Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.04.1998

OVG NRW (bundesrepublik deutschland, stellungnahme, syrien, 1995, verfolgung, verhältnis zu, braunschweig, politische verfolgung, staatliche verfolgung, staat)

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 6597/95.A
Datum:
21.04.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 A 6597/95.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 1 K 5527/93.A
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden, je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die 1980 bzw. 1978 geborenen Klägerinnen sind Schwestern; sie besitzen die syrische
Staatsangehörigkeit und sind kurdischer Volkszugehörigkeit sowie yezidischen
Glaubens.
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Im Oktober 1992 reisten sie in das Bundesgebiet ein und beantragten unter dem 20. Juli
1993 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung trugen sie im wesentlichen
folgendes vor: Sie hätten in dem Dorf Tolko gelebt, dem die Regierung einen
arabischen Namen „Mahada Rijle" gegeben hätte. Dort betreibe ihr Vater, der in Syrien
geblieben sei, eine Landwirtschaft auf eigenem Grund und Boden. Ihr Vater sei in der
Vergangenheit zweimal wegen seines Engagements für die Kurden verhaftet worden,
gleichwohl sei er wegen der Landwirtschaft in Syrien geblieben. Wenn sie dort
gearbeitet hätten, seien die Moslems gekommen und hätten gesagt, daß ihnen, der
Familie der Klägerinnen, dieses Land nicht gehöre und sie verschwinden sollten. In der
arabischen Schule, die sie in dem Dorf Kharbat Elias besucht hätten, sei die Lehrerin
Araberin und gegen die Kurden, insbesondere gegen die Yeziden gewesen. Die Schule
sei islamisch gewesen, sie, die Klägerinnen, hätten jedoch den Koran nicht lesen
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wollen. In der Schule seien sie wegen ihres yezidischen Glaubens von den
moslemischen Mitschülern als Teufelsanbeter beschimpft und von diesen wie auch von
den Lehrern geschlagen worden, so daß die Klagerin zu 2. die Schule schließlich
verlassen habe. Die Klägerin zu 1., die die Schule 6 Jahre lang besucht habe, sei, als
sie von den Moslems geschlagen worden sei, zu der Lehrerin gegangen. Die Lehrerin
sei jedoch gekommen und habe nicht die Moslems bestraft, sondern sie geschlagen.
Einmal hätten sie am Newroz-Fest teilgenommen. Daraufhin sei die Klägerin zu 1. in der
Schule geschlagen und für eine Woche vom Schulunterricht ausgeschlossen worden.
Schließlich hätten sie befürchten müssen, von den Moslems entführt zu werden. Eine
Freundin der Klägerin zu 2., die ebenfalls Yezidin gewesen sei, sei von den Moslems
entführt worden. Wäre sie, die Klägerin zu 2., alleine nach draußen gegangen, wäre sie
auch entführt worden.
Mit Bescheid vom 23. November 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) den Asylantrag ab. Zugleich
stellte es fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen, und drohte den Klägerinnen
die Abschiebung nach Syrien an.
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Hiergegen haben die Klägerinnen rechtzeitig Klage erhoben, zu deren Begründung sie
im wesentlichen folgendes geltend gemacht haben: Ihr Dorf, in dem sie bis zu ihrer
Ausreise gelebt hätten, sei etwa 10 km von Hassake entfernt gewesen. In ihrem Dorf
hätten etwa 100 bis 140 yezidische Familien gelebt; heute (Oktober 1995) lebten dort
noch etwa 50 Familien, es könnten aber auch weniger sein. Früher hätten mehrere
Scheichs im Dorf gelebt, heute lebe dort nur noch 1 Scheich, die meisten seien nach
Deutschland gekommen. In ihrer Familie seien sie insgesamt 8 Geschwister, von denen
5 in Deutschland lebten; die drei Jüngsten seien bei ihren Eltern in Syrien. Der
Landbesitz umfasse ca. 50 Dönum Ackerland, ungefähr 5 ha. Ihr Vater könne die Felder
wegen seines Alters nicht mehr selbst bestellen, sondern lasse dies durch andere tun. In
Syrien hätten sie große Schwierigkeiten gehabt, weil sie am islamischen
Religionsunterricht nicht hätten teilnehmen und auch keine Kopftücher hätten tragen
wollen. Sie seien deshalb geschlagen und beschimpft worden. Ihr Vater habe
erhebliche Probleme gehabt, weil er in seinem Geschäft Flugblätter verteilt habe.
Deshalb sei auch ihr Haus durchsucht worden. Wenn nach ihrem Vater gefragt worden
sei und sie erklärt hätten, sie wüßten nicht, wo er sei, seien sie geschlagen worden. Ihr
Bruder sei wegen seiner Aktivitäten für die kurdische Sache einmal für einen Monat
inhaftiert worden; er habe versucht, nach Damaskus auszuweichen, aber auch dort habe
man ihn nicht in Ruhe gelassen. Als Mädchen hätten sie große Angst vor den Arabern
gehabt, weil diese versuchten, yezidische Mädchen zu entführen. Auch ein Mädchen
aus ihrem Dorf sei entführt worden; in der Umgebung seien mehrere Mädchen entführt
worden. Da die Regierung aus Arabern bestehe, sei staatliche Hilfe nicht zu bekommen.
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Die Klägerinnen haben beantragt,
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die Entscheidung des Bundesamtes vom 23. November 1993 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen, und festzustellen, daß
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse gemäß §
53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und
zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, daß die Klägerinnen wegen ihrer
Zugehörigkeit zur yezidischen Glaubensgemeinschaft keine dem syrischen Staat
zurechenbare Gruppenverfolgung zu befürchten hätten. Allein die Furcht, daß Moslems
yezidische Mädchen entführten, stelle keine asylrelevante Verfolgung dar, die dem Staat
zuzurechnen sei. Schließlich gebe es keine Anhaltspunkte, daß das religiöse
Existenzminimum der Klägerinnen verletzt sei. Ein religiöses Überleben der Yeziden in
Syrien sei möglich. Gerade im Bereich um Hassake, aus dem die Klägerinnen kämen,
seien noch wehrfähige yezidische Dörfer vorhanden.
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Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer zugelassenen Berufung. Zur
Begründung tragen sie im wesentlichen folgendes vor: Wegen ihrer Zugehörigkeit zur
Religionsgemeinschaft der Yeziden hätten sie im Falle ihrer Rückkehr politische
Verfolgung zu befürchten, da Yeziden jedenfalls im Nordosten Syriens einer mittelbaren
Gruppenverfolgung durch ihre kurdisch-moslemischen bzw. arabisch-moslemischen
Nachbarn ausgesetzt seien. Die Anzahl der in Syrien verbliebenen yezidischen
Familien sei inzwischen so gering und verringere sich durch die fortgesetzte
Abwanderungsbewegung weiter, so daß die Vielzahl der im einzelnen geschilderten
und unter Beweis gestellten schwerwiegenden Übergriffe, vor denen sie durch den
syrischen Staat grundsätzlich nicht geschützt würden, die aktuelle Betroffenheit jedes
Mitglieds der Religionsgemeinschaft der Yeziden begründe. Die Situation sei sowohl
hinsichtlich der Bevölkerungszahl als auch der Massierung der Verfolgungsschläge mit
den Lebensverhältnissen der syrisch- orthodoxen Christen in der Türkei (Tur Abdin) zu
vergleichen; auch die Randbedingungen entsprächen sich: hier wie dort werde Druck
auf die Minderheit der Kurden ausgeübt und würden diese diskriminiert, so daß die
Yeziden als Minderheit innerhalb der kurdischen Minderheit diesen Druck doppelt zu
spüren bekämen und praktisch vogelfrei seien. Zudem sei das religiöse
Existenzminimum bereits jetzt nicht mehr gewährleistet, da aufgrund der Abwanderung
der Scheich- und Pir-Familien die erforderliche religiöse Betreuung nicht mehr erfolgen
könne. Eine inländische Fluchtalternative in anderen Teilen Syriens, insbesondere im
Nordwesten im Gebiet um Aleppo und im Afrin- Gebiet, bestehe nicht.
11
Die Klägerinnen beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
13
Die Beklagte und der Beteiligte beantragen,
14
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, daß die für die Annahme einer mittelbaren
Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte nicht gegeben sei.
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Der Beteiligte, nimmt in der Sache wie folgt Stellung: Eine mittelbare Gruppenverfolgung
der Yeziden im Nordwesten Syriens scheide angesichts fehlender Referenzfälle von
vornherein aus. Aber auch für das Siedlungsgebiet der Yeziden im Nordosten Syriens
könne nicht von einer regionalen Gruppenverfolgung ausgegangen werden. Dem
widersprächen schon die völlig unterschiedlichen Siedlungsverhältnisse in den
einzelnen Dörfern; so müsse zwischen Dörfern mit einer überwiegend yezidischen
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Bevölkerung und Dörfern unterschieden werden, in denen die yezidische Bevölkerung
in der Minderzahl sei. Abgesehen davon sei die belegte Zahl von Übergriffen so gering,
daß nach der erforderlichen Relationsbetrachtung nicht davon ausgegangen werden
könne, daß jeder Yezide von den Verfolgungsschlägen aktuell betroffen sei. Zwar hätten
die Klägerinnen weitere zahlreiche Referenzfälle dargelegt, jedoch müsse insoweit
berücksichtigt werden, daß hierzu teilweise auf Schilderungen von Asylbewerbern
zurückgegriffen worden sei, die vom Bundesamt wegen der Unglaubhaftigkeit ihrer
Aussagen nicht anerkannt worden seien. Der syrische Staat sei kein Staat, der
Minderheiten unterdrücke; vielmehr praktiziere er ihnen gegenüber nach den
Auskünften und Lageberichten des Auswärtigen Amtes eine Politik der "langen Leine".
