Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 26.08.2004
OVG Koblenz: beeinträchtigung des sehvermögens, begriff, versicherungsleistung, private vorsorge, kapitalabfindung, auflage, leistungsfähigkeit, unfallversicherung, entstehungsgeschichte, blindheit
OVG
Koblenz
26.08.2004
12 A 10797/04.OVG
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Landesblindengeldes
hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
26. August 2004, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch
Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff
Richter am Verwaltungsgericht Müller-Rentschler
ehrenamtliche Richterin Hotel-Betriebswirtin Bocklet
ehrenamtlicher Richter Tierzuchttechniker Dörrenberg
für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2004 ergangene
Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz - 5 K 1200/03.KO - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz
(LBlindenGG).
Der am .... geborene Kläger erlitt am 22. Februar 1999 bei einem als Arbeitsunfall anerkannten Autounfall
ein Schädel-Hirn-Trauma, als dessen Folge er das Sehvermögen auf beiden Augen nahezu vollständig
verloren hat. Zum Ausgleich der Unfallfolgen wurden ihm aus von seinem früheren Arbeitgeber für ihn bei
der Provinzial-Versicherung abgeschlossenen Kfz-Insassen- und Gruppenunfallversicherungen
insgesamt 425.000,-- DM (217.299,05 €) ausbezahlt.
Am 10. August 2000 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung von Blindengeld nach dem
LBlindenGG.
Auf Nachfrage des Beklagten teilte die Provinzial-Versicherung mit Schreiben vom 29. April 2002 mit, sie
habe in Anbetracht der umfangreichen Unfallverletzungen auf eine detaillierte Invaliditätsfeststellung
verzichtet und ihre Leistung in voller Höhe erbracht, da festgestanden habe, dass der unfallbedingte
Gesamtinvaliditätsgrad nicht unter 100 % liegen werde. Allein für die unfallbedingte Sehbehinderung
beidseits sei ein Invaliditätsgrad von ca. 84 % zzgl. eines Brillenbonus von 3 % anzunehmen.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2002 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, der
Anspruch auf Blindengeld sei gemäß § 4 Abs. 1 LBlindenGG ausgeschlossen, weil es sich bei der
Versicherungsleistung i. H. v. 425.000,-- DM, die der Kläger hauptsächlich für seine unfallbedingte Sehbe-
hinderung erhalten habe, um eine Leistung nach anderen Rechtsvorschriften für den gleichen Zweck wie
das Blindengeld handele.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten mit
Widerspruchsbescheid vom 4. April 2003 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die
Leistungen der Provinzial-Versicherung seien auf das Blindengeld anzurechnen, weil es sonst zu der vom
Gesetzgeber nicht gewollten Überkompensation des blindheitsbedingten Mehraufwands käme. Von den
ausgezahlten 425.000,-- DM seien 87 %, also 369.750,‑‑ DM als auf den blindheitsbedingten
Mehraufwand geleisteter Betrag anzurechnen. Da der Kläger im Unfalljahr 1999 50 Jahre alt gewesen sei
und nach der Sterbetafel 1997/99 noch eine Lebenserwartung von 27,22 Jahren gehabt habe, errechne
sich eine Versicherungsleistung von 13.583,76 DM pro Jahr und von 1131,98 DM bzw. 578,77 € pro
Monat. Die monatlichen Versicherungsleistungen seien damit höher als der Anspruch auf Blindengeld
i.H.v. monatlich 529,50 €, so dass der Anspruch ganz entfalle.
Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, bei Leistungen aufgrund
eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages handele es sich nicht um Leistungen „nach anderen
Rechtsvorschriften“ i. S. v. § 4 Abs. 1 LBlindenGG. Im Übrigen würde durch die Anrechnung derartiger
privater Versicherungsleistungen private Vorsorge geradezu bestraft, während Landesblindengeld
ansonsten grundsätzlich unabhängig von Einkommen und Vermögen gezahlt werde.
Mit auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2004 ergangenem Urteil hat das Verwaltungsgericht
Koblenz die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt: Bei der von der Versicherung
gezahlten Abfindungssumme handele es sich um eine anrechnungsfähige Leistung i. S. v. § 4 Abs. 1
LBlindenGG. Die Anrechnung sei nicht auf Leistungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften beschränkt,
sondern beziehe auch Ansprüche aus Versicherungsverträgen ein.
