Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 12.02.2010

OVG Koblenz: insolvenz, treu und glauben, zugang, juristische person, akteneinsicht, verwalter, anfechtung, zivilprozessordnung, sozialversicherung, deckung

OVG
Koblenz
12.02.2010
10 A 11156/09.OVG
Informationsfreiheitsrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
…….
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dillmann, Lanz, Mackenrodt, Schiede 4, 65549 Limburg,
gegen
die AOK - Die Gesundheitskasse, in Rheinland-Pfalz, Karlstraße 18, 57610 Altenkirchen,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigter: AOK - Die Gesundheitskasse, in Rheinland-Pfalz Direktion -
Rechtsabteilung -, Virchowstraße 30, 67304 Eisenberg,
wegen Sonstiges (Informationsfreiheitsgesetz)
hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 12. Februar 2010, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig
Richterin am Oberverwaltungsgericht Brink
ehrenamtliche Richterin Marketingassistentin Schnell
ehrenamtlicher Richter Elektromeister Weitzel
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2009
ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, eine
Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden
Betrags abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Der Kläger begehrt Einsicht in von der Beklagten geführte Akten.
Mit Beschluss vom 16. Mai 2008 eröffnete das Amtsgericht Montabaur das Insolvenzverfahren über das
Vermögen von Herrn R…. (im Folgenden: Insolvenzschuldner) und bestellte den Kläger zum
Insolvenzverwalter. Dieser machte im Wege der Insolvenzanfechtung gegenüber der Beklagten, einer in
Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts geführten Krankenkasse, wegen der Zahlung
rückständiger Sozialversicherungsbeiträge durch den Insolvenzschuldner in Höhe von 2.228,50 € vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Rückgewähranspruch nach §§ 129 Abs. 1, 133 Abs. 1, 143 Abs.
1 der Insolvenzordnung – InsO – geltend. Nachdem die Beklagte den Anspruch mit der Begründung
zurückgewiesen hatte, der Kläger müsse zur Darlegung des Anfechtungsanspruchs nähere Angaben zu
den Voraussetzungen des § 129 Abs. 1 InsO machen, verlangte der Kläger von der Beklagten die Vorlage
der bei ihr geführten Akte des Insolvenzschuldners zum Zwecke der Akteneinsicht.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2008 lehnte die Beklagte die Aktenvorlage ab. Nach erfolgloser
Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er im
Wesentlichen darauf verwiesen, er habe gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Herausgabe der
bezüglich des Insolvenzschuldners geführten Akte zum Zwecke der Akteneinsicht nach Maßgabe der
Vorschriften des (rheinland-pfälzischen) Landesgesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen
(Landesinformationsfreiheitsgesetz - LIFG -).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Dezember 2008 und des
Widerspruchsbescheides vom 31. März 2009 zu verpflichten, die Akte Betriebsnummer …. betreffend den
Insolvenzschuldner Rothweiler zum Zwecke der Akteneinsicht an ihn herauszugeben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach § 4 Abs. 1 LIFG
werde im vorliegenden Fall durch vorrangige Regelungen und Grundsätze der Insolvenz- und der
Zivilprozessordnung verdrängt.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, der Kläger habe auf der
Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 1 LIFG einen Anspruch auf den begehrten Zugang zu den Akten der
Beklagten. Dieser Informationsanspruch werde auch nicht nach § 4 Abs. 2 LIFG durch spezielle
insolvenzrechtliche oder zivilrechtliche Auskunftsrechte verdrängt. Des Weiteren sei das Auskunftsver-
langen des Klägers nicht missbräuchlich i.S.d. § 7 Abs. 4 LIFG. Die in § 9 LIFG aufgezählten
Ausnahmetatbestände seien eng auszulegen und vorliegend nicht einschlägig.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt die Beklagte weiter vor, der Insolvenz-
verwalter müsse sich nach dem in der Insolvenz- und der Zivilprozessordnung geltenden
Beibringungsgrundsatz seine Informationen zur Vorbereitung eines Gerichtsverfahrens selbst beschaffen.
