Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 06.05.1998
OVG NRW (kläger, ausweisung, türkei, straftat, rechtshilfe in strafsachen, recht auf familienleben, verwaltungsgericht, abschiebung, gefahr, schwere)
Oberverwaltungsgericht NRW, 17 A 4480/96
Datum:
06.05.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 A 4480/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 23 K 7567/94
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Der am geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger.
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Nach Voraufenthalten in Deutschland in der Zeit von März 1971 bis Januar 1972 sowie
von April bis August 1973 reiste er am 22. Februar 1978 in das Bundesgebiet ein und
beantragte unter dem 4. März 1978 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur
Begründung führte er aus: Er gehöre der syrisch-orthodoxen Kirche an, sei Assyrer,
seine Muttersprache sei aramäisch. Er habe während des Militärdienstes und danach
unter religiöser Verfolgung gelitten. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) zunächst mit Bescheid vom 28.
November 1978 ab. Auf ein entsprechendes Verpflichtungsurteil des
Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Juli 1984 - AN 7120-V/79 (XV) - sprach es
sodann mit Bescheid vom 21. Dezember 1984 die Anerkennung des Klägers als
Asylberechtigter aus.
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Der Kläger ist im Bundesgebiet strafrechtlich zunächst wie folgt in Erscheinung getreten:
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1. Amtsgericht Idar-Oberstein, Strafbefehl vom 25. September 1979 - Js 4793/97 - CS -:
Trunkenheit im Verkehr; Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 33,-- DM;
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2. Amtsgericht Idar-Oberstein, Urteil vom 25. September 1980 - Js 3547/80 - Ds -:
Fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung; 4 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung;
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3. Landgericht Koblenz, Urteil vom 6. Februar 1981 - 102 Js 7222/80 - 8 KLs -:
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Vorsätzliches verbotswidriges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Freiheitsstrafe von
7 Jahren und 9 Monaten; nach den Feststellungen des Strafgerichts hatte der Kläger in
prägender Weise an einer auf den Verkauf von ca. 3 kg Heroin gerichteten Straftat
mitgewirkt.
Die Freiheitsstrafe aufgrund der letzten Verurteilung verbüßte der Kläger bis zum 28.
Februar 1986; der Strafrest wurde zur Bewährung bis zum 6. März 1991 ausgesetzt.
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Noch vor seiner Haftentlassung hatte der Kläger unter dem 18. Juni 1985 einen Antrag
auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt.
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Mit Ordnungsverfügung vom 18. August 1986 lehnte der Oberkreisdirektor des Kreises
E. diesen Antrag ab, wies den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus
dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung an. Auf Antrag des Klägers
setzte das Verwaltungsgericht Aachen mit Beschluß vom 15. Oktober 1986 - 6 L 708/86
- die Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung bis zur Entscheidung über den hiergegen
vom Kläger eingelegten Widerspruch aus.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 1987 wies der Regierungspräsident K. den
Widerspruch zurück. Der Kläger erhob daraufhin Klage (6 K 843/87 VG Aachen) und
stellte zugleich einen Antrag auf Regelung der Vollziehung, dem das
Verwaltungsgericht Aachen mit Beschluß vom 26. Juni 1987 - 6 L 314/87 - stattgab.
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Mit Bescheid vom 8. Oktober 1987 hob der Oberkreisdirektor des Kreises E. seine
Ordnungsverfügung vom 18. August 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Regierungspräsidenten K. vom 5. Juni 1987 "wegen eines Ermessensfehlers" auf.
Zugleich teilte er dem Kläger mit, daß weiterhin beabsichtigt sei, ihn auszuweisen.
Diese Absicht wurde allerdings in der Folgezeit zunächst nicht realisiert; vielmehr
erteilte der Oberkreisdirektor des Kreises E. dem Kläger am 23. Februar 1988 eine bis
zum 17. Februar 1989 befristete Aufenthaltserlaubnis.
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In der Folgezeit trat der Kläger erneut strafrechtlich in Erscheinung:
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4. Landgericht Koblenz, Urteil vom 7. März 1989 - 102 Js 33504/88 - 9 KLs -;
Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge;
Freiheitsstrafe von 8 Jahren; der Kläger hatte nach den Feststellungen des Strafgerichts
im August/September 1988 mit über 3,2 kg Heroin Handel getrieben.
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Daraufhin wies der für den seinerzeitigen Haft-ort des Klägers zuständige Beklagte
diesen nach entsprechender Anhörung mit Ordnungsverfügung vom 6. April 1990 unter
Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm seine
Abschiebung in die Türkei für den Fall an, daß er nicht innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe der Ordnungsverfügung ausreise.
