
zu betrachten, in den das Grundstück des Klägers entwässern könnte (1.). Die Notwendigkeit von
Einrichtungen für die Beseitigung von Niederschlagswasser muss bei Beachtung der genannten
Bestimmungen auch danach beurteilt werden, ob das Niederschlagswasser nicht bei denjenigen, bei
denen es anfällt und denen durch die Abwasseranlage eine Ableitungsmöglichkeit vermittelt werden soll,
mit vertretbarem Aufwand verwertet oder versickert werden kann, und nicht die Möglichkeit besteht, es mit
vertretbarem Aufwand in ein oberirdisches Gewässer mittelbar oder unmittelbar abfließen zu lassen. Für
diese Beurteilung können auch besondere baurechtliche Vorgaben von Bedeutung sein (2.).
1. Bei der nach Maßgabe des § 52 Abs. 5 Satz 1 LWG vorzunehmenden Prüfung der Notwendigkeit der
Niederschlagswasserbeseitigung, die der im Streit befindlichen Vorausleistungserhebung zugrunde liegt,
ist ausnahmsweise nicht auf die Abwasserbeseitigungseinrichtung der Beklagten insgesamt oder auf die
Gesamtheit der zur Niederschlagswasserbeseitigung geplanten bzw. errichteten Einrichtungsteile
abzustellen. Vielmehr ist in einer speziellen Fallgestaltung wie der vorliegenden nur nach der
Erforderlichkeit des Niederschlagswasser‑Teilkanals zu fragen, in den das Grundstück des Klägers
entwässern könnte. Denn dieser Teilkanal bildet nur in rechtlicher Hinsicht einen unselbständigen
Bestandteil der Gesamtentwässerungseinrichtung der Beklagten. In technischer Hinsicht ist er von den
übrigen Niederschlagswasser‑Teilkanälen und erst recht von den anderen Komponenten der
Gesamtentwässerungseinrichtung der Beklagten unabhängig. Er stellt gerade keinen Teil eines
abwassertechnischen Gesamtsystems dar, wie dies beispielsweise bei Grundstücksanschlüssen,
Straßenleitungen, Sammlern, Pumpwerken und Kläranlagen in der Schmutzwasserbeseitigung
regelmäßig der Fall ist. Der vor dem Grundstück des Klägers errichtete Niederschlagswasser‑Teilkanal ist
demgegenüber technisch selbständig: Er sammelt das von einigen wenigen Grundstücken einzuleitende
Niederschlagswasser sowie das Straßenoberflächenwasser in dem fraglichen Bereich der L 174 und leitet
es ‑ ohne dass es in irgendeiner Weise behandelt worden ist - unmittelbar in den H… ein, der selbst kein
Bestandteil der öffentlichen Niederschlagswasser‑Beseitigungseinrichtung der Beklagten ist.
2. Dieser Niederschlagswasser‑Teilkanal, in den das Grundstück des Klägers entwässern könnte, durfte
von der Beklagten nicht bis zur Höhe dieses Grundstücks als notwendig im Sinne des § 52 Abs. 5
Satz 1 LWG angesehen werden. Insofern besteht zwar ein Einschätzungsspielraum der Beklagten, wie er
beispielsweise auch bei (anderen) Erschließungs- bzw. Ausbaumaßnahmen anerkannt ist (vgl. OVG RP, 6
A 10820/92.OVG, ESOVGRP; 6 B 12252/94.OVG, ESOVGRP; 6 A 10145/06.OVG, AS 33, 194 [197],
ESOVGRP). Allein das Bedürfnis, die Straßenoberfläche zu entwässern, reicht allerdings zur Begründung
einer Beitragspflicht nicht aus (a). In Bezug auf die Planung, den Niederschlagswasser‑Teilkanal bis zur
Höhe des Grundstücks des Klägers zu führen, hat die Beklagte von ihrem Einschätzungsspielraum einen
fehlerhaften Gebrauch gemacht (b).