Die Insolvenzordnung gebe ihm hierfür nur die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Insolvenz-
schuldners nach den §§ 20, 97 InsO an die Hand. Die Insolvenzordnung werde von dem Grundsatz der
absoluten Gläubigergleichbehandlung beherrscht, so dass es keinerlei Vorrechte der
Sozialversicherungsträger gebe. Diese müssten sich daher im Gegenzug wie jede andere Prozesspartei
in den von den Insolvenzverwaltern zur Masseanreicherung geführten Anfechtungsprozessen auf die
Verfahrensregelungen der Zivilprozessordnung und der Insolvenzordnung berufen können. Wenn auch
die Beklagte formal dem Landesinformationsfreiheitsgesetz unterliege, gebiete dieses vorliegend nicht die
Zubilligung eines Auskunftsanspruchs. Denn das Landesinformationsfreiheitsgesetz diene der Förderung
der demokratischen Meinungs- und Willensbildung und Verwaltungstransparenz für die breite
Öffentlichkeit; darum gehe es dem Kläger aber nicht. Das Auskunftsbegehren sei zudem auch
missbräuchlich im Sinne des § 7 Abs. 4 LIFG, weil sich der Kläger unter Verletzung des
Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes den Umstand zunutze mache, dass die Beklagte grundsätzlich
dem Anwendungsbereich des Landesinformationsgesetzes unterfalle. Darüber hinaus führe eine
aufgrund des Auskunftsanspruchs erfolgte Anfechtung dazu, dass Abgaben zur gesetzlichen
Sozialversicherung unzulässigerweise nicht zur Deckung der den Trägern der gesetzlichen
Sozialversicherung obliegenden Aufgaben, sondern zur die Bewältigung der Folgen einer ausschließlich
privatrechtlich zu beurteilenden Insolvenz eines privaten Rechtsträgers verwendet würden. Des Weiteren
sei § 9 Abs. 1 Nr. 2 LIFG analog anzuwenden. Die Vorschrift spreche zwar von „anhängigen
Gerichtsverfahren“, sie müsse aber nach ihrem Sinn und Zweck auch dann zur Anwendung kommen,
wenn eine Auskunft erst die Grundlagen für ein Prozessverfahren schaffen solle. Die angeforderten Daten
zum Zahlungsverhalten des Insolvenzschuldners stellten zudem ein besonderes Amtsgeheimnis im Sinne
des § 9 Abs. 1 Nr. 4 LIFG dar. Außerdem würden wirtschaftliche Interessen der Beklagten bzw. der
Beitragszahler im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 6 LIFG beeinträchtigt. Mit einem unbegrenzten Informations-
offenlegungsanspruch der Insolvenzverwalterschaft zur Vorbereitung ihrer Anfechtungsprozesse werde
die Einnahmesituation der Sozialversicherungen stark beeinträchtigt. § 9 Abs. 1 Nr. 6 LIFG diene nicht
dem Schutz der Sozialversicherung vor Mitbewerbern, sondern ihrer Einnahmen an sich. Würden die
Beiträge durch Anfechtungen wieder aus dem Gesundheitsfonds herausgelöst, stünden diese Einnahmen
nicht mehr zur Deckung der Leistungsausgaben der Krankenkassen zur Verfügung. Schließlich sei die
Ablehnung des Informationszugangs auch auf der Grundlage der §§ 11 und 12 LIFG gerechtfertigt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 17. September
2009 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den
zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen. Sämtliche
Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zugang zu der bei dieser
geführten Akte des Insolvenzschuldners zu Recht bejaht. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom
10. Dezember 2008 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen
den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 4 Abs. 1 Satz 1 LIFG. Hiernach hat jede natürliche
oder juristische Person nach Maßgabe des Landesinformationsfreiheitsgesetzes gegenüber den in § 2
LIFG genannten Behörden Anspruch auf Zugang zu den dort vorhandenen amtlichen Informationen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Der Kläger wird auch in seiner
Eigenschaft als Insolvenzverwalter als natürliche Person tätig und ist daher grundsätzlich
anspruchsberechtigt. Als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit sich auf
das Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz beschränkt und die der Aufsicht des Ministeriums für Arbeit,
Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen bzw. des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung
unterliegt, ist die Beklagte Behörde im Sinne des § 2 Abs. 1 LIFG und daher Anspruchsgegnerin. Die in
der den Insolvenzschuldner betreffenden Akte niedergelegten Informationen – insbesondere über die
Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen – sind des Weiteren dienstlichen Zwecken dienende
Aufzeichnungen (vgl. § 3 Nr. 1 LIFG) und damit bei der Beklagten vorhandene amtliche Informationen. Da
der Senat der entsprechenden Begründung des Verwaltungsgerichts folgt, sieht er insoweit von einer
weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 130b Satz 2 VwGO).