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Hiergegen erhob der Kläger mit an das Verwaltungsgericht K. gerichtetem Schreiben
vom 21. April 1990 "Einspruch" und stellte zugleich "Antrag auf gerichtliche
Entscheidung". Das Verwaltungsgericht wertete das Schreiben als Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - 12 L 679/90 -; eine Ablichtung des Schreibens
leitete es dem Beklagten zu, wo es am 2. Mai 1990 einging. Im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens verpflichtete sich der Beklagte vergleichsweise, von
Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund der Ordnungsverfügung bis zur Entscheidung im
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Widerspruchsverfahren abzusehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 1994 wies die Bezirksregierung K. den
Widerspruch zurück. In der Begründung heißt es: Der Kläger habe die Voraussetzungen
des § 47 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG erfüllt. Als Asylberechtigter genieße er allerdings
den besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG. Die hiernach für
eine Ausweisung vorausgesetzten schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung lägen jedoch im Hinblick auf die erhebliche Rauschgiftkriminalität des
Klägers und die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr vor. Der besondere
Ausweisungsschutz bewirke zudem gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG eine Herabstufung
der Ist-Ausweisung zur Regel- Ausweisung. Gründe, die ausnahmsweise ein Absehen
von der Ausweisung rechtfertigen würden, seien nicht gegeben. Der Kläger genieße
keinen Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG. Diese Vorschrift finde nämlich
gemäß § 51 Abs. 3 AuslG keine Anwendung. Denn der Kläger bedeute aus
schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil er wegen einer
besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden sei.
Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 2 AuslG bestünden nicht, da die Todesstrafe
im Betäubungsmittelstrafrecht der Türkei abgeschafft worden sei. Im übrigen lägen auch
keine Erkenntnisse dafür vor, daß der türkische Staat den Kläger wegen einer Straftat
suche. Soweit es den christlichen Glauben des Klägers betreffe, sei aufgrund des
Lageberichts des Auswärtigen Amtes über die Türkei vom 29. April 1994 davon
auszugehen, daß die christlichen Gemeinden in den Großstädten des Westens der
Türkei frei von Verfolgung wegen ihres Glaubens seien.
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Am 28. September 1994 ist bei dem Verwaltungsgericht eine nicht unterzeichnete
Klageschrift auf dem Briefpapier des Klägervertreters eingegangen. Hierin wurde
vorgetragen: Der Beklagte habe es bislang versäumt, amtliche Auskünfte zur Frage
einer möglichen Doppelbestrafung in der Türkei einzuholen. Ein Mittäter der ersten
Rauschmittelstraftat des Klägers sei in der Türkei zu 34 Jahren Haft verurteilt worden.
Seine Geschwister seien in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt worden und
hätten inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen bekommen.
18
Der Kläger hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 6. April 1990 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung K. vom 30. August 1994 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
22
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Juni 1996, dem Kläger
zugestellt am 17. Juli 1996, abgewiesen.
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Mit seiner am Montag, dem 19. August 1996 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger
sein Begehren weiter. Er trägt vor: Sein Prozeßbevollmächtigter habe am 29. September
1994 ein unterschriebenes Exemplar der Klageschrift per Telefax an das
Verwaltungsgericht übermittelt. Die Textvorlage und der Sendebericht werden zu den
Akten gereicht.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 6.
April 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung K. vom 30.
August 1994 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens 12 L
679/90 VG K. sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Beklagten.
29
Entscheidungsgründe:
30
Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen.
31
Die Klage ist zulässig.
32
Der Senat legt zugunsten des Klägers zugrunde, daß die Klagefrist, § 74 Abs. 1 Satz 1
VwGO, eingehalten worden ist. Zwar ist das bei den Gerichtsakten befindliche, per Post
übersandte Exemplar der Klageschrift nicht unterzeichnet und genügt daher nicht dem
Erfordernis der Schriftlichkeit, § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat jedoch unter
Beifügung der entsprechenden Textvorlage und des Sendeberichts dargelegt, daß sein
Prozeßbevollmächtigter am 29. September 1994 und damit noch fristgerecht per Telefax
ein unterschriebenes Exemplar der Klageschrift an das Verwaltungsgericht abgesandt
hat. Zwar befindet sich dieses nicht bei den Gerichtsakten. Das schließt aber nicht aus,
daß es bei Gericht eingegangen ist. Möglicherweise wurde das Telefax irrig als "weitere
Zweitschrift der Klage" angesehen, deren Übersendung an den Vertreter des
öffentlichen Interesses durch den erstinstanzlichen Vorsitzenden am 29. September
1994 verfügt und am Folgetag ausgeführt worden ist. Für eine dahingehende
Erklärungsmöglichkeit spricht, daß der postalisch eingegangenen Klageschrift
ausweislich des Eingangsstempels ("2-fach") lediglich eine - und damit keine "weitere" -
Zweitschrift der Klage beigefügt war und diese an den Beklagten übermittelt worden ist;
ein Vermerk über die Anfertigung einer Kopie der Klageschrift ist in den Gerichtsakten
nicht enthalten. Da das dem Vertreter des öffentlichen Interesses zugeleitete Exemplar
der Klageschrift dort nicht mehr greifbar ist, ist eine weitere Aufklärung des
Geschehensablaufs nicht möglich. Die hierdurch bedingte Unwägbarkeit darf nicht
zulasten des Klägers gehen, da er erst nach Jahren auf das Problem der möglichen
Verfristung seiner Klage hingewiesen worden ist und diesbezügliche Ermittlungen zu
einem früheren Zeitpunkt größere Aussichten auf Erfolg gehabt hätten.
