Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 04.02.1998

OVG NRW (bundesrepublik jugoslawien, kosovo, politische verfolgung, amnesty international, bundesamt für flüchtlinge, amt, 1995, kläger, bundesrepublik deutschland, jugoslawien)

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 2111/94.A
Datum:
04.02.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 A 2111/94.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 7 K 4930/92.A
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.
Die Klage gegen die Beklagte zu 1) wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der im Jahre 1964 geborene Kläger zu 1) und die im Jahre 1963 geborene Klägerin zu
2) sind albanische Volkszugehörige moslemischen Glaubens. Sie reisten im Juli 1991
in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten die Anerkennung als
Asylberechtigte. Sie gaben an: Ihre Nachbarn seien Serben. Diese hätten ihre Kinder
geschlagen und versucht, die Klägerin zu 2) zu vergewaltigen. Um dies zu verhindern,
habe er - der Kläger zu 1) - auf die Nachbarn eingeschlagen und einen mit einem
Messer verletzt. Die Nachbarn hätten gewußt, daß er an Demonstrationen
teilgenommen und die albanische Flagge getragen habe. Die von den Nachbarn
herbeigerufene Polizei habe ihn - den Kläger zu 1) - abgeholt, verprügelt und 24
Stunden festgehalten. Aus Angst vor weiteren Folgen seien sie geflüchtet.
2
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge am 27. Juli 1991 erklärte der Kläger zu 1): Er sei wegen der Serben hierher
gekommen. Die Serben schlügen ihre Kinder. Er habe etwas Land und ein Serbe habe
ihm das nehmen wollen. Er habe sich nicht bei der Polizei beschweren können. Dieser
Serbe sei auf ihn böse gewesen, weil er an Demonstrationen teilgenommen habe. Er -
der Kläger zu 1) - habe auch Parolen auf den Asphalt geschrieben und auf Mauern
geklebt. Er habe 1989, 1990 und 1991 demonstriert. Weil er sich mit einem Serben
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geschlagen habe, sei er 24 Stunden lang festgehalten worden. Im Jahre 1984 sei er im
Gefängnis gewesen, weil er an Demonstrationen teilgenommen habe.
Die Klägerin zu 2) gab an: Als ihr Mann im Gefängnis gewesen sei, seien Serben
gekommen, die versucht hätten, sie zu vergewaltigen. Ihre Kleider seien zerrissen
worden. Ihr sei vorgeworfen worden, zu den Albanern zu halten. Die Serben seien
gekommen und hätten ihr Haus geschädigt. Der Kläger zu 1) gab ergänzend an: Als er
nach Hause gekommen sei und seine Frau mit den zerrissenen Kleidern gesehen habe,
sei der Serbe noch dagewesen. Er habe sein Messer gezogen und auf den Serben
eingestochen. Ob er tot gewesen sei, wisse er nicht. Er sei jedenfalls geflüchtet. Er habe
nicht ertragen können, was der Serbe seiner Frau angetan habe.
4
Durch Bescheid vom 20. Februar 1992 lehnte das Bundesamt die Anträge auf
Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG nicht vorlägen.
5
Durch Ordnungsverfügungen vom 24. April 1992 forderte der Oberstadtdirektor der Stadt
Oberhausen die Kläger zur Ausreise auf und drohte ihre Abschiebung in ihr Heimatland
an.
6
Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben und geltend gemacht: Er - der Kläger zu 1) -
habe mehrmals an Demonstrationen für eine freie Republik Kosovo teilgenommen. Dies
sei ihm von den serbischen Nachbarn übel genommen worden. Die Nachbarn hätten
ihre Kinder geschlagen und beabsichtigt, sich ihr Land anzueignen. Nach einer
Schlägerei mit einem Serben sei der Kläger zu 1) festgenommen worden. Während
dieser Zeit hätten die Serben versucht, die Klägerin zu 2) zu vergewaltigen. Als der
Kläger zu 1) zurückgekommen sei, habe er seine Frau mit einem Messer verteidigt.
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Die Kläger haben beantragt,
8
1. die Beklagte zu 1) unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 20. Februar 1992 zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG vorliegen;
9
2. die Ordnungsverfügungen des Beklagten zu 2) vom 24. April 1992 aufzuheben.
10
Die Beklagten haben beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht der gegen die Beklagte zu 1)
gerichteten Klage mit der Begründung stattgegeben, den Klägern drohe im Falle einer
Rückkehr in den Kosovo gegenwärtig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine
politische Gruppenverfolgung. Im übrigen hat es die gegen den Beklagten zu 2)
gerichtete Klage abgewiesen.
13
Auf Antrag des Beteiligten hat das Gericht durch Beschluß vom 8. Dezember 1997 die
Berufung zugelassen.
14
Der Beteiligte beantragt,
15
das angefochtene Urteil zu ändern und auch die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete
Klage abzuweisen.
16
Die Kläger beantragen,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
19
Entscheidungsgründe:
20
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
21
Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen die Beklagte zu 1) zu Unrecht
stattgegeben. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter
nach Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG); es liegen in ihrer Person auch die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vor.
22
Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Verfolgt im Sinne
dieser Vorschrift ist derjenige, dessen Leib, Leben oder persönliche Freiheit in
Anknüpfung an seine politische Überzeugung, an seine religiöse Grundentscheidung
oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche
Merkmale), gefährdet oder verletzt werden. Es muß sich um gezielte staatliche oder
jedenfalls dem Staat zuzurechnende Rechtsverletzungen handeln, die den einzelnen
ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen. Die Verfolgungsmaßnahme kann dem einzelnen oder einer durch ein
asylerhebliches Merkmal gekennzeichneten Gruppe - und dort allen Gruppenmitgliedern
oder dem einzelnen wegen seiner Gruppenzugehörigkeit - gelten.
23
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80,
315, 333 ff., und 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u. 515, 1827/89 -, BVerfGE 83, 216 =
NVwZ 1991, 768 = DVBl. 1991, 531.
24
Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, ist erst dann politisch
Verfolgter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, wenn er auch in anderen Teilen seines
Heimatlandes eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann, sog. inländische
Fluchtalternative,
25
vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. November 1989 - 2 BvR 403, 1501/84, DVBl. 1990, 201;
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, Dok Ber.A 1990, 273,
26
und dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird.
27
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - 9 C 19.86 -, Buchholz, Sammel- und
Nachschlagewerk des BVerwG, Ordnungs-Nr. 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 71 m.w.N. sowie
Beschluß vom 25. Januar 1996 - 9 B 591.95 -.
28
Nach dem durch den Zufluchtgedanken geprägten, also auf dem Kausalzusammenhang
Verfolgung-Flucht-Asyl beruhenden normativen Leitbild des Asylgrundrechts gelten für
29
die Beurteilung, ob ein Asylsuchender asylberechtigt ist, unterschiedliche Maßstäbe je
nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar
drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die
Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl zu
gewähren, wenn der Asylsuchende vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher
sein kann. Andernfalls kann ein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn dem Asylbewerber
bei seiner Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, a.a.O., 344 f.
30
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat der Asylsuchende seine Gründe für
eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muß unter Angabe
genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als
wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die erfolgte Verfolgung ergibt. Das Gericht
hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom
Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals zu verschaffen. Ein sachtypischer
Beweisnotstand ist im Rahmen der Überzeugungsbildung zu berücksichtigen.
31
Bezüglich der Anforderungen an die Bejahung einer politischen Verfolgung im Sinne
des § 51 Abs. 1 AuslG gilt insbesondere in bezug auf Verfolgungshandlung,
geschütztes Rechtsgut und politischen Charakter der Verfolgung dasselbe wie für die
politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG. Auch die Differenzierung der
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe gilt entsprechend.
32
Vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843 = DÖV
1992, 582 = NVwZ 1992, 892, vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u. a. -, NVwZ 1994,
500, und vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, DVBl. 1994, 531 = NVwZ 1994, 497.
33
In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe und unter Würdigung der in das Verfahren
eingeführten Erkenntnisse sowie des Vorbringens der Beteiligten kann das erkennende
Gericht weder feststellen, daß die Kläger ihr Heimatland auf der Flucht vor politischer
Verfolgung verlassen haben, noch - anders als das Verwaltungsgericht - mit der danach
erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, daß ihnen bei Rückkehr in
die Heimat politische Verfolgung droht.