a) Die Notwendigkeit der Errichtung eines Niederschlagswasserkanals, der einen beitragsrechtlichen
Vorteil mit sich bringt, kann nicht allein wegen der Erforderlichkeit entstehen, die Fahrbahn und ggf. die
Gehwege zu entwässern. Zwar lässt sich aus der Bestimmung des § 53 Abs. 1 LWG, wonach der Träger
der Verkehrsanlage zur Beseitigung von Niederschlagswasser verpflichtet ist, das von öffentlichen
Verkehrsanlagen außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile anfällt, schließen, dass innerhalb der
Bebauungszusammenhänge die Straßenoberflächenentwässerung zur Abwasserbeseitigungspflicht der
in § 52 Abs. 1 LWG genannten Körperschaften zählt. Die Erforderlichkeit der Errichtung eines Nieder-
schlagswasserkanals zur Entwässerung der Straßenoberfläche ergibt sich daraus für die in § 52 Abs. 1
LWG genannten Körperschaften, also auch für die Beklagte, noch nicht. Dies lässt sich der Bestimmung
des § 12 Abs. 10 Landesstraßengesetz ‑ LStrG ‑ entnehmen. Danach hat sich der Träger der
Straßenbaulast vorbehaltlich einer anderweitigen Vereinbarung mit dem Träger der Kanalisation an den
Kosten der Herstellung, den laufenden Kosten und den Kosten einer Erneuerung der Kanalisation
entsprechend den Mengen des Oberflächenwassers von der Fahrbahn zu beteiligen, wenn die
Fahrbahnentwässerung nicht in eine straßeneigene Kanalisation erfolgt. Diese Regelung lässt deutlich
werden, dass auch innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile - also in dem räumlichen Bereich, in
dem der Straßenbaulastträger nicht gemäß § 53 Abs. 1 LWG zur Beseitigung des
Straßenoberflächenwassers verpflichtet ist - sowohl eine straßeneigene Kanalisation als auch eine
Entwässerungseinrichtung in Betracht kommt, die in der Trägerschaft der nach § 52 Abs. 1 LWG
verpflichteten Körperschaft, hier der Verbandsgemeinde, steht. Es liegt in der Entscheidung des
Straßenbaulastträgers, ob er sich einer eigenen Anlage zur Oberflächenwasserbeseitigung bedient; wenn
er das Niederschlagswasser, das von der Fahrbahn abfließt, in die gemeindliche Kanalisation einleiten
möchte, verfügt er allerdings nicht über einen diesbezüglichen Rechtsanspruch (vgl. Bogner/Bitterwolf-de
Boer, Landesstraßengesetz Rheinland-Pfalz, Loseblattkommentar, Stand: 10/08, § 12 Anm. 3). Errichtet
die nach § 52 Abs. 1 LWG zur Abwasserbeseitigung verpflichtete Körperschaft einen Kanal allein wegen
der Notwendigkeit der Beseitigung des Straßenoberflächenwassers, muss der Straßenbaulastträger,
soweit keine anderweitige Vereinbarung mit dem Träger der Kanalisation getroffen wird, die Kosten der
Herstellung des Kanals übernehmen.
b) Die Beklagte durfte den Niederschlagswasser‑Teilkanal, in den das Grundstück des Klägers
entwässern könnte, im Rahmen ihres Einschätzungsspielraums nicht bis zur Höhe dieses Grundstücks als
notwendig erachten.
Zunächst kann von der Notwendigkeit eines Niederschlagswasser‑Teilkanals nur gesprochen werden,
wenn wenigstens ein Grundstück zur ordnungsgemäßen Beseitigung des dort anfallenden
Oberflächenwassers, das der Beseitigungspflicht der nach § 52 Abs. 1 LWG zuständigen Körperschaft
unterliegt, auf den Kanal angewiesen ist. Das ist beispielsweise insoweit nicht der Fall, als durch Satzung
im Sinne des § 51 Abs. 4 Satz 1 LWG oder durch Bebauungsplan (§ 51 Abs. 4 Satz 2 LWG) festgesetzt
wurde, dass Niederschlagswasser auf dem Grundstück, auf dem es angefallen ist, zu verwerten oder zu
versickern ist. Auf eine Einrichtung zur Niederschlagswasserbeseitigung ist auch ein
Grundstückseigentümer nicht angewiesen, der das Niederschlagswasser gemäß § 36 Abs. 1 und 4 LWG
im Rahmen des Gemeingebrauchs ortsnah schadlos in ein natürliches oberirdisches Gewässer einleiten
darf (vgl. OVG RP, 6 A 11160/08.OVG, ESOVGRP).
Im Übrigen muss die Frage, ob wenigstens ein Grundstück zur ordnungsgemäßen Beseitigung des dort
anfallenden Oberflächenwassers auf den Kanal angewiesen ist, anhand der Anforderungen und
Zielsetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 LWG beurteilt werden. Nach dieser Vorschrift soll
Niederschlagswasser nur in dafür zugelassene Anlagen eingeleitet werden, soweit es nicht bei
demjenigen, bei dem es anfällt, mit vertretbarem Aufwand verwertet oder versickert werden kann, und die
Möglichkeit nicht besteht, es mit vertretbarem Aufwand in ein oberirdisches Gewässer mittelbar oder
unmittelbar abfließen zu lassen. Die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Satz 3 LWG stellt einen Planungsleitsatz
für die kommunale Entwässerungsplanung dar (vgl. OVG RP, 8 A 11981/03.OVG, ESOVGRP), also eine
normative Vorgabe, auf deren Grundlage die beseitigungspflichtige Körperschaft den erwähnten
Einschätzungsspielraum bei der Planung der Neuerrichtung oder der Erweiterung von Anlagen zur
Niederschlagswasserbeseitigung wahrzunehmen hat. Diese aus Wortlaut und Systematik folgende
Auslegung der Vorschrift wird durch ihre Entstehungsgeschichte bestätigt, die der seinerzeit zuständige 8.