33
Die Klage ist nicht begründet.
34
Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 6. April 1990 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung K. vom 30. August 1994 ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
35
Die Ausweisung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage in § 47 Abs. 1 Nrn. 1 und 2
36
AuslG in der bei Erlaß des Widerspruchsbescheids gültig gewesenen Fassung des
Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Juli 1994 (BGBl. I S. 1792),
zur Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Zustellung des
Widerspruchsbescheides für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung vgl.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 17. November 1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR
1995, 150 (151).
37
Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn er - Nr. 1 - wegen einer
oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens 5 Jahren oder - Nr. 2 - mehrfach wegen vorsätzlicher Straftaten zu
Freiheitsstrafen von zusammen mindestens 8 Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Kläger, der durch Urteile des Landgerichts Koblenz vom 6. Februar 1981 und 7.
März 1989 zu Freiheitsstrafen von 7 Jahren und 9 Monaten bzw. 8 Jahren verurteilt
worden ist, erfüllt beide Tatbestände.
38
Als anerkannter Asylberechtigter kann er allerdings gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG nur
aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen
werden. Ein Ausweisungsgrund ist im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG schwerwiegend,
wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung
im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers ein deutliches
Übergewicht hat,
39
BVerwG, Beschluß vom 10. Januar 1995 - 1 B 153.94 -, InfAuslR 1995, 194 (195) =
NVwZ 1995, 1129.
40
Dies ist in spezialpräventiver Hinsicht der Fall, wenn dem Ausweisungsanlaß ein
besonderes Gewicht zukommt, das sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art,
Schwere und Häufigkeit ergibt, und Anhaltspunkte dafür bestehen, daß in Zukunft eine
schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen
des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein
wichtiges Schutzgut ausgeht,
41
BVerwG, Urteil vom 11. Juni 1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247 = InfAuslR 1997, 8 =
NVwZ 1997, 297; Urteil vom 28. Januar 1997 - 1 C 17.94 -, NVwZ 1997, 1119 =
InfAuslR 1997, 296.
42
Diese Voraussetzungen lagen bei Erlaß des Widerspruchsbescheides vor.
43
Das den beiden Verurteilungen des Klägers durch das Landgericht Koblenz
zugrundeliegende Fehlverhalten stellt einen schwerwiegenden Ausweisungsanlaß dar.
Der Kläger hatte mit insgesamt mehr als 6 kg Heroin Handel getrieben. Er hat damit in
ganz erheblichem Umfang der Verbreitung einer der gefährlichsten Drogen Vorschub
geleistet, die für den physischen und psychischen Verfall und das qualvolle Siechtum
zahlreicher, insbesondere junger Menschen verantwortlich ist.
44
Im Zeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde bestanden auch ernsthafte
Anhaltspunkte dafür, daß in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung
durch neue Verfehlungen des Klägers ernsthaft drohte und damit von ihm eine
bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausging. Die Beurteilung der Frage,
45
wann neue Verfehlungen durch einen Ausländer ernsthaft drohen, erfordert im Hinblick
auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine an Art und Ausmaß der möglichen
Schäden ausgerichtete Differenzierung. Dies rechtfertigt es, bei der Verurteilung des
Klägers wegen Rauschgifthandels nicht zu hohe Anforderungen an die ernsthaft
drohende Möglichkeit der Begehung weiterer Straftaten durch ihn zu stellen,
vgl. Urteil des Senats vom 6. Dezember 1995 - 17 A 3370/94 - m.w.N. zur
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
46
Insoweit war hier zu berücksichtigen, daß der Kläger zwei Mal mit jeweils sehr großen
Mengen von Heroin Handel getrieben hatte. Indem er sich aus zügellosem Profitstreben
heraus über die evident sozialschädlichen Folgen seines Tuns hinweggesetzt hat, hat
er ein ungewöhnlich hohes Maß an Skrupellosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber der
geltenden Rechtsordnung und grundlegenden Gemeinschaftswerten an den Tag gelegt.
