Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 29.01.2007
OVG Koblenz: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, aufschiebende wirkung, erstwohnung, zweitwohnung, hauptwohnung, inhaber, satzung, begriff, aufwand, gleichstellung
OVG
Koblenz
29.01.2007
6 B 11579/06.OVG
Abgabenrecht; Zweitwohnungsabgabe
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
…
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Stich & Kollegen, Rheinstraße 22, 76870 Kandel,
gegen
die Stadt Mainz, vertreten durch den Oberbürgermeister, Kaiserstraße 3-5, 55116 Mainz,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen kommunaler Steuern
hier: aufschiebende Wirkung
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
29. Januar 2007, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
beschlossen:
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Mainz vom 24. November 2006 ‑ 3 L
916/06.MZ ‑ wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den
Zweitwohnungsabgabenbescheid der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2005 angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren beider Rechtszüge auf jeweils 219,59 €
festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet.
Dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den
Zweitwohnungsabgabenbescheid der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2005 anzuordnen, ist
stattzugeben. Das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung des Suspensiveffektes des
Rechtsbehelfs geht dem öffentlichen Interesse der Antragsgegnerin am sofortigen Vollzug des
angegriffenen Abgabenbescheides ausnahmsweise vor. Die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der
abgabenrechtlichen Heranziehung des Antragstellers überwiegen derart, dass dessen Erfolg im
Hauptsacheverfahren deutlich wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen (vgl. OVG RP, AS 18, 381 ff.). Der
angefochtene Abgabenbescheid, bei dem es der Sache nach um einen Zweitwohnungssteuerbescheid
geht, kann sich nämlich auf keine tragfähige Rechtsgrundlage stützen, weil die
Zweitwohnungsabgabensatzung der Antragsgegnerin vom 11. März 2005 die rechtlichen
Voraussetzungen der steuerlichen Heranziehung nicht vollständig regelt (a) und eine systemkonforme
Behebung dieses Mangels durch Auslegung der Satzung zulasten des Personenkreises, dem der
Antragsteller angehört, die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen der steuerrechtlichen
Typisierungsfreiheit überschreitet (b).
a) Die Zweitwohnungsabgabensatzung der Antragsgegnerin regelt die tatbestandlichen Voraussetzungen
für die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer nicht abschließend, so dass die Rechtsgrundlage dem
abgabenrechtlichen Rechtssatzvorbehalt nur bedingt genügt. Zwar finden sich im Satzungstext
Festsetzungen zum Abgabengegenstand (§ 1), zum Begriff der Wohnung (§ 2 Abs. 4) einschließlich der
Zweitwohnung (§ 2 Abs. 1) sowie zum Innehaben eines solchen Gegenstandes (§ 3 Abs. 1), die belegen,
dass der Satzungsgeber insoweit keine eigenständige abgabenrechtliche Begrifflichkeit entwickelt,
sondern sich im Wesentlichen an der Terminologie des Melderechtes orientiert hat. Ob er mit dieser
Normierungstechnik seiner Verpflichtung zur exakten rechtssatzmäßigen Umschreibung der Tat-
bestandsmerkmale „Innehaben einer Zweitwohnung“ gerecht geworden ist, mag schon im Hinblick auf
den Steuergegenstand, hier der fehlenden Kongruenz von Neben- und Zweitwohnung, zweifelhaft
erscheinen (vgl. Winkler, Problemfragen bei der Erhebung der Zweitwohnungssteuer aus der Sicht
Studierender, KStZ 2007, 5 ff. [11]). Dies kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, weil die
rechtlich gebotene vollständige Umschreibung des Steuertatbestandes die begriffliche Einbeziehung der
Merkmale „Innehaben einer Erstwohnung“ voraussetzt, an der es hier fehlt. Denn wenn nach der
Vorstellung des Satzungsgebers Gegenstand der Steuererhebung das Innehaben einer Zweitwohnung
ist, dann gehört schon aus Gründen der begrifflichen Logik zum Steuertatbestand hinzu, dass der
Abgabenpflichtige sich zugleich eine Erstwohnung leistet. Deren nähere sprachliche Qualifizierung
erweist sich dabei umso dringlicher, je spezieller und gegenstandsferner das Vokabular beschaffen ist,
dessen sich der Satzungsgeber zur Kennzeichnung der Zweitwohnung bedient. Dass die Vorstellungen
des Satzungsgebers über das Innehaben einer Erstwohnung zum Tatbestand der
Zweitwohnungssteuererhebung gehören, leitet sich ferner aus dem Sinn und Zweck der Steuerpflicht ab.