Das religiöse Existenzminimum sei gewahrt, da noch genügend Scheichs und Pirs
vorhanden seien. Die yezidische Religion lasse eine Betreuung der Yeziden eines
Dorfes durch den Scheich eines Nachbardorfes zu. Eine inländische Fluchtalternative
für die Yeziden im Nordosten Syriens sei im Nordwesten gegeben. Trotz der
Assimilation der dortigen Yezidenbevölkerung sei ein Mindestmaß an religiöser
Versorgung gewahrt. In wirtschaftlicher Hinsicht stünden sich dorthin umgesiedelte
Yeziden nicht schlechter als in ihrem angestammten Siedlungsgebiet im Bereich um
Hassake. Schließlich sei die Situation der Yeziden im Nordosten Syriens nicht mit der
der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei (Tur Abdin) bzw. der der Yeziden im
Südosten der Türkei zu vergleichen. Insoweit müsse berücksichtigt werden, daß dort
erst das Hinzutreten weiterer Faktoren, wie die Bürgerkriegssituation und der hieraus
resultierende Druck auf die Kurden, die wiederum diesen Druck auf die Christen und
Yeziden weitergegeben hätten, und das archaische System der Großgrundbesitzer und
Agas zu deren Verfolgung geführt hätten. Diese Rahmenbedingungen seien jedoch im
Falle der syrischen Yeziden nicht gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen
Verwaltungsvorganges der Beklagten und der Erkenntnisse, die in der den Beteiligten
zugestellten Ladung näher bezeichnet und, wie die sonstigen Verfahrensakten, sämtlich
zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
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Entscheidungsgründe:
19
Die zugelassene Berufung ist unbegründet, das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen.
20
Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art
16 a Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG).
21
Hiernach genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Das Asylrecht gewährt danach nur
Schutz vor einer Verfolgung, die dem einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche
Merkmale, wie die politische Überzeugung und die religiöse Grundentscheidung des
Betroffenen, oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, wie
etwa Rasse, Religion, Nationalität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe,
gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden
Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen, so daß der Betroffene gezwungen
war, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Land zu verlassen und im
Ausland Schutz zu suchen.
22
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315
23
(334 f., 342, 344).
Dabei steht der eingetretenen Verfolgung die unmittelbar, d.h. mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit,
24
vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 -, InfAuslR 1994, 201,
25
drohende Gefahr der Verfolgung gleich.
26
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344 f.
27
Die Gefährdung muß sich in diesem Fall soweit verdichtet haben, daß der Betroffene für
seine Person ohne weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen
muß.
28
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 1991 - 9 C 91.90 -, NVwZ 1992, 270 f..
29
Asylrechtlich von Bedeutung ist neben der bereits eingetretenen oder unmittelbar
drohenden politischen Verfolgung des weiteren die sog. „latente Gefährdungslage", in
der dem Ausländer vor seiner Ausreise im Heimatstaat politisch bedingte Übergriffe -
noch - nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohten, nach den gesamten
Umständen jedoch auf absehbare Zeit auch nicht hinreichend sicher auszuschließen
waren, weil Anhaltspunkte vorlagen, die ihren Eintritt als nicht ganz entfernt erscheinen
ließen.
30
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 1991, a.a.O. unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 17.
Januar 1989 - 9 C 65.88 -, BVerwGE 81, 170.
31
Ist das beeinträchtigte Schutzgut die religiöse Grundentscheidung, so liegt eine
asylerhebliche Verfolgung etwa dann vor, wenn die Maßnahmen darauf gerichtet sind,
die Angehörigen einer religiösen Gruppe sei es physisch zu vernichten oder mit
vergleichbar schweren Sanktionen (etwa Austreibung oder Vorenthaltung elementarer
Lebensgrundlagen) zu bedrohen, sei es ihrer religiösen Identität zu berauben, indem
ihnen zum Beispiel unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder persönlicher
Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte ihrer
Glaubensüberzeugung zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen
Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen. Die
Religionsausübung im häuslich- privaten Bereich, wie etwa der häusliche Gottesdienst,
aber auch die Möglichkeit zum Reden über den eigenen Glauben und zum religiösen
Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich, ferner das Gebet und der
Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen
Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf, gehören
unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard zu
dem elementaren Bereich, den der Mensch als „religiöses Existenzminimum" zu seinem
Leben- und Bestehenkönnen als sittliche Person benötigt; sie gehören zu dem
unentziehbaren Kern seiner Privatsphäre („privacy"), gehen aber nicht darüber hinaus.
Es kommt mithin darauf an, ob der Staat sich seiner politischen Ordnungsaufgabe
gemäß auf die Außensphäre, d.h. den Bereich der Öffentlichkeit, beschränkt und nicht in
den internen Bereich der Glaubensgemeinschaft und ihrer Angehörigen übergreift.
32
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerfGE 76, 143;
33
BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 1.95 -, DVBl. 1996, 202; Urteil vom 18.
Februar 1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31.
Bei der archaischen und im wesentlichen von mündlicher Überlieferung geprägten
Religionsform des Yezidentums sind die besonderen Voraussetzungen der
Religionsausübung in den Blick zu nehmen, die nach der allgemein geübten religiösen
Praxis für das religiöse Leben schlechthin unverzichtbar sind. Für die Yeziden kann
insoweit die Aufrechterhaltung einer Familienstruktur im Sinne eines für die Ausübung
der Kulthandlungen notwendigen Gruppenzusammenhalts und, damit einhergehend,
einer Verbindung mit einer Priesterfamilie in Betracht kommen.
34
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 30. Dezem- ber 1991 - 2 BvR 406/91 u.a. -, Inf- AuslR 1992,
219.
35
Politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung.
36
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 6. August 1996 - 9
C 172.95 -; Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 42; Urteil vom 6.
März 1990 - 9 C 14.89 -, BVerwGE 85, 12; Urteil vom 2. August 1983 - 9 C 818.81 -,
BVerwGE 67, 317.
37
Der Tatbestand der politischen Verfolgung ist aber nicht auf die Fälle unmittelbar
staatlicher Verfolgung beschränkt, sondern kommt auch bei Übergriffen Privater in
Betracht. Aufgrund des - wie oben dargelegt - asylrechtlichen Erfordernisses einer
staatlichen Verfolgung fallen jedoch Übergriffe von Privatpersonen nur dann in den
Schutzbereich des Art. 16 a Abs. 1 GG, wenn der Staat für das Tun der Dritten wie für
eigenes Handeln verantwortlich ist.
38
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 335; Beschluß vom 2. Juli 1980 - 1
BvR 147, 181, 182/80 - , BVerfGE 54, 341 (358); BVerwG, Urteil vom 6. März 1990,
a.a.O.; Urteil vom 22. April 1986 - 9 C 318.85 u.a. -, BVerwGE 74, 160; Urteil vom 2.
August 1983, a.a.O..
39
Die hiernach erforderliche Zurechnung privater Verfolgungshandlungen zur staatlichen
Verantwortungssphäre als mittelbar staatliche Verfolgung entfällt von vornherein, wenn
die Schutzgewährung die Kräfte des konkreten Staates übersteigt, die
Schutzgewährung mit anderen Worten jenseits der dem Staat an sich zur Verfügung
stehenden Mittel liegt. Die Zurechnung von Drittverfolgungsmaßnahmen findet ihre
Grundlage also nicht schon im bloßen Anspruch des Staates auf das legitime
Gewaltmonopol, sondern erst in dessen - prinzipieller - Verwirklichung.
40
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 336; BVerwG, Urteile vom 30. Juni
1992 - 9 C 24.91 -, vom 19. Mai 1992 - 9 C 21.91 - und vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -,
BVerwGE 88, 367 = DVBl. 1991, 1089.
41
Aber auch in den Fällen ausreichender staatlicher Machtmittel ist eine Zurechnung
privater Übergriffe nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn in dem zu beurteilenden
Einzelfall effektiver staatlicher Schutz nicht geleistet worden ist, obwohl dies möglich
gewesen wäre. Eine tatenlose Hinnahme von Übergriffen Privater liegt auch dann nicht
schon vor, wenn die Bemühungen des grundsätzlich schutzbereiten Staates zur
Unterbindung asylerheblicher Übergriffe regional und/oder zeitlich mit unterschiedlicher
42
Effektivität greifen. Vielmehr sind die Übergriffe Privater dem Staat als mittelbar
staatliche Verfolgung nur dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen
Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt.
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 336; BVerwG, Beschluß vom 23.
Februar 1996 - 9 B 451.95 -S. 9/10; Urteil vom 6. März 1990, a.a.O.; Urteil vom 23.
Februar 1988 - 9 C 85.87 -, BVerwGE 79, 79; Urteil vom 22. April 1986, a.a.O.; Urteil
vom 18. Februar 1986 - 9 C 104.85 -, BVerwGE 74, 41; Urteil vom 3. Dezember 1985 - 9
C 33.85 -, BVerwGE 72, 269.
43
Das ist dann der Fall, wenn der Staat die ihm kraft seiner Gebietsgewalt effektiv zur
Verfügung stehenden strafrechtlichen, polizeirechtlichen und ordnungsrechtlichen
Machtmittel nicht zum Schutz der Opfer privater Übergriffe einsetzt, weil er die
Verfolgung billigt, fördert oder anregt; ferner, wenn der Staat nicht willens ist oder sich -
trotz vorhandener Gebietsgewalt - nicht in der Lage sieht, die Betroffenen gegen
Übergriffe zu schützen,
44
vgl. BVerfG, Beschluß vom 2. Juli 1980, a.a.O.; Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O.;
Beschluß vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216; BVerwG,
Beschluß vom 23. Februar 1996, a.a.O.; Beschluß vom 24. März 1995 - 9 B 747.94 -,
NVwZ 1996, 85; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
173; Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - , Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163;
Urteil vom 6. März 1990, a.a.O.; Urteil vom 2. August 1983, a.a.O.,
45
und damit die Verfolgung bewußt geschehen läßt, weil er etwa wegen der bestehenden
innenpolitischen Machtstrukturen auf bestimmte gesellschaftliche oder politische
Gruppen Rücksicht nehmen will oder muß.
46
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O.; BVerwG, Beschluß vom 24. März
1995, a.a.O.; Urteil vom 16. August 1993, a.a.O..
47
Eine grundsätzliche Schutzbereitschaft ist hingegen zu bejahen, wenn Polizei- und
Sicherheitsbehörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen
verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind,
vorkommende Fälle von Schutzverweigerung mithin ein von der Regierung nicht
gewolltes und ihr als "Amtswalterexzesse" auch nicht zurechenbares Fehlverhalten der
Handelnden in Einzelfällen sind.