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung gegen dieses Urteil hat der Kläger
vorgetragen: Wegen der grundlegenden Differenzierung zwischen Ansprüchen aus Vertrag und
Ansprüchen aus Gesetz sei es unzulässig, unter „Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ i. S. v. § 4
Abs. 1 LBlindenGG auch Leistungen zu verstehen, die allein auf dem Abschluss privater Versicherungs-
verträge beruhten. Im Falle einer Anrechnung solcher vertraglichen Ansprüche sei es nicht zu
rechtfertigen, weshalb sonstiges Vermögen beim Blindengeld nicht angerechnet werde. Es könne keinen
Unterschied machen, ob ein Anspruchsteller (selbst oder über seinen Arbeitgeber) monatlich Beträge in
eine Versicherung einzahle oder ob er sie zurücklege und daraus ein Vermögen anspare. Die Leistung
aus der privaten Unfallversicherung werde auch nicht i. S. v. § 4 Abs. 1 LBlindenGG „für den gleichen
Zweck wie das Blindengeld“ gewährt. Während das Blindengeld zum Ausgleich der durch die Blindheit
bedingten Mehraufwendungen gezahlt werde, knüpfe die private Invaliditätsversicherung ausweislich § 7
der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen ausschließlich an die dauernde Beeinträchtigung der
körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit an. Ansatzpunkt sei also die Einschränkung der
Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen, nicht der Ausgleich eines Mehraufwands.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 14. Januar 2004 – 5 K 1200/03.KO –
den Bescheid des Beklagten vom 16. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April
2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm Landesblindengeld zu gewähren.
Der Beklagte tritt der Berufung im Wesentlichen unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil
entgegen und beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte und den
beigezogenen Verwaltungsakten, die Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von
Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz vom 28. März 1995 (GVBl. S. 55) - LBlindenGG -
aufgrund der Anrechnung von Leistungen aus privaten Kfz-Insassen- und Gruppenunfallversicherungen
gemäß § 4 Abs. 1 LBlindenGG ausgeschlossen ist.
Bei der dem Kläger ausbezahlten Kapitalabfindung aus privaten Versicherungsverträgen handelt es sich
um „Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ i.S.d. § 4 Abs. 1 LBlindenGG (1.), die er auch „für den
gleichen Zweck wie das Blindengeld erhalten“ hat (2.); dieses Auslegungsergebnis steht mit höher-
rangigem Recht im Einklang (3.); die Anrechnung führt zum völligen Ausschluss des Anspruchs (4.).
1. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei der an ihn in zwei Teilbeträgen
ausbezahlten Kapitalabfindung in Höhe von 425.000,-- DM (217.299,05 €) um eine „Leistung nach
anderen Rechtsvorschriften“.
Keinem Zweifel unterliegt zunächst, dass unter den Begriff der „Leistung“ i.S.d. § 4 Abs. 1 LBlindenGG
nicht nur laufende, insbesondere in gleichen monatlichen Raten ausgezahlte Leistungen in Rentenform,
sondern auch in einer Summe oder mehreren Teilraten ausgezahlte Kapitalabfindungen fallen. Dies hat
der damalige 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz bereits zu dem gleichen Begriff in
der Vorgängervorschrift des § 4 Abs. 1 LBlindenGG, dem § 6 Abs. 1 des Landesgesetzes über die
Leistung von Pflegegeld an Schwerbehinderte (Landespflegegeldgesetz - LPflGG -) vom 31. Oktober
1974 (GVBl. 1974, S. 466) entschieden (vgl. das Urteil vom 19. März 1982 - 8 A 24/80 -, AS 17, 246, 248);
dem schließt sich der erkennende Senat im Hinblick auf die inhaltsgleiche Nachfolgevorschrift an.