Durch diese finanzielle Last soll nämlich nur der getroffen werden, dessen wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit ihm den Aufwand gestattet, gleichzeitig zwei Wohnungen zu unterhalten (vgl. BVerfGE
65, 325 [345 ff.]; BVerwG, Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 5). Unter welchen Voraussetzungen
das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes angenommen werden kann, bedarf mithin der normativen
Festlegung, weil das Innehaben einer Erstwohnung unter Aufwandsgesichtspunkten keinesfalls als
steuerlich neutral eingestuft werden kann (a.A. Meier, Juhre, Aktuelle Probleme im Zusammenhang mit
der Erhebung der Zweitwohnungssteuer bei Studierenden, KStZ 2005, 167 ff. [169]).
An einer solchen satzungsrechtlich eindeutigen Festlegung des steuerlichen Erstwohnungsbegriffs fehlt
es hier. Der Satzungsgeber lässt es vielmehr dabei bewenden, den steuerrechtlichen Wohnungsbegriff in
§ 2 Abs. 4 Satz 1 der Satzung als Ergebnis der Kombination von Elementen des melderechtlichen Woh-
nungsbegriffs (§ 11 Abs. 5 Satz 1 MRRG) und des abgabenrechtlichen Wohnsitzbegriffs (§ 8 AO) zu
qualifizieren. Im Übrigen definiert er den abgabenrechtlichen Begriff der Zweitwohnung in strikter
Anlehnung an den melderechtlichen Begriff der Nebenwohnung (§ 12 Abs. 3 MRRG) und äußert sich in
§ 3 Abs. 1 dazu, unter welchen Voraussetzungen die Zweitwohnung im Sinne der Satzung „innegehabt“
wird.
b) Welche Vorstellungen den Satzungsgeber bezüglich des Innehabens einer Erstwohnung geleitet
hätten, wenn er diesen Sachverhalt einer Normierung unterzogen hätte, kann unter diesen Umständen
nur durch eine extensive systemkonforme Auslegung der bestehenden Satzungsbestimmungen ermittelt
werden. Dabei liegt es nahe, anzunehmen, dass der Normgeber der Zweitwohnungssteuer sich an den
Maßstäben des Melderechtes nicht nur partiell, bezüglich des Innehabens einer Zweitwohnung, sondern
umfassend orientiert hätte und er demgemäß auch die nicht normierten, aber regelungsbedürftigen
Tatbestandsmerkmale in diese Systematik einbezogen hätte. Wenn sich sonach das Innehaben der Zweit-
wohnung aus den melderechtlichen Verhältnissen über die Nebenwohnung ableiten lässt, wird man als
mutmaßlichen Regelungswillen des Satzungsgebers unterstellen können, dass er eine tatbestandliche
Koordination auch zwischen der melderechtlichen Hauptwohnung und der abgabenrechtlichen
Erstwohnung angestrebt hätte. Als Inhaber einer Erstwohnung stellt sich folgerichtig derjenige dar, dessen
melderechtlichen Verhältnisse die Beurteilung der Wohnung als Erstwohnung bewirken.
Eine dergestalt ergänzte Zweitwohnungssteuersatzung verstieße jedoch in ihrer Anwendung auf den
Personenkreis, dem der Antragsteller angehört, gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG angelegten Grundsatz der
Steuergerechtigkeit (vgl. BVerfGE 49, 343 [360 f.]). Denn die in einer solchen Satzungsergänzung zum
Ausdruck kommende Vorstellung, dass die melderechtlichen Verhältnisse von Haupt- und
Nebenwohnung uneingeschränkt auf die steuerrechtlichen Tatbestände von Erst- und Zweitwohnung
übertragbar seien, entfernt sich jedenfalls bei der zweitwohnungssteuerrechtlichen Veranlagung der
Personengruppe der Studierenden, die am elterlichen Wohnsitz mit Hauptwohnsitz gemeldet sind und am
Studienort eine Nebenwohnung gemietet haben, soweit von den sozialen Gegebenheiten und dem
Rechtfertigungszweck der Zweitwohnungssteuer, dass dieser Mangel nicht durch die Befugnis des
Satzungsgebers zur abgabenrechtlichen Pauschalierung und Typisierung zu kompensieren ist. Die
steuerrechtlichen Vorteile der Typisierung stehen nämlich in keinem rechtlichen Verhältnis zu der
Ungleichheit der steuerlichen Belastung, die mit der Typisierung notwendig verbunden ist (vgl. BVerfGE
31, 119 [130 f.]).