48
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, a.a.O. S. 352; BVerwG, Beschluß vom 23.
Februar 1996, a.a.O.; Beschluß vom 24. März 1995, a.a.O.; Urteil vom 5. Juli 1994,
a.a.O..
49
Allerdings muß staatlicher Schutz auch tatsächlich zu erwarten sein und darüber hinaus
dem Grad der Bedrängnis entsprechen. Staatliche Schutzbereitschaft kann nicht schon
deshalb bejaht werden, weil die zum Handeln verpflichteten Organe etwa erklären, ihren
diesbezüglichen Pflichten genügen zu wollen. Deswegen läßt sich die
Schutzbereitschaft nicht schon mit dem bloßen Hinweis auf bestehendes Verfassungs-
oder Gesetzesrecht des Heimatstaates als gegeben unterstellen. Erforderlich ist
vielmehr, daß die Schutzbereitschaft konkret belegbar ist.
50
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O..
51
Sind nach den vorstehenden Grundsätzen Übergriffe Privater dem Staat zuzurechnen,
ist die des weiteren erforderliche asylrechtliche Gerichtetheit dann gegeben, wenn
entweder die Privaten bei Begehung der Übergriffe „wegen" des
Persönlichkeitsmerkmals handeln oder bei unpolitischem Charakter der von den
Privaten begangenen Übergriffe der Staat „wegen" asylrelevanter
Persönlichkeitsmerkmale der Opfer den gebotenen Schutz versagt.
52
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 24. März 1995, a.a.O., S. 86; Beschluß vom 14. März 1984
- 9 B 412.83 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 20
53
Ergibt sich die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers nicht aus
gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen, so kann sie sich auch aus gegen Dritte
gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen
Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer
nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet.
54
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 1. Juli 1987, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 30. April 1996 - 9 C
170.95 -, DVBl. 1996, 1257; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200
unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O..
55
Die damit angesprochene Gefahr einer Gruppenverfolgung setzt allerdings eine
bestimmte „Verfolgungsdichte" voraus, welche erst die „Regelvermutung" eigener
Verfolgung rechtfertigt. Die für eine Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte
ist nicht ausschließlich bei Pogromen oder diesen vergleichbaren
Massenausschreitungen gegeben. Es reicht vielmehr, daß eine so große Vielzahl von
Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter festgestellt wird, daß es
sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine
Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen im
Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, daß sich daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit ableiten läßt.
56
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O.; BVerwG, Beschluß vom 22. August
1996 - 9 B 355.96 -; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 -, a.a.O.; Urteil vom 20. Juni
1995 - 9 C 294.94 -, InfAuslR 1995, 423; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.;
Urteil vom 19. April 1994 - 9 C 462.93 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 169; Beschluß
vom 24. September 1992 - 9 B 130.92 - Buchholz 402.25 § 1 Nr. 156; Urteil vom 23. Juli
1991, a.a.O.; Urteil vom 30. Oktober 1984, - 9 C 24.84 - BVerwGE 70, 232.
57
Eine vergleichbare quantitative und qualitative Verfolgungsdichte muß auch dann
bestehen, wenn es sich in dem Randgebiet eines Staates - wie hier im Fall der
yezidischen Siedlungsgebiete im Nordosten und Nordwesten Syriens - nicht um
eruptive Ereignisse, sondern um lang andauernde „stille" Differenzen, gegenseitige
Animositäten und Streitigkeiten zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen
Gruppen von Menschen handelt. Ein in einer solchen Gegend bestehendes „feindliches
Klima" einschließlich möglicher Diskriminierungen oder Benachteiligungen der
Bevölkerungsminderheit durch die Bevölkerungsmehrheit oder aber die allmähliche
Assimilation ethnischer oder religiöser Minderheiten als Folge eines langfristigen
58
Anpassungsprozesses ist jedoch nicht automatisch mittelbar staatliche
Gruppenverfolgung und daher für sich genommen noch nicht asylrechtlich relevant.
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. Novem- ber 1989 - 2 BvR 403, 1501/84 -, DVBl. 1990,
201; BVerwG, Beschluß vom 14. November 1991 - 9 B 63.91 -; Urteil vom 15. Mai 1990 -
9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139.
59
Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung
rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen im
Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auch zu der Größe der bedrohten Gruppe
in Beziehung gesetzt werden; ohne Würdigung der Relation zwischen der Zahl und der
Schwere der Verfolgungseingriffe und der Zahl der Gruppenangehörigen läßt sich die
Verfolgungsdichte nicht beurteilen.
60
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 22. Mai 1996, - 9 B 136/96 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 186; Urteil vom 20. Juni 1995, a.a.O.; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O..
61
Die bloße Feststellung „zahlreicher" oder „häufiger" Eingriffe reicht daher nicht aus.
Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von
Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe
vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie - gemessen an der Zahl der
Gruppenmitglieder - nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung
darstellt.
62
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 22. Mai 1996, a.a.O.; Urteil vom 30. April 1996, a.a.O.;
Urteil vom 25. Januar 1995 - 9 C 279.94 -, NVwZ 1996, 82; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C
158.94 -, a.a.O..
63
Bei der Beurteilung der Verfolgungsdichte ist auch der „Verfolgungszeitraum" zu
berücksichtigen.
64
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. November 1996 - 9 B 293.96 -; Urteil vom 15. Mai
1990, a.a.O..
65
Denn wie eng und dicht die Verfolgungsschläge sind, hängt nicht nur von der Größe des
betroffenen Bevölkerungsteils und des Verfolgungsgebiets, sondern auch davon ab, in
welchem Zeitraum sie sich ereignet haben. Eine lediglich statistisch- quantitative
Betrachtung reicht jedoch nicht aus. Vielmehr kommt es ebenso wie bei jeder
Verfolgungsprognose auch hier auf eine qualifizierende, wertende Betrachtungsweise
im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer
Bedeutung an, die die Schwere, Anzahl, Zeit und Häufigkeit der festgestellten einzelnen
Verfolgungsschläge ebenso einbezieht wie die Größe der betroffenen Gruppe.
66
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. Novem- ber 1996 - 9 B 293.96 -, a.a.O.; Urteil vom 5.
November 1991, -9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162; Urteil vom 23. Juli 1991, a.a.O..
67
Daß bei der Sachverhaltsbewertung die - etwa durch eine Pressezensur noch
verstärkten - Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung zu berücksichtigen sind,
versteht sich von selbst.
68
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 22. August 1996, a.a.O..
69
Die Berücksichtigung einer "Dunkelziffer" von Verfolgungsereignissen bei der
Feststellung der Verfolgungsdichte ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen, setzt
jedoch eine nachvollziehbare und überprüfbare Begründung - insbesondere hinsichtlich
ihrer Größenordnung - voraus.
70
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. November 1996 - 9 B 445.96 -; Urteil vom 5. Juli 1994 -
9 C 158.94 -, a.a.O..
71
Für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter i. S. d. Art. 16 a Abs. 1 GG
ist, gelten unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der
Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat
oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Ist der
Asylsuchende wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates
unzumutbar, so ist er gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG asylberechtigt, wenn die
fluchtbegründenden Umstände im Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche
Änderungen fortbestehen. Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat unverfolgt
verlassen, so kann sein Asylantrag nach Art. 16 a Abs. 1 GG nur Erfolg haben, wenn
ihm aufgrund beachtlicher Nachfluchttatbestände,
72
Vgl. hierzu BVerfG, Beschluß vom 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74,
51 ff.; BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258,
73
politische Verfolgung (mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit) droht.
74
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989, a.a.O., und vom 26. November 1986, a.a.O.;
BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991, a.a.O.; Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 72.90 -,
BVerwGE 87, 141; Urteil vom 15. Mai 1990, a.a.O..
75
In Anwendung dieser Grundsätze hat der erkennende Senat nach dem Gesamtergebnis
des Verfahrens nicht die Überzeugung gewinnen können, daß die Klägerinnen im
Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Syrien im Oktober 1992 politisch verfolgt waren oder ihnen
eine solche Verfolgung unter Einbeziehung der „latenten Gefahrenlage" drohte.
76
Wegen ihrer - unstreitigen - Zugehörigkeit zur yezidischen Religionsgemeinschaft waren
sie im Zeitpunkt ihrer Ausreise (Oktober 1992) einer dem syrischen Staat zurechenbaren
mittelbaren Gruppenverfolgung durch ihre moslemisch-kurdischen Volksgenossen bzw.
moslemisch-arabischen Nachbarn nicht ausgesetzt noch drohte ihnen eine derartige
Verfolgung.
77
Dies folgt allerdings nicht bereits aus dem Umstand, daß die feststellbaren Übergriffe
der Moslems dem syrischen Staat nicht zuzurechnen sind.
78
Insoweit schließt sich der erkennende Senat nach Auswertung aller ihm vorliegenden
Erkenntnisse der im einzelnen begründeten Auffassung des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts (im folgenden: Nds. OVG) an,
79
vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997 - 2 L 3670/96 - S. 27 f., Revisionsbeschwerde
des Beteiligten zurückgewiesen durch: BVerwG, Beschluß vom 17. Juni 1997 - 9 B
492.97 -; Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 2 L 4399/93 - S. 17 ff.,
80
Revisionsbeschwerde des Beteiligten zurückgewiesen durch: BVerwG, Beschluß vom
23. Februar 1996, a.a.O.,
wonach der syrische Staat trotz bestehender umfassender Gebietsgewalt in Fällen
moslemischer Übergriffe gegen die yezidische Minderheit grundsätzlich keinen Schutz
gewährt. Dies gilt zum einen für die Vergangenheit, zum anderen ist auf der Grundlage
der bisherigen Erkenntnisse eine Änderung der Haltung des syrischen Staates auch für
die absehbare Zukunft nicht zu erwarten; eine Beweiserhebung zu diesem Thema, wie
sie die Klägerinnen mit dem Beweisantrag zu 1. begehrt haben, ist entbehrlich, weil der
Senat, wie nachfolgend dargelegt wird, schon nach Auswertung aller ihm vorliegenden
Erkenntnisse zu dieser Überzeugung gelangt ist.