Bei den Kapitalabfindungen aus privaten Unfall- und Invaliditätsversicherungen handelt es sich aber auch
um Leistungen, die i.S.d. § 4 Abs. 1 LBlindenGG „nach anderen Rechtsvorschriften“ erbracht werden. Eine
Einbeziehung solcher Leistungen in den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 LBlindenGG ist vom
möglichen Wortsinn der Vorschrift gedeckt (a.); sie wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm
bestätigt (b.) und ist auch mit Blick auf § 67 Abs. 1 Satz 1 BSHG geboten (c.); sie entspricht schließlich
insbesondere dem Sinn und Zweck der Regelung (d.).
a. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, macht § 4 Abs. 1 LBlindenGG die Anrechnung
von Leistungen, die der Blinde anderweitig erhalten hat, nach seinem Wortlaut nicht davon abhängig, ob
die Leistung im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht wurzelt. Bereits zu dem gleich lautenden Begriff in der
Vorgängervorschrift § 6 Abs. 1 Satz 1 LPflGG war obergerichtlich geklärt, dass der Begriff jedenfalls
gesetzliche Anspruchsnormen des Zivilrechts, etwa Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB oder § 3
Pflichtversicherungsgesetz, umfasst. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem
Rechtsstreit entschieden, in dem es um die Anrechnung einer von der Haftpflichtversicherung des nach §§
823 ff. BGB haftenden Unfallgegners ausgezahlten Kapitalabfindung nach § 843 Abs. 3 BGB ging (vgl.
Urteil vom 19. März 1982, a.a.O.). Der Begriff „Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ lässt nach
seinem möglichen Wortsinn aber auch die Auslegung zu, dass darunter Leistungen fallen, die ihre
Grundlage unmittelbar in einem privaten Versicherungsvertrag und nur mittelbar in den diesen Vertragstyp
regelnden gesetzlichen Vorschriften des Zivilrechts haben. Nach Creifelds (Rechtswörterbuch, 17.
Auflage, S. 1116) ist „Rechtsvorschriften“ ein „Zusammenfassender Ausdruck für alle Arten von
Rechtsnormen, also für alle Formen von Gesetz im materiellen Sinne (Verfassung, förmliche Gesetze,
Rechtsverordnung, Satzung). Der Begriff Rechtsvorschriften wird häufig verwendet, um den Gegensatz zu
kennzeichnen a) gegenüber Verwaltungsvorschriften, b) gegenüber sonstigen gesellschaftlichen
Verhaltensregulativen wie Sitte, Ethik, Moral.“ Diese Definition mag in ihrem ersten Satz zunächst eine
Beschränkung des Begriffs „Rechtsvorschriften“ auf einseitig erlassene, hoheitliche Rechtsnormen nahe
legen; entscheidend ist aber die im zweiten Satz hervorgehobene Abgrenzung gegenüber - zum einen -
Regelungen des Binnenrechts der Verwaltung ohne unmittelbare Rechtsbindung nach außen und - zum
anderen - rein gesellschaftlichen, rechtlich nicht bindenden Verhaltensregeln. Demgegenüber sind
vertragliche Regelungen, die Ansprüche - wie hier das Leistungsbezugsrechts eines Versicherten -
begründen, kraft gesetzlicher Anerkennung rechtlich bindend und gerichtlich durchsetzbar. Für den
vorliegenden Vertragstyp folgt dies aus den Regelungen der privaten Unfallversicherung in den §§ 179 ff.
VVG, insbesondere aus den die Bezugsberechtigung des Versicherten in der Kapitalunfallversicherung
regelnden Vorschriften des § 180 i.V.m. §§ 166 bis 168 VVG. Es ist deshalb im Zivilrecht üblich, unter dem
Oberbegriff der Anspruchsnorm oder anspruchsbegründenden Norm sowohl gesetzliche als auch
vertragliche Anspruchsnormen zu verstehen (vgl. insbesondere Medicus, Bürgerliches Recht, 18. Auflage,
§ 1, Rnrn. 8 bis 11; s.a. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Auflage, § 18 Rnrn. 1 bis 43; Münchener
Kommentar/Kramer, BGB, 4. Auflage, Einleitung Schuldrecht, Rn. 52 und § 241, Rn. 28). Von daher liegt
es nahe, unter den Begriff „Rechtsvorschriften“ i.S.d. § 4 Abs. 1 LBlindenGG alle Rechtsnormen, die
Ansprüche - z.B. Leistungsbezugsrechte - begründen können, zu fassen, also auch vertragliche
Anspruchsnormen zusammen mit dem jeweils auf sie anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften des
Zivilrechts.
b. Die danach vom möglichen Wortsinn des Begriffs „andere Rechtsvorschriften“ gedeckte
Einbeziehung von Leistungen aufgrund privater Versicherungsverträge wird durch die
Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt.
