Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 23.03.2009
OVG Koblenz: amt, fraktion, gemeinderat, verzicht, nachrücken, gemeindeordnung, unterrichtung, rechtswidrigkeit, stamm, markt
OVG
Koblenz
23.03.2009
2 A 10100/09.OVG
Kommunalverfassungsrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der SPD-Fraktion im Verbandsgemeinderat der Verbandsgemeinde Konz, vertreten durch den
Fraktionsvorsitzenden, …,
- Klägerin und Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Heuking und Kollegen, Cecilienallee 5, 40474 Düsseldorf,
gegen
1. den Verbandsgemeinderat der Verbandsgemeinde Konz, vertreten durch den Bürgermeister, Am
Markt 11, 54329 Konz,
2. die Verbandsgemeinde Konz, vertreten durch den Bürgermeister, Am Markt 1, 54329 Konz,
- Beklagte und Antragsgegner -
Prozessbevollmächtigte zu 1-2: Rechtsanwälte Trilsbach, Jakobs und Kollegen, Ostallee 53,
54290 Trier,
beigeladen:
1. …,
2. …,
3. …,
4. …,
Prozessbevollmächtigte zu 1-2: Rechtsanwälte Cremer, Arend & Hött,
Weberbach 19-21, 54290 Trier,
wegen Kommunalverfassungsrechts
hier: Zulassung der Berufung
hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
23. März 2009, an der teilgenommen haben
Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer
Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm
Richter am Oberverwaltungsgericht Steinkühler
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 2. Dezember
2008 zuzulassen, wird abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2) zu tragen. Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben ihre
außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- € festgesetzt.
G r ü n d e
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte
Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124
Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO - nicht vorliegt. Denn eine Abänderung der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in einem späteren Berufungsverfahren ist nicht zu erwarten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Verzichts der Beigeladenen
zu 1) und 2) auf ihr Amt als Mitglied im Verbandsgemeinderat und der Rechtswidrigkeit des Beschlusses
über die Fortschreibung des Flächennutzungsplans der Beklagten zu 2) wegen der Mitwirkung der in den
Rat nachgerückten Beigeladenen zu 3) und 4) zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Bei dem Streit zwischen einer Fraktion und dem Gemeinderat über die Wirksamkeit der Niederlegung
eines Ratsmandats und die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses handelt es sich um einen
Kommunalverfassungsstreit. Hierunter sind Streitigkeiten zwischen Organen einer
Selbstverwaltungskörperschaft oder innerhalb solcher Organe zu verstehen (OVG RP, AS 9, 335).
Gestritten wird dabei um die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen und Handlungen dieser Organe aus dem
Bereich ihres inneren Verfassungslebens. Trotz des Fehlens eines Außenrechtsverhältnisses setzt die Zu-
lässigkeit der im Rahmen des kommunalen Verfassungsstreitverfahrens statthaften Feststellungsklage
nach einhelliger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Möglichkeit der Verletzung kommunal-
verfassungsrechtlich eingeräumter eigener Rechte des klagenden Organs oder Organteils voraus. Denn
andernfalls liefe der Kommunalverfassungsstreit auf ein objektives Beanstandungsverfahren hinaus, das
dem auf Individualrechtsschutz angelegten System der Verwaltungsgerichtsordnung fremd wäre. Die
Prüfung objektiver Rechtsverletzungen ist vielmehr ausschließlich der Staatsaufsicht zugewiesen
(BVerwG, NVwZ 1989, 470; OVG RP, AS 19, 65 [67]; OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 -,
juris; VGH BW, Urteil vom 25. März 1999 - 1 S 2059/98 -, juris).
Demnach setzt die Zulässigkeit der Klage im vorliegenden Fall voraus, dass die Klägerin durch den
Verzicht der Beigeladenen zu 1) und 2) auf das Amt eines Ratsmitglieds gemäß § 30 Abs. 3
Gemeindeordnung - GemO - und durch den Beschluss der Beklagten zu 1) über die Fortschreibung des
Flächennutzungsplans in ihrer durch die Gemeindeordnung gewährleisteten Stellung als Verbands-
gemeinderatsfraktion und damit in eigenen Rechten betroffen sein kann. Dies ist nicht der Fall.