Dabei fällt noch zusätzlich erschwerend ins Gewicht, daß ihn weder die langjährige
Vollstreckung der Strafhaft aus dem ersten Urteil, noch die ihm eingeräumte Chance der
Reststrafaussetzung zur Bewährung, noch die ihm durch das - letztlich ergebnislose -
Ausweisungsverfahren des Oberkreisdirektors des Kreises E. deutlich vor Augen
geführten aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen seines Fehlverhaltens davon hatten
abhalten können, erneut ein Verbrechen im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln zu
begehen. Der Kläger hatte sich somit als unbelehrbarer Wiederholungstäter erwiesen.
Es lag daher auf der Hand, daß eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit bestand, zumal
Art und insbesondere Umfang der in der Vergangenheit begangenen Rauschgiftdelikte
die Annahme nahe legten, daß der Kläger mit der einschlägigen Szene nicht nur am
Rande Kontakt gehabt hatte, sondern fest in ihr verwurzelt war. Denn anders läßt es sich
nicht erklären, daß es dem Kläger im August 1988 ohne weiteres möglich war, durch
bloßen Telefonanruf mehr als 3,2 kg Heroin zu organisieren, dessen Bezahlung erst
nach Weiterveräußerung erfolgen sollte.
47
Die Richtigkeit der der Ausweisung des Klägers zugrundeliegenden negativen
Legalprognose wird bestätigt durch den Inhalt der Stellungnahme des Leiters der
Justizvollzugsanstalt Aachen vom 15. Mai 1995, ausweislich derer beim Kläger eine
tiefergehende, selbstkritische Auseinandersetzung mit den von ihm begangenen
Straftaten nicht erkennbar war. Diese Stellungnahme kann - obwohl erst nach Erlaß des
Widerspruchsbescheides abgegeben - berücksichtigt werden, da ihr Anhaltspunkte für
die Richtigkeit der im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides getroffenen
Einschätzung entnommen werden können,
48
vgl. BVerwG, Beschluß vom 16. November 1992 - 1 B 197.92 -, InfAuslR 1993, 121 =
Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 8.
49
Der dem Kläger zustehende besondere Ausweisungsschutz hat weiterhin zur Folge,
daß die Ist-Ausweisung zur Regel-Ausweisung herabgestuft wird, § 47 Abs. 3 Satz 1
AuslG. Besondere Umstände, aufgrund derer sich der Einzelfall des Klägers als
Ausnahme von der Regel darstellen würde mit der Konsequenz, daß über seine
Ausweisung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden gewesen wäre, lagen
nicht vor. Die Worte "in der Regel" beziehen sich auf Regelfälle, die sich nicht durch
besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Den
Gegensatz bilden Ausnahmefälle. Ausnahmefälle sind durch einen atypischen
Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, daß er jedenfalls das sonst
ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt,
50
BVerwG, Beschluß vom 1. September 1994 - 1 B 90.94 -, InfAuslR 1995, 5 = Buchholz
402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 5.
51
Wann ein solcher atypischer Fall gegeben ist, läßt sich nicht generell festlegen.
Vielmehr erfordert die Prüfung, ob der konkrete Einzelfall dem im Gesetz
zugrundegelegten Regelfall entspricht oder nicht, eine umfassende Gesamtbetrachtung
aller die Persönlichkeit des Ausländers, seine Lebensumstände sowie die von ihm
begangene(n) Straftat(en) kennzeichnenden Umstände,
52
vgl. Urteil des Senats vom 27. September 1995 - 17 A 3099/93 -.
53
Ausgehend von diesen Grundsätzen war eine Ausnahmesituation zugunsten des
Klägers zu verneinen. Weder seinem Werdegang, noch den Begleitumständen der von
ihm begangenen Straftaten oder seinen sonstigen Lebensumständen waren
Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß in seinem Einzelfall eine besondere Lage
gegeben war, die ihn hätte entlasten können oder aufgrund derer die Ausweisung als
unangemessene Härte erschienen wäre.