§ 6 Abs. 1 Satz 1 LPflGG, die Vorgängervorschrift des § 4 Abs. 1 LBlindenGG, enthielt folgende nahezu
gleich lautende Formulierung: „Leistungen, die der Berechtigte zum Ausgleich der durch seine
Behinderung bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften erhält, werden auf das
Pflegegeld angerechnet.“ Zugleich sah § 6 Abs. 1 Satz 2 LPflGG folgende Einschränkung vor:
„Ausgenommen sind Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen.“ In der Begründung
des Gesetzentwurfs der Landesregierung wurde zu § 6 ausgeführt: „Die Vorschrift will verhindern, dass
der Schwerbehinderte für den gleichen Bedarf doppelte Leistungen erhält. Deshalb sind gleichartige
Leistungen, auch privat-rechtlichen Charakters (z.B. Entschädigungsleistungen, soweit sie für die Pflege
bestimmt sind), auf das Pflegegeld anzurechnen.“ (vgl. LT-Drs. 7/2727 vom 15. März 1974, S. 11). Hieran
anknüpfend hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz ausdrücklich auch Leistungen aufgrund
privat-rechtlicher Anspruchsgrundlagen (mit Ausnahme der gesetzlich ausgeschlossenen bürgerlich-
rechtlichen Unterhaltsansprüche) einbezogen und dazu ausgeführt: „Ausgenommen sind nach § 6 Abs. 1
Satz 2 LPflGG vielmehr nur Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen, so dass sich
daraus ... die Anrechenbarkeit sonstiger bürgerlich-rechtlicher Ansprüche neben öffentlich-rechtlichen
Ansprüchen ergibt, was im Übrigen auch aus der angeführten Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6
hervorgeht“ (vgl. Urteil vom 19. März 1982 - 8 A 46/80 -, AS 17, 251, 255). Im konkreten Fall ging es um
eine Leistung einer Versicherungsgesellschaft, ohne dass das Oberverwaltungsgericht weiter danach
differenzierte, ob der Leistungsanspruch unmittelbar auf Gesetz oder auf Vertrag beruhte. Der Begriff
„Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ in § 6 Abs. 1 Satz 1 LPflGG wurde vielmehr sehr weit dahin
ausgelegt, dass darunter auch (alle) Leistungen zu verstehen seien, „die der Behinderte zum Ausgleich
des behinderungsbedingten Mehrbedarfs von dritter Seite erhält.“ Der Gesetzgeber des
Landesblindengeldgesetzes hat in Kenntnis dieser gefestigten Rechtsprechung bei dem Erlass des § 4
Abs. 1 LBlindenGG an der Wortwahl „Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ festgehalten, auf
einen einschränkenden oder klarstellenden Zusatz verzichtet und sogar die Anrechenbarkeit von zivil-
rechtlichen Leistungen erweitert, indem er den bisherigen Ausschluss „bürgerlich-rechtlicher
Unterhaltsansprüche“ nicht mehr vorgesehen hat. Dies legt den Schluss nahe, dass mit dem Begriff
„Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ in § 4 Abs. 1 LBlindenGG alle zivilrechtlich begründeten
Leistungen erfasst werden sollen, die dem gleichen Zweck wie das Blindengeld dienen, unabhängig
davon, ob sie unmittelbar auf Vertrag oder Gesetz beruhen.
c. Eine andere Auslegung ist auch nicht mit Blick auf die Regelung des Blindengeldes nach § 67 Abs. 1
BSHG geboten. Zwar hat der Bundesgerichtshof zu der dem § 4 Abs. 1 LBlindenGG Rheinland-Pfalz
entsprechenden Regelung in § 3 des Niedersächsischen Landesblindengeldgesetzes die Auffassung
vertreten, anrechenbar seien nur „öffentlich-rechtliche Leistungen“, und insoweit auf eine Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der „gleichartigen Leistungen nach anderen
Rechtsvorschriften“ in § 67 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BSHG verwiesen (vgl. BGH, Urteil vom 24.