Nach § 30a Abs. 1 Satz 1 GemO können sich Ratsmitglieder zu einer Fraktion zusammenschließen. Die
Fraktionen wirken gemäß § 30a Abs. 3 GemO bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung im
Gemeinderat mit; sie können insoweit ihre Auffassung öffentlich darstellen. Dieses allgemeine
Mitwirkungsrecht wird in weiteren Vorschriften näher ausgeformt: Nach § 33 Abs. 3 Satz 1 und 2 GemO hat
eine Gemeinderatsfraktion gegenüber dem Bürgermeister das Recht auf Unterrichtung. Sie kann darüber
hinaus verlangen, dass einem Ausschuss oder einzelnen vom Gemeinderat beauftragten Ratsmitgliedern
Einsicht in die Akten gewährt wird, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse des Gemeinderats vorliegt. Des
Weiteren ist gemäß § 34 Abs. 5 Satz 2 GemO auf Antrag einer Fraktion eine Angelegenheit, die zu den
Aufgaben des Gemeinderates gehört, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen. Außerdem
werden nach § 45 Abs. 1 Satz 1 GemO die Mitglieder der Ausschüsse und ihre Stellvertreter aufgrund von
Vorschlägen der im Gemeinderat vertretenen Gruppen und damit auch der Fraktionen gewählt.
Schließlich haben Fraktionen aufgrund des § 16 Abs. 3 Satz 3 GemO das Recht, in einer
Einwohnerversammlung zu den Gegenständen der Unterrichtung des Bürgermeisters Stellung zu
nehmen.
Durch den Verzicht auf das Amt eines Ratsmitglieds gemäß § 30 Abs. 3 GemO werden weder der Bestand
einer Fraktion noch ihre Möglichkeiten berührt, die gesetzlichen Mitwirkungsrechte wahrzunehmen.
Handelt es sich bei dem ausgeschiedenen Ratsmitglied um einen Angehörigen der Fraktion, rückt gemäß
§ 45 Abs. 2 Kommunalwahlgesetz - KWG - vom Wahlvorschlag der jeweiligen Partei oder Gruppierung
eine Ersatzperson in den Gemeinderat und die Fraktion nach. Damit bleibt die bisherige Fraktion als
Organteil des Gemeinderates erhalten. Erst Recht wird die Rechtstellung einer Fraktion nicht berührt,
wenn das Ratsmitglied, das auf sein Amt verzichtet, - wie vorliegend - nicht der klagenden Fraktion ange-
hört. Des Weiteren kann eine Gemeinderatsfraktion die ihr von der Gemeindeordnung eingeräumten
Rechte bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung im Gemeinderat ungehindert ausüben, auch
wenn einzelne Mitglieder des Rates ihr Mandat niedergelegt haben.