Der hiernach eröffnete Anspruch auf Informationszugang besteht unabhängig davon, aus welchem
Interesse der Kläger diesen geltend macht. In der Begründung zum Gesetzentwurf des LIFG (LT-Drucks.
15/2085, S.1) wird die Informationsfreiheit als eine der wichtigsten Voraussetzungen der freiheitlichen
Demokratie angesehen. Durch das Landesinformationsfreiheitsgesetz sollen die Beteiligungsrechte der
Bürgerinnen und Bürger durch eine Verbesserung der Informationszugangsrechte gestärkt und die
demokratische Meinungs- und Willensbildung nachhaltig unterstützt werden. Die Transparenz politischer
und behördlicher Entscheidungen soll deren Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz erhöhen. Da
unabhängig von einer individuellen Betroffenheit Sachkenntnisse entscheidende Voraussetzung für eine
Beteiligung der Bürger an staatlichen Entscheidungsprozessen sind, ist der Informationsanspruch
umfassend und voraussetzungslos (LT-Drucks. 15/2085, S.1, 9, 11, 12, so auch die Begründung zum
Entwurf des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes – IFG -, BT-Drucks. 15/4493, S. 1, 7); die
Informationsfreiheit wird um ihrer selbst willen gewährt (vgl. Schoch, IFG, 2009, § 1 Rn. 19). Das mit der
Informationserlangung verfolgte Ziel des Klägers – hier die Aufdeckung von nach dem Insolvenzrecht
Informationserlangung verfolgte Ziel des Klägers – hier die Aufdeckung von nach dem Insolvenzrecht
anfechtbaren Vermögensverschiebungen – ist demnach im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 1 LIFG ohne
Belang.
Der somit grundsätzlich bestehende Informationsanspruch des Klägers ist nicht nach § 4 Abs. 2 LIFG
ausgeschlossen. Hiernach gehen, soweit besondere Rechtsvorschriften den Zugang zu amtlichen
Informationen regeln, diese den Bestimmungen des Landesinformationsfreiheitsgesetzes vor. Es können
also nur solche Vorschriften das Landesinformationsfreiheitsgesetz verdrängen, die denselben sachlichen
Regelungsgegenstand, nämlich Zugang zu amtlichen Informationen, haben (vgl. LT-Drucks. 15/2085,
S.12: „fachrechtliche Auskunftsansprüche und –beschränkungen“; BT-Drucks. 15/4493, S. 8:
„spezialgesetzliche Informationszugangsregelungen“). Die Begründung des Entwurfs des LIFG nennt als
Beispiele das Landesumweltinformationsgesetz, das Verbraucherinformationsgesetz und § 111 des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (LT-Drucks. 15/2085, S 12). Vorrang haben darüber
hinaus nur solche fachgesetzlichen Regelungen, die den identischen Sachverhalt abschließend – sei es
in der gleichen Weise, sei es abweichend – regeln; inwieweit dies der Fall ist, muss jeweils im Einzelfall
entschieden werden (LT-Drucks. 15/2085, S. 12; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
28.Juli 2008 – 8 A 1548/07 -, juris). Die hier in Betracht kommenden insolvenz– und zivilrechtlichen
Auskunftsrechte erfüllen diese Voraussetzungen nicht.
§§ 97, 101 InsO regeln die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Insolvenzschuldners bzw. seiner
Organe und Angestellten gegenüber dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem
Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung. Damit treffen sie nicht
nur zur Auskunftspflicht der Insolvenzgläubiger gegenüber dem Insolvenzverwalter keine Aussage,
sondern verdrängen den Anspruch aus § 4 Abs. 1 Satz 1 LIFG schon deshalb nicht, weil ihr
Regelungsgegenstand nicht der Zugang zu amtlichen Informationen ist. Vielmehr sind die über §§ 97, 101
InsO erlangbaren Informationen - wenn auch nicht immer im Einzelfall, so doch typischerweise -
nichtamtliche Aufzeichnungen von Privatpersonen (vgl. hierzu VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8
K 1011/09 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, juris).