34
Die Kläger haben ihre Heimat vielmehr wegen einer privaten Auseinandersetzung und
der Furcht vor einer Bestrafung des Klägers zu 1) wegen kriminellen Unrechts
verlassen. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung am 4. Februar 1998
angegeben, ein Serbe habe versucht, die Klägerin zu 2) zu vergewaltigen. Der Kläger
zu 1), der zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen sei, habe versucht, diesen
Serben zu finden, um sich zu rächen. Er habe den Serben dann auch gefunden und auf
ihn eingestochen. Danach seien die Kläger, nachdem sie eine Verbindung gefunden
hätten, zwei Tage später ausgereist. Diese Angaben decken sich weitgehend mit den
Erklärungen bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge. Allerdings hat der Kläger zu 1) dort ausgesagt, er habe den Serben noch in
seinem Haus angetroffen, während er vor dem Gericht eingeräumt hat, er habe den
Serben erst suchen müssen. Da der Kläger zu 1) hiernach weder in einer Notsituation
noch im Affekt gehandelt hat, mußte er mit einer Bestrafung wegen kriminellen Unrechts
rechnen. Um dieser Bestrafung zu entgehen, sind die Kläger geflohen. Hingegen war
nicht Grund für die Ausreise, daß der Kläger zu 1) wegen seiner politischen Aktivitäten
hätte fliehen müssen. Die Angaben des Klägers zu 1) hierzu sind in jeder Hinsicht
35
allgemein gehalten, enthalten keine nachvollziehbaren Details und lassen nicht einmal
erkennen, daß die serbischen Behörden überhaupt auf ihn aufmerksam geworden
wären. Auch die Festnahme durch die Polizei geht auf private Auseinandersetzungen
zurück, deren näherer Anlaß von den Klägern nicht angegeben wurde. Soweit der
Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung am 4. Februar 1998 erklärt hat, er sei
bei der Polizei gefoltert worden, kann ihm dies nicht geglaubt werden. Dieses
Vorbringen ist nämlich ersichtlich gesteigert, weil der Kläger zu 1) kurze Zeit nach der
Ausreise bei der Asylantragstellung lediglich angegeben hat, er sei verprügelt worden
und er bei der Anhörung vor dem Bundesamt wenig später von irgendwelchen Schlägen
überhaupt nichts berichtet hat. Wenn dem Kläger zu 1) seinerzeit ernsthaft etwas
geschehen wäre, hätte es nahegelegen, hierüber bereits kurze Zeit nach dem Vorfall zu
berichten, als dem Kläger zu 1) die Vorgänge noch in besserer Erinnerung gewesen
sein müssen. Das Vorbringen des Klägers zu 1), er habe sich wegen der Streitigkeiten
mit den Nachbarn nicht bei der Polizei beschweren können, stellt eine bloße
Behauptung dar, die sich möglicherweise auf Vermutungen, nicht aber auf tatsächlich
Erlebtes stützt.
Nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts ist es auch nicht beachtlich
wahrscheinlich, daß albanische Volkszugehörige bei einer Rückkehr in den Kosovo
wegen der Stellung des Asylantrages oder wegen eines längeren Auslandsaufenthaltes
asylerhebliche Repressionen zu befürchten haben.
36
Zwar entspricht es seit jeher vielfach der Praxis der Behörden der Bundesrepublik
Jugoslawien, rückkehrende Asylbewerber zu verhören, wobei es in der Vergangenheit
verschiedentlich auch zur Einziehung des Reisepasses, in Einzelfällen auch - im
Rahmen der Verhöre - zu Schlägen gekommen ist
37
vgl. amnesty international vom 24. November 1992 an VG Schleswig und vom 17.
September 1993 an VG Karlsruhe sowie Bericht vom 5. Mai 1994,
Menschenrechtssituation, S. 17; ferner Auswärtiges Amt vom 17. Februar 1995 und vom
28. November 1995, jeweils an VG Würzburg.
38
Außerdem kommt es seit jeher vor, daß Rückkehrern durch Mitglieder der
Sicherheitsbehörden Geld- und Wertgegenstände abgenommen werden, ohne daß eine
politische Motivation vorliegt.
39
Vgl. - auch zu den Motiven - Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 6. Februar
1995; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte - Deutsche Sektion - vom 20.
November 1996 an VG Frankfurt/Oder.
40
Weitergehende Maßnahmen der serbischen Behörden gegenüber Rückkehrern, die
sich eindeutig auf die Stellung des Asylantrages oder den Auslandsaufenthalt als
solchen zurückführen lassen, sind den vorliegenden Erkenntnissen hingegen nicht zu
entnehmen.
41
Dies gilt auch in Ansehung der Berichte über die Mißhandlung zurückkehrender
Asylbewerber in den Monaten vor Inkrafttreten des deutsch-jugoslawischen Abkommens
über die Rückführung und Rückübernahme von ausreisepflichtigen Staatsangehörigen.
42
Vgl. amnesty international, asyl- info Oktober und November 1996, "Mißhandlungen von
ethnischen Albanern in der Bundesrepublik Jugoslawien nach ihrer Rückkehr aus
43
Deutschland"; Gesellschaft für bedrohte Völker vom 25. Oktober 1996 und vom 16.
Dezember 1996 an VGH Baden-Württemberg; pro- asyl, Presseerklärung vom 29.
November 1996; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 12. Dezember 1996 an VGH
Baden- Württemberg; Antwort des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer,
auf eine schriftliche Frage vom MdB Mogg (SPD) (Antwort StM Schäfer) vom 11.
Dezember 1996, Deutscher Bundestag, Drucksache 13/6558; Auswärtiges Amt,
Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997 und Auskünfte vom 28.
April 1997 an VG Oldenburg sowie vom 12. Mai 1997 an OVG Nie- dersachsen.
Soweit nach diesen Berichten Übergriffe verifizierbar sind und Befragungen im Hinblick
auf den Asylantrag und/oder den Auslandsaufenthalt erfolgten, kann in keinem der
geschilderten Fälle ausgeschlossen werden, daß die Frage nach politischen Aktivitäten
von Kosovo-Albanern in Deutschland nur vorgeschoben war, um Geldbeträge zu
erpressen,
44
vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte vom 20. November 1996 aaO. S. 2;
Auswärtiges Amt, Auskunft vom 28. April 1997 an VG Oldenburg.
45
Mit Ausnahme des Falles lassen sich den vorliegenden Berichten auch keine näheren
Angaben zur Schwere der von den Betroffenen gemeldeten "Mißhandlungen"
entnehmen, so daß auch nicht beurteilt werden kann, ob es sich von der Intensität her
um bereits asylrechtlich relevante, d.h. sich als ausgrenzende Verfolgung darstellende
Übergriffe gehandelt hat.
46
Außerdem hat die deutsche Bundesregierung nach Bekanntwerden der Vorfälle massiv
bei den jugoslawischen Behörden interveniert und "klar gemacht, daß Rückkehrer in die
Bundesrepublik Jugoslawien keinerlei Übergriffen ausgesetzt sein dürften".
47
Vgl. Antwort StM Schäfer, aaO.
48
Die große Aufmerksamkeit, die von Menschenrechtsorganisationen, aber nach dem
vorstehenden Zitat auch seitens der Regierung der Bundesrepublik Deutschland dieser
Frage gewidmet wird, dürfte ebenfalls gegen die Annahme sprechen, daß Rückkehrer
generell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind.
49
Auch die zitierte Dokumentation der Schweizerischen Flüchtlingshilfe führt nicht zu
einer abweichenden Würdigung. Ein Teil der dort angeführten Fälle ist bereits
Gegenstand früherer Mitteilungen verschiedenster Organisationen gewesen und in die
Gesamtschau des Gerichts einbezogen worden. Soweit neue Vorfälle angesprochen
sind, ist ihnen teilweise ein Eingriff in asylrechtsgeschützte Rechte überhaupt, teilweise
jedenfalls eine asylrechtserhebliche Eingriffsintensität - beispielsweise bei verweigerter
Einreise und Rückschiebung in das zurückführende oder ein anderes Land oder bei
längeren Verhören ohne Gewaltanwendung - nicht zu entnehmen. Soweit eine
Mißhandlung durch die serbischen Behörden behauptet wird, fehlt es weitgehend an
näheren Angaben zu Art, Intensität und Anlaß dieser Übergriffe. Dasselbe gilt für die
geschilderten Fälle der Inhaftierung bzw. Verurteilung von Rückkehrern, bei denen
ebenfalls Informationen über den jeweiligen Hintergrund des serbischen Vorgehens
fehlen. Nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch,
daß die Berichte offenbar weitgehend auf den Schilderungen der Betroffenen selbst
beruhen, die nach den Erfahrungen des Gerichts aus zahlreichen Asylverfahren
albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo nicht immer der Wahrheit entsprechen
50
müssen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, daß eine ganze Reihe dieser
Vorfälle offenbar vom Menschenrechtsausschuß in Pristina (CDHRF) gegenüber dem
Auswärtigen Amt bzw. der Botschaft Belgrad nicht bestätigt werden konnten.
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 28. April 1997 an VG Oldenburg.
51
Nach alledem kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß jeder albanische
Volkszugehörige, der sich längere Zeit im Ausland aufgehalten und/oder dort einen
Asylantrag gestellt hat, bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch oder
nicht politisch motivierten Übergriffen der serbischen Behörden ausgesetzt ist. Eine
derartige Wertung verbietet auch das Zahlenverhältnis zwischen gemeldeten
Übergriffen und der großen Zahl der freiwillig oder im Wege der Abschiebung in ihre
Heimat zurückgekehrten Kosovo- Albaner.
52
Vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 19. März 1997 an VG Koblenz.
53
Anhaltspunkte dafür, daß die Kläger aus anderen individuellen Gründen "vorverfolgt"
aus ihrer Heimat ausgereist sind oder bei Rückkehr asylerhebliche Verfolgung zu
befürchten hätten, sind nicht vorgetragen. Sie sind auch nicht ersichtlich.
