Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.02.2001
OVG NRW: anschrift, verfügung, erfüllung, androhung, vollstreckung, zivilprozessordnung, gemeinde, gerichtsakte, unterrichtung, vollstreckbarkeit
Oberverwaltungsgericht NRW, 22 A 3200/97
Datum:
20.02.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
22. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 A 3200/97
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 4262/94
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in
beiden Rechtszügen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt von dem Beklagten Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 4. Januar bis zum 17. Mai
1994.
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Der am 24. September 1978 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehörigkeit, er
reiste im September 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine
Anerkennung als Asylberechtigter. Einige Zeit später zog er zu seinem Bruder S. M.
nach L. , der mit Beschluss des Amtsgerichts D. vom 15. Dezember 1993 zu seinem
Vormund bestellt wurde.
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Am 6. Januar 1994 beantragte Herr S. M. für den Kläger bei dem Beklagten die
Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Bescheid vom 22. Februar 1994
lehnte der Beklagte diesen Antrag unter Hinweis auf § 16 Satz 1 des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ab. Von Herrn S. M. , so die Begründung, könne
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erwartet werden, dass er den Kläger aus seinem Einkommen unterstütze. Mit seinem
hiergegen eingelegten Widerspruch wandte der Kläger ein, sein Bruder müsse von
seinem Gehalt in Höhe von 2.128,52 DM monatlich den Lebensunterhalt der eigenen
vierköpfigen Familie sicherstellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 1994 wies der Oberkreisdirektor des Kreises D.
den Widerspruch unter Bezugnahme auf § 7 AsylbLG zurück.
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Am 15. Juni 1994 hat der Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem
Widerspruchsverfahren Klage erhoben und ergänzend darauf verwiesen, sein Bruder
habe auch für Miete und Mietnebenkosten aufzukommen, darüber hinaus sei zu
berücksichtigen, dass dieser ihm gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet sei.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Februar 1994 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides des Oberkreisdirektors des Kreises D. vom 17. Mai 1994
zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 4. Januar 1994 bis zum 17. Mai 1994 Hilfe
zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zu
gewähren.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat er die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai
1994 wiederholt.
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Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 30. April 1997 der Klage stattgegeben und
zur Begründung u.a. darauf verwiesen, § 7 AsylbLG stehe dem Anspruch nicht
entgegen, da Herr S. M. kein Familienangehöriger des Klägers im Sinne dieser
Vorschrift sei.
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Mit der vom früher zuständigen 24. Senat zugelassenen Berufung macht der Beklagte
geltend, bei Herrn S. M. handele es sich entgegen der Wertung des Verwaltungsgerichts
um einen Familienangehörigen des Klägers i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen im
angefochtenen Urteil.
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Während des vorliegenden Berufungsverfahrens ist der Kläger nach erfolgloser
Durchführung seines Asylverfahrens am 7. Dezember 1999 in die Türkei abgeschoben
worden.
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Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 6. Februar 2001 - zugestellt am 7. Februar 2001 -
ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. §
125 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgefordert worden, die aktuelle ladungsfähige Anschrift des
Klägers anzugeben. Diese Verfügung hat folgenden Wortlaut: "In dem
verwaltungsgerichtlichen Verfahren H. M. gegen Bürgermeister der Gemeinde L. werden
Sie, nachdem Sie bereits durch Verfügung vom 11. Januar 2001 und in mehreren
Telefonaten um Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers gebeten worden sind,
nunmehr gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufgefordert,
die aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers anzugeben. Hierfür wird Ihnen gemäß
§ 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 13. Februar
2001 (Eingang bei Gericht) gesetzt. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift ist
Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage. Falls Sie dieser Aufforderung innerhalb der oben
genannten Frist nicht nachkommen, ist die Klage als unzulässig abzuweisen."
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend
verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie des Landrats des Kreises D. und der
Ausländerakten betreffend den Kläger sowie Herrn S. M. , Frau H. M. und die Kinder M. ,
D. und C. M. .
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg.
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Die Klage ist unzulässig geworden, da der Kläger trotz Aufforderung mit Fristsetzung
eine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht angegeben hat.
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Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage den Kläger bezeichnen, wozu nach §
173 VwGO i.V.m. §§ 253 Abs. 4, 130 Nr. 1 der Zivilprozessordnung die Angabe seines
Wohnortes gehört. Anzugeben ist der tatsächliche Wohnort des Klägers, also die
Anschrift, unter der er tatsächlich zu erreichen ist - mithin die "ladungsfähige" Anschrift.
Ändert sich diese im Laufe des Verfahrens, ist die neue Anschrift mitzuteilen.
