Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.06.2008

OVG NRW: werkstatt, rechtsschutz, vollzug, breite, ausschluss, ausdehnung, abgas, betriebszeit, besucher, handel

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 400/08.NE
Datum:
25.06.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 400/08.NE
Tenor:
Der Vollzug des Bebauungsplans Nr. 112 "Kennwort: K. " - 11.
Änderung - der Antragsgegnerin wird bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über den Normenkontrollantrag im Verfahren 10 D
16/08.NE ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 20.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen
wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dabei stellt der Begriff "schwerer Nachteil" an
die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere
Anforderungen als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einstweiliger Anordnungen im
verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz stellt.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998 - 4 VR 2.98 -, NVwZ 1998, 1065.
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Der bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt noch keinen schweren Nachteil in
diesem Sinne dar. Ein solcher ist vielmehr nur dann zu bejahen, wenn die
Verwirklichung des angegriffenen Bebauungsplans in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des
jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.
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"Aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten" sein kann die Außervollzugsetzung
des Bebauungsplans, wenn dieser sich bei der im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich
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rechtsfehlerhaft erweist und damit von einem zu erwartenden Erfolg des Antragstellers
in dem zulässigerweise geführten Hauptsacheverfahren auszugehen ist. Im Hinblick
darauf, dass § 47 Abs. 6 VwGO einstweiligen Rechtsschutz nur im individuellen
Interesse des jeweiligen Antragstellers gewährt, setzt die Außervollzugsetzung eines
offensichtlich unwirksamen Bebauungsplans weiter voraus, dass seine Umsetzung den
jeweiligen Antragsteller konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung
jedenfalls deshalb dringend geboten ist.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. Januar 2008 - 7 B 1743/07.NE -, vom 23. Mai 2007
- 10 B 11/07.NE - und vom 16. Mai 2007 - 7 B 200/07.NE -, ZfBR 2007, 574.
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Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen, nach denen die
Antragsteller die Außervollzugsetzung des angegriffenen Bebauungsplans
beanspruchen könnten, hier vor.
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Der Bebauungsplan Nr. 112 - 11. Änderung - ist offensichtlich unwirksam, weil er mit der
Festsetzung eines Sondergebiets für großflächigen Autohandel einschließlich
Werkstattbetrieb erstmalig einen auch im Baugenehmigungsverfahren nicht lösbaren
Immissionskonflikt in ein bisher homogenes Wohngebiet hineinträgt und die
Nutzungsgrenze für den Betrieb von Werkstatt, Kfz-Waschanlage und
Gebrauchtwagenhandel bis auf wenige - unter zehn - Meter bzw. sogar bis unmittelbar
an Flächen heranführt, die den Schutzanspruch eines Allgemeinen Wohngebiets in
Anspruch nehmen können. Die Vorstellung des Plangebers, es handle sich auch
südlich der Osnabrücker Straße schon jetzt um Mischgebietsnutzungen, ist verfehlt.
Vielmehr stellt nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung die
P. Straße bisher eine Nutzungsgrenze dar, südlich derer sich ausschließlich solche
Nutzungen befinden, die wohngebietsverträglich sind, nämlich Wohnnutzungen und
Schulen bzw. Kindergärten. Dazu zählte grundsätzlich auch die - aufgegebene -
Nutzung des Vorhabengrundstücks für die Unterbringung von Asylbewerbern. Ob die
Flächen nördlich der P. Straße im Hinblick auf die dort vorhandenen gewerblichen
Nutzungen tatsächlich als Mischgebiet einzustufen sind oder wegen der überaus
ausgedehnten Grundstücke der Sonderschule und des Sonderkindergartens eine
differenzierte Betrachtung erforderlich wäre, muss deshalb hier nicht entschieden
werden.
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Dieses noch bestehende städtebauliche Gleichgewicht würde durch die Festsetzung
eines Sondergebiets für großflächigen Kfz-Handel mit Werkstattbetrieb gestört mit der
Folge, dass städtebauliche Missstände fast unausweichlich wären. Auch wenn die
vorgesehene Art der baulichen Nutzung in einem Sondergebiet grundsätzlich zulässig
ist, lässt sich die Nähe der nicht wohngebietsverträglichen Nutzung für Autohandel und
Werkstatt zu festgesetzten Allgemeinen Wohngebieten - beide Gebiete grenzen
unmittelbar aneinander an bzw. sind nur durch Verkehrsflächen von lediglich 7m Breite
voneinander getrennt - wegen Verstoßes gegen den Trennungsgrundsatz
abwägungsgerecht schwerlich rechtfertigen. Zum einen würde es - wie das vorliegende
Verfahren zeigt - zu Immissionskonflikten zwischen der Sondergebietsnutzung und der
Wohnnutzung kommen, da der geplante Kfz-Betrieb nach seiner Ausdehnung und
Struktur ein erhebliches Störpotenzial aufweist. Selbst unter Ausschluss von Lackier-
und Karosseriearbeiten werden von einem Werkstattbetrieb mit den üblichen
Wartungsarbeiten einschließlich Abgas-Sonderuntersuchung und Bremsenprüfung
sowie einem nicht ganz unbedeutenden Gebrauchtwagenhandel Beeinträchtigungen für
die Nachbarschaft ausgehen, die durch das im Planaufstellungsverfahren vorgelegte
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Schallgutachten nur unzureichend erfasst sind. Denn die Lage der Stellplätze für
Besucher und Mitarbeiter sowie der Plätze für die Gebrauchtwagenausstellung
unmittelbar entlang der Grenzen zu den benachbarten Wohnnutzungen widerspricht §
51 Abs. 7 BauO NRW; im Übrigen geht das Schallgutachten von einer geringeren
Betriebszeit jedenfalls der Werkstatt aus als die inzwischen für den vorgesehenen
Betrieb erteilte Baugenehmigung, so dass die Frage aufzuwerfen wäre, ob das
Gutachten das Emissionspotenzial des Vorhabengrundstücks zutreffend erfasst.
Zum anderen wäre als weitere Folge der Festsetzung eines Sondergebiets der hier
geplanten Art zu befürchten, dass künftig trotz der bestehenden Festsetzungen als
Allgemeines Wohngebiet bzw. Gemeinbedarfsflächen ein erheblicher Umnutzungsdruck
entlang der südlichen Seite der P. Straße entstehen könnte, weil nach dem erstmaligen
Eindringen wohngebietsfremder Nutzungen auch weiteren gewerblichen Umnutzungen
nach einer Aufgabe der bisherigen wohngebietsverträglichen Nutzungen
möglicherweise kaum Einhalt zu gebieten wäre.
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Der Rat der Antragsgegnerin hat sich mit diesen durch den Plan aufgeworfenen
Konflikten nur unzureichend befasst, so dass der Plan auch an Abwägungsmängeln
leidet. Die Antragsteller sind durch das Eindringen der möglicherweise nicht einmal
mehr mischgebietsverträglichen Nutzungen auch selbst nachteilig betroffen, da ihre
Grundstücke unmittelbar an das Sondergebiet des Änderungsplans grenzen bzw. nur
durch eine schmale Verkehrsfläche davon getrennt sind.
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Vor diesem Hintergrund lässt der Senat offen, ob weitere materiell-rechtliche oder
verfahrensrechtliche Mängel vorliegen, die ebenfalls zum Erfolg des
Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren führen können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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