54
Der Kläger ist bereits kurz nach seiner im Jahre 1978 erfolgten dauerhaften
Übersiedlung in das Bundesgebiet strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er hat
insbesondere Betäubungsmitteldelikte von ganz erheblichem Gewicht begangen. Den
weitaus größten Teil seines Aufenthalts in Deutschland hat er in Gefängnissen
verbracht. Eine soziale Integration hat nicht stattgefunden. Der Kläger ist nicht
verheiratet und hat auch keine Kinder. Der Umstand, daß angeblich mehrere
Geschwister von ihm als Asylberechtigte in Deutschland leben, läßt seine Ausweisung
nicht unangemessen hart erscheinen. Die mit seiner Entfernung aus dem Bundesgebiet
naturgemäß verbundene Erschwerung der geschwisterlichen Kontaktpflege ist ihm im
Hinblick auf das von ihm ausgehende enorm hohe Krimminalitätsrisiko zumutbar.
55
Ein Abweichen von der in § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG normierten Regelrechtsfolge war
auch nicht deshalb veranlaßt, weil für den Kläger die Gefahr einer weiteren
Strafverfolgung in der Türkei bestand,
56
zur potentiellen Berücksichtigungsfähigkeit eines etwaigen Doppelbestrafungsrisikos
als Ausnahme von der Regel vgl. Senatsbeschlüsse vom 3. August 1994 - 17 B 1593/93
- und 4. Juli 1994 - 17 B 719/93 -.
57
Es erscheint bereits fraglich, ob bei Erlaß des Widerspruchsbescheides davon
auszugehen war, daß dem Kläger im Falle seiner Abschiebung oder freiwilligen
Rückkehr in die Türkei dort wegen der von ihm begangenen Rauschmitteldelikte
strafrechtliche Konsequenzen drohten.
58
Zwar war und ist davon auszugehen, daß die Strafurteile des Landgerichts Koblenz vom
6. Februar 1981 und 7. März 1989 den türkischen Behörden entsprechend den
einschlägigen internationalen Abkommen (vgl. Art. 35 des Einheits-Übereinkommens
vom 30. März 1961 über Suchtstoffe und Art. 3 bzw. 22 des Europäischen
Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen) und der auf
ihrer Grundlage geübten allgemeinen Praxis bei Rauschgifttaten von in Deutschland
lebenden türkischen Staatsangehörigen bekanntgegeben worden sind.
59
Zweifelhaft war und ist indes, ob die türkischen Behörden das den genannten Urteilen
zugrundeliegende Verhalten des Klägers zum Anlaß für eine eigene Strafverfolgung
nehmen. Insoweit ist einerseits zu berücksichtigen, daß durch Gesetzesänderung vom
6. Juni 1991, in Kraft getreten am 14. Juni 1991, der die Rauschmitteldelikte betreffende
Art. 403 TStGB aus dem Katalog der Straftaten, für die eine Doppelbestrafung
vorgesehen war, wieder gestrichen worden ist. Da Art. 2 Abs. 2 TStGB vorsieht, daß bei
einer Gesetzesänderung zwischen Tatzeit und Urteilszeit das für den Angeklagten
günstigere Gesetz anzuwenden ist, ist hiernach eine Doppelbestrafung
ausgeschlossen,
60
vgl. Tellenbach, Stellungnahme vom 15. Oktober 1993 gegenüber dem VG Hamburg.
61
Andererseits ist zu beachten, daß gemäß Art. 3 Abs. 1 TStGB derjenige, der in der
Türkei eine Straftat begeht, nach den türkischen Gesetzen bestraft wird. Ist das
Rauschgift, das in Deutschland vertrieben wurde, aus der Türkei ausgeführt worden, so
gilt dies als eine andere, noch nicht vom ausländischen Gericht bestrafte Tat und wird
abgeurteilt,
62
vgl. Tellenbach, a.a.O.
63
Vorliegend kommt in Betracht, daß das dem Urteil des Landgerichts Koblenz vom 7.
März 1989 zugrundeliegende Verhalten des Klägers, soweit es die fernmündliche
Bestellung des Rauschgifts in Istanbul betrifft, von den türkischen Behörden als
Anstiftung zum Export von Heroin gewertet wird. Ob diese Anstiftungshandlung aus
türkischer Sicht als - strafrechtlich irrelevante - Auslandstat oder als - verfolgungsfähige -
Inlandstat gewertet wird, erscheint offen. Insoweit mag zugrundegelegt werden, daß
letzteres der Fall ist. Da die Anstiftung zu einer Straftat grundsätzlich wie die Haupttat
selbst bestraft wird,
64
vgl. Tellenbach, a.a.O.,
65
hätte er dann folgendes Strafmaß zu gewärtigen:
66
Ausgangspunkt ist Art. 403 Abs. 2 TStGB, wonach der Export von Rauschmitteln mit
einer Zuchthausstrafe von 6 bis 12 Jahren bedroht wird. Gemäß Art. 403 Abs. 6 TStGB
wird die zu verhängende Strafe verdoppelt, wenn es sich - wie hier - um Heroin handelt.