Auch § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB – schließt den Informationszugangsanspruch des
Klägers nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Insolvenzverwalter nach
dieser Vorschrift für die Insolvenzanfechtung grundsätzlich keine Auskunft von dem Insolvenzgläubiger
verlangen. Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass der Anfechtungsanspruch dem Grunde nach bereits
feststeht (BGH, Urteil vom 6. Juni 1979 – VII ZR 255/78 -, juris; Urteil vom 15. Januar 1987 – IX ZR 4/86 -,
juris). In Anbetracht des unspezifischen Regelungsgehalts des § 242 BGB stellt die Norm keine
besondere Rechtsvorschrift über den Zugang zu amtlichen Informationen im Sinne des § 4 Abs. 2 LIFG
dar. Vielmehr geht es bei der Bestimmung um die Art der Leistungsbewirkung im Zivilrechtsverkehr,
nämlich nach Treu und Glauben. Bei der Ableitung eines Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB handelt es
sich um eine Fortbildung der Rechtsprechung, die § 242 BGB selbst nicht zu einer
Informationszugangsnorm werden lässt (vgl. Schoch, a.a.O., § 1 IFG, Rn. 192 unter Verweis auf OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Juni 2002 – 21 B 589/02 -, NVwZ-RR 2003, 800).
Selbst wenn aber die genannten insolvenzrechtlichen Auskunftsregelungen sowie § 242 BGB als
vorrangige Vorschriften über den Informationszugang im Sinne des § 4 Abs. 2 LIFG anzusehen wären,
verdrängten sie nicht den Informationsanspruch aus § 4 Abs. 1 Satz 1 LIFG. Denn fachgesetzliche
Spezialvorschriften gehen, wie dargelegt, nur vor, wenn und soweit sie den Informationszugang
abschließend regeln. Das ist hier nicht der Fall. Den zitierten Vorschriften ist nicht zu entnehmen, dass
(weitergehende) Informationsrechte des Insolvenzverwalters gegenüber den Insolvenzgläubigern
generell gesperrt sein sollen.
§§ 97, 101 InsO sollen verhindern, dass der über alle das Insolvenzverfahren betreffenden Verhältnisse in
der Regel am besten informierte Insolvenzschuldner bzw. seine Organe und Angestellten durch ihr
Schweigen die Arbeit des Insolvenzverwalters und der weiteren genannten Personen und Gremien
unnötig erschweren und Gläubigeransprüche über das vorhandene Maß hinaus weiter gefährdet werden.
Die nach diesen Vorschriften anspruchsberechtigten Personen oder Einrichtungen sollen sich über die
wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse des Schuldners umfassend informieren können, um im
Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung das Insolvenzverfahren sachgerecht und effektiv durchführen zu
können. Ein auf § 4 Abs. 1 Satz 1 LIFG gestützter weitergehender Auskunftsanspruch läuft diesem
Schutzzweck nicht entgegen. Vielmehr fördert er diesen Schutzzweck, indem er eine weitere
Anreicherung der Insolvenzmasse wahrscheinlicher macht (vgl. Dauernheim/Behler/Heutz, ZIP 2008,
2296, 2299). Ein abschließender Charakter lässt sich daher §§ 97, 101 InsO nicht entnehmen, auch nicht
vor dem Hintergrund der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 6. Juni
1979, a.a.O.; Urteil vom 15. Januar 1987, a.a.O.), nach welcher Auskunftsansprüche des
Insolvenzverwalters im Hinblick auf eine mögliche Insolvenzanfechtung nur ausnahmsweise (nach § 242
BGB) bestehen. Der Bundesgerichtshof hat in den genannten Entscheidungen lediglich auf der Grundlage
des damals geltenden Insolvenzrechts wegen des im Zivilprozessrecht geltenden
Beibringungsgrundsatzes - danach ist es Sache der Parteien, die notwendigen Tatsachenbehauptungen
aufzustellen und Beweismittel zu benennen - die in den insolvenzrechtlichen Vorschriften geregelten
Informationsrechte grundsätzlich als abschließend angesehen. Anhaltspunkte dafür, dass damit auch
allgemeine Auskunftsansprüche ausgeschlossen sein könnten, finden sich in der Entscheidung dagegen
nicht. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof das Ausforschungsverbot ausdrücklich als durch materiell-
rechtliche Vorschriften überwindbar angesehen (Beschluss vom 7. Februar 2008 – IX ZB 137/07, juris,
m.w.N.). Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit dem Landesinformationsfreiheitsgesetz für die öffentliche
Verwaltung das Prinzip der Aktenöffentlichkeit eingeführt, dem der Gedanke eines Ausforschungsverbots
insoweit fremd ist. Das Landesinformationsfreiheitsgesetz ist Folge der Sonderstellung der öffentlichen
Hand, die besondere Transparenzpflichten mit sich bringt. Diese besondere Pflichtenstellung bleibt auch
dort bestehen, wo Teile der Staatsverwaltung im Einzelfall zugleich am Insolvenzverfahren als
Insolvenzgläubiger teilnehmen. Dabei nimmt das Landesinformationsfreiheitsgesetz es in Kauf, dass
Ansprüche aus der Insolvenzanfechtung gegen die öffentliche Hand unter erleichterten Bedingungen
geltend gemacht werden können (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Juli 2008, a.a.O.; VG
Hamburg, Urteil vom 23. April 2009, a.a.O.).