81
Nach den nicht in Frage gestellten Feststellungen des Auswärtigen Amtes erstreckt sich
die Kontrolle durch die staatlichen Sicherheitskräfte auf das gesamte syrische
Staatsgebiet. Seit der Machtübernahme der arabisch- sozialistischen Baath-Partei im
März 1963 herrscht in Syrien Notstandsrecht mit einer durchgängigen Kontrolle aller
Lebensbereiche durch Polizei, Armee und mehrere untereinander rivalisierende,
weitgehend unabhängige Geheimdienste, deren Befugnisse praktisch unbeschränkt
sind und die eine offene politische Opposition im öffentlichen Leben unmöglich gemacht
haben.
82
Vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Januar 1998, 21. August 1997, 10. Januar
1994, 14. Februar 1992 und vom 25. November 1991; Gesellschaft für bedrohte Völker,
Stellungnahme vom 29. Oktober 1996 an VG Braunschweig.
83
Es gibt - ebenfalls unbestritten - örtliche Polizeistationen, die auch von kleineren
Ortschaften aus erreichbar und personell ausreichend besetzt sind.
84
Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997, a.a.O., S. 19 und 28.
85
Anhaltspunkte dafür, daß die Ordnungshüter von der Bevölkerung nicht respektiert
würden, ergeben sich aus dem gesamten vorliegenden Material nicht, so daß die
syrische Polizeiverwaltung faktisch über Mittel verfügt, das staatliche Gewaltmonopol
durchzusetzen und Angehörige von Minderheiten, hier die yezidische Minderheit, im
Grundsatz gegen Angriffe von privater Seite zu schützen. Dessenungeachtet wird
staatlicher Schutz auch dann, wenn Yeziden an die Polizei mit der Bitte um
Schutzgewährung herantreten, verweigert.
86
Für das nordwestliche Siedlungsgebiet sind ein konkreter Entführungsfall,
87
vgl. Nabo, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und
4400/93 vor dem Nds. OVG,
88
und zwei "religiös motivierte" Tötungen
89
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig,
90
dokumentiert, wobei noch nicht einmal im Ansatz von Aufklärungsmaßnahmen der
syrischen Polizei oder gar von strafrechtlichen Ahndungen gegenüber den jeweiligen
Tätern berichtet wird.
91
Entsprechendes gilt in besonderem Maß für das nordöstliche Siedlungsgebiet der
Yeziden. So berichtet der Sachverständige Prof. Dr. Dr. Wießner von 2 konkreten Fällen
der Entführung yezidischer Frauen aus der Gegend von Hassake in den Jahren 1991
und 1992, in denen sich Armee und Polizei weigerten einzugreifen.
92
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Protokoll der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den
Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG.
93
Auch das Nds. OVG hat in dem Verfahren 2 L 4399/93 in bezug auf den damaligen
Kläger zu 1. festgestellt, daß ihm jeglicher polizeilicher Schutz versagt worden sei, als er
sich darüber beschwert habe, Moslems hätten Vieh über seine Anpflanzungen
getrieben, und als er wegen der Entführungen yezidischer Mädchen vorstellig geworden
sei.
94
Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 2 L 4399/93 -, S. 18.
95
Von besonderem Gewicht ist insoweit die Aussage des sachverständigen Zeugen Said
Suleyman in der mdl. Verh. vom 5. Februar 1997 im Verfahren 2 L 3670/96 vor dem Nds.
OVG. Der Zeuge konnte bis zu seiner endgültigen Ausreise in die Bundesrepublik
Deutschland aufgrund seiner Funktion als für die Betreuung der Yeziden in ganz Syrien
zuständiger Pesimam, mithin Inhaber eines der höchsten Priesterämter, einen
entsprechenden Überblick über die Entwicklung bis 1992 in den nordöstlichen
Siedlungsgebieten der Yeziden gewinnen und ist daher in besonderer Weise als
sachkundig zu qualifizieren.
96
Danach ist mit dem Zeugen Suleyman für die gesamten nordöstlichen Siedlungsgebiete
von schwerwiegenden Übergriffen in der Form von über 20 gewaltsamen Landnahmen,
3 Tötungen und 7-8 Entführungen yezidischer Frauen auszugehen, in denen der
syrische Staat auch eine nachträgliche Ahndung dieser Übergriffe unterlassen hat;
kennzeichnend hierfür ist etwa die Schilderung des Zeugen Suleyman über die
hinterlistige Tötung eines Yeziden namens Ali, der sich gegen die Landwegnahme
gewehrt hatte, und die Freilassung des bekannten moslemischen Täters nach bereits 2
Monaten durch die syrischen Polizeikräfte.
97
vgl. S. Suleyman, Prot. der mdl. Verh. vom 5. Februar 1997 im Verfahren 2 L 3670/96 vor
dem Nds. OVG; Prot. der mdl. Verh. vom 30. September 1996 im Verfahren 4 A 4279/94
vor dem VG Braunschweig, S. 12,
98
Die hiernach hinreichend konkret dokumentierten und von den Beteiligten nicht in Frage
gestellten Einzelfälle polizeilicher Verweigerungshaltung sind aufgrund ihrer Zahl und
ihrer Beschränkung dem Schwerpunkt nach auf das nordöstliche Siedlungsgebiet der
Yeziden naturgemäß allein nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, daß hierin die
Haltung des syrischen Staates zum Ausdruck gelangt, den Yeziden in ganz Syrien
grundsätzlich keinen Schutz zu gewähren, zumal die von dem Zeugen Suleyman vor
dem Nds. OVG bekundeten einzelnen Vorfälle sich über Zeiträume von 26
(Entführungen: 1967 - 1992) bzw. 33 Jahren (Tötungen: 1960 - 1992) erstreckten.
99
Vgl. S. Suleyman, Prot. der mdl. Verh. vom 5. Februar 1997 im Verfahren 2 L 3670/96
vor dem Nds. OVG, S. 9; Prot. der mdl. Verh. vom 30. September 1996 im Verfahren 4 A
4279/94 vor dem VG Braunschweig, S. 11 und 12.
100
Der erkennende Senat ist jedoch bei seiner Überzeugungsbildung nicht auf diese
Indiztatsachen beschränkt, sondern hat auch die sonstigen tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Asylbewerbers unter Einbeziehung der
Eigenart und des Charakters des syrischen Staates zu berücksichtigen.
101
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 4. Dezember 1995 - 9 B 70.95 -; Urteil vom 17. Mai 1983 -
9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 165 (199).
102
Diese sprechen in ihrer Gesamtheit deutlich für eine grundsätzliche, örtlich nicht
begrenzte Verweigerungshaltung des syrischen Polizeiapparates gegenüber den
Yeziden. Da sich diese Bewertung nach Überzeugung des Senates, wie nachfolgend
dargelegt wird, bereits aus den vorliegenden Erkenntnissen ergibt, kommt es in diesem
Zusammenhang auf die von den Klägerinnen zusätzlich unter Beweis gestellten
Übergriffe und die anschließende Unterlassung von Verfolgungsmaßnahmen durch die
syrische Polizei nicht an, so daß eine Beweiserhebung hierüber entbehrlich ist.
103
Das herrschende Regime einschließlich des seit 1970 regierenden Staatspräsidenten
Hafez al-Assad entstammt einer der in Syrien neben den Drusen, Christen, Assyrern
und Juden ansässigen religiösen Minderheit der Alawiten, einer Sekte schiitischen
Ursprungs, wohingegen die weit überwiegende Mehrheit der syrischen Bevölkerung
sunnitische Moslems sind.
104
Vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Januar 1998 und vom 21. August 1997;
Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30. Mai 1997 an VG Gießen; Deutsches Orient-Institut,
Stellungnahme vom 21. April 1993 an VG Ansbach, S. 13.
105
Mag das Regime auch in der Vergangenheit sämtliche Schaltstellen des syrischen
Staats- und insbesondere des militärischen Machtapparates mit Angehörigen der
alawitischen Minderheit besetzt und damit seine Existenz und seinen umfassenden
Machtanspruch organisatorisch abgesichert haben,
106
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 21. April 1993 an VG Ansbach, S. 3
und 6,
107
begünstigt die strukturelle Labilität aufgrund der fehlenden religiösen Einbindung in die
Bevölkerungsmehrheit - unterhalb der Schwelle der Zulassung offener politischer
Opposition - zum einen eine Rücksichtnahme auf die Interessen der sunnitischen
Moslems; zum anderen liegt es nahe, daß sich das Regime zur Einschränkung etwaiger
Oppositionsbestrebungen der Bevölkerungsmehrheit der Loyalität der anderen
Minderheiten versichert und ihnen dementsprechend einen weiten Freiraum einräumt,
sie an der „langen Leine" hält.
108
Vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Januar 1998 und vom 21. August 1997;
Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 21. April 1993 an VG Ansbach, S. 3.
109
Dieser Freiraum jenseits staatlicher Einflußnahme fördert eine Entwicklung, in der sich
der Staat aus (minderheiten)- internen Streitigkeiten heraushält, um die seit 1976
betriebene behutsame und wohlwollende Minderheitenpolitik nicht durch ansonsten
notwendige Parteinahmen zu gefährden. Die Grenze ist allerdings dann erreicht, wenn
den Konflikten politischer Charakter zukommt und ein Eingreifen zum Zwecke der
110
Aufrechterhaltung des allumfassenden Machtanspruchs der Baath-Partei geboten
erscheint.
Vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 21. April 1993 an VG Ansbach, S. 6
ff..
111
Die durch die vorrangige Ausrichtung des Staatsapparates auf die Unterdrückung der
politischen Opposition und durch die Minderheitenpolitik bedingte potentielle
Zurückhaltung des Staates wird im Falle der Yeziden durch verschiedene, zu ihren
Lasten wirkende Umstände aktualisiert.
112
Zunächst ist in die Bewertung der Umstand einzustellen, daß gewalttätige
Auseinandersetzungen in Syrien üblicher sind, als es sich Europäer vorstellen können.
113
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2
L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG, S. 12.