Möglicherweise ist mit Rücksicht darauf, daß der Kläger bei der Transaktion mit
weiteren Türken zusammen gewirkt hat, eine weitere Straferhöhung um ein Drittel nach
Maßgabe von Art. 403 Abs. 8 und 11 TStGB zu gewärtigen. Auf der anderer Seite ist zu
berücksichtigen, daß nach Art. 19 des Strafvollzugsgesetzes (Fassung vom 14.
Dezember 1988) die Haftentlassung regelmäßig (außer bei Fluchtversuch) nach der
Hälfte der Strafzeit erfolgt und daß nach dem Zusatzartikel 2 zu dieser Vorschrift von der
verbleibenden zu verbüßenden Hälfte der verhängten Strafe nochmals 6 Tage pro
Monat abgezogen werden. Außerdem wird nach Art. 403 Abs. 4 TStGB in der Fassung
vom 6. Juni 1991 von der Strafe die im Zusammenhang mit dem ausgeführten
Rauschgift im Ausland verhängte und verbüßte Strafe abgezogen,
67
vgl. Tellenbach, a.a.O.; Yenisey, Ausländische Strafmaße im türkischen Strafrecht,
InfAuslR 1994, 9.
68
Der nach alledem dem Kläger ggf. drohende weitere Freiheitsentzug stellt zwar,
69
jedenfalls bei Zugrundelegung der Obergrenze des Strafrahmens, eine gewisse Härte
dar, ist aber angesichts des Gewichts seiner Straftat keine unangemessene Folge. Denn
er hat sich aus hemmungslosem Profitstreben heraus ohne jeden Skrupel und
bedenkenlos über die verheerenden Konsequenzen des Rauschgiftkonsums und der
Rauschgiftabhängigkeit sowie der Folgekriminalität hinweggesetzt. Seine Straftat bezog
sich auf eine außergewöhnlich große Menge einer der gefährlichsten Drogen
schlechthin, die für die Zerstörung des Lebens und der Gesundheit zahlreicher
Menschen verantwortlich ist. All das war ihm bekannt. Wer, wie der Kläger, bereit ist,
sich um des eigenen Vorteils willen über die elementaren Lebens- und
Gesundheitsinteressen seiner Mitmenschen hinwegzusetzen, wird durch einen weiteren
Freiheitsentzug in dem in Betracht kommenden Rahmen nicht unangemessen getroffen.
Eine erneute Bestrafung ist schließlich auch nicht deshalb eine unangemessene Folge
der Ausweisung, weil sie der deutschen Rechtsordnung zuwiderliefe. Art. 103 Abs. 3
GG verbietet lediglich eine mehrmalige Verurteilung des Straftäters durch deutsche
Gerichte. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, vgl. Art. 25 Satz 1 GG, nach der
niemand wegen desselben Lebenssachverhaltes von einem Gericht eines anderen
Staates neuerlich verfolgt und bestraft werden dürfte, existiert nicht,
70
vgl. Beschluß des Senats vom 3. August 1994 - 17 B 1593/93 -; VGH Baden-
Württemberg, Beschluß vom 30. März 1993 - 11 S 529/93 -, VBlBW 1994, 33.
71
Ein Abweichen von der Regelrechtsfolge des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG war auch nicht
in Hinblick auf die Asylberechtigung des Klägers veranlaßt. Im Rahmen der Frage, ob
ein von der Regel abweichender (Ausnahme-)Fall vorliegt, ist - wie dargelegt - eine
Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Das bedeutet, daß bei
Asylberechtigten konkret zu berücksichtigen ist, was im Heimatland an Nachteilen zu
erwarten ist. Nach den bei Erlaß des Widerspruchsbescheids verfügbar gewesenen
Erkenntnissen war davon auszugehen, daß der Kläger in Hinblick auf seine syrisch-
orthodoxe Glaubenszugehörigkeit zwar nicht in seinem Herkunftsgebiet, wohl aber in
den Großstädten der West-Türkei frei von religiös motivierter Verfolgung war,
72
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei (April 1994) vom 29. April 1994.
73
Allfällige Einschränkungen hinsichtlich der Modalitäten der Religionsausübung
(Beschränkung auf Kirchen; Reglementierung des Glockengeläuts u. ä.),
74
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 29. April 1994 gegenüber dem VG
Karlsruhe,
75
waren dem Kläger zumutbar.