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Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 -, NJW 99, 2608; OVG NRW,
Beschlüsse vom 25. November 1999 - 2 A 1301/98 - und vom 22. Juni 1999 - 24 A
3320/95 - sowie Urteile vom 17. März 1998 - 18 A 4002/96 - und vom 18. Juni 1993 - 8 A
1447/90 -, NVwZ-RR 1994, 124 f; Hessischer VGH, Urteil vom 15. Mai 1995 - 7 UE
2052/94 -, NVwZ-RR 1996, 179 ff; Aulehner in Sodan/Ziekow, § 82 Rdnr. 8, Stand Juli
1998; Kopp, VwGO, § 82 Rdnr. 4 m.w.N., 12. Aufl.; Redeker/von Oertzen, VwGO,
Kommentar, 13. Auflage, § 82 Rdnr. 2 ff;
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An der Angabe einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift des Klägers fehlt es hier,
nachdem dieser am 7. Dezember 1999 in die Türkei abgeschoben worden ist.
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Die Mitteilung der neuen Anschrift ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger durch
einen Rechtsanwalt vertreten ist und dessen Anschrift bekannt ist.
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Zustellungen und Mitteilungen des Gerichts sind zwar gemäß §§ 56 Abs. 2, 67 Abs. 3
Satz 3 VwGO i.V.m. § 8 Abs. 4 VwZG stets an den bestellten Bevollmächtigten zu
richten. Besonderheiten gelten indes für bestimmte prozessuale Situationen, etwa die
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Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO), zu
deren Durchsetzung das Gericht die in § 95 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 VwGO vorgesehenen
Beugemittel - Androhung und Festsetzung von Ordnungsgeld - einsetzen kann. Die
gerichtliche Sanktionierung des Ausbleibens setzt eine entsprechende Unterrichtung
des Klägers voraus, die ihm persönlich mit der Ladung förmlich zuzustellen ist (§ 173
VwGO i.V.m. § 141 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ZPO, § 56 Abs. 1 VwGO). Entsprechendes
gilt für die Androhung und Festsetzung eines Ordnungsgeldes.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 1999 - 24 A 3320/95 - m.w.N.
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Ferner ist die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift auch eines anwaltlich vertretenen
Klägers insbesondere mit Blick auf dessen etwaige Kostentragungspflicht geboten und
zwar auch in gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren wie dem
vorliegenden - ggf. hat der Kläger nämlich die außergerichtlichen Kosten der
obsiegenden Behörde zu erstatten.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 1999 - 24 A 3320/95 - m.w.N.
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Abgesehen davon dient die Angabe der ladungsfähigen Anschrift der Partei deren
Individualisierung.
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Durch das Erfordernis, die ladungsfähige Anschrift anzugeben, wird dem Kläger im
Verwaltungsprozess auch nichts abverlangt, was seinen Anspruch auf Gewährung
effektiven Rechtsschutzes gefährdet oder gar vereitelt. Das Erfordernis gilt nämlich nicht
uneingeschränkt. Der Mitteilung bedarf es einmal dann nicht, wenn die Anschrift sich
bereits aus den Behördenakten ergibt, sonst wie bekannt ist oder sich auf andere Weise
ohne Schwierigkeiten ermitteln lässt. Weiterhin entfällt die Pflicht zur Angabe der
aktuellen ladungsfähigen Anschrift, wenn ihre Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist,
etwa, weil der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende
Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder
der Kläger über eine solche Anschrift nicht verfügt. Im letzteren Fall sind aber dem
Gericht die insoweit maßgebenden Gründe zu unterbreiten, damit es prüfen kann, ob
ausnahmsweise auf die ladungsfähige Anschrift des Klägers verzichtet werden kann.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 -, a.a.O.
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Keine dieser Ausnahmen von der Pflicht zur Angabe der aktuellen ladungsfähigen
Anschrift liegt vor. Weder aus den beigezogenen, den Kläger betreffenden
Verwaltungsvorgängen oder Ausländerakten, noch den die Familie S. M. betreffenden
Ausländerakten ergeben sich Hinweise auf die aktuelle Anschrift des Klägers. Nicht
einmal dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ist eine solche Anschrift bekannt.
Gründe im obigen Sinn, die die Erfüllung der Pflicht zur Angabe der Anschrift unmöglich
oder unzumutbar machen, sind nicht vorgetragen worden.
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Schließlich ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Verfügung des Vorsitzenden
vom 6. Februar 2001 gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO
unter Fristsetzung bis zum 13. Februar 2001 und unter Hinweis darauf, dass die Angabe
der ladungsfähigen Anschrift Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage ist, aufgefordert
worden, die aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers anzugeben. Dies ist bis heute
nicht erfolgt.
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Zur Aufforderung nach § 82 Abs. 2 VwGO bei Fehlen der ladungsfähigen Anschrift:
BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 -, a.a.O.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2
VwGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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