Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 17.12.2010

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OVG
Koblenz
17.12.2010
2 A 10620/10.OVG
Kommunalwahlrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
…,
- Kläger und Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Pfeil & Wolf, Schmähgasse 70, 67454 Haßloch,
gegen
das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion,
Willy-Brandt-Platz 3, 54290 Trier,
- Beklagter und Antragsgegner -
wegen Wahlanfechtung
hier: Zulassung der Berufung
hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
17. Dezember 2010, an der teilgenommen haben
Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schumacher
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt
an der Weinstraße vom 3. März 2010 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- € festgesetzt.
G r ü n d e
Der Antrag bleibt ohne Erfolg, weil keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124
Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung
– VwGO –) vorliegt.
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs.
2 Nr. 1 VwGO. Der Beklagte hat den Einspruch des Klägers gegen die Wahl zum Stadtrat der Stadt F zu
Recht abgewiesen. Es besteht kein Anlass, die Wahl für ungültig zu erklären oder die Neufeststellung des
Wahlergebnisses anzuordnen. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht ausführlich und zutreffend
dargelegt. Hierauf wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO vollumfänglich verwiesen.
Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen des Klägers folgendes auszuführen:
a) Die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz des Stimmzettelerfassungsprogramms “Heiler” genügen
sowohl den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts als auch den Vorgaben des Art. 110 Abs. 1
Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –.
Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet, dass in
grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst
getroffen werden. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand
überhaupt gesetzlich geregelt werden muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu
gehen haben (vgl. BVerfGE 123, 39 [78]; auch Gusy, in: Grimm/Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz,
2001, Art. 2 Rdn. 4).
Nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 LV müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zum Erlass von
Rechtsverordnungen im Gesetz bestimmt werden. Der Gesetzgeber muss selbst entscheiden, welche
Fragen innerhalb welcher Grenzen und mit welchem Ziel durch Rechtsverordnung geregelt werden
sollen. Dabei muss die Ermächtigung in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein. Es
genügt vielmehr, wenn die Grenzen der Ermächtigung durch Auslegung anhand der allgemein
anerkannten Auslegungsgrundsätze bestimmt werden können. Dabei sind auch Zielsetzung und
Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie der Sinnzusammenhang mit anderen Bestimmungen von
Bedeutung. Im Einzelnen hängen die Bestimmtheitsanforderungen von den Besonderheiten des
jeweiligen Regelungsgegenstandes und der Intensität der Maßnahme ab. Während bei vielgestaltigen
und schnellen Veränderungen unterworfenen Sachverhalten geringere Anforderungen zu stellen sind,
gelten höhere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung bei solchen Regelungen, die
mit intensiveren Eingriffen in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verbunden sind (vgl. BVerfGE
123, 39 [78]; auch Franke, in: Grimm/Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Art. 110, insb. Rdn. 17
ff.).
Hiervon ausgehend sind die dem Einsatz des Programms „Heiler“ zugrunde liegenden Vorschriften des §
76 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 Kommunalwahlgesetz – KWG – in Verbindung mit §§ 53 Abs. 10, 55 Abs. 12
Kommunalwahlordnung – KWO – nicht zu beanstanden.
Der parlamentarische Gesetzgeber hat die grundlegende Entscheidung über den Einsatz von Computern
bei der Stimmenauszählung im Kommunalwahlgesetz selbst getroffen. Zwar lässt sich diese
Grundentscheidung nicht unmittelbar aus § 76 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 KWG ablesen. Dieser spricht nur ganz
allgemein von der „Feststellung des Wahlergebnisses“. Der Zusammenhang mit den Vorschriften der
§§ 32 Abs. 4 und 76 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 KWG lässt indes mit hinreichender Eindeutigkeit erkennen, dass
der Gesetzgeber den Einsatz von Computern als Hilfsmittel bei der Stimmenauszählung zulassen wollte.
Wenn der Gesetzgeber in den genannten Bestimmungen zur Abgabe und Zählung der Stimmen sogar
„echte“ Wahlgeräte anstelle von Stimmzetteln und Wahlurnen zulässt, so hat er damit „erst recht“ den
Einsatz von Computern allein bei der Zählung der Stimmen gebilligt.