76
Es bestand auch kein Anlaß zu der Annahme, daß er in den Großstädten der West-
Türkei sein Existenzminimum nicht hätte sicherstellen könne. Zwar stellte dies für
zugewanderte Christen aus dem Südosten der Türkei dann ein Problem dar, wenn sie
mangels beruflicher Qualifikation und sprachlicher Kompetenz keine Arbeit fanden,
77
vgl. die vorgenannten Erkenntnisse sowie amnesty international: Türkei (Christen aus
dem Tur Abdin), Stand: 3 Mai 1994.
78
Derartige Befürchtungen hat der Kläger aber nicht geäußert. Außerdem war davon
79
auszugehen, daß er sich im Bedarfsfall durch seine in Deutschland lebenden
Geschwister finanziell unterstützen lassen konnte.
Die Ausweisung des Klägers steht auch im Einklang mit inter- und supranationalem
Recht. Soweit es ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 ENA und Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 betrifft,
wird auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Familienleben liegt
schon in tatbestandlicher Hinsicht nicht vor.
80
Die Abschiebungsandrohung ist jedenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre
Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 1 AuslG in der bei Erlaß des Widerspruchsbescheides
geltenden Fassung vom 26. Juni 1992, BGBl. I S. 1126. Nach dieser Vorschrift soll die
Abschiebung schriftlich unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden (Satz
1); in den Fällen des § 51 Abs. 1 AuslG kann von der Abschiebungsandrohung und
einer angemessenen Ausreisefrist nicht abgesehen werden (§ 51 Abs. 4 Satz 1 AuslG).
Die Abschiebungsandrohung soll mit dem Verwaltungsakt verbunden werden, durch
den der Ausländer nach § 42 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, § 50 Abs. 1 Satz 2 AuslG.
Die Abschiebungsandrohung setzt ebenso wie die Abschiebung, § 49 Abs. 1 AuslG,
Bestand und Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht voraus.
81
Die Abschiebungsandrohung genügt diesen Anforderungen. Der Kläger ist gemäß § 42
Abs. 1 AuslG ausreisepflichtig, da er die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht
besitzt. Die Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht ergibt sich aus § 42 Abs. 2 Satz 2 Alt.
2 AuslG, da die Ausweisung vollziehbar ist. Die gesetzte Ausreisefrist von einem Monat
ist nicht zu beanstanden.
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Die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung ergibt sich nicht aus einem Verstoß
gegen das Abschiebungshindernis (Abschiebungsverbot) des § 51 Abs. 1 AuslG.
Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein
Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen
Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen des Abs. 1 liegen unter anderem bei
Asylberechtigten vor, § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG. Der Kläger ist asylberechtigt.
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Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG steht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen und
Duldungsgründen nach den §§ 51 und 53 bis 55 dem Erlaß der
Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Das bedeutet allerdings nicht, daß das
Vorliegen von Abschiebungshindernissen generell für die Rechtmäßigkeit der
Abschiebungsandrohung ohne Belang wäre. Nach § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG ist in der
Androhung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nach den §§ 51 und 53 Abs.
1 bis 4 nicht abgeschoben werden darf. Nach Satz 3 der Vorschrift bleibt die
Rechtmäßigkeit der Androhung im übrigen unberührt, wenn das Verwaltungsgericht das
Vorliegen eines Abschiebungshindernisses feststellt. Das bedeutet, daß die
Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig ist, als in ihr der Staat, in den wegen
Vorliegens von Abschiebungshindernissen nicht abgeschoben werden darf, nicht
genannt ist. "Unberührt" bleibt die Androhung lediglich in bezug auf einen anderen
Staat, in den der Ausländer einreisen darf oder der ihn übernehmen muß, sofern die
Abschiebungsandrohung einen diesbezüglichen, in § 50 Abs. 2 AuslG vorgesehenen
Hinweis enthält. Hieraus folgt zugleich, daß die Androhung der Abschiebung
ausschließlich in den Staat, in Bezug auf den Abschiebungshindernisse vorliegen,
rechtswidrig ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249 = InfAuslR
1997, 193 = NVwZ 1997, 685.
85
Für Asylberechtigte ergibt sich das überdies aus § 51 Abs. 4 Satz 2 AuslG. Nach dieser
Vorschrift sind in den Fällen des § 51 Abs. 1 AuslG in der Abschiebungsandrohung die
Staaten zu bezeichnen, in die der Asylberechtigte abgeschoben werden darf. Auch ein
Verstoß gegen diese Bestimmung würde zur Rechtswidrigkeit der
Abschiebungsandrohung ausschließlich in den Verfolgerstaat führen. Dem Kläger ist
die Abschiebung ausschließlich in die Türkei angedroht worden. Das ist jedoch nicht zu
beanstanden, weil das Abschiebungshindernis des § 51 Abs. 1 AuslG nicht greift.