54
Die Kläger haben ihr Land schließlich nicht wegen einer objektiv drohenden oder
bestehenden Gruppenverfolgung verlassen. Eine solche hat er auch bei seiner
Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Der Senat teilt
insoweit in Ausschöpfung der aktuellen Erkenntnismöglichkeiten die Einschätzung des -
ebenfalls für asylsuchende Kosovo-Albaner zuständigen - 13. Senats des erkennenden
Gerichts,
55
vgl. Urteil vom 19. Januar 1997 - 13 A 2296/94.A -
56
und - soweit ersichtlich - derzeit aller anderen Oberverwaltungsgerichte und
Verwaltungsgerichtshöfe, daß weder in der Zeit seit 1989 noch gegenwärtig eine an die
Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung des albanischen
Bevölkerungsteils des Kosovo durch den serbisch dominierten Staat festgestellt werden
kann. Auch für eine asylrechtsrelevante Verschlechterung der Situation der Kosovo-
Albaner in naher Zukunft liegen keine Anhaltspunkte vor.
57
Voraussetzung für eine Gruppenverfolgung ist, daß eine Gruppe von - durch
asylerhebliche Merkmale verbundenen - Menschen wegen solcher Merkmale Ziel von
Verfolgungshandlungen ist. Die Verfolgungshandlungen müssen nach ihrer Art jedem
einzelnen Mitglied der Gruppe das objektiv begründbare Gefühl geben, es werde allein
wegen seiner Gruppenzugehörigkeit verfolgt und sei bisher eher zufällig von konkreten
Maßnahmen verschont geblieben. In einer solchen Lage kann die Gefahr eigener
politischer Verfolgung auch aus fremdem Schicksal abgeleitet werden. In welchem
Maße dies der Fall ist, ist je nach den tatsächlichen Verhältnissen unterschiedlich zu
beurteilen. Allgemein ist davon auszugehen, daß die Gefahr eigener politischer
Verfolgung wächst, je weniger der Staat selbst oder Dritte bei ihren
Verfolgungsmaßnahmen an ein bestimmtes Verhalten der davon Betroffenen
anknüpfen. Sieht der Verfolger von individuellen Merkmalen der Betroffenen gänzlich
ab, weil seine Verfolgung der Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen
Gruppenmitgliedern gilt, so kann eine solche Zielrichtung dazu führen, daß jedes
Mitglied der Gruppe eine eigene Verfolgung jederzeit erwarten muß. Wenn das
58
Schicksal anderer Mitglieder ("Referenzfälle") es noch nicht rechtfertigt, vom Typus
einer Gruppenverfolgung auszugehen, so kann der einzelne begründete
Verfolgungsfurcht auch dann hegen, wenn er Angehöriger einer Minderheit ist, die in
einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser und gesellschaftlicher Verachtung
leben muß und ganz allgemein Unterdrückungen und Nachstellungen ausgesetzt ist,
und wenn er selbst bereits Verfolgungsmaßnahmen erlitten oder zu erwarten hat, mögen
diese die Schwelle der Asylerheblichkeit auch noch nicht erreichen.
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O. S. 231 ff.
59
Im Fall der Gruppenverfolgung setzt die Annahme einer alle Gruppenmitglieder
erfassenden gruppengerichteten Verfolgung i. d. R. eine bestimmte "Verfolgungsdichte"
voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist eine so
große Vielzahl von Eingriffshandlungen von asylerheblicher Intensität in asylrechtlich
geschützte Rechtsgüter erforderlich, daß es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt
bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die
Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und
Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in
quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen,
daß daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne
weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
60
So BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (203).
61
Eine derartige Verfolgungsdichte läßt sich in dem hier zu betrachtenden Zeitraum weder
für die Vergangenheit feststellen noch für die Zukunft mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit prognostizieren. Das Gericht merkt dabei an, daß für die richterliche
Überzeugungsbildung bei der Feststellung der Tatbestandsmerkmale einer erfolgten
oder zu erwartenden Gruppenverfolgung keine geringeren Anforderungen zu stellen
sind als an die Überzeugungsbildung im Falle einer individuellen politischen
Verfolgung. Insoweit muß sich das Gericht anhand objektiver Anhaltspunkte davon
überzeugen, daß jedes Gruppenmitglied unmittelbar gefährdet war oder derzeit mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist und deshalb die Furcht vor einer ausweglosen Lage
begründet ist und eine Flucht asylrechtlich rechtfertigt. Dabei ist das Gericht naturgemäß
nicht an die qualitative Einschätzung von Vorfällen im Heimatland der Asylbewerber
durch eine Menschenrechtsorganisation gebunden. Das gilt zumal dann, wenn diese
Organisation - wie der Council for the Defence of Human Rights and Freedoms -
CDHRF - in Prishtina (im folgenden auch Council)
62
vgl. die auszugsweise Übersetzung und Auswertung der Berichte des Council in VG
Aachen, Urteil vom 23. März 1995 - 1 K 697/94.A -,teilweise veröffentlicht in NVwZ -
Beilage 1995, 75 ff
63
eng mit dem UNHCR zusammenarbeitet und bei ihren Bewertungen möglicherweise
nicht den Asylrechtsbegriff des Grundgesetzes, sondern den weitergehenden, auch
subjektive Elemente erfassenden Begriff der Genfer Konvention zugrundelegt
64
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 42, 52
65
Außerdem können Vorgänge, die keine hinreichende Verfolgungsintensität aufweisen,
diese auch nicht durch Addition erreichen,
66
vgl. BVerwG, Beschluß vom 3. April 1995 - 9 B 758.94 - m.w.N.,
67
was gerade bei einer sog. "Gesamtschau" leicht aus dem Blick gerät.
68
Danach ist zunächst davon auszugehen, daß es im Jahre 1989 im Kosovo zu größeren
Unruhen kam, nachdem bekannt geworden war, daß Serbien die in der Verfassung von
1974 der Provinz - und damit praktisch der albanischen Bevölkerungsmehrheit -
eingeräumten Autonomierechte abschaffen wollte. Bei weiteren schweren
Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Albanern und der Polizei Anfang 1990
wurden mindestens 30 Albaner getötet. Die frühere Autonomie der zu etwa 90 %
albanischsprachigen Provinz endete am 28. September 1990 auch de jure durch das
Inkrafttreten der neuen Verfassung. Die albanische Bevölkerungsgruppe verfolgt seither
die Errichtung einer unabhängigen Republik Kosovo. In einem vom 26. bis 30.
September 1991 durchgeführten nichtöffentlichen Referendum sprach sich die
Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit für eine Republik Kosovo aus. Bei Wahlen
am 25. Mai 1992 für ein Kosovo-Parlament gewann der (als gemäßigt geltende)
Demokratische Bund Kosovo (auch Demokratische Liga Kosovo, LDK) mit dem
Vorsitzenden Ibrahim Rugova fast alle Sitze. Die serbische Staatsmacht sah diese Akte
als illegal und daher nichtig an. Sie wurden zwar nicht gewaltsam unterbunden, doch
wurde das Zusammentreten des neuen Parlaments durch Polizeieinsatz verhindert.
69
Vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte (Serbien/Montenegro) vom 28. Juli 1992, 18.
Dezember 1992, 8. Juni 1993, 20. September 1993; (Schweizerisches) Bundesamt für
Flüchtlinge, Themenpapier-Kosovo vom 23. April 1993, S. 4.
70
Der Konflikt zwischen Serben und Albanern führte zu einer extremen Polarisierung der
Bevölkerungsgruppen.
71
Vgl. die vorgenannten Lageberichte sowie UN-Menschenrechtskommission vom 17.
November 1993, Sitzungsbericht vom 23. Februar 1993, Menschenrechtssituation
Jugoslawien - Mazowiecki-Bericht - Abs. 188.
72
In dieser Lage kam es zu zahlreichen willkürlichen Übergriffen und körperlichen
Mißhandlungen durch die Sicherheitsbehörden, in der Regel in der Form von Schlägen.
Nach Angaben von Menschenrechtsvereinigungen aus dem Kosovo ist es im Einzelfall
im Polizeigewahrsam auch zu gewalttätigen Exzessen mit Todesfolge gekommen.
73
Vgl. die vorgenannten Lageberichte sowie UNHCR, Schreiben vom 9. Dezember 1992
an Rechtsanwältin Groos.
74
Die Lage im Kosovo wurde für den Beginn der neunziger Jahre als gespannt, aber ruhig
bezeichnet. Ein massives gewaltsames Vorgehen der serbischen Autoritäten gegen die
albanischen "Separatisten" wurde nicht festgestellt, für die Zukunft aber auch nicht völlig
ausgeschlossen.
75
Vgl. die vorgenannten Lageberichte sowie UNHCR, Schreiben vom 17. Juni 1992 an
das Bundesministerium des Inneren.
76
Das Schweizerische Bundesamt für Flüchtlinge beschrieb die allgemeine
Menschenrechtssituation im Kosovo dahin, daß sie sich auf dem seit rund drei Jahren
77
bekannten tiefen Niveau festgefahren hatte; eine dramatische Verschlechterung konnte
nicht festgestellt werden.
Vgl. Themenpapier-Kosovo vom 23. April 1993, S. 8.
78
Der Sachverständige Dr. Kotschy, der als österreichisches Mitglied der sog. Langzeit-
Beobachtungskommission der KSZE von März bis Juni 1993 im Kosovo war, berichtete
über nur wenige ihm bekannt gewordene Übergriffe der serbischen Sicherheitskräfte.
79
Vgl. Vernehmungsprotokoll VG München vom 28. Oktober 1993, insbesondere S. 36 ff.