Die insolvenzrechtlichen Auskunftsvorschriften sind schließlich, anders als die Beklagte meint, nicht
deshalb abschließend, weil ein auf das Landesinformationsfreiheitsgesetz gestützter Auskunftsanspruch
dem die Insolvenzordnung beherrschenden Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung widersprechen
würde. Auch wenn die Insolvenzordnung Sozialversicherungsträgern keine Vorrechte bei der Anfechtung
des Einzugs von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 76 Sozialgesetzbuch IV einräumt, lässt dies nicht
den Schluss zu, dass sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht besonderen
Informationspflichten gegenüber dem Insolvenzverwalter unterliegen.
Nach alledem scheidet eine Verweigerung des Zugangs zur Akte des Insolvenzschuldners auf der
Grundlage des § 4 Abs. 2 LIFG aus.
Der Anspruch des Klägers auf Informationszugang nach § 7 Abs. 4 LIFG scheitert auch nicht daran, dass
der Antrag offensichtlich missbräuchlich gestellt worden ist. Weder ist die Akte dem Insolvenzverwalter
bereits zugänglich gemacht worden (§ 7 Abs. 4 LIFG a.E.) noch kann die Beklagte geltend machen, der
Kläger mache sich unter Verletzung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes der Insolvenzordnung
und des Ausforschungsverbotes der Zivilprozessordnung den Umstand zunutze, dass sie – die Beklagte –
grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Landesinformationsfreiheitsgesetzes unterfalle. Hat der
Gesetzgeber der öffentlichen Hand – und auch den öffentlich-rechtlichen Körperschaften – besondere
Transparenzpflichten auferlegt und damit bewusst eine gewisse Benachteiligung der
Sozialversicherungsträger im insolvenzrechtlichen Anfechtungsverfahren in Kauf genommen sowie
darüber hinaus den Auskunftsanspruch nach dem Landesinformationsfreiheitsgesetz ausdrücklich
voraussetzungslos gewährt, kann dessen Geltendmachung nicht rechtsmissbräuchlich sein. Die Beklagte
kann in diesem Zusammenhang auch nicht erfolgreich darauf verweisen, eine aufgrund des
Auskunftsanspruchs erfolgte Anfechtung führe dazu, dass Abgaben zur gesetzlichen Sozialversicherung
nicht zur Deckung der den Trägern der Sozialversicherung obliegenden Aufgaben, sondern zur
Bewältigung der Folgen einer ausschließlich privatrechtlich zu beurteilenden Insolvenz eines privaten
Rechtsträgers verwendet würden. Der Bundesgerichtshof nimmt nämlich gerade dies in ständiger
Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 3. November 2005 – IX ZR 35/05 -, juris) in Kauf und sieht
Beitragszahlungen des Schuldners an einen Sozialversicherungsträger – auch soweit der
Arbeitnehmeranteil betroffen ist – als anfechtbar an. Im Übrigen bereitet der Auskunftsanspruch den
Anfechtungsanspruch nur vor und hat daher nur dienende Funktion. Wenn die Beklagte fehlende
Vorrechte der Sozialversicherungsträger hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Beitragszahlungen als nicht
hinnehmbar erachtet, muss sie eine gerichtliche Klärung auf der Ebene des materiellen Insolvenzrechts
herbeiführen; das vorliegende Verfahren ist hierfür nicht der richtige Ort.