114
Die Verletzung elementarer Menschenrechte, etwa das Schlagen oder das
Haareausreißen, ist in den Staaten des Vorderen Orients völlig normal und
selbstverständlich,
115
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren
6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover, S. 6,
116
so daß bei unpolitischen Konflikten die Eingriffsschwelle der syrischen Amtswalter von
vornherein höher anzusiedeln ist. Dies gilt angesichts der Zuwanderung von Kurden
während der französischen Mandatszeit (1920-1946) als Wirtschaftskonkurrenten in
einem Landstrich mit kargem Boden und der im Rahmen des "Arab Belt Plans" in der
Zeit bis 1976 durchgeführten Ansiedlung von Arabern durch Evakuierung kurdischer
Dörfer und entschädigungslose Enteignungen der Kurden,
117
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 21. April 1993 an VG Ansbach, S.
4/5; Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG, S. 5,
118
in besonderem Maße für das von den Kurden besiedelte Gebiet in der Provinz Jezirah
um Hassake, aus dem auch die Klägerinnen stammen. Durch die Landnot, die wegen
der Kargheit des Bodens, der mangelnden finanziell-technischen Mittel zur Hebung der
Ertragskraft und des Bevölkerungszuwachses besteht und zu einem wirtschaftlich
motivierten Verdrängungswettbewerb führt,
119
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 20. April 1993 an VG Hannover, S.
10,
120
sind Konflikte zwischen der moslemisch-kurdischen, der yezidisch-kurdischen und der
moslemisch-arabischen Bevölkerung vorprogrammiert.
121
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG, S. 5.
122
In diesen Konflikten, die sich nicht nur auf die nordöstlichen Siedlungsgebiete
beschränken,
123
vgl. etwa die Schilderung bei Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche,
Stellungnahme vom 10. Februar 1997 an VG Braunschweig, S. 4, über einen Yeziden,
der als Eigentümer eines großen Landgutes von seinen moslemischen Nachbarn
krankenhausreif geschlagen wurde mit dem Ziel, ihn von dort zu vertreiben und sich das
Land anzueignen,
124
bleiben die Yeziden auch dann, wenn die Übergriffe den Bereich der bei Streitigkeiten
üblichen Gewalttätigkeiten verlassen, mithin bei Entführungen von yezidischen Frauen,
Landwegnahmen unter Einsatz von Gewalt und bei Tötungen, grundsätzlich ohne
staatlichen Schutz.
125
Dies gilt zunächst für die Fälle der Entführung yezidischer Frauen durch Moslems, in
denen schon die staatliche Rechtsordnung keinen effektiven Schutz gewährt.
126
Wird in einem moslemischen Land eine junge Frau vor ihrer Eheschließung entjungfert,
so führt das weitgehend zum Verlust ihrer Heiratschancen. Unverheiratet zu sein ist
nicht wie in Europa eine akzeptierte Lebensform, vielmehr hängt von der Heirat u.a. die
soziale Existenz ab. Dabei ist der Vergewaltiger bisweilen die einzige realistische
Heiratschance.
127
Vgl. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Stellungnahme
vom 29. November 1993 an Nds. OVG.
128
Geht dementsprechend eine yezidische Frau etwa aus psychischer Not und/oder
sozialem Druck mit ihrem Entführer und Vergewaltiger die Ehe ein, wird die
Strafverfolgung des Täters, so sie nach der Eheschließung von der Frau überhaupt noch
gewollt ist, durch die Straffreiheit bei nachfolgender Eheschließung (Art. 508 Abs. 1 Syr.
StGB) ausgeschlossen.
129
Vgl. Prof. Dr. Dilger, Gutachten vom 4. August 1993 an Nds. OVG.
130
Wenn schon die staatliche Rechtsordnung in Verbindung mit der gesellschaftlich auf die
Heirat ausgerichteten Stellung der Frau den yezidischen Frauen im wesentlichen einen
wirksamen Schutz versagt, kann von den Polizeidienststellen ein Einschreiten gegen
Entführer nicht erwartet werden. Dies gilt um so mehr, als zum einen die Entführung
einer Yezidin durch einen Moslem in Verbindung mit einer anschließenden Ehe zum
Ausschluß der Yezidin aus der Religionsgemeinschaft führt,
131
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 13. Dezember 1993 an OVG NW, S. 2 f.;
Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997 - 2 L 3670/96; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.
Mai 1990 - A 2 S 200/90 -, InfAuslR 1990, 356 m.w.N.,
132
und damit eine Schwächung der verhaßten Religionsgruppe der Yeziden insgesamt
bedeutet,
133
vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10. Mai 1990, a.a.O.,
134
und als zum anderen bei der Entführung einer Yezidin durch Moslems auch der Fall
einer traditionellen Raubehe vorliegen kann, d.h. der "Entführung" geht das
Einverständnis der Frau zur Ehe mit einem Moslem voraus.
135
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG.
136
Nachteilig im Hinblick auf die Gewährung staatlichen Schutzes wirkt sich des weiteren
aus, daß es sich bei den Yeziden schon in der Vergangenheit um eine gemessen an der
Gesamtbevölkerung verschwindend kleine Gruppe gehandelt hat und dieser Umstand
durch die fortgesetzte Abwanderungsbewegung
137
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. Der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2
L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG sowie Stellungnahmen vom 1. September 1996
an VG Braunschweig und vom 17. September 1996 an Nds. OVG,
138
noch verstärkt wird.
139
In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, wie hoch die genaue Zahl der Yeziden in
Syrien tatsächlich (gewesen) ist. Betrachtet man die sich aus den vorliegenden
Erkenntnisquellen ergebende mögliche Bandbreite von ca. 50.000 Yeziden Anfang
1998,
140
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16. Januar 1998,
141
ca. 10.000 bis 15.000 Yeziden im Nordosten Syriens und ca. 12.000 Yeziden im
Nordwesten jeweils Anfang 1997,
142
vgl. S. Suleyman, Prot. der mdl. Verh. vom 5. Februar 1997 im Verfahren 2 L 3670/96 vor
dem Nds. OVG; vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme
vom 10. Februar 1997 an VG Braunschweig,
143
lediglich 5.000 Yeziden im Jahr 1997,
144
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 8. Juli 1997 an VG Gießen,
145
27.000 bis 30.000 Yeziden im Jahr 1996,
146
vgl. Barimou, Prot. der mdl. Verh. vom 8. August 1996 im Verfahren 4 A 4314/94 vor dem
VG Braunschweig (ca. 10.000 - 12.000 Yeziden im Nordwesten und ca. 27.000 bis
30.000 Yeziden insgesamt),
147
mehr als 15.000 Yeziden im Jahr 1994,
148
vgl. ai, Stellungnahmen vom 18. Dezember 1991 an VG Braunschweig und vom 31.
Januar 1994 an VG Ansbach,
149
52.000 bis 53.000 Yeziden im Jahr 1993,
150
vgl. Dr. Ibrahim, Stellungnahme vom 16. November 1993 an VG Hannover,
151
ca. 20.000 Yeziden im Jahr 1993,
152
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren
6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover (5.000 im Afringebiet, 5.000 im Gebiet um
Qamishli und Amouda, 10.000 im Gebiet um Hassake); demgegenüber zum einen Prof.
153
Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399
und 4400/93 vor dem Nds. OVG (für das Jahr 1992 nur 10.000 Yeziden im gesamten
nordöstlichen Siedlungsgebiet) und zum anderen Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997
- 2 L 3670/96 -, S. 21, auf der Grundlage von Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom
17. September 1996 an Nds. OVG (für den Zeitraum Ende 1996/Anfang 1997 noch
10.000 Yeziden im gesamten nordöstlichen Siedlungsgebiet),
und ca. 17.000 bis 19.000 Yeziden im Jahr 1993,
154
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 20. April 1993 an VG Hannover,
155
so wird ungeachtet der zum Teil beträchtlichen Divergenzen deutlich, daß die Yeziden
schon innerhalb der Gruppe der Kurden, die sich ihrerseits je nach dem Zeitpunkt der
Angabe mit einem Anteil zwischen ca. 700.000 und 1.500.000, nach einzelnen Quellen
sogar 2.000.000, an der Gesamtbevölkerung Syriens von ca. 13.400.000 (1992),
156
vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Januar 1998 und vom 21. August 1997;
Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 8. Juli 1997 an VG Gießen, vom 21.
April 1993 an VG Ansbach, vom 20. April 1993 an VG Hannover und vom 25.
September 1992 an VG Ansbach; Gesellschaft für bedrohte Völker, Stellungnahme vom
29. Oktober 1996 an VG Braunschweig,
157
in einer ethnischen Minderheitenposition befinden, seit jeher eine extrem schwache
gesellschaftliche Ausnahmeposition "unter der Berichtsschwelle",
158
vgl. etwa Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 20. April 1993 an VG Hannover,
159
eingenommen haben und diese - durch die Abwanderungsbewegung verstärkt - noch
deutlicher wird. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Syriens gilt dies erst recht. Da
sich diese Bewertung nach Überzeugung des Senats angesichts der trotz der
Divergenzen zahlenmäßig nach oben deutlich beschränkten Bandbreite der möglichen
Bevölkerungszahl bereits auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisquellen ergibt,
kommt es insoweit auf die seitens der Klägerinnen mit dem Beweisantrag zu 2. unter
Beweis gestellte Zahl der in Syrien noch verbliebenen Yeziden (5.000 im Jahr 1998)
nicht an, so daß eine Beweiserhebung hierüber entbehrlich ist.
160
Die aus der geringen Zahl resultierende gesellschaftliche Schwäche der Yeziden wird
durch ihre Religion nicht nur nicht kompensiert, sondern im Gegenteil noch verstärkt,
weil sie die Yeziden innerhalb der zumindest faktisch durch den Islam geprägten
syrischen Gesellschaft in eine auf der untersten gesellschaftlichen Stufe angesiedelte
Außenseiterrolle drängt.
161
Ihr Name kennzeichnet die Yeziden als Anhänger des Kalifen Jazid I, einer in den
Auseinandersetzungen um die Nachfolge des Propheten Mohammed entstandenen
religiösen Gemeinschaft, deren religiöses Bekenntnis sich durch Aufnahme
vorislamischen - zoroastrischen und nestorianischen - Gedankenguts ganz von der
Grundlage des Korans gelöst hat. Zentralfigur religiöser Verehrung ist nicht Gott,
sondern sein im Symbol des Pfaues verkörperter erster Engel Melek Taus, der
luziferische Züge trägt, jedoch nach dem Sündenfall eine Metamorphose zum Guten
durchgemacht hat.