80
Da von albanischer Seite Übergriffe typischerweise dergestalt mitgeteilt wurden, daß
der Anlaß für den Einsatz der Sicherheitskräfte nicht genannt wurde,
81
vgl. das vorgenannte Vernehmungsprotokoll S. 38/39,
82
kann nicht ohne weiteres abgeschätzt werden, in welchem tatsächlichen Ausmaß die
Übergriffe der Polizei aus Willkür oder aus asylrechtlich erheblichen Gründen erfolgten.
83
Auch wenn danach insgesamt davon auszugehen ist, daß zum Zeitpunkt der Ausreise
der Kläger Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter durch serbische
Amtsträger stattfanden, so war ihre Zahl doch so, daß zwar die Möglichkeit, nicht aber
die aktuelle Gefahr für jeden einzelnen Kosovo-Albaner bestand, ebenfalls -
unabhängig von zusätzlichen in seiner Person liegenden asylerheblichen Merkmalen -
Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden.
84
Eine solche Gefahr für jeden albanischen Volkszugehörigen im Kosovo, von
asylrelevanten Verfolgungshandlungen der serbischen Machthaber getroffen zu werden,
kann auch gegenwärtig nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Schon ein Vergleich der Zahl der Kosovo- Albaner mit den vom Council dokumentierten
Zahlen
85
vgl. auch die Zusammenfassung in dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe
"Vertriebene zurückschaffen" vom 6. Februar 1995 S. 8, 9 sowie Auswärtiges Amt,
Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997, S. 5,
86
von - im weitesten Sinne - polizeilichen Maßnahmen gegen Kosovo-Albaner zeigt, daß
die Gefahr unmittelbar eigener Betroffenheit für den einzelnen albanischen
Volkszugehörigen eher gering ist. Die Ermittlung und Würdigung dieser Relation ist
unerläßlich; denn ohne Würdigung der Relation zwischen Zahl und Schwere der
Verfolgungseingriffe und der Zahl der Gruppenangehörigen läßt sich die
Verfolgungsdichte nicht beurteilen.
87
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1995 - 9 C 294/94 -.
88
Dabei kann derzeit von mindestens 1,8 Millionen im Kosovo lebenden Albanern
ausgegangen werden. Diese Zahl beruht auf den Angaben der Internationalen
Gesellschaft für Menschenrechte in ihrer Dokumentation "Ethnische Säuberung des
Kosova" vom Mai 1994, daß nämlich "nach vorsichtigen Schätzungen derzeit etwa 2
Millionen Menschen im Kosovo leben, von denen etwa 90 % der albanischen Minderheit
angehören". Das Gericht hat keinen Anlaß, diese Angaben anzuzweifeln. Ohne daß es
89
darauf ankäme, sei darauf hingewiesen, daß der Council
vgl. die 1995 herausgegebenen Human Rights Violations in Kosova 1994, S. 12 und 16,
90
offenbar von einer albanischen Bevölkerung von 2,1 - 2,2 Millionen ausgeht. Ähnlich
heißt es in der Presseerklärung der LDK vom 17. August 1995, Kosova habe ca.
2.200.000 Einwohner, von denen 90 % Albaner seien.
91
Stellt man der Bevölkerungszahl von 1,8 Millionen Albanern die Summe der für 1994 bis
1996 vom Council gemeldeten Menschenrechtsverletzungen gegenüber, so belegen
diese zwar die nach wie vor bestehende Bereitschaft der serbischen Sicherheitsorgane
zur Anwendung repressiver Maßnahmen. Unbeschadet der Zuverlässigkeit der
Übersetzung, des Wahrheitsgehalts der Berichte im einzelnen und der Bewertung der
Vorfälle läßt sich aber auch der differenzierenden Auswertung früherer Council-Berichte
durch das Verwaltungsgericht Aachen entnehmen, daß die dort gemeldeten Vorfälle von
höchst unterschiedlicher Intensität sind und Rechtsgüter unterschiedlichen Gewichts
betreffen und deshalb nur zum Teil die Schwelle der Asylrechtserheblichkeit
überschreiten. Vor diesem Hintergrund verliert die Feststellung ihr Gewicht, daß unter
Zugrundelegung der Council-Berichte 1994 etwa 0,6, 1995 0,58 und 1996 etwa 0,29 %
der albanischen Gesamtbevölkerung im Kosovo von polizeilichen Maßnahmen
unmittelbar betroffen war.
92
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997.
93
Selbst bei Berücksichtigung des Umstandes, daß die polizeilichen Maßnahmen häufig
auch der - im übrigen nicht ohne weiteres asylrechtserheblichen - Einschüchterung
weiterer Menschen dienen können, ist die Annahme nicht gerechtfertigt, daß jeder
Albaner im Kosovo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der aktuellen Gefahr
asylrechtserheblicher Polizeimaßnahmen ausgesetzt ist.
94
Daß in der Dokumentation des Council auch Vorfälle aufgeführt sind, bei denen eine
politische Zielrichtung nicht erkennbar ist, erhellen folgende Beispiele:
95
Es wird davon berichtet, daß im Jahre 1994 bei albanischen Volkszugehörigen
insgesamt 6.394 mal nach Waffen gesucht worden sei, während dies im Jahre 1993
3.396 mal der Fall gewesen sei; teilweise sei es hierbei zu exzessiver körperlicher
Gewalt gegenüber den Albanern gekommen. Es ist jedoch nicht feststellbar, daß die
Waffensuche an asylrechtserhebliche Persönlichkeitsmerkmale anknüpft. Sie ist vor
dem Hintergrund zu werten, daß der albanische Bevölkerungsteil des Kosovo
mehrheitlich eine Loslösung der Provinz von der Bundesrepublik Jugoslawien anstrebt
und die serbischen Machthaber deshalb einen gewaltsamen Separatismus befürchten.
Vor ihrem Zerfall existierte zudem in der alten Föderation Jugoslawien neben der
Jugoslawischen Volksarmee (JVA) die "Territorialverteidigung", die aus den nicht in der
JVA dienenden Männern zwischen 17 und 50 Jahren und allen Frauen zwischen 19
und 40 Jahren bestand, über eigene Waffendepots verfügte und eigene Wehrübungen
durchführte. Die Entwaffnung der Territorialverteidigung in den Jahren 1990 und 1991
gelang im Kosovo nicht vollständig.
96
Vgl. amnesty international, Auskunft vom 6. Oktober 1994 an das VG Regensburg.
97
Daß der albanische Bevölkerungsteil tatsächlich über nicht registrierte Waffen in
98
größerer Anzahl verfügt, belegen im übrigen die vom Gericht aufgrund hinreichender
Kenntnis der englischen Sprache ausgewerteten Berichte des "Council for the Defence
of Human Rights and Freedoms" in Prishtina (Council) für den Zeitraum vom 4. - 25.
Juni 1994
Council, Berichte Nr. 200 - 202.
99
Ihnen ist zu entnehmen, daß allein in den vom Council für diesen relativ kurzen
Zeitraum aufgelisteten Fällen bei der Waffensuche insgesamt mindestens 60 nicht
registrierte Waffen konfisziert wurden, darunter auch 5 automatische Waffen ("machine
guns").In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wurde hierbei lediglich eine Waffe
gefunden bzw konfisziert. Für die serbischen Behörden bestand und besteht mithin
durchaus Anlaß zu einer systematischen Waffensuche gerade unter dem albanischen
Bevölkerungsteil des Kosovo, ohne daß hieraus auf eine zielgerichtete Verfolgung
dieses Bevölkerungsteils geschlossen werden könnte.
100
Auch die mit der Waffensuche verbundene Gewalt gegen Menschen und Sachen läßt
sich nicht zwingend dahin deuten, das Ziel der Aktion bestehe darin, der albanischen
Bevölkerung vor Augen zu führen, daß sie machtlos - als würdeloses Objekt - dem
Zugriff des serbischen Staates ausgesetzt sei. Die objektiv ableitbare Botschaft brutaler
Vorgehensweisen besteht vielmehr auch darin, daß jedenfalls der von den Serben als
illegal angesehene - jetzige oder künftige - Waffenbesitz mit allen Mitteln unterbunden
wird.
101
Vgl. im übrigen zur asylrechtlichen Relevanz staatlichen Vorgehens gegen
Separatismusbestrebungen BVerfG, Beschlüsse vom 11. Mai 1993 - 2 BvR 2245/92 -,
InfAuslR 93, 304, und vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 -, InfAuslR 94, 105.
102
Ebensowenig wie die Waffensuche kann die dokumentierte Zahl der Vorladungen zu
Verhören als Beleg für die zur Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige
Verfolgungsdichte angesehen werden. Bei ca. 1,8 Millionen Kosovo-Albanern sind
selbst 2.729 Vorladungen zu polizeilichen Verhören im Jahre 1994 (für 1995 (1.916) und
1996 (1.868) hat der Council niedrigere Zahlen gemeldet),
103
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997, S.
5,
104
die nach den Bekundungen des Council jedenfalls in einigen Fällen im Zusammenhang
mit asylrechtlich unerheblichen Verfahren stehen, zahlenmäßig relativ gering, auch
wenn die Verhöre - nach der angeführten Auswertung des VG Aachen häufig, aber nicht
in allen Fällen - von exzessiver Gewalt begleitet waren.