Dem Informationsrecht des Klägers steht des Weiteren auch nicht § 9 Nr. 2 LIFG entgegen. Nach dieser
Vorschrift ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, wenn die Bekanntgabe der amtlichen
Information nachteilige Auswirkungen (u.a.) auf den Verfahrensablauf eines anhängigen Gerichtsver-
fahrens hätte. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Zum einen ist
Zweck des § 9 Nr. 2 LIFG – soweit es um das Gerichtsverfahren geht – der Schutz der Rechtspflege.
Geschützt wird das Gerichtsverfahren als „Institut der Rechtsfindung“ gegen negative Einflüsse, die von
dem Informationszugang ausgehen können. Im Falle des Bekanntwerdens der Information muss mithin
dem Ablauf des gerichtlichen Verfahrens eine Beeinträchtigung drohen (vgl. Schoch, a.a.O., § 3 IFG Rn.
74, 89). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, vielmehr befürchtet die Beklagte einen
wirtschaftlichen Nachteil durch die Entscheidung in einem etwaigen Gerichtsverfahren. Zum anderen setzt
§ 9 Nr. 2 LIFG nach seinem eindeutigen Wortlaut ein – hier nicht vorhandenes – anhängiges
Gerichtsverfahren voraus. Eine analoge Anwendung der Vorschrift im Wege des Erst-Recht-Schlusses auf
Fälle, in denen die Informationserlangung der Vorbereitung eines Gerichtsverfahrens dienen kann,
scheidet entgegen der Rechtsansicht der Beklagten aus. Denn die Ausnahmetatbestände des § 9 LIFG
sind präzise und konkret formuliert. Sie sind, so auch die Begründung zum Gesetzentwurf des IFG (vgl.
BT-Drucks. 15/4493, S. 9), nach den üblichen Auslegungsregeln eng zu verstehen. Es besteht auch kein
Bedürfnis für eine analoge Anwendung (so aber Cranshaw, jurisPR-InsR 17/2009 Anm. 4, mit der
Begründung, der Gedanke des Ausforschungsverbotes gebiete eine Anwendung des
Ausnahmetatbestandes schon im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens). Denn die Vorschrift schützt, wie
dargelegt, nur den Ablauf des Gerichtsverfahrens und hat mit dem zivilprozessualen
Beibringungsgrundsatz nichts zu tun.
Die Beklagte kann den Zugang des Klägers zur Akte des Insolvenzschuldners auch nicht nach § 9 Nr. 4
LIFG mit der Begründung ablehnen, die hierin enthaltenen amtlichen Informationen unterlägen einem
besonderen Amtsgeheimnis. Zwar gehört das Sozialgeheimnis, das in § 35 SGB I fundiert und durch §§
67 ff. SGB X detailliert ausgeformt ist, zu den besonderen Amtsgeheimnissen (vgl. Schoch, a.a.O. § 3 IFG
Rn. 151). Sozialdaten, also Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer
natürlichen Person, dürfen von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt
werden. Vorliegend aber unterliegen die in der Akte des Insolvenzschuldners enthaltenen Informationen
zumindest dem Insolvenzverwalter gegenüber keiner Geheimhaltungspflicht, so dass das
Sozialgeheimnis insoweit nicht berührt wird. Der Insolvenzverwalter will durch Einsichtnahme in die Akte
des Insolvenzschuldners Aufschluss erhalten über die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen durch
den Insolvenzschuldner als Arbeitgeber für seine versicherten Arbeitnehmer und deren etwaige
Anfechtbarkeit. Wenn durch die Zuordnung der Zahlungen zu den einzelnen Arbeitnehmern überhaupt
Sozialdaten entstanden sein sollten, ist deren Weitergabe an den Insolvenzverwalter jedenfalls zulässig.
Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat
gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden
Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO), mithin auch über alle Umstände, die für die Beurteilung von
Gläubigerforderungen bedeutsam sein können (vgl. Eickmann, InsO, 3. Aufl. 2003, § 97 Rn. 9). Muss der
Schuldner also dem Insolvenzverwalter die ihm möglichen Auskünfte über die von ihm gezahlten
Sozialversicherungsbeiträge für seine Arbeitnehmer erteilen, sind diese Informationen dem Insolvenz-
verwalter gegenüber von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig. Dass durch die begehrte
Akteneinsicht weitergehende Sozialdaten offenbart würden, hat die Beklagte weder vorgetragen noch ist
dies ansonsten ersichtlich.
§ 9 Nr. 6 LIFG, wonach der Anspruch auf Informationszugang abzulehnen ist, solange und soweit das
Bekanntwerden der amtlichen Information den wirtschaftlichen Interessen der der Aufsicht des Landes
unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach § 2 Abs. 1 LIFG schaden könnte, steht
der Zugänglichmachung der Akte ebenfalls nicht entgegen. Die Vorschrift dient auch dem Schutz der
wirtschaftlichen Interessen der Sozialversicherungsträger (LT –Drucks. 15/2085, S. 15), die
Marktteilnehmer im Wettbewerb mit anderen Krankenkassen sind und dabei vor Ausforschung durch
Mitbewerber geschützt werden sollen (Schmitz/Jastrow, NVwZ 2005, 984, 992). Wenn der Staat wie ein
privater Dritter im Wirtschaftsverkehr tätig ist, soll er zum Zwecke der Gewährleistung eines fairen
Wettbewerbs nicht Zugang zu Informationen eröffnen müssen, die seine Wettbewerber (hier: gesetzliche
und private Krankenkassen) nicht offenlegen müssen. Informationen dürfen danach zurückgehalten
werden, soweit der gesetzlichen Krankenkasse Nachteile im Wettbewerb drohen (vgl. VG Hamburg, Urteil
vom 23. April 2009, a.a.O., VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009, a.a.O., und BT-Drucks. 15/5606, S. 6).
Vorliegend ist Gegenstand des Auskunftsverlangens jedoch allein die Zugänglichmachung der Akte einer
einzelnen Person. Die in dieser enthaltenen Informationen lassen erkennbar keine Rückschlüsse zu auf
die Struktur der Mitglieder der Beklagten, auf die Art ihrer Vertragsgestaltung oder auf sonstige
Leistungsdaten, die im Wettbewerb der Krankenkassen relevant sind (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 23.
April 2009, a.a.O.). Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf den wirtschaftlichen Schaden für
die gesetzliche Krankenkassen und Beitragszahler in ihrer Gesamtheit durch die Herauslösung von
Beiträgen aus dem Gesundheitsfonds verweist, ist diese Problematik gegebenenfalls im Übrigen auf der
Ebene des materiellen Insolvenzrechts und nicht des Auskunftsverlangens zu lösen.
Auch der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 11 LIFG) hindert nicht das
Auskunftsverlangen des Klägers. Ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis liegt vor, wenn Tatsachen, die im
Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stehen, nur einem begrenzten Personenkreis
bekannt sind und nach dem erkennbaren Willen des Inhabers sowie dessen berechtigten wirtschaftlichen
Interessen geheim gehalten werden sollen (so LT Drucks. 15/2085, S. 15). Die Beklagte hat vorliegend
zwar sicherlich ein Interesse daran, die Überprüfung der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen an
sie zu verhindern; im Hinblick darauf, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts in besonderem
Maße an Gesetz und Recht gebunden ist und sich daher berechtigten Rückzahlungsforderungen stellen
muss, ist dieses Interesse aber nicht schutzwürdig.
Schließlich ist der Antrag auf Informationszugang nicht nach § 12 LIFG abzulehnen, weil durch das
Bekanntwerden des Akteninhalts personenbezogene Daten Dritter offenbart würden. Hierzu kann auf die
Stellung des Klägers als Insolvenzverwalter und die Darlegungen zu § 9 Nr. 4 LIFG verwiesen werden.
Nach alledem hat der Kläger einen Anspruch auf den begehrten Aktenzugang.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Steppling
gez. Hennig
gez. Brink
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,-- € festgesetzt (§§ 47, 52
Abs. 2 GKG).
gez. Steppling
gez. Hennig
gez. Brink