September 1987 - III ZR 49/86 -, NJW 1988, S. 819, 821). Das Bundesverwaltungsgericht hatte seinerzeit
ausgeführt, § 67 Abs. 1 BSHG diene „der Abstimmung der Leistungen der verschiedenen
Sozialleistungsträger“, insoweit stelle das Gesetz auf die „Gleichartigkeit der Leistungen“ ab (vgl. BVerwG,
Urteil vom 8. Oktober 1969 - V C 57.69, BVerwGE 34, 80, 82). Abgesehen davon, dass in der
Kommentarliteratur zu § 67 Abs. 1 Satz 1 BSHG inzwischen die Auffassung vertreten wird, dass unter
„gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften“ i.S.d. Vorschrift auch auf Vertrag beruhende
Leistungen fallen können (so Mergler/Zink, BSHG, § 67, Rn. 34), enthält § 4 Abs. 1 LBlindenGG einen
möglicherweise einschränkend zu verstehenden Zusatz „gleichartige“ gerade nicht. Vor allem verdeutlicht
die dargestellte Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 LBlindenGG, dass der rheinland-pfälzische
Gesetzgeber nicht auf eine Gleichartigkeit der Rechtsform, sondern nur auf die Gleichheit des Zwecks der
Leistung nach anderen Rechtsvorschriften abgestellt und dabei bewusst sowohl öffentlich-rechtlich als
auch zivilrechtlich begründete Leistungen einbezogen hat.
d. Die Auslegung, nach der Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften i.S.v. § 4 Abs. 1 LBlindenGG
grundsätzlich auch solche aus einer privaten Unfallversicherung sind, entspricht auch allein dem Sinn und
Zweck dieses Gesetzes. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist Sinn und Zweck der
Anrechnungsvorschrift, „sicherzustellen, dass Blinde nicht mehrfache Leistungen für den gleich Zweck
erhalten sollen (Kumulationsproblematik), und dass blindheitsbedingter Mehrbedarf zwar ausgeglichen,
aber nicht überkompensiert wird“ (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zu Art. 2, § 4 des
Landesgesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes, LT-Drs. 12/6089, S. 25). Dies
entspricht dem gleichen Verständnis von Sinn und Zweck der Vorgängervorschrift § 6 Abs. 1 Satz 1
LPflGG in den beiden genannten Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. März
1982, die sich ebenfalls auf entsprechende Ausführungen in der damaligen Begründung des
Gesetzentwurfs stützen konnte. Die somit seit jeher im Vordergrund stehende Kumulations- und
Überkompensationsfrage stellt sich aber ohne weiteres auch bei Leistungen an den Blinden aus einer
privaten Unfall- bzw. Invaliditätsversicherung, soweit diese dem gleichen Zweck wie das Blindengeld
dienen. Das gesetzgeberische Ziel, eine Überkompensation des blindheitsbedingten Mehrbedarfs zu
vermeiden, lässt sich ohne Einbeziehung derartiger Versicherungsleistungen nicht vollständig
verwirklichen.
2. Die dem Kläger ausbezahlte Kapitalabfindung aus privaten Unfall- bzw. Invaliditätsversicherungen
ist jedenfalls in dem im Widerspruchsbescheid bezeichneten Umfang eine Leistung „für den gleichen
Zweck wie das Blindengeld“ i.S.v. § 4 Abs. 1 LBlindenGG.
Der Zweck des Blindengeldes ergibt sich ohne weiteres aus § 1 Abs. 1 LBlindenGG: Danach dient das
Blindengeld „zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen“. Der Zweck einer
Kapitalabfindung aus einer privaten Unfallversicherung ist, soweit sie zum Ausgleich einer
unfallbedingten Beeinträchtigung des Sehvermögens gezahlt wird, letztlich kein anderer. Gemäß § 7 Abs.