Senat des Oberverwaltungsgerichts im Verfahren 8 A 11981/03.OVG (ESOVGRP) wie folgt
zusammengefasst hat:
„Der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen (LT-Drs. 12/4767 S. 3) enthielt zunächst in § 2 Abs. 2 Satz 2
ein unter Gemeinwohlvorbehalt stehendes Versickerungs- und Verwertungsgebot für den
Grundstückseigentümer; nach § 51 Abs. 2 Nr. 2 des Entwurfs sollte die Kommune bei bestehenden Ver-
sickerungs-, Verwertungs- und Einleitungsmöglichkeiten von der Abwasserbeseitigungspflicht befreit sein.
Nach der Begründung des Entwurfs (aaO. S. 2) sollte durch diese Regelung eine Entgeltspflicht des
Bürgers, auch für Vorhalteeinrichtungen der Abwasserbeseitigung, künftig im Hinblick auf das
unverschmutzte Oberflächenwasser im Regelfall ausgeschlossen werden. Dieser Gesetzentwurf ist
indessen im Gesetzgebungsverfahren nachhaltig umgestaltet worden. Die schließlich Gesetz gewordene
Fassung (LT-Drs. 12/6331) hat ausdrücklich zum Ziel, den Gemeinden im Hinblick auf bestehende
Entwässerungseinrichtungen weiterhin die Beitragserhebung zu ermöglichen. Dies folgt aus den
Erläuterungen in der Zweiten Beratung am 22. März 1995 (104. Sitzung, Plenarprotokolle S. 8105). So
führte etwa der Abgeordnete Schäfer aus:
Gesetzestechnisch werden wir dies in § 51 Abs. 2 verankern, in dem wir die Kommunen von der
Niederschlagswasserbeseitigungspflicht entbinden, wenn zu dessen Beseitigung keine zugelassenen
öffentlichen Anlagen zur Verfügung stehen und das Niederschlagswasser am Ort des Anfalls verwertet
oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit versickert werden kann. Damit trägt der
Gesetzentwurf auch dem berechtigten Anliegen der Innenpolitiker Rechnung, dass nämlich überall dort,
wo sich bisher Kanäle befinden, auch weiterhin die Möglichkeit besteht, die Grundstücksnutzer zu den
entsprechenden Beiträgen heranzuziehen ....... Im Landeswassergesetz haben wir allerdings verankert,
dass sich die Kommunen in Zukunft bei der Erneuerung der Kanalisation an die Grundsätze des § 2 Abs.
2 des Landeswassergesetzes zu halten haben. Sie müssen also bei der Sanierung prüfen, inwieweit dem
Grundsatz der Regenwasserversickerung Rechnung getragen wird“ (Hervorhebungen durch den Senat).
Demnach werfen §§ 2 Abs. 2 Satz 2, 52 Abs. 5 LWG in beitragsrechtlicher Hinsicht allenfalls die Frage auf,
ob Kosten für (auch) der Oberflächenentwässerung dienende, nach Inkrafttreten dieser Vorschriften
erfolgte Kanalbau- oder -sanierungsmaßnahmen beitragsfähig sind, wenn in dem hierdurch
erschlossenen Baugebiet eine vollständige Versickerung und/oder sonstige Verwertung des gesamten
Oberflächenwassers möglich ist.“
Um die Verwertungs- bzw. Versickerungsmöglichkeiten der zu entwässernden Grundstücke
einzuschätzen, sind nicht lediglich die Umstände im Zeitpunkt der Planung zu berücksichtigen, sondern
einzuschätzen, sind nicht lediglich die Umstände im Zeitpunkt der Planung zu berücksichtigen, sondern
auch zukünftig mögliche Änderungen, insbesondere zulässige Nutzungsänderungen der Grundstücke
und die sich daraus ergebenden Einschränkungen der Verwertungs- bzw. Versickerungsmöglichkeiten. In
diesem Zusammenhang muss sich die abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaft – anders als bei
Erlass einer Satzung im Sinne des § 51 Abs. 4 Satz 1 LWG – auch nicht mit den Verwertungs- bzw.