105
Die Annahme, daß die dokumentierten Zahlen nur Minimalwerte darstellten, die in der
Realität weitaus höher liegen dürften, weil die von Übergriffen Betroffenen sich aus
Angst vor weiteren Nachteilen nicht bei dem Council gemeldet hätten, ist nicht belegt.
Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, daß eine mögliche Dunkelziffer eine
Größenordnung erreicht, die die oben festgestellte Zahlenrelation in beachtenswerter
Weise verschieben würde. Im übrigen läßt sich die richterliche Überzeugung
regelmäßig nur durch zumindest annähernd bekanntes und gegebenenfalls
nachprüfbares Zahlenmaterial und nicht durch unbekannte Werte bilden, soll nicht die
zu überprüfende Verfolgungsdichte selbst zum gegriffenen Wert werden.
106
Auf die Feststellung einer erheblichen Anzahl von Verfolgungshandlungen im Sinne der
Verfolgungsdichte kann auch nicht unter dem Aspekt verzichtet werden, daß es gerade
die Zielrichtung der serbischen Maßnahmen sei, nur gegen einzelne Albaner, die
ihrerseits sog. Multiplikatoren sind, vorzugehen und damit ein Klima der Angst und des
Schreckens zu verbreiten. Selbst wenn dies zutrifft, führt es nicht zu der Annahme, daß
deshalb nahezu jeder Kosovo-Albaner aktuell mit einer Verfolgung rechnen müßte. Ein
gezieltes Vorgehen gegen Multiplikatoren würde nur belegen, daß dieser Personenkreis
nicht allein wegen der Volkszugehörigkeit, sondern wegen einer ihm von den
serbischen Machthabern zugedachten besonderen Eigenschaft und deren Wirkung auf
sein Umfeld verfolgt würde. Hieraus läßt sich gerade nicht ableiten, daß auch alle
anderen Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit des Kosovo aktuell gefährdet sind,
sondern eher das Gegenteil entnehmen.
107
Auch die "Schulpolitik" der Serben - Schließung ganzer Schulen wegen der Weigerung
der albanischen Lehrer, serbisch- sprachigen Unterricht zu erteilen, und der Weigerung
der Eltern, ihre Kinder in serbisch-sprachigen Unterricht zu schicken - kann nicht als
Ausdruck einer gruppengerichteten Verfolgung der Kosovo-Albaner gewertet werden.
Zwar steht außer Frage, daß die serbischen Behörden auch auf diese Weise versuchen,
nicht nur ihre Sprache und Kultur, sondern auch den Machtanspruch des serbischen
Staates gegenüber der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo durchzusetzen
und hiermit zugleich den in den vergangenen Jahrzehnten ständig zurückgegangenen
Einfluß des serbischen Bevölkerungsteils - noch 1948 stellten die Serben im Kosovo
nach vorsichtigen Schätzungen deutlich über 25%, heute nurmehr um 10% der
Bevölkerung - zu stärken. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Diskriminierung
der Albaner inzwischen auf albanischer Seite zu einer bewußten Abgrenzung und zu
völliger Ablehnung der serbischen Sprache und Kultur geführt hat.
108
Vgl. J. Tiedtke, Arbeitsgruppe Außenpolitik der SPD-Fraktion im Dt. Bundestag, Bericht
über eine Informationsreise vom 23. November 1994.
109
Der Versuch eines Vielvölkerstaats, ein einheitlich gestaltetes Schulsystem mit
einheitlicher Unterrichtssprache und einheitlichen Unterrichtsinhalten gegenüber einem
all dies ablehnenden Teil seiner Bevölkerung durchzusetzen, und die daraus
resultierenden Maßnahmen wie die Schließung von Schulen und Hochschulen, an
denen in einer anderen Sprache und mit anderen Unterrichtsinhalten unterrichtet wird,
können jedoch nicht als asylrelevante Verfolgung dieses Bevölkerungsteils angesehen
werden. Die Maßnahmen sind nicht darauf "gerichtet", die ethnischen Albaner wegen
ihrer Volkszugehörigkeit zu treffen, sondern darauf, den Machtanspruch des Staates
durchzusetzen. Sie knüpfen also nicht an die Volkszugehörigkeit der Albaner an,
sondern etwa an deren Weigerung, sich in der serbischen Sprache unterrichten zu
lassen. Zwar dürfte es zutreffen, daß es kaum noch ein albanisches Kind im Kosovo
gibt, das eine vom Staat betriebene serbisch- sprachige Schule besucht.
110
So J. Tiedtke, a.a.O.
111
Dies ist jedoch nicht auf eine entsprechende Ausgrenzungspolitik der Serben, sondern
vielmehr darauf zurückzuführen, daß die ethnischen Albaner - sicherlich auch als Folge
der Beschränkung von Freiheiten und Rechten - sich nunmehr selbst "ausgeklinkt"
haben und ihre Kinder ausschließlich in den sog. parallelen Schulbetrieb schicken.
112
Vgl. J. Tiedtke, a.a.O.
113
Den gegen diesen Schulbetrieb der Albaner gerichteten zahlreichen Behinderungen
und Beschränkungen fehlt in ihrer großen Mehrheit zudem die notwendige
("asylrechtserhebliche") Intensität.
114
Im Grundschulbereich werden die albanischen Kinder von albanischen Lehrern in ihrer
Muttersprache mit den Lehrmitteln und nach den Lehrplänen der Regierung der
"Republik Kosova" unterrichtet. Der Unterricht findet mit staatlicher Duldung z. T. in den
Gebäuden der staatlichen Schulen statt.
115
Vgl. Dr. Kotschy, Vernehmungsprotokoll VG München vom 28. Oktober 1993 S. 21;
Gesellschaft für bedrohte Völker an VG München vom 13. Dezember 1994 S. 3;
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Delegationsbericht vom 6. Februar 1995 S. 15.
116
Die weiterführenden staatlichen Schulen, in denen der Unterricht ausschließlich in
serbischer Sprache und mit von der Zentralregierung vorgegebenen Unterrichtsinhalten
erteilt wird, besuchen die albanischen Jugendlichen nicht mehr.
117
Vgl. neben den vorgenannten Erkenntnisquellen zum Primarschulbereich ferner
Auswärtiges Amt, Lageberichte (Serbien/Montenegro) vom 3. Mai 1994, 31. Oktober
1994, 21. Juni 1995.
118
Als Ersatz haben die Kosovo-Albaner ein staatlich nicht anerkanntes paralleles
Bildungssystem aufgebaut, das neben der Grundschule die weiterführenden Schulen
und den Universitäts- und Fachhochschulbereich betrifft. Auf Universitäts- und
Fachhochschulebene ist es offenbar gelungen, den Studienbetrieb in allen Bereichen
bis hin zur Promotion aufrechtzuerhalten. Vgl. UN-Menschenrechtskommission,
Sitzungsbericht vom 23. Februar 1993, Menschenrechtssituation Jugoslawien -
Mazowiecki-Bericht - Abs. 201; J. Tiedtke a.a.O., Ziffer 2, Situation im Bildungs- und
Gesundheitswesen und Lage der Gewerkschaften; IGFM an VG München aufgrund
eines Beweisbeschlusses vom 11. Oktober 1994.
119
Der Unterricht findet in Privathäusern statt. Die Lehrkräfte arbeiten ohne festes Gehalt
und werden allenfalls aus Spenden bezahlt.
120
Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Delegationsbericht vom 6. Februar 1995, S. 15; J.
Tiedtke a.a.O.; IGFM a.a.O. an VG München.
121
Die serbischen Behörden gehen u. a. durch willkürliche Festnahmen von Organisatoren
und Lehrern, Mißhandlungen, Konfiszierung von Lehrmaterial, insbesondere dann,
wenn es mit dem Symbol der unabhängigen Republik Kosova gekennzeichnet ist,
gegen das parallele Bildungssystem vor.
122
Vgl. UN-Menschenrechtskommission, Sitzungsbericht vom 23. Februar 1993, Abs. 205;
amnesty international, Menschenrechtssituation in der Bundesrepublik Jugoslawien,
Kosovo vom 5. Mai 1994, S. 12; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Delegationsbericht
vom 6. Februar 1995, S. 15; Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 31. Oktober 1994, 21.
Juni 1995.
123
Die Zahl dieser Übergriffe war allerdings schon früher nicht so groß, daß praktisch jeder
124
am parallelen Bildungssystem Beteiligte damit rechnen mußte, selbst betroffen zu
werden. So sind die etwa 120 Privatschulen in Pristina, die der Polizei aufgrund der
Überwachungsdichte bekannt sein müßten, ganz überwiegend unbehelligt geblieben.
Die gegen einzelne Schulen vorgetragenen Aktivitäten sollten wohl dazu dienen, die
staatliche Präsenz darzustellen und einen Einschüchterungseffekt zu erzeugen.
Vgl. Dr. Kotschy, Vernehmungsprotokoll VG München vom 28. Oktober 1993, S. 23, 24.
125
Nach der Aussage dieses Sachverständigen verhält sich der serbische Staat gegen die
Einrichtungen des parallelen Bildungssystems grundsätzlich passiv.
126
Vgl. das vorgenannte Vernehmungsprotokoll S. 24.
127
Das beschriebene Vorgehen gegen inoffizielle albanische Schulen war und ist
jedenfalls nur auf Einzelfälle beschränkt, deren Zahl darüber hinaus 1996 nach
Angaben des Council stark abgenommen hat; für Januar 1997 ist nur ein Übergriff
gemeldet worden.