1 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) besteht ein Anspruch auf die
Kapitalleistung dann, wenn der Unfall „zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder
geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) des Versicherten“ geführt hat (vgl. Prölss/Martin, VVG, 25. Auflage
Anhang Q, § 7 AUB 88). Zweck der Invaliditätsleistung ist es daher, die wirtschaftlichen Folgen und
Belastungen, die für den Behinderten infolge der unfallbedingten dauernden Beeinträchtigung seiner
Leistungsfähigkeit eintreten, auszugleichen oder zumindest zu mildern. Folge einer dauernden
Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit ist vor allem ein stärkeres Angewiesensein auf Hilfen anderer
Personen und auf technische Hilfsmittel bei gleichzeitiger Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten, was
einen behinderungsbedingten (finanziellen) Mehrbedarf auslöst, den die Versicherungsleistung - ebenso
wie das Blindengeld - abdecken soll.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Auskunft der Provinzialversicherung vom 29. April 2002, dass die
an den Kläger gezahlte Versicherungsleistung zu insgesamt 87 % dem Ausgleich der „unfallbedingten
Sehbehinderung beidseits“ einschließlich eines besonderen Brillenbedarfs diente. Es besteht somit in
Höhe von 87 % der Versicherungsleistung Zweckgleichheit mit dem Blindengeld.
3. Die Auslegung des § 4 Abs. 1 LBlindenGG dahin, dass auch Leistungen aus privaten
Unfallversicherungsverträgen im Umfang der Zweckgleichheit der Versicherungsleistung mit dem
Blindengeld auf dieses anzurechnen sind, steht mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, im Einklang.
Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, Leistungen aufgrund von privaten Versicherungsverträgen
deshalb von der Anrechenbarkeit auf das Blindengeld auszunehmen, weil sie auf privater Vorsorge (hier:
des Arbeitgebers für seine Beschäftigten) beruhen, während andere Vermögensanlagen, die ebenfalls
der privaten Vorsorge dienen (können), anrechnungsfrei bleiben. Es liegen bereits keine wesentlich
gleichen Sachverhalte vor, deren Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG geboten wäre. Wie
dargelegt, sind die hier in Rede stehenden Versicherungsleistungen ebenso zweckgebunden wie das
Blindengeld: Sie dienen zu einem wesentlichen Teil gerade auch zur Abdeckung des
behinderungsbedingten Mehrbedarfs. Der Versicherungsvertrag wurde typischerweise deshalb
abgeschlossen, um einen im Falle einer unfallbedingten Behinderung entstehenden finanziellen
Mehrbedarf abzudecken. Demgegenüber ist das sonstige, im Zeitpunkt des Eintritts der Blindheit
vorhandene Vermögen typischerweise zweckfrei. Schon dies rechtfertigt es, die Sachverhalte verschieden
zu behandeln; denn dem Gesetzgeber kommt es entscheidend darauf an, Leistungen an den Blinden, die
dem gleichen Zweck wie das Blindengeld dienen, zur Vermeidung einer Überkompensation des
blindheitsbedingten Mehrbedarfs anzurechnen.
4. Die Anrechnung der an den Kläger geflossenen Kapitalabfindung in dem Umfang, in dem
Zweckgleichheit mit dem Blindengeld besteht, hat zur Folge, dass der Anspruch auf das Blindengeld
gänzlich ausgeschlossen ist.
Unter Bezugnahme auf die zutreffende Berechnung im Widerspruchsbescheid ist dabei zunächst von 87
% der ausgezahlten Abfindungssumme, also von einem Betrag in Höhe von 369.750,-- DM bzw.
189.050,17 € auszugehen. Dieser Betrag ist unter Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung
des Versicherten im Unfallzeitpunkt auf das einzelne Jahr und sodann auf den einzelnen Monat
umzurechnen, da das Blindengeld monatlich ausbezahlt wird (vgl. § 2 LBlindenGG). Bei einer
umzurechnen, da das Blindengeld monatlich ausbezahlt wird (vgl. § 2 LBlindenGG). Bei einer
statistischen Lebenserwartung des im Unfalljahr 1999 50 Jahr alten Klägers nach der einschlägigen
Sterbetafel von 27,22 Jahren errechnet sich eine jährliche Versicherungsleistung von 13.583,76 DM bzw.
6.948,33 €, was einer monatlichen Versicherungsleistung in Höhe von 1.131,98 DM bzw. 578,77 €
entspricht. Damit übersteigt die auf den einzelnen Monat entfallende Versicherungsleistung das
monatliche Blindengeld, dessen Höhe gemäß § 2 Satz 1 LBlindenGG für den Kläger 529,50 € betragen
würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2
VwGO nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr.
10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür i.S.v. § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Wünsch gez. Wolff gez. Müller-Rentschler