Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 04.02.2010
OVG Koblenz: fraktion, zukunft, verwaltungsprozess, feststellungsklage, beratung, gemeinderat, stamm, verwaltungsgerichtsbarkeit, quelle, anfang
OVG
Koblenz
04.02.2010
2 A 11246/09.OVG
Kommunalverfassungsrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
…,
- Klägerin und Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Christian Lanters, Mainzer Straße 115, 56068 Koblenz,
gegen
den Stadtrat der Stadt Koblenz, vertreten durch den Vorsitzenden, Gymnasialstraße 2, 56068 Koblenz,
- Beklagter und Antragsgegner -
wegen Kommunalverfassungsrechts
hier: Zulassung der Berufung
hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
4. Februar 2010, an der teilgenommen haben
Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer
Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm
Richter am Verwaltungsgericht Dr. Schumacher
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 22. Oktober
2009 zuzulassen, wird abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000,-- € festgesetzt.
G r ü n d e
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der von der Klägerin geltend
gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
I. An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO -. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf
Feststellung der Rechtswidrigkeit von zwei Beschlüssen des Beklagten vom 16. März 2009 zu Recht als
unzulässig abgewiesen. Denn die Klägerin war im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Ver-
handlung nicht mehr beteiligungsfähig im Sinne des § 61 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (1.). Deshalb fehlte ihr
darüber hinaus - worauf das Verwaltungsgericht entscheidend abgestellt hat - das gemäß § 43 Abs. 1
VwGO erforderliche berechtigte Interesse an den begehrten gerichtlichen Feststellungen (2.). Dabei
kommt es für das Vorliegen der genannten Sachentscheidungsvoraussetzungen entgegen der Auffassung
der Klägerin nicht auf die Umstände bei Klageerhebung, sondern nach allgemeinen
verwaltungsprozessualen Grundsätzen auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung an (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, Vorb. § 40 Rn. 11). Aus den von der Klägerin
zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 4, 144) und des Verfassungsgerichts
Mecklenburg-Vorpommern (DÖV 2003, 765) ergibt sich nichts anderes, weil sie nicht auf den
vorliegenden Fall übertragen werden können. Ihnen lagen Organstreitverfahren zugrunde, welche von
ehemaligen Abgeordneten, d.h. von natürlichen Personen, und nicht - wie hier - von einer nicht mehr
bestehenden Stadtratsfraktion betrieben wurden.
1. Gemäß § 61 Nr. 2 VwGO sind Vereinigungen fähig, am Verwaltungsprozess beteiligt zu sein, soweit
ihnen ein Recht zugestanden werden kann. Hierzu zählen im Rahmen eines
Kommunalverfassungsstreitverfahrens grundsätzlich auch Fraktionen im Sinne des § 30a Abs. 1
Gemeindeordnung - GemO -. Allerdings bestehen Fraktionen aufgrund der jeweiligen
Fraktionsvereinbarung nur für die Dauer der Wahlzeit des Rates. Sie können deshalb als Gliederung des
Gemeinderats nicht das "Ganze" (Gemeinderat) "überleben". Für Fraktionen gilt somit der Grundsatz der
formellen Diskontinuität mit der Folge, dass sie ihre Existenz und damit die Beteiligungsfähigkeit im
Verwaltungsprozess mit dem Ablauf der Wahlperiode verlieren (vgl. SächsOVG, Beschluss vom
18. Februar 2005 - 4 B 421/04 - , juris, Rn. 3; NdsOVG, Beschluss vom 17. Januar 2002 - 10 LA 1407/01 -,
juris; OVG NRW, Beschluss vom 27. März 1990 - 15 A 2666/86 -, juris, Rn. 5; HessVGH, NVwZ 1986, 328;
Schaaf, in: Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, Stand: Juli 2009, § 30a Ziff. 4.2 m.w.N.).