128
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 3. April 1997 an VG Stuttgart.
129
Es gibt danach keine genügend sicheren Anhaltspunkte dafür, daß die serbischen
Behörden in großem Maß gegen das parallele Schulsystem im Kosovo einschreiten.
Auch die Studierenden an der von den Albanern betriebenen, bislang geduldeten
Universität unterliegen keinem besonderen Verfolgungsdruck.
130
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 29. Dezember 1994 an VG München; Auskunft vom
17. Februar 1995 an VG Ansbach.
131
Die Beschlagnahme von Büchern, Zeitschriften und Computern, Durchsuchungen und
kurzfristige Festnahmen
132
vgl. J. Tiedtke a.a.O.; ferner Auswärtiges Amt, Auskunft vom 29. Dezember 1994 an VG
München
133
stellen noch keine Verfolgungsmaßnahmen von asylerheblicher Intensität dar. Darüber
hinausgehende Exzesse, welche diese Asylrelevanz besitzen, sind nach den
vorliegenden Berichten jedenfalls nicht derart häufig, daß praktisch jeder Albaner, der
am parallelen Schulbetrieb teilnimmt, damit rechnen müßte, selbst über kurz oder lang
das Opfer solcher Exzesse zu werden. In diesem Zusammenhang ist zu
berücksichtigen, daß das parallele Schulsystem von rund 350.000 Schülern und
Studenten besucht wird und insgesamt trotz aller Behinderungen funktioniert.
134
Vgl. J. Tiedtke, a.a.O.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 3. April 1997 an VG Stuttgart.
135
Zusammenfassend ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die serbischen
Behörden in großem Stil oder gar systematisch mit dem Ziel der Unterbindung gegen
das parallele Schulsystem im Kosovo vorgegangen sind oder vorgehen werden.
136
Auf die Notwendigkeit der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge für
die Annahme einer Gruppenverfolgung könnte allerdings verzichtet werden, wenn für
den maßgeblichen Zeitpunkt ein Verfolgungsprogramm des serbisch dominierten
137
Staates festzustellen wäre, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald
bevorsteht. Das folgt aus der "prinzipiellen Überlegenheit staatlicher Machtmittel" und
der Tatsache, daß die Gruppenverfolgung hier der offenen oder verdeckten
Durchsetzung staatlicher Ziele mit den besonderen, einem Staat hierfür zur Verfügung
stehenden Machtmitteln dient. Ein solches Programm kann vorliegen, wenn festgestellt
werden kann, daß der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch
vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. In derartigen
extremen Situationen bedarf es nicht erst der Feststellung einzelner Vernichtungs- oder
Vertreibungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender
Verfolgungsmaßnahmen darzutun. Die Beschränkung auf extreme Situationen
rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß angesichts des Fehlens einer entsprechenden
Verfolgungsdichte ansonsten nicht von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer
Verfolgung bei Rückkehr und der hieraus abgeleiteten Unzumutbarkeit dieser Rückkehr
gesprochen werden könnte.
Ein Verfolgungsprogramm in diesem Sinne kann daher nur dann angenommen werden,
wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte dafür festgestellt werden können, daß es alle
Mitglieder der Gruppe - hier also alle ethnischen Albaner - in ihrer physischen Existenz,
ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihrer persönlichen Freiheit aktuell bedroht.
138
Eine staatliche Politik, die "nur" auf die massive Benachteiligung und Diskriminierung
einer Gruppe abzielt oder die die Mitglieder dieser Gruppe nicht in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale oder nicht mit der für asylrechtlich relevante Maßnahmen
erforderlichen Intensität trifft, stellt kein Verfolgungsprogramm in diesem Sinne dar, auch
wenn einem solchen Verhalten des Staates bei der Beurteilung der Frage, ob von der
Existenz eines derartigen Programmes auszugehen ist, durchaus indizielle Bedeutung
zukommen kann.
139
Vgl. zu dem Vorstehenden insgesamt BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -,
a.a.O.
140
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Kriterien kann im Kosovo nicht von der
Existenz eines Verfolgungsprogramms gegen die ethnischen Albaner und einer deshalb
anzunehmenden Gruppenverfolgung ausgegangen werden. Von einem solchen
Programm kann regelmäßig nur gesprochen werden, wenn die den Staat tragenden und
sein politisches Handeln bestimmenden Personen oder Gremien ein bestimmtes
Vorgehen bzw. bestimmte Maßnahmen gegenüber einem Teil des Staatsvolks
beschlossen haben und mit gewisser Regelmäßigkeit und Gleichartigkeit zu Werke
gehen. Ein solches Programm des jugoslawischen Staates ist nicht dokumentiert und
nicht verlautbart. Vielmehr enthält die jugoslawische Verfassung im Gegenteil sogar
Regelungen, die die Rechte nationaler Minderheiten betreffen, ohne daß es schon an
dieser Stelle auf die Frage ankommt, inwieweit die verfassungsrechtlichen Vorgaben
auch in der Praxis umgesetzt werden. So ist in Art. 11 ausgeführt, daß die
Bundesrepublik Jugoslawien die Rechte der nationalen Minderheiten auf Bewahrung,
Entwicklung und Äußerung ihrer ethnischen, kulturellen, sprachlichen und sonstigen
Besonderheiten sowie den Gebrauch nationaler Symbole im Einklang mit dem
Völkerrecht anerkennt und verbürgt. Zwar bestimmt Art. 15 grundsätzlich die serbische
Sprache zur Amtssprache, legt aber gleichzeitig fest, daß in den Gebieten
Jugoslawiens, in denen nationale Minderheiten leben, im Einklang mit dem Gesetz auch
deren Sprachen und Schriften im amtlichen Gebrauch sind. Art. 20 begründet die
Gleichheit der Bürger und Art. 45 räumt die Freiheit ein, die eigene nationale
141
Zugehörigkeit und Kultur zum Ausdruck zu bringen sowie eigene Sprache und Schrift zu
gebrauchen.
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien-Montenegro) vom 21. Juni 1995.
142
Den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen ist nicht zu entnehmen, daß Gesetze
existieren, die gerade gegen Kosovo- Albaner gerichtet sind. Diese Einschätzung
bestätigt auch die Gesellschaft für bedrohte Völker, nach deren Informationen es in
Serbien und Montenegro noch keine besonderen Gesetze gibt, die sich expressis verbis
u.a. auf Albaner beziehen.
143
Vgl. Rohder, Repressionen der serbisch-montenegrischen Behörden gegen Albaner
und Muslime vom 7. Oktober 1994.
144
Auch läßt sich nicht erkennen, daß - offizielle - regierungsamtliche Programme zur
Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo existieren.
145
Vgl. Reuter, Bayerischer VGH, Sitzungsniederschrift vom 20. April 1994.
146
Für ein geheimes Programm oder einen auf serbischer Seite vorhandenen
stillschweigenden Konsens, die Albaner im Kosovo zu vernichten, zu vertreiben oder
sonst in der vorstehend beschriebenen extremen Weise zu verfolgen, liegen keine
hinreichend sicheren Anhaltspunkte vor. Es wird in vielen Erkenntnisquellen deutlich,
daß der Staat von den Albanern im Kosovo die Anerkennung der Staatsmacht der
Bundesrepublik Jugoslawien und die Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten ebenso
verlangt wie von Angehörigen anderer Volksgruppen. Wenn die serbisch dominierte
Staatsmacht versucht, ihre Gesetze durchzusetzen und dadurch zwangsläufig Druck auf
die diesen Staat und seine Gesetze ablehnende albanische Bevölkerungsgruppe
ausübt, geht die objektive Zielrichtung dieser Maßnahmen eben nicht auf eine
programmatische Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppe. Selbst wenn der
jugoslawische Staat wohlwollend in Kauf nimmt oder gar beabsichtigt, daß ein Teil der
Bürger, der in einer solchen Situation für sich keine Perspektiven sieht oder
Zwangsmaßnahmen entgehen will, ins Ausland ausweicht, stellt dies kein auf die
Gesamtheit der albanischen Bevölkerungsmehrheit zielendes Verfolgungsprogramm
dar. Zudem hat der Staat insbesondere in der Zeit seit 1994 serbische Privatmilizen und
Banden, die Übergriffe gegen die albanische Bevölkerungsgruppe vorgenommen
haben, zu einer Einschränkung ihrer Aktivitäten veranlaßt, so daß solche Fälle seither
praktisch nicht mehr zu verzeichnen sind.
147
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 21. Juni 1995.
148
Die offizielle Politik hat in der Vergangenheit sogar serbischen nationalistischen Kräften
Anlaß zu Kritik an der Staatsführung mit dem Vorwurf gegeben, nichts gegen die
"albanische separatistische Bewegung" zu unternehmen.
149
Vgl. Kosovo Information Center über die serbische "nationale Konsultation", 22. Mai
1995; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21. Juni 1995.
150
Ebensowenig kann das Vorliegen eines Verfolgungsprogramms allein aus den
verschiedenen Nachteilen abgeleitet werden, die das Leben für Albaner im Kosovo mit
sich bringt, mögen diese Nachteile auch vom Staat oder seinen Gliederungen ausgehen
151
und erheblichen Druck erzeugen.