162
Vgl. Darstellung in VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10. Mai 1990, a.a.O., m.w.N..
163
Die Anbetung des Melek Taus, der nach moslemischer Auffassung ein gefallener Engel
und nach dem Willen Gottes eine widernatürliche Macht, ein Satan ist, des weiteren die
in den Augen der Moslems mit der Anbetung des Melek Taus verbundene Leugnung der
Einzigartigkeit Gottes (Allahs) und schließlich das für Außenstehende nur schwer zu
durchschauende Konglomerat der Herkunft dieser zudem im wesentlichen mündlich
tradierten und damit aus der Sicht der Moslems von vornherein gegenüber der eigenen
Buchreligion minderwertigen Religion führen bei durchschnittlichen Moslems, d.h.
neben den übrigen sunnitischen Kurden insbesondere bei den arabischen Moslems,
aus denen sich im wesentlichen die allgemeinen Polizeikräfte rekrutieren,
164
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 21 April 1993 an VG Ansbach; Prof.
Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399
und 4400/93 vor dem Nds. OVG; Nabo, Prot. der mdl. Verh. vom 11. Februar 1993 im
Verfahren 6 A 251/90 vor dem VG Hannover und Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar
1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG,
165
zu der Auffassung, daß die Yeziden an irgend etwas, nur nicht an Gott glauben und als
"Teufelsanbeter" verachtenswerte Ungläubige, d.h. Ketzer, besonders krasser Art sind.
166
vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. November 1989, a.a.O., m.w.N.; Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 16. Januar 1998; Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 2. November 1982
an VG Hannover und vom 10. Januar 1990 an VG Berlin; Deutsches Orient-Institut,
Stellungnahmen vom 21 April 1993 an VG Ansbach, vom 20. April 1993 an VG
Hannover, vom 25. September 1992 an VG Ansbach, vom 8. Juli 1997 an VG Gießen;
ai, Stellungnahmen vom 31. Januar 1994 an VG Ansbach und vom 18. Dezember 1991
an VG Braunschweig; Dr. Ibrahim, Stellungnahme vom 16. November 1993 an VG
Hannover.
167
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß Kalif Jazid, der Stifter der Yezidenreligion,
im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Nachfolge des Propheten
Mohammed als Eroberer von Mekka für orthodoxe sunnitische Moslems das dortige
Heiligtum entweiht hat und für schiitische Moslems, aus denen im übrigen die
regimetragende Alawitensekte hervorgegangen ist, die Schuld am Tode der ersten
Imame und des Erzmärtyrers Ali sowie seiner Söhne Hassan und Hussein trägt.
168
Vgl. Darstellung in VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10. Mai 1990, a.a.O., m.w.N., sowie
OVG NW, Urteil vom 27. Januar 1993 - 25 A 10241/88.
169
Der Yezide ist in den Augen der Moslems ein Ungläubiger, der dem Gesetz des Djihad
unterliegt, was letztlich bedeutet, daß er - sofern er nicht zum Islam übertritt - zu töten ist.
170
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, in: Die kurdischen Yezidi, S. 31 ff., insbes. S. 46; ders., Prot.
der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren 6 A 2701 und 2702/91 vor dem
VG Hannover; OVG NW, Urteil vom 27. Januar 1993, a.a.O..
171
Es liegt auf der Hand, daß eine derartige feindselige religiöse Grundeinstellung der im
wesentlichen arabisch- moslemischen Amtswalter, die in der Regel und gerade in den
von den Kurden und damit auch den Yeziden besiedelten entlegenen
Verwaltungsregionen über weite Handlungsspielräume verfügen,
172
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26. August 1991 an VG Braunschweig,
173
nicht geeignet ist, diese im Falle eines Konflikts zwischen Yeziden und moslemischen
Kurden, mithin Glaubensbrüdern der Amtswalter, zu Maßnahmen zum Schutz der
Yeziden zu veranlassen.
174
Hinzu kommt, daß die Amtswalter vor Ort korrupt sind und ihr Handeln - unterhalb der
Schwelle der Unterdrückung politischer Opposition - danach ausrichten, wer zu ihnen
die besseren Beziehungen hat und ihnen diejenigen "guten Dienste", die sie jeweils
wohlgesonnen stimmen, entgegenbringt.
175
Vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 21 April 1993 an VG Ansbach, vom
20. April 1993 an VG Hannover; Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 22.
Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG.
176
Dies sind innerhalb der Gruppe der Kurden im wesentlichen gerade nicht die
zahlenmäßig schwachen und in den ärmeren Landstrichen siedelnden wirtschaftlich
einflußlosen Yeziden,
177
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG,
178
sondern regelmäßig die kurdischen Moslems, die gegenüber den moslemischen
Amtswaltern nicht nur die Glaubensgemeinschaft für sich in Anspruch nehmen können,
sondern auch zahlenmäßig und wirtschaftlich überlegen, tonangebend sind und die
besseren Beziehungen zu den Amtswaltern haben.
179
Vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 21. April 1993 an VG Ansbach, vom
20. April 1993 an VG Hannover und vom 8. Juli 1997 an VG Gießen.
180
Die sich hieraus ergebende gesellschaftliche Isolation der Yeziden wird durch die
religiös begründete - bei den Yeziden im Nordwesten Syriens allerdings mittlerweile
häufig mißachtete, -
181
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig; Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 13. Dezember
1993 an OVG NW
182
Endogamie, d.h. der ausschließlichen Zulässigkeit von Heiraten innerhalb der gleichen
Kaste, und dem daraus folgenden Verbot von Heiraten zwischen Yeziden und
Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften,
183
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 13. Dezember 1993 an OVG NW; ai,
Gutachten vom 31. Januar 1994 an VG Ansbach,
184
zementiert. Die Heirat innerhalb bestimmter Kasten und damit - angesichts des
Umstandes, daß die maßgeblichen Kasten der Yeziden, die Sheikhs, Pirs, und Muriden,
durch Familien gebildet werden, -
185
vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10. Mai 1990, a.a.O. m.w.N.; Prof. Dr. Dr. Wießner,
Stellungnahmen vom 17. September 1996 an Nds. OVG und vom 1. September 1996 an
186
VG Braunschweig
innerhalb bestimmter Familien ist als "Vetternehe" bei den Kurden insgesamt nicht
unüblich und sozial höchst angesehen; bei sehr kleinen Gruppen, wie den Yeziden,
führt dies allerdings dazu, daß diese sich nicht durch Einheirat starker
Bündnisgenossen versichern können und dadurch in ihrer extremen
Minderheitenposition verharren.
187
Vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 21. April 1993 an VG Ansbach.
188
Schließlich fehlt es den Yeziden auch an einer dorfübergreifenden und alle Yeziden
umfassenden Solidargemeinschaft, die sich gegenüber den Polizeibeamten Gehör
verschaffen könnte. Die Yeziden sind im wesentlichen, wenn sie nicht Mitglieder der
nationalkurdischen Bewegung sind, auf die soziale Gruppe des Dorfes als
Solidargemeinschaft fixiert; zur Solidargemeinschaft gehören in der Regel nur die
Mitglieder der Familie und der Großfamilie,
189
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG,
190
so daß auch aus diesem Grund eine verstärkte Rücksichtnahme des Polizeiapparates
auf ihre Belange nicht zu gewärtigen ist.
191
Ein Eingreifen der syrischen Polizeibeamten zugunsten der zahlenmäßig, wirtschaftlich
und organisatorisch schwachen, zudem als religiöse Ketzer angesehenen Yeziden
wäre, selbst wenn Übergriffe gegen diese Gruppe als spezifisch yezidisches Problem
erkannt und nicht als innere und damit unbedeutende Streitigkeiten unter Kurden
eingestuft würden, weder wirtschaftlich noch unter dem Aspekt der Fortführung der
bisherigen Minderheitenpolitik in irgendeiner Weise politisch von Nutzen,
192
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 8. Juli 1997 an VG Gießen und vom
20. April 1993 an VG Hannover,
193
und bleibt angesichts der Zersplitterung der yezidischen Kräfte auch ohne Folgen, so
daß alles für eine grundsätzlich bestehende Verweigerungshaltung der syrischen
Polizei gegenüber den Yeziden spricht, die sich als übliche, durch das festgefügte
Sicherheitssystem nicht reglementierte Verwaltungspraxis darstellt.
194
Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 1995, a.a.O., S. 25.
195
Dabei mag es in Einzelfällen entweder zufällig, aufgrund der fehlenden religiösen
Eigenbindung des verantwortlichen Polizeibeamten,
196
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG und
Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor
dem Nds. OVG,
197
oder wenn man Glück hat und "an einen Christen oder einen Drusen oder einen
Alawiten gerät",
198
vgl. Nabo, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und
4400/93 vor dem Nds. OVG,
199
auch Durchbrechungen der Verweigerungshaltung geben, selbst wenn solche nicht
dokumentiert sind; soweit es danach vorkommen kann, daß Yeziden Schutz vor
Übergriffen finden, handelt es sich jedoch um bloße Zufälle („Glück"), die das Bestehen
einer generellen und verläßlichen, grundsätzlichen Schutzbereitschaft des syrischen
Staates nicht zu belegen vermögen.
200
Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 22. Februar 1995, a.a.O..
201
Die aus den festgestellten Einzelfällen und den vorstehend zitierten Erkenntnissen nach
der Überzeugung des erkennenden Senats abzuleitende und aus dem dargelegten
Zusammenspiel politischer Zielrichtungen, religiös motivierter Antipathien und
Korruption resultierende grundsätzliche Verweigerungshaltung des syrischen
Polizeiapparats gegenüber den Yeziden wird bestätigt durch die Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 1990 an das VG Berlin, in der es u.a. wörtlich heißt:
202
„Dem Auswärtigen Amt ist jedoch bekannt, daß die yezidischen Kurden
Feindseligkeiten von Seiten der sunnitischen Mehrheit der Kurden ausgesetzt sind,
wogegen die syrischen Sicherheitsorgane oft nicht einschreiten."