Die Verordnungsermächtigung in § 76 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 KWG ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß auch
hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 110 Abs. 1 Satz 2 LV. Es versteht sich gleichsam von selbst, dass
sämtliche in Ausführung des § 76 Abs. 1 Nr. 13 KWG erlassenen Vorschriften dem Ziel einer zutreffenden
Feststellung des Wahlergebnisses zu dienen haben. Dies gilt selbstredend auch für die Bestimmungen
über den Einsatz von Computern bei der Auszählung der Stimmen. Dass der Verordnungsgeber im
Rahmen des § 76 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 KWG den Grundsätzen einer demokratischen Wahl – insbesondere
dem Öffentlichkeitsgrundsatz – verpflichtet ist, folgt bereits aus der Landesverfassung, namentlich aus Art.
50 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 76 LV und aus dem in Art. 74 Abs. 1 LV verankerten
Demokratieprinzip. Zu weiteren Vorgaben für den Einsatz von Computern bei der Stimmenauszählung
war der Gesetzgeber – angesichts der Vielgestaltigkeit und der hohen Dynamik des Regelungsbereichs –
aus Art. 110 Abs. 1 S. 2 LV nicht verpflichtet.
b) Der Einsatz des Stimmzettelerfassungsprogramms „Heiler“ begegnet auch im Hinblick auf den
Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 50 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 76 Abs. 1 und Art. 74
Abs. 1 LV keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher
Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme
rechtfertigen. Jeder Bürger muss die zentralen Schritte der Wahl – insbesondere die Wahlhandlung und
die Ermittlung des Wahlergebnisses – ohne technische Vorkenntnisse zuverlässig nachvollziehen und
verstehen können (vgl. BVerfGE 123, 39 [70 ff.]).
Diesen Vorgaben entsprach das Verfahren zur Feststellung des Wahlergebnisses im vorliegenden Fall.
Gemäß den Vorgaben des Landeswahlleiters wurden die Stimmzettel – unter Beachtung des Acht-Augen-
Prinzips – öffentlich verlesen und in das Stimmzettelerfassungsprogramm eingegeben. Die korrekte
Zuteilung und Heilung der Stimmen sowie deren zutreffende Summierung durch das Programm wurden
während und nach der Auszählung anhand einzelner Stimmzettel stichprobenartig überprüft. Damit wurde
nicht nur der anwesenden Öffentlichkeit das ordnungsgemäße Funktionieren des Programms anschaulich
gemacht. Vielmehr wäre es jedem Bürger auch ohne technische Vorkenntnisse leicht möglich gewesen,
sich „vor Ort“ eigene Aufzeichnungen über die Stimmabgaben zu machen und die Auszählung durch das
Programm auf dieser Grundlage kontrollierend nachzuvollziehen. Außerdem bleibt bei der gewählten
Verfahrensweise eine manuelle Nachzählung anhand der papiernen Stimmzettel jederzeit ohne weiteres
möglich.
Die Öffentlichkeit der Wahl war daher im erforderlichen Maße hergestellt, ohne dass es – zusätzlich –
einer Offenlegung des Quellcodes des Programms oder gar einer vorhergehenden Überprüfung
desselben durch einen Sachverständigen bedurft hätte. Ein relevanter Zugewinn an Öffentlichkeit war –
angesichts der bereits getroffenen Vorkehrungen – durch derartige Maßnahmen nicht mehr zu erzielen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Quellcodes und sachverständige Äußerung hierzu ohnehin nur für
interessierte Spezialisten, nicht aber für die breite Öffentlichkeit verständlich sind. Außerdem kann anhand
des Quellcodes nur überprüft werden, ob das betreffende Programm im Originalzustand ordnungsgemäß
funktioniert. Vor nachträglichen Manipulationen schützt die Veröffentlichung des Quellcodes nicht (vgl.
zum Ganzen BVerfGE 123, 39 [74 f.]).
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne
des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist durch das
Verwaltungsgericht geklärt. Die von den Beteiligten aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich auf der
Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2009 – 2 C 3/07 u.a. –
BVerfGE 123, 39 ohne weiteres beantworten.
3. Der Sache kommt schließlich keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Es
stellen sich vorliegend keine allgemeinen Rechtsfragen, welche durch das eben erwähnte Urteil des
Bundesverfassungsgerichts oder sonstige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht bereits geklärt wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz.
gez. Prof. Dr. Meyer
gez. Stamm
gez. Dr. Schumacher