Auch ambivalente Maßnahmen, bei denen nicht festgestellt werden kann, daß sie auf
asylerhebliche Merkmale zielen, sind ungeachtet der Tatsache nicht aussagefähig, daß
ein nicht verlautbartes Verfolgungsprogramm nur durch die mosaikhafte Addition von
Einzelfeststellungen bewiesen werden kann.
152
Nach diesen Maßstäben ist auch die Einberufungspraxis gegenüber Albanern zum
Wehrdienst (einschließlich der Wehrübungen) kein Indiz für ein Vertreibungsprogramm.
Wie bereits dargelegt, läßt sich nicht mit der zumindest erforderlichen beachtlichen
Wahrscheinlichkeit feststellen, daß mit Einberufungen an asylerhebliche Merkmale der
albanischen Volkszugehörigen angeknüpft wird. Soweit in der Vergangenheit in
Lageberichten und Auskünften des Auswärtigen Amtes die Rede davon gewesen ist,
die Einberufungen zielten "sichtbar" darauf ab, "junge Kosovo-Albaner zum Verlassen
des Landes zu veranlassen"
153
so Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Köln vom 11. Januar 1996
154
oder "den Auswanderungsdruck auf die albanische Bevölkerungsgruppe zu erhöhen"
155
so Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 21. Juni 1995,
156
kann auch hieraus nicht auf ein Vertreibungsprogramm in dem vorstehend dargelegten
Sinne geschlossen werden. Hierfür fehlt es jedenfalls an der für die Annahme eines
Verfolgungsprogramms erforderlichen Eingriffsintensität; dafür sind die "lediglich" auf
Repression und Einschüchterung gerichteten Maßnahmen (wie etwa die Einberufung
nach den zitierten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes) nicht ausreichend, selbst
wenn mit ihnen die Folge der Auswanderung eines Teiles der Bevölkerung bewußt
angestrebt wird.
157
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94-, a.a.O. S. 207.
158
Darüber hinaus begründet die Einberufung gegenwärtig für den Betroffenen regelmäßig
keine aussichtslose, eine Flucht asylrechtlich rechtfertigende Situation. Denn das
Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, daß den wehrpflichtigen Albanern in den
Streitkräften asylerhebliche Behandlungen oder Verhältnisse drohen, auch wenn
albanische Wehrpflichtige durch serbische Vorgesetzte Verachtung und Schikanen
sowie in der Ausbildung übermäßiger Härte und Ungleichbehandlung gegenüber
Wehrpflichtigen anderer Volkszugehörigkeit ausgesetzt sein können.
159
Im übrigen ist das Gericht aber auch nicht davon überzeugt, daß die vorstehend
wiedergegebene Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Motivationen des
jugoslawischen Staates im Zusammenhang mit der Einberufung albanischer
Volkszugehöriger umfassend wiedergibt. In Übereinstimmung mit dem Hamburgischen
OVG
160
Urteil vom 7. Juni 1995 - OVG Bf VII 2/94 - S. 69 UA
161
geht das Gericht vielmehr - wie ausgeführt - davon aus, daß die Einberufungen in erster
Linie dem Zweck dienen, den Machtanspruch des serbisch dominierten Staates auch
hinsichtlich der Wehrpflicht zu verdeutlichen und exemplarisch durchzusetzen.Dabei
162
kann mit dem Auswärtigen Amt durchaus angenommen werden, daß der Unwille
wehrpflichtiger Albaner, Einberufungen Folge zu leisten, fluchtbegründend ist und als
"latenter Vertreibungsdruck" empfunden wird. Die - menschlich verständliche - Reaktion
der wehrpflichtigen Albaner, sich Einberufungen durch Ausweichen ins Ausland zu
entziehen, als Indiz für ein staatliches Vertreibungsprogramm zu deuten, hieße jedoch,
Ursache und Wirkung zu verwechseln.
Ein Verfolgungsprogramm läßt sich auch nicht daraus ableiten, daß zahlreiche Albaner
aus ihren Arbeitsverhältnissen entlassen worden sind und keinerlei soziale Leistungen
des Staates erhalten.
163
So aber VG Aachen, a.a.O. unter Hinweis auf den Bericht des Council vom 10. Juni
1993, demzufolge 147.300 Entlassungen erfolgt waren.
164
Die Entlassungen sind auch als Folge des Zusammenbruchs der Wirtschaft aufgrund
des Übergangs von der kommunistischen Planwirtschaft zu einer westlich orientierten
Marktwirtschaft zu werten. Bereits seit längerem bestand ein wirtschaftliches Nord-Süd-
Gefälle im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien,
165
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Mai 1990,
166
so daß der Übergang vom früheren auf das heutige Wirtschaftssystem die südlichen
Landesteile entsprechend härter getroffen hat. Der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit
dürfte außerdem auch auf schwere Fehler in der Wirtschaftspolitik
167
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 20. September 1993,
168
und die Unterbrechung der Verkehrs- und Handelsbeziehungen mit den übrigen
Republiken des ehemaligen Jugoslawien infolge der Kriegshandlungen
169
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 28. Juli 1992
170
zurückzuführen sein.
171
Schließlich beruhten Entlassungen auf einem Abbau von Überkapazitäten, die sich im
Rahmen der kommunistischen Planwirtschaft unter dem Tito-Regime entwickelt hatten.
172
Vgl. Dr. Kotschy, VG München, Protokoll vom 28. Oktober 1993.
173
Auch ein Vergleich mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung im gesamten
ehemaligen Jugoslawien zeigt, daß der wirtschaftliche Rückgang kein speziell auf den
Kosovo beschränktes Problem ist.
174
Vgl. Themenpapier Kosovo des schweizerischen Bundesamtes für Flüchtlinge,
Justizministerium Bern vom 31. März 1994; Auswärtiges Amt, Lagebericht
(Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997, S. 16 f.
175
So ist über ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung der gesamten - neuen -
Bundesrepublik Jugoslawien entweder arbeitslos oder auf Zwangsurlaub zu minimalen
Bezügen.
176
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997,
a.a.O.
177
Der Verlust von Arbeitsplätzen beruhte außerdem nicht nur auf Entlassungen, sondern
auch auf freiwilliger Aufgabe durch die Kosovo-Albaner, die damit ihre Solidarität mit
den von Entlassungen Betroffenen dokumentieren wollten.
178
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 21. Juni 1995, S. 4.
179
Daß anstelle der entlassenen Albaner (nur einige tausend) Serben und Montenegriner
deren Arbeitsplätze eingenommen haben sollen,
180
vgl. das zitierte Urteil des VG Aachen,
181
dürfte auf dem Programm des Staates zur subventionsgestützten Ansiedlung von
Serben und Montenegrinern im Kosovo beruhen. Das Programm mag zwar eine
Ungleichbehandlung gegenüber den Kosovo-Albanern darstellen, berührt aber als
solches ebenfalls nicht die Existenz dieses Volkes und seinen Verbleib im Kosovo. Es
zielt allein auf eine stärkere Präsenz des serbischen oder jedenfalls des loyalen
Bevölkerungsteils und dadurch auf eine Schwächung der Separatismusbestrebungen.
Soweit der Versuch gemacht wurde, Krajina-Serben im Kosovo anzusiedeln, dürfte ein
Beweggrund zumindest auch deren Heimatlosigkeit gewesen sein. Ein derartiges
Anliegen des Staates ist für sich gesehen nicht von asylrechtserheblichem Gehalt. Im
übrigen waren und sind intensive Bemühungen des jugoslawischen Staates insoweit
nicht zu erkennen. Im Jahr 1994 sind zu diesem Zweck lediglich 258 Häuser gebaut
worden, die Planungen für 1995 beliefen sich auf 612 Häuser. Letztlich sind daher im
Kosovo - auch wegen der Weigerung der meisten Flüchtlinge, dorthin zu gehen oder
dort zu bleiben - proportional weit weniger Flüchtlinge untergebracht worden als in
anderen Teilen der Bundesrepublik Jugoslawien. Auch gegen Kosovo-Albaner
gerichtete Maßnahmen mit dem Ziel, Platz für Serben zu schaffen, sind nur in geringem
Umfang vorgekommen. Zwischen 1991 und 1994 wurden nach Angaben des Council
243 kosovo-albanische Familien aus ihren Wohnungen vertrieben.
182
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 21. Juni 1995,
Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997, S. 4, 27 f.
183
Ohne daß der Senat den Gründen für die Wohnungsentziehungen im einzelnen
nachgeht,
184
vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien vom 14. April
(S. 27)
185
sind diese Zahlen jedenfalls kein Indiz für die Existenz eines Ansiedlungsprogramms
mit dem Ziel,die albanischen Volkszugehörigen zu vertreiben.
186
Soweit der Council die subventionsgestützte Ansiedlung von Serben und
Montenegrinern in den Zusammenhang mit weiteren 35 Gesetzen und 470
Verordnungen stellt und diese legislativen Maßnahmen in einer Gesamtschau als
staatliches Verfolgungs- und Vertreibungsprogramm qualifiziert,
187
vgl. den Bericht vom 10. Juni 1993, a.a.O., Unterpunkt: discriminating laws on Kosova,
188
kann dem nicht gefolgt werden. Die vom Council exemplarisch aufgeführten Gesetze
und Verordnungen enthalten regelmäßig Regelungen, denen - wie zum Beispiel der
Einführung des Pflichtunterrichts in serbischer Sprache - kein Verfolgungs- charakter
zukommt.