Die von der Klägerin gegen den für Fraktionen geltenden Grundsatz der formellen Diskontinuität
erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. § 34 Abs. 1 Satz 5 GemO begründet keine Kontinuität von
Ratsfraktionen über Wahlperioden hinaus. Danach ist das Recht eines Viertels der gesetzlichen Zahl der
Ratsmitglieder, die Einberufung des Gemeinderats zur Beratung über einen bestimmten Gegenstand zu
beantragen, ausgeschlossen, wenn der Gemeinderat den gleichen Gegenstand innerhalb der letzten
sechs Monate bereits beraten hat. Diese Regelung dient der Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit
kommunaler Vertretungsorgane. Eine Aussage über den Fortbestand von Fraktionen nach Ablauf einer
Wahlperiode enthält sie nicht. Des Weiteren führt der Grundsatz der formellen Diskontinuität nicht
zwangsläufig zur Unanfechtbarkeit von Ratsentscheidungen, sondern schließt lediglich die
Klagemöglichkeit einer nicht mehr bestehenden Fraktion aus. Dies ist im Hinblick auf das
Beanstandungsrecht der Kommunalaufsicht hinnehmbar.
Wendet man den Grundsatz der formellen Diskontinuität von Gemeinderatsfraktionen auf die Klägerin an,
ist ihre Existenz mit dem Ablauf der Kommunalwahlperiode 2004 bis 2009 erloschen. Deshalb ist sie im
vorliegenden Verfahren nicht mehr beteiligungsfähig im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO.
Mit Blick auf die erstmals nach der Kommunalwahl 2009 gebildete Fraktion „Bürgerinitiative Zukunft für
Koblenz e. V.“ braucht nicht geklärt werden, ob trotz des Grundsatzes der formellen Diskontinuität eine
Fraktion, welche in der neuen Wahlperiode im Rat vertreten und aus derselben Partei oder Wählergruppe
wie die nicht mehr bestehende Fraktion hervorgegangen ist, dem anhängigen Verwaltungsprozess
gemäß § 91 VwGO beitreten kann (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. März 1990 - 15 A 2666/86 -, juris,
Rn. 6). Denn zum einen ist die Fraktion „Bürgerinitiative Zukunft für Koblenz e. V.“, der die beiden
Mitglieder der Klägerin neben weiteren Stadtratsmitgliedern angehören, dem vorliegenden Verfahren
nicht beigetreten. Zum anderen ist sie nicht aus derselben Partei oder Wählergruppe hervorgegangen wie
die Klägerin. Denn diese bestand aus zwei Stadtratsmitgliedern, die während der Wahlperiode 2004 bis
2009 aus der damaligen FDP-Fraktion ausgetreten sind. Demgegenüber hat die Fraktion „Bürgerinitiative
Zukunft für Koblenz e. V.“ ihren Ursprung in der Anfang 2009 gegründet gleichnamigen Wählergruppe.
2. Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht zu Recht das für die erhobene Klage erforderliche
Feststellungsinteresse verneint. Da die Klägerin nicht mehr besteht, ist auf sie bezogen eine
Wiederholungsgefahr, ein Rehabilitationsinteresse und eine präjudizielle Wirkung der in Rede stehenden
Stadtratsbeschlüsse ausgeschlossen.
II. Die Rechtssache weist auch keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art im
Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Denn die Frage, ob die vorliegende Feststellungsklage zulässig
ist, lässt sich aufgrund der bisherigen Ausführungen bereits im Zulassungsverfahren beantworten.
Deshalb bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.
III. Auch die von der Klägerin gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemachte grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache besteht nicht, weil sich die Unzulässigkeit der von der Klägerin erhobenen
Klage ohne Weiteres aus der Gemeindeordnung und der zu vergleichbaren Regelungen anderer
Bundesländer ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung ergibt.
IV. Soweit die Klägerin schließlich rügt, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung
dar, liegt kein Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor. Denn die Zulässigkeit der
Feststellungsklage ist vom Beklagten bereits in der Klageerwiderung in Zweifel gezogen und nach dessen
unwidersprochenem Vorbringen im Zulassungsverfahren während der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht eingehend erörtert worden. Deshalb war es der anwaltlich vertretenen Klägerin auch
ohne einen rechtlichen Hinweis des Verwaltungsgerichts möglich, die Klage auf die Mitglieder der
Klägerin umzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz in
Verbindung mit Ziff. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
gez. Prof. Dr. Meyer
gez. Stamm
gez. Dr. Schumacher