203
Dabei wird der verwendete Begriff „oft" schon dadurch relativiert, daß weder in dieser
Auskunft noch in allen anderen Stellungnahmen, Auskünften und Gutachten auch nur
ein Fall dokumentiert ist, in dem die Polizeibehörden bei Übergriffen zu Gunsten der
Yeziden eingeschritten wären. Gerade auf den Nachweis der tatsächlichen
Schutzgewährung kommt es jedoch an.
204
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O..
205
Angesichts der genannten Auskunft ist die „Kehrtwende" des Auswärtigen Amtes in
seiner Auskunft vom 2. Juni 1993 an VG Ansbach, wonach den Yeziden staatlicher
Schutz ebenso wie anderen Bevölkerungsteilen gewährt werde, für den Senat nicht
nachvollziehbar, zumal die angebliche Schutzgewährung nicht durch einen einzigen
Beispielsfall belegt worden ist.
206
Entsprechendes gilt für die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 30. Mai 1997 an VG
Gießen, wonach dem Auswärtigen Amt keine Übergriffe jedweder Art auf yezidische
Religionsangehörige in Syrien bekannt seien. Nachvollziehbare Anhaltspunkte, warum
die 1990 angesprochenen - und im übrigen in der Auskunft vom 2. Juni 1993 nochmals
bestätigten - Feindseligkeiten gegenüber Yeziden und die ebenfalls 1990 ausdrücklich
benannte unterlassene Schutzgewährung durch den syrischen Staat nun nicht mehr
bekannt sein sollen, sind in der Auskunft vom 30. Mai 1997 nicht enthalten.
207
Der weitere Hinweis des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 30. Mai 1997, wonach
in Syrien Polizei, Geheimdienst und sonstige mit der Sicherheit im Lande befaßte
Behörden generell gesetzlich verpflichtet seien, Schutz bei Übergriffen Privater zu
gewähren, führt nicht weiter. Denn maßgebend ist, wie bereits dargelegt, nicht eine
bestehende verfassungs- oder einfachrechtliche Verpflichtung, sondern deren
tatsächliche Erfüllung,
208
vgl. BVerfG, Beschluß vom 23. Januar 1991, a.a.O.,
209
die in bezug auf die Yeziden allerdings weder seitens des Auswärtigen Amtes durch
konkrete Einzelfälle belegt worden ist noch nach Auswertung aller vorliegenden
Erkenntnisquellen seitens des Senates festgestellt werden kann.
210
Entsprechendes gilt für den Hinweis des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 30.
Mai 1997, wonach es in den Sicherheitsbehörden jeweils eine interne Abteilung gebe,
die die Ausübung des Dienstes kontrolliere und als „innere Ordnungsabteilung" auch für
Beschwerden von Betroffenen zuständig sei, sowie für den Hinweis des Auswärtigen
Amtes in der Auskunft vom 4. August 1992 an VG Bremen, wonach die
Zentralverwaltung und hier insbesondere das Innenministerium jederzeit die Möglichkeit
hätten, gegenüber den untersten Ordnungsbehörden Disziplinarmaßnahmen
durchzuführen und Weisungen zu erteilen. Auch insoweit ersetzen die danach -
möglicherweise - vorhandenen organisatorischen und rechtlichen Kontroll- und
Disziplinierungsmöglichkeiten nicht deren tatsächliche Verwirklichung, etwa in der Form
der Anleitung/Weisung und deren Durchsetzung auch gegen den Willen der untersten
Polizeibehörden, zu Gunsten eines effektiven Schutzes der Yeziden gegen Übergriffe
der Moslems; für eine derartige Umsetzung fehlt es jedoch an jedweden konkreten
Erkenntnissen. Dies hat zwischenzeitlich offenbar auch das Auswärtige Amt selbst
festgestellt, wenn es in seinem neuesten Lagebericht vom 16. Januar 1998 am Ende der
Rubrik Verfolgung/Religionsfreiheit/Jesiden ausführt:
211
Sowohl in islamischen als auch christlichen Kreisen kursiert nach wie vor der Vorwurf,
daß die Jesiden "Teufelsanbeter" seien. Auch wenn der straff geführte Einheitsstaat
Syrien keinerlei nicht-staatliche Gewaltausübung toleriert, dürfte er doch weder willens
noch in der Lage sein, aus dem genannten Vorwurf resultierende gesellschaftliche
Benachteiligungen im alltäglichen Leben zu verhindern.
212
Soweit Dr. Ibrahim in seinem Gutachten an das VG Hannover über die Lage der
Yeziden in Syrien vom 16. November 1993 ausführt, daß im Falle von Übergriffen
privater Dritter gegen Yeziden die Täter von den staatlichen Behörden verfolgt und
bestraft würden, weil in Syrien das Gewaltmonopol beim Staat liege und
gesellschaftliche Gewalt, gleich ob sie gegen den Staat oder gegen
Bevölkerungsgruppen gerichtet seien, in keiner Weise geduldet werde, folgt der Senat
dem angesichts der festgestellten Einzelfälle von Schutzverweigerung und des
Fortbestandes der hierfür maßgeblichen politischen, religiösen und gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen nicht. Dem Gutachten liegen zudem offensichtlich keine
tatsächlichen Einzelfälle von Übergriffen gegen Yeziden zugrunde, so daß die die
Schutzgewährung durch den syrischen Staat betreffende Aussage rein theoretischer
Natur ist.
213
Wenn auch danach schon auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse zur
Überzeugung des Senats Übergriffe privater Dritter gegenüber den Yeziden dem
syrischen Staat zuzurechnen sind - was die mit dem Beweisantrag zu 1. begehrte
diesbezügliche Beweiserhebung entbehrlich werden läßt - , steht jedoch bei der zur
Beurteilung der Verfolgungsgefahr gebotenen „qualifizierenden Betrachtungsweise",
214
vgl. BVerwG, Beschluß vom 3. Januar 1996 - 9 B 650.95 -; Urteil vom 5. November
1991, a.a.O.; Urteil vom 23. Juli 1991, a.a.O.,
215
der Annahme einer im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen (Oktober 1992)
bestehenden oder drohenden mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung der Yeziden
216
jedenfalls entgegen, daß die hierfür erforderliche "Verfolgungsdichte" nach
Überzeugung des erkennenden Senats auch unter Berücksichtigung der feststellbaren
bzw. zu unterstellenden „Referenzfälle" nicht gegeben war.
Dies gilt zunächst für das nordwestliche Siedlungsgebiet der Yeziden im Landkreis
Afrin/Aleppo.
217
Dabei kann der Senat offenlassen, ob in bezug auf dieses Siedlungsgebiet von einem
Bevölkerungsstand von ca. 12.000 Yeziden,
218
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig (ca. 12.000); Barimou, Prot. der mdl. Verh. vom 8. August
1996 im Verfahren 4 A 4314/94 vor dem VG Braunschweig (ca. 10.000 - 12.000 im
Nordwesten),
219
oder mit den Klägerinnen auf der Grundlage der Magisterarbeit von Maisel von lediglich
ca. 7.000 Yeziden auszugehen ist.
220
Vgl. Maisel, „Doppelte Minderheit: die syrischen Yaziden im Spannungsfeld von
Ethnizität und Religion", Leipzig, 22. Mai 1997, S. 49.
221
Der hiervon deutlich abweichenden Angabe des Deutschen Orient-Institutes vom 8. Juli
1997,
222
vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 8. Juli 1997 an VG Gießen,
223
wonach es sich lediglich um 5.000 Personen in ganz Syrien handeln soll- aus den
übrigen, bereits genannten Quellen zum Bevölkerungsstand lassen sich von vornherein
keine konkreten Zahlen für das nordwestliche Siedlungsgebiet entnehmen -, folgt der
erkennende Senat allerdings nicht. Abgesehen davon, daß Berechnungsgrundlagen
hierfür nicht angegeben sind und daher diese Zahlenangabe nicht nachzuvollziehen ist,
beruht sie auf Fremdzitaten, wobei eine der zwei zitierten Quellen im Jahr 1987 und die
andere im Jahr 1996 erschienen ist. Trotz der unterschiedlichen, um immerhin rund 9
Jahre auseinanderliegenden Erscheinungszeitpunkte soll danach der
Bevölkerungsstand auf dem genannten niedrigen Niveau stabil geblieben sein; eine
Entwicklung, die in Widerspruch zu der angesichts der Asylanträge u.a. in der
Bundesrepublik Deutschland festzustellenden und durch weitere Quellen bestätigten
Abwanderungsbewegung der Yeziden,
224
vgl. hierzu auch: Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den
Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG, S. 11; ders. Stellungnahme vom 1.
September 1996 an VG Braunschweig; ders. Stellungnahme vom 17. September 1996
an das Nds. OVG; Barimou, Prot. der mdl. Verh. vom 8. August 1996 im Verfahren 4 A
4314/94 vor dem VG Braunschweig, S. 6; Deutsches Orient- Institut, Stellungnahme vom
20. April 1993 an VG Hannover,
225
steht und damit offenkundig fehlerhaft ist.
226
Unterstellt man zugunsten der Klägerinnen die niedrigere Zahl von ca. 7.000 Yeziden
als für das Jahr 1997 zutreffend, muß angesichts der Abwanderungsbewegung für den
Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen (Oktober 1992) von einem Bevölkerungsstand
227
von mehr als 7.000 Yeziden ausgegangen werden. Im Verhältnis zu dieser
Bevölkerungszahl sind ein konkreter Entführungsfall,
vgl. Nabo, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und
4400/93 vor dem Nds. OVG,
228
und zwei - wenig konkretisierte - "religiös motivierte" Tötungen
229
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig,
230
dokumentiert. Diese Übergriffe rechtfertigen schon der Zahl nach im Rahmen der über
eine rein statistische Betrachtung hinausgehenden erforderlichen wertenden
Betrachtung,
231
vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. November 1996 - 9 B 293.96 -; Urteil vom 5. November
1991, a.a.O.; Urteil vom 23. Juli 1991, a.a.O.,
232
nach Auffassung des erkennenden Senats auch unter Berücksichtigung der Intensität
der Übergriffe im Verhältnis zur Gruppengröße nicht einmal ansatzweise die Annahme
einer aktuellen Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds.