86
Nach § 51 Abs. 3 AuslG findet Abs. 1 der Vorschrift keine Anwendung, wenn der
Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit
bedeutet, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt
worden ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind eng
auszulegen. Die Abschiebung in den Verfolgerstaat trifft den Flüchtlingsstatus in seinem
Kern und kommt deswegen immer nur als ultima ratio in Betracht. Sie ist gerechtfertigt
und geboten, wenn dem Schutz der Grundrechte anderer oder sonstigen mit
Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerten Vorrang gegenüber dem
Asylrechtsschutz für politisch Verfolgte zukommt. Ob das der Fall ist, läßt sich nur in
Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles bestimmen, wobei zu beachten ist,
daß das Rechtsgut, das aufgrund dieser Würdigung weichen muß, nur soweit
zurückgedrängt werden darf, wie es zwingend erscheint.
87
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1975 - 1 C 46.69 -, BVerwGE 49, 202 (zu § 14 Abs.
1 Satz 2 AuslG 1965); Urteil des Senats vom 24. Mai 1995 - 17 A 4128/93 -.
88
Der Kläger stellt in Anwendung dieses strengen Maßstabes eine Gefahr für die
Allgemeinheit dar, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig
verurteilt worden ist.
89
Die Bewertung einer Straftat als besonders schwer richtet sich nicht nur nach dem
Strafmaß, sondern ganz wesentlich nach den Tatmodalitäten. Eine Eingrenzung
besonders schwerer Straftaten auf Kapitaldelikte, gemeingefährliche Delikte oder
Straftaten, die der Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG unterfallen, ist nicht
gerechtfertigt. Auch sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG insoweit nicht
notwendig schon zu bejahen, wenn diejenigen des § 48 Abs. 1 AuslG für eine
Ausweisung des Asylberechtigten vorliegen. Denn die Eingriffsintensität der
Abschiebung geht über diejenige der Ausweisung hinaus.
90
Den wiederholten Verurteilungen des Klägers wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln liegen zweifellos besonders schwere Straftaten zugrunde. Ihre
besondere Schwere und Verwerflichkeit ergeben sich aus der außerordentlichen
Gefährlichkeit des gehandelten Rauschgifts (Heroin) und den ungewöhnlich großen
Mengen (3 bzw. 3,2 kg). Die vom Kläger begangenen Straftaten stellen jeweils für sich
schwere Angriffe auf die Volksgesundheit dar.
91
Der Kläger bedeutet wegen der rechtskräftigen Verurteilung auch eine Gefahr für die
Allgemeinheit. Mit diesem Tatbestandsmerkmal wird gefordert, daß zu der
92
rechtskräftigen Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat eine
Wiederholungsgefahr hinzukommt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1975 - 1 C 46.69 - a.a.O.; Beschluß vom 20. Oktober
1994 - 1 B 84.94 -, Buchholz, 402.240, § 51 AuslG 1990 Nr. 7.
93
Diese muß sich, wie sich aus der Formulierung des letzten Halbsatzes des § 51 Abs. 3
AuslG ergibt, aus der abgeurteilten besonders schweren Straftat ergeben und sich auf
eine weitere besonders schwere Straftat beziehen. Das bedeutet freilich nicht, daß ein
Wiederholung gerade der abgeurteilten Tat zu besorgen sein muß. § 51 Abs. 3 AuslG
besagt, daß der Schutz des Asylberechtigten vor Abschiebung in den Verfolgerstaat
seine Grenze (nur) dort findet, wo Grundrechte und Lebensinteressen anderer vorrangig
diesen Schutz verdienen und fordern. Entscheidend für die Wiederholungsgefahr ist
deswegen, ob die abgeurteilte besonders schwere Straftat Aspekte aufweist,
deretwegen auch künftig mit Verletzung elementarer Lebensinteressen Dritter durch
besonders schwerwiegende Straftaten des Asylberechtigten zu rechnen ist. Als
Maßstab für die Wiederholungswahrscheinlichkeit - nicht für das Gewicht der drohenden
Gefahr - ist wegen des Ausnahmecharakters des § 51 Abs. 3 AuslG der auch bei
Ausweisung von Asylberechtigten geltende Maßstab anzulegen. Erneute besonders
schwere Straftaten müssen ernsthaft drohen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 - 1 C 46.86 -, BVerwGE 81, 155 (zur
Ausweisung).
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Dies ist hier der Fall, wie bereits im Zusammenhang mit der Beurteilung der
Ausweisung dargelegt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gründe für eine Zulassung der
Revision liegen nicht vor.
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