Die Distanz der satzungsrechtlichen Begrifflichkeit zu den realen Verhältnissen offenbart sich bereits in
der Fiktion, dass der in der elterlichen Wohnung mit Hauptwohnsitz gemeldete Student Inhaber einer
abgabenrechtlich relevanten Erstwohnung sei. Als Inhaber einer Erstwohnung kann nach allgemeinem
Sprachgebrauch und gefestigter abgabenrechtlicher Rechtsprechung (vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom
23. April 1993 ‑ 22 A 3850/92 ‑, NVwZ‑RR 1994, 43 ff. [45 f.]; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 5. Dezember
2002 ‑ 16 K 3699/01 ‑ juris) nur derjenige angesehen werden, dem die rechtliche und tatsächliche
Verfügungsbefugnis über die von ihm als Hauptwohnung genutzten Räumlichkeiten zusteht. Einem die
elterliche Wohnung mitbenutzenden Studenten kommt daran als Besitzdiener aber nicht einmal die
tatsächliche Verfügungsbefugnis zu, so dass von einer rechtlichen Verfügungsbefugnis umso weniger die
Rede sein kann (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 16. Februar 2005 ‑ 5 A 118/04 ‑ juris). Damit unterscheidet
sich bei einem realitätsnahen Maßstab der Personenkreis, der rechtlich und tatsächlich eine Erstwohnung
innehat, in wesentlicher Hinsicht von demjenigen, der als „Erstwohnungsinhaber“ fingiert wird, so dass die
abgabenrechtliche Gleichstellung dieser Personengruppen grundsätzlich unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG
ist.
Dies gilt in Anbetracht des Zweckes der Zweitwohnungssteuer umso mehr. Sie legitimiert sich nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 65, 325 ff.; BVerwG, Urteil vom 29. November 1991 ‑ 8
C 107.89 ‑ NVwZ 1992, 1098 f.) dadurch, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den
persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung (hier: Erstwohnung) einen
Zustand kennzeichnet, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln erfordert und in der Regel
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt. Gemessen daran stellen Studierende, die am
Standort der Universität eine Nebenwohnung unterhalten, diese während des Semesters in Anspruch
nehmen, im Übrigen aber vorwiegend Wohnraum in der elterlichen Wohnung als Teil der
Unterhaltsleistungen seitens der Eltern nutzen und dort mit Hauptwohnung gemeldet sind, dadurch in der
Regel keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unter Beweis. Vielmehr muss es nach allgemeiner
Lebenserfahrung bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass derjenige, der eine Hauptwohnung
zwar nutzt, diese aber nicht als Erstwohnung innehat, im Sinne der Zweitwohnungssteuer selbst dann
keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt, wenn er eine Nebenwohnung innehat. Die
anderenfalls zu verzeichnende abgabenrechtliche Gleichstellung von realem und fiktivem Aufwand hat
nämlich die Verfehlung des Gesetzeszwecks notwendig zur Folge und erweist sich damit als willkürlich.
Die Gesichtspunkte der Typisierung und der Praktikabilität vermögen die Einbeziehung der hier in Rede
stehenden Personengruppe in den Kreis der Abgabenpflichtigen nicht zu rechtfertigen. Denn es handelt
sich um eine benachteiligende Typisierung, bei der der Gestaltungsfreiheit des Normgebers ohnehin
enge Grenzen gezogen sind (vgl. BVerfGE 19, 101 [116]). Zudem wird sein Freiraum durch den
Abgabenzweck eingeengt, so dass es dem typisierenden Satzungsgeber verwehrt ist, bei der Auswahl der
Steuerpflichtigen zweckwidrig zu verfahren. Auch der Gesichtspunkt der Praktikabilität greift nicht durch.
So dürfte die an einem Wirklichkeitsmaßstab ausgerichtete Feststellung, dass der zur
Zweitwohnungssteuer zu Veranlagende tatsächlich zwei Wohnungen innehat, auf keine unzumutbaren
administrativen Schwierigkeiten stoßen. Dass der dabei zu entfaltende Verwaltungsaufwand zu einer
weitgehenden Aufzehrung der steuerlichen Erträge führen könnte, ist nicht ersichtlich, würde andererseits
die Aufrechterhaltung der gleichheitswidrigen Steuerveranlagung auch nicht rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die Wertfestsetzung stützt sich auf die §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63
Abs. 3 Satz 1 GKG; dabei legt der Senat wegen des bereits weitgehend abgeschlossenen Studiums des
Antragstellers abweichend vom Wertansatz des Verwaltungsgerichts als steuerlichen
Veranlagungszeitraum nur eine Zeitspanne von 2 Jahren und 7 Monaten zugrunde.
Hehner Dr. Frey Dr. Beuscher