Die Rechtsstellung einer Gemeinderatsfraktion umfasst über die im Einzelnen gesetzlich geregelten
Mitwirkungsrechte hinaus nicht die Befugnis, die Unwirksamkeit des Verzichts auf das Amt eines
Ratsmitglieds gerichtlich geltend zu machen. Nach § 30 Abs. 1 GemO üben die Ratsmitglieder ihr Amt
unentgeltlich nach freier, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmter Gewissens-
überzeugung aus; sie sind an Weisungen oder Aufträge ihrer Wähler nicht gebunden. Das hierdurch
gesetzlich garantierte freie Ratsmandat schließt die Möglichkeit des Verzichts auf das Amt ein. Denn die
Mitgliedschaft in einem Gemeinderat gehört zu den politischen Ehrenämtern nach § 18 Abs. 1 2. Halbsatz
GemO, die jederzeit ohne Angabe von Gründen niedergelegt werden können. Dementsprechend ist der
Verzicht auf das Amt eines Ratsmitglieds gemäß § 30 Abs. 3 GemO dem Bürgermeister lediglich schriftlich
zu erklären. Abgesehen von dieser formellen Anforderung hängt die Wirksamkeit der Niederlegung des
Mandats somit von keinen sonstigen, insbesondere materiell-rechtlichen Voraussetzungen ab. Deshalb
entzieht sich die Entscheidung eines Ratsmitglieds, auf sein Amt zu verzichten, jeglicher rechtlicher
Bewertung und Überprüfung. Anderenfalls würde unzulässig in das Recht eingegriffen, auf ein
Ratsmandat ohne weiteres verzichten zu können. Folglich kann die Klägerin nicht geltend machen, die
Beigeladenen zu 1) und 2), die von der Entscheidung über die Fortschreibung des Flächennutzungsplans
gemäß § 22 GemO wegen Sonderinteresse ausgeschlossen waren, könnten ihr Amt nicht wirksam
niederlegen, um die Mitwirkung unbefangener Ratsmitglieder zu ermöglichen. Die Frage, ob durch den
Amtsverzicht die Ausschließungsregelung des § 22 GemO umgangen wird, kann nämlich nicht anhand
rechtlicher Maßstäbe beantwortet werden.
Die Klägerin kann sich zur Begründung einer Verletzung in ihr zustehenden Rechten auch nicht darauf
berufen, dass der Verzicht auf das Amt des Ratsmitglieds durch die Beigeladenen zu 1) und 2) und das
Nachrücken der Beigeladenen zu 3) und 4) in den Verbandsgemeinderat als Ersatzleute den Erfolgswert
der von ihren Mitgliedern im Rat abgegebenen Stimmen verletze. Der Erfolgswert einer Stimme kann nur
dann berührt sein, wenn deren zahlenmäßiges Gewicht durch eine fehlerhafte Zusammensetzung des
Rates verfälscht wird. Hieran fehlt es bereits. Denn der Verzicht der Beigeladenen zu 1) und 2) auf ihr Amt
als Ratsmitglied ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil die Wirksamkeit der Mandatsniederlegung - wie
sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt -, abgesehen von den im vorliegenden Fall eingehaltenen
formellen Anforderungen, von keinen weiteren Voraussetzungen abhängt. Auch die Berufung der
Beigeladenen zu 3) und 4) in den Verbandsgemeinderat als Ersatzleute gemäß § 45 KWG begegnet
keinen Bedenken. Bei den danach verbleibenden möglichen Auswirkungen der veränderten
Zusammensetzung des Verbandsgemeinderates auf Abstimmungsergebnisse handelt es sich um eine nur
mittelbare Betroffenheit der Klägerin im Sinne eines Reflexes, der mangels einer unmittelbaren Verletzung
eigener Rechte grundsätzlich nicht geeignet ist, eine Klagebefugnis zu begründen (vgl. OVG RP, AS 19,
65 [70]).
Schließlich kann die Klägerin nicht die Rechtswidrigkeit des Beschlusses über die Fortschreibung des
Flächennutzungsplanes geltend machen. Da die Mandatsniederlegung der Beigeladenen zu 1) und 2)
und das Nachrücken der Beigeladenen zu 3) und 4) in den Rat keine Rechtsfehler aufweisen, können die
nachfolgend vom Verbandsgemeinderat gefassten Beschlüsse nicht wegen der Mitwirkung der
Ersatzleute rechtswidrig sein. Im Übrigen besteht kein Recht einer Ratsfraktion auf die Überprüfung der
objektiven Rechtmäßigkeit von Ratsbeschlüssen (vgl. OVG RP, AS 19, 65 [67].
Die Kostenentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1
Gerichtskostengesetz in Verbindung mit Ziffer 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwal-
tungsgerichtsbarkeit.
gez. Prof. Dr. Meyer gez. Stamm gez. Steinkühler