Versickerungsmöglichkeiten jedes einzelnen Grundstücks aufgrund sachverständiger Prüfungen der
Bodenbeschaffenheit etc. auseinander setzen, wie dies in dem angefochtenen Urteil anklingt. Vielmehr
besteht dafür nur Veranlassung, wenn konkrete Anhaltspunkte für solche Möglichkeiten der Verwertung
bzw. der Versickerung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorliegen. Oft wird schon der Grad der
Versiegelung bzw. Befestigung eines Grundstücks oder dessen geringe Größe keinen Zweifel daran
entstehen lassen, dass das gesamte beseitigungspflichtige Niederschlagswasser nicht verwertet oder
versickert werden kann. Auf der anderen Seite können sich hinreichende Verwertungs- bzw.
Versickerungsmöglichkeiten aufgrund der ungewöhnlichen Ausdehnung eines Grundstücks, seiner
Hangneigung oder seines Angrenzens an ein oberirdisches Gewässer geradezu aufdrängen. Gleiches
gilt, wenn aufgrund von bauaufsichtlich genehmigten Anlagen oder gar verpflichtenden
Nebenbestimmungen zu Baugenehmigungen das Niederschlagswasser seit langem beanstandungsfrei
auf dem Grundstück versickert bzw. verwertet wird oder in ein oberirdisches Gewässer mittelbar oder
unmittelbar abfließt.
So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat die Hofflächen nicht versiegelt, sondern mit Kies abgedeckt und
versickert das von den Dachflächen stammende Regenwasser auf dem Wiesengelände, das zum an der
südlichen Grundstücksgrenze vorbeifließenden H… abfällt. Damit hat der Kläger der der
Baugenehmigung vom 18. Juni 1998 beigefügten Nebenbestimmung, wonach das gesammelte
Oberflächenwasser nicht der L 174 zugeführt werden darf, entsprochen und auf seinem Grundstück ein
bauaufsichtsbehördlich genehmigtes Versickerungskonzept verwirklicht, von dem seitens der Beklagten
nicht vorgetragen wird, es habe in den vergangenen Jahren zu Beanstandungen geführt. Auch Herr Dipl.-
Ing. H… hat im Erörterungstermin vom 12. Mai 2009 ausgeführt, im Falle des Grundstücks des Klägers sei
eine einfache Entwässerung ohne Inanspruchnahme des Straßenkanals möglich. Die Anmerkung, der
Kläger habe bei Hochwasser durchaus Vorteile von einer öffentlichen Niederschlagswasserbeseitigung,
hat Herr Dipl.-Ing. H… in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 22. Juni 2009 bekräftigt, ohne dass
sich daraus die Notwendigkeit der Errichtung eines Niederschlagswasser-Teilkanals auch zur
Entwässerung des Grundstücks des Klägers entnehmen lässt. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich auch
nicht aus dem Umstand, dass das Grundstück des Klägers im Zeitpunkt der Erteilung der
Baugenehmigung möglicherweise als Außenbereichsgrundstück angesehen wurde, nunmehr aber dem
Innenbereich zugerechnet wird. Denn es gibt – wie die bereits mehrfach erwähnte Bestimmung des § 2
Abs. 2 Satz 3 LWG deutlich werden lässt – keine Verpflichtung der abwasserbeseitigungspflichtigen
Körperschaft, unabhängig von Verwertungs- bzw. Versickerungsmöglichkeiten für jedes
Innenbereichsgrundstück einen Niederschlagswasserkanal vorzuhalten. Soweit Herr Dipl.-Ing. H… in
seiner Stellungnahme vom 22. Juni 2009 ausgeführt hat, die Dachentwässerung des Grundstücks des
Klägers sei an den Niederschlagswasser-Teilkanal angeschlossen, hat er dies in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat nicht aufrecht erhalten.
Mit dieser Einschätzung zur fehlenden Notwendigkeit eines Niederschlagswasserkanals für das
Grundstück des Klägers wird der Beklagten auch nicht nachträglich planerisch Unmögliches abverlangt.
Denn das fragliche Grundstück befindet sich am westlichen Ende des von der Beklagten verlegten
Teilkanals. Das hierauf entfallende Kanalteilstück wäre daher verzichtbar gewesen, ohne eine Anschluss-
möglichkeit an diesen Teilkanal für benachbarte Grundstücke entfallen zu lassen.
Da der Niederschlagswasser‑Teilkanal, in den das Grundstück des Klägers entwässern könnte, demnach
von der Beklagten nicht bis zur Höhe dieses Grundstücks als notwendig im Sinne des § 52 Abs. 5
Satz 1 LWG angesehen werden durfte, sind weitere Ausführungen zurrechtlich dauerhaft gesicherten
Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung durch den Kläger entbehrlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Dr. Mildner gez. Dr. Beuscher gez. Brink
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.909,00 € festgesetzt (§§ 47, 52
Abs. 3 GKG).
gez. Dr. Mildner gez. Dr. Beuscher gez. Brink