189
Demnach läßt sich aus dieser Aufstellung des Council jedenfalls kein asylerhebliches
staatliches Verfolgungsprogramm ableiten. Diese Auffassung des Senats wird auch
durch die Auskunft des UNHCR vom 4. September 1995 an das VG Wiesbaden
bestätigt, wonach trotz der dem Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission
von Albanern als diskriminierend mitgeteilten Gesetze, Programme und Verordnungen
gegenwärtig kein Anhaltspunkt dafür feststellbar ist, daß die serbischen Behörden aktive
Vertreibungsprogramme zu Lasten der ethnisch-albanischen Bevölkerung durchführen.
190
Auch das harte Vorgehen des Staates bei der Durchsetzung der für alle Staatsbürger
einheitlich geltenden Gesetze sowie gegen alle tatsächlich oder vermeintlich
separatistischen Bestrebungen im Kosovo läßt sich nicht als programmatisch
gesteuerter Vorgang deuten, der auf die Ausgrenzung und Vertreibung der Kosovo-
Albaner abzielt, sondern bezweckt im Gegenteil eher ein Sicheinfügen dieses
Bevölkerungsteils in den Staatsverband der jetzigen Bundesrepublik Jugoslawien.
Ferner kann auch die Handhabung der Einreise bei der Rückkehr von Asylbewerbern in
die Bundesrepublik Jugoslawien nicht als Indiz für ein Verfolgungsprogramm gedeutet
werden.
191
Allerdings war eine freiwillige Heimkehr von Kosovo- Albanern aufgrund des Erlasses
des Belgrader Transport- Ministeriums vom 16. November 1994 erschwert.
192
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. November 1996.
193
Zudem konnten früher aufgrund dieses Erlasses Abschiebungen faktisch kaum
vollzogen werden.
194
Vgl. UNHCR vom 17. Juli 1995 an VG Regensburg; Auswärtiges Amt, Lagebericht
(Serbien/Montenegro) vom 21. Juni 1995.
195
Die Rückführung von ausreisepflichtigen Asylbewerbern hat jedoch mit dem Abkommen
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung der
Bundesrepublik Jugoslawien über die Rückführung und Rückübernahme von
ausreisepflichtigen deutschen und jugoslawischen Staatsangehörigen vom 10. Oktober
1996 eine neue völkerrechtliche Grundlage bekommen, durch die der Erlaß vom 16.
November 1994 weitgehend überholt ist. Soweit der Erlaß für freiwillige Rückkehrer
noch Bedeutung hat, ist zwar zu berücksichtigen, daß eine Einreiseverweigerung eine
asylbegründende politische Verfolgung beinhalten kann.
196
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1985 - 9 C 45.84 -, Informationsbrief
Ausländerrecht (InfAuslR) 1989, 145.
197
Es liegen aber keine Anhaltspunkte vor, daß der Erlaß an asylerhebliche Merkmale
anknüpft. Er differenziert nicht zwischen Kosovo-Albanern und anderen
Bevölkerungsgruppen des früheren Jugoslawien. Vielmehr wird generell Personen, die
im Aufenthaltsland um Asyl nachgesucht haben, die Einreise in die Bundesrepublik
198
Jugoslawien dann verweigert, wenn sie weder ein durch eine jugoslawische
Auslandsvertretung ausgestelltes (neues) Reisedokument noch eine durch die
Auslandsvertretung ausgestellte Authentizitätsbescheinigung ihres (alten) Passes
vorlegen können. Die gleiche Einreiseverweigerung wird auch gegenüber Inhabern von
alten jugoslawischen Pässen mit Seriennummern der nunmehr selbständigen
Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien, und gegenüber Personen "muslimischer
oder kroatischer Volkszugehörigkeit" praktiziert, die einen alten jugoslawischen Paß
besitzen, sofern ihr darin eingetragener Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik
Jugoslawien liegt.
Vgl. zum Inhalt des Erlasses UNHCR, Positionspapier vom 12. Januar 1995, Anlage zur
Auskunft vom 20. Juni 1995 an VG München.
199
Von einer Schlechterbehandlung der Kosovo-Albaner im Vergleich zu anderen
Volksgruppen des früheren Jugoslawien kann daher keine Rede sein. Dem genannten
Erlaß ist von seiner objektiven Zielsetzung her zu entnehmen, daß er - zumindest auch -
bezweckt, einer unkontrollierten Zuwanderung und der - offenbar nicht selten
vorkommenden - Benutzung falscher Papiere entgegenzusteuern.
200
Das Verhalten des serbischen Staates gegenüber den politischen Kräften auf Seiten der
Kosovo-Albaner läßt ebenfalls nicht auf ein staatliches Verfolgungsprogramm
schließen. Die Entstehung politischer Parteien nahm mit der Gründung des
Demokratischen Bundes Kosovo (LDK) im Jahr 1989 ihren Anfang. Seither bilden sich
aufgrund des Verlustes der einheitlichen politischen Linien fortwährend neue Gruppen
und Organisationen.
201
Vgl. Themenpapier Kosovo des schweizerischen Bundesamtes für Flüchtlinge,
Justizministerium Bern vom 31. März 1994.
202
Die Parteien sind nicht verboten.
203
Vgl. Reuter, Bayerischer VGH, Sitzungsniederschrift vom 20. April 1994.
204
Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der größten und einflußreichsten Gruppierung,
nämlich der LDK, die 1995 etwa 700.000 Mitglieder im Kosovo hatte.
205
Vgl. (Schweizer) Bundesamt für Flüchtlinge, Länderinformationsblatt Kosovo (Stand
November 1995); Gerwalla, VG Sigmaringen, Anhörung vom 15. November 1994.
206
Wenn auch gegen Parteimitglieder, insbesondere in hervorgehobenen Positionen,
Übergriffe zu verzeichnen sind, so hat die serbische Seite doch andererseits auch das
offene Betreiben politischer Aktivitäten der großen etablierten albanischen Parteien
nicht unterbunden.
207
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 25. Februar 1993 an VG Köln; amnesty
international, Auskunft vom 13. Mai 1996 an VG Augsburg.
208
So wurden - wie bereits erwähnt - im September 1991 ein nichtöffentliches Referendum
und im Mai 1992 Wahlen für ein Kosovo-Parlament abgehalten. Zwar waren diese Akte
in den Augen der serbischen Staatsmacht illegal und daher nichtig. Auch wurde das
Zusammentreten des neuen Parlaments durch einen Polizeieinsatz verhindert.
209
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Serbien/Montenegro) vom 18. Dezember 1992.
210
Jedoch hat die serbische Staatsmacht die Durchführung des Referendums und der
Wahlen nicht unterbunden, was nahegelegen hätte, falls ein Verfolgungsprogramm
bestanden hätte.
211
Schließlich läßt sich der Einflußnahme serbischer Stellen auf das Pressewesen mit
Übergriffen gegen Journalisten kein gegen die Kosovo-Albaner gerichtetes
Verfolgungsprogramm entnehmen. Bei derartigen Übergriffen, die auch zu körperlichen
Mißhandlungen führen können, handelt es sich um Vorgänge, die nicht nur albanische
Journalisten, sondern unterschiedlos alle Journalisten betreffen können, die nicht auf
der Regierungslinie liegen.
212
Vgl. Dr. Kotschy, VG München, Protokoll vom 28. Oktober 1993.
213
Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung der
Kosovo-Albaner ist auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse hinreichend - und zwar
verneinend - geklärt. Es besteht daher weder Anlaß noch Notwendigkeit zu weiterer
Beweiserhebung durch Einholung von Auskünften, Stellungnahmen und Gutachten.
214
Vgl. zum verwaltungsgerichtlichen Aufklärungsermessen BVerwG, Urteil vom 6. Oktober
1987 - 9 C 12.87 -, Buchholz, Nr. 310, § 98 VwGO Nr. 31.
215
Auch eine Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit
216
vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O.
217
kann der Senat aus der Lage im Kosovo für die Zeit der Ausreise der Kläger und die
Gegenwart nicht ableiten, abgesehen davon, daß in dem vorstehend genannten
Beschluß die Erheblichkeit eines Klimas allgemeiner moralischer, religiöser oder
gesellschaftlicher Verachtung mit dem Begriff "Minderheit" verknüpft wird, während die
Albaner im Kosovo die überwältigende Mehrheit darstellen. Ein Rückgriff auf die
Mehrheitsverhältnisse in ganz Serbien, wo die Albaner in der Tat eine Minderheit bilden
würden, ist nach Auffassung des Gerichts schon deshalb nicht zulässig, weil
Verfolgungsmaßnahmen gegen außerhalb des Kosovo lebende Albaner nicht bekannt
sind, mögen diese auch der auf dem Balkan allgemein üblichen rauhen Behandlung
durch die Polizei unterliegen und angesichts der auch im sonstigen Serbien schlechten
Wirtschaftslage existentielle Schwierigkeiten haben.
218
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht (Bundesrepublik Jugoslawien) vom 14. April 1997.
219
Aus all dem folgt zugleich, daß die Voraussetzungen zur Feststellung eines
Abschiebungsverbots gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen.
220
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit
aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711, 713 der Zivilprozeßordnung.
221
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §§ 132 Abs. 2, 137
VwGO nicht vorliegen.
222