233
Hinzu kommt in bezug auf die beiden Tötungen, daß diese sich bereits vor ca. 35
Jahren ereigneten, nachfolgende Gewaltakte dieser Art nicht dokumentiert und auch von
den Klägerinnen nicht geltend gemacht worden sind und damit auch die erforderliche
Einbeziehung des Verfolgungszeitraums in die wertende Betrachtung,
234
vgl. BVerwG, Beschluß vom 29. November 1996 - 9 B 293.96 -; Urteil vom 15. Mai 1990,
a.a.O.;
235
nach Überzeugung des Senats lediglich die Schlußfolgerung zu begründen vermag,
daß es sich hierbei um punktuelle Einzel- ereignisse handelt, die in ihren Auswirkungen
auf die jeweils Betroffenen beschränkt geblieben sind.
236
Landwegnahmen sind zahlenmäßig überhaupt nicht erfaßt; im Gegenteil, die
wirtschaftliche Situation der Yeziden im Raum Aleppo und Afrin ist selbst noch für das
Jahr 1996 als im allgemeinen gut bewertet worden,
237
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig,
238
so daß für dieses Gebiet und für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen (Oktober
1992) ein aktueller wirtschaftlicher Verdrängungskampf wie im Nordosten Syriens mit
seinen für die Yeziden nachteiligen schweren Gewalttätigkeiten nicht angenommen
werden kann. Für ein Nebeneinander von Yeziden und Moslems, das von
schwerwiegenden Gewalttätigkeiten - die üblichen Feindseligkeiten und gewalttätigen
Streitigkeiten werden dadurch nicht ausgeschlossen - weitgehend frei ist, spricht zum
einen, daß offenbar die Integration der Yeziden in die moslemische Gesellschaft dort
fortgeschrittener ist,
239
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren
240
6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover,
was etwa dadurch zum Ausdruck kommt, daß auch Eheschließungen zwischen Yeziden
und Moslems vorkommen,
241
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 13. April 1996 an VG Neustadt a.d.
Weinstraße;
242
zum anderen ist es in den vergangenen 20 Jahren, mithin auch im Zeitpunkt der
Ausreise der Klägerinnen (Oktober 1992), zu Abwanderungen aus den nordöstlichen
Siedlungsgebieten der Yeziden in den Nordwesten gekommen,
243
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig; Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 1. September
1996 an VG Braunschweig,
244
so daß offenbar die Yeziden selbst diese Region als im wesentlichen verfolgungsfrei
angesehen haben.
245
Angesichts dessen sieht sich der erkennende Senat nicht in der Lage, die vorliegenden
Zahlen für den Nordwesten Syriens hochzurechnen oder durch den Ansatz von
Dunkelziffern zu ergänzen.
246
Entsprechendes gilt im Ergebnis auch hinsichtlich der nordöstlichen Siedlungsgebiete
der Yeziden in den Landkreisen Ras ul-Ain, Amuda, Qamisliye und al-Hassake; auch
insoweit ist nach Überzeugung des Senats die für die Annahme einer
Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte im Zeitpunkt der Ausreise der
Klägerinnen (Oktober 1992) nicht gegeben gewesen.
247
Hinsichtlich der für die Relationsbetrachtung notwendigen Zahl der Yeziden in diesem
Gebiet kann der Senat zugunsten der Klägerinnen die von ihnen im Rahmen des
Beweisantrags zu 2. behauptete Anzahl von 5.000 Personen (500 Familien mit
durchschnittlich 10 Personen je Familie) für das Jahr 1998 als zutreffend unterstellen, so
daß auch insoweit eine Beweiserhebung nicht geboten ist. Denn selbst wenn man von
dieser Bevölkerungszahl ausgeht, fehlt es nach Überzeugung des Senats an der
Verfolgungsdichte, so daß es auf die begehrte Beweiserhebung nicht ankommt; auch im
Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes besteht kein Anlaß, der Frage der
Bevölkerungszahl über den Beweisantrag hinaus nachzugehen, da den im übrigen
vorliegenden Erkenntnisquellen, soweit darin überhaupt differenzierte Zahlen zu den
beiden großen Siedlungsgebieten enthalten sind, - abgesehen von der bereits oben als
unglaubhaft bewerteten Angabe des Deutschen Orientinstitutes (5.000 Yeziden
insgesamt) - jedenfalls ein noch geringerer Bevölkerungsstand als von den Klägerinnen
behauptet nicht zu entnehmen ist.
248
Hinsichtlich des weiteren Kriteriums der Relationsbetrachtung, der Verfolgungsschläge,
legt der erkennende Senat zunächst die auch von den Beteiligten im einzelnen nicht
angegriffenen Feststellungen des Nds. OVG in seinem Urteil vom 5. Februar 1997 - 2 L
3670/96 - zugrunde. Die sich hiernach ergebenden Zahlen von über 20 gewaltsamen
(existenzgefährden-den) Landnahmen, 3 Tötungen und 7-9 Entführungen beruhen im
wesentlichen auf der auch dem Senat vorliegenden, in sich im wesentlichen
widerspruchsfreien und glaubhaften Aussage des als Pesimam in besonderer Weise
249
sachverständigen Zeugen Suleyman in der mdl. Verh. vom 5. Juli 1997 im Verfahren 2 L
3670/96 vor dem Nds. OVG. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß dessen
Darstellung der Übergriffe aufgrund seiner Ausreise aus Syrien und seiner
Aufenthaltnahme in der Bundesrepublik Deutschland auf Erkenntnisse aus dem
Zeitraum von 1960 bzw. 1967 bis 1992 beschränkt ist und daher die o.g. Zahlen auch
nur auf diesen Zeitraum bezogen werden können.
Zugunsten der Klägerinnen unterstellt der Senat des weiteren die von den Klägerinnen
in Ergänzung zu den Feststellungen des Nds. OVG geschilderten Landwegnahmen
(ohne staatliche Enteignungen), Tötungen und Entführungen als wegen der
Religionszugehörigkeit erfolgt und insoweit der Schilderung nach zutreffend, als diesen
Schilderungen ein hinreichend konkreter Tatsachenkern zugrundeliegt; dies schließt
auch diejenigen Vorfälle mit ein, in denen zwar das jeweilige Geschehen seinem
äußeren Ablauf nach zumindest grob dargestellt, jedoch eine zeitliche Zuordnung
unterlassen worden ist. Insoweit brauchte diesen von dem Beweisantrag zu 1.
sinngemäß erfaßten Vorgängen im Wege der Beweiserhebung nicht nachgegangen zu
werden.
250
Im übrigen, d.h soweit die Vorfälle lediglich mit „mehrere", „einige" etc. bezeichnet
worden sind, war der Senat in Ermangelung eines hinreichend konkreten
Beweisthemas und des insoweit unzulässigen Beweisantrags zu 1. nicht gehalten, in
die beantragte Beweiserhebung einzutreten. Letzteres gilt entsprechend für die begehrte
Berücksichtigung weiterer Fälle die von anderen Rechtsanwälten/Rechtsanwältinnen
betreut werden; insoweit fehlt es schon im Ansatz an jeglicher Konkretisierung der
einzelnen Vorfälle, die Gegenstand dieser Verfahren sind, und darüberhinaus auch an
einem hierauf bezogenen Beweisantritt, so daß der diesbezügliche Beweisantrag auf
einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausläuft. Auf eine Konkretisierung kann
schon deshalb nicht verzichtet werden, weil, wie die umfangreiche Schilderung der
Klägerinnen deutlich gemacht hat, die mögliche Mehrfachbenennung desselben Vorfalls
von den Bewohnern desselben Dorfes nicht ohne weiteres die Annahme zuläßt, daß mit
weiteren Verfahren auch eine signifikant höhere Zahl von Übergriffen zwingend
verbunden ist. Mangels hinreichend konkreter Fallschilderungen besteht insoweit auch
im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes kein Anlaß, den damit angesprochenen
weiteren Fällen über die Reichweite des zulässigen Beweisantrags hinaus im einzelnen
nachzugehen und anstelle der Klägerinnen die einzelnen Vorfälle erst beweisfähig
aufzubereiten.
251
Nach der den vorstehenden Grundsätzen entsprechenden Auswertung der zum
Beweisantrag zu 1. vorgelegten und im Termin zur mündlichen Verhandlung
größtenteils vorgelesenen gut 130 Einzelfallschilderungen kommt der Senat zu
folgenden Ergebnissen: Für den Zeitraum 1975 bis 1992 einschließlich sind insgesamt
12 Entführungen (einschließlich der Entführungsversuche), für den Zeitraum 1969 bis
1992 sind 11 Tötungen und für den Zeitraum 1979 bis 1992 ist 1 Landwegnahme
konkret bezeichnet und datiert. Für den Zeitraum danach, 1993 bis 1998, sind 15
Entführungen, 7 Tötungen und 2 Landwegnahmen konkret bezeichnet und datiert.
Rechnet man zu den sich hiernach für den Zeitraum bis 1992 ergebenden Übergriffen
die vom Nds. OVG festgestellten Vorfälle hinzu, errechnen sich für den Zeitraum 1967
bis 1992 insgesamt 21 Entführungen und 21 Landwegnahmen und für den Zeitraum
1960 bis 1992 insgesamt 14 Tötungen.
252
Nicht datiert, jedoch vom Geschehensablauf zugunsten der Klägerinnen als noch
253
hinreichend konkret bewertet sind 55 Entführungen, 13 Tötungen und 9
Landwegnahmen. Da diese in Ermangelung einer ausdrücklichen Begrenzung auf den
Zeitraum ab 1993 einschließlich nur auf die bereits genannten Gesamtzeiträume verteilt
werden können, errechnen sich danach für den Zeitraum 1967 bis 1992 45
Entführungen und 7 Landwegnahmen und für den Zeitraum 1960 bis 1992 11 Tötungen.
Für den Zeitraum ab 1993 einschließlich verbleiben 10 Entführungen, 2 Tötungen und 2
Landwegnahmen.
Unter Hinzurechnung der vom Nds. OVG festgestellten und der zugunsten der
Klägerinnen zu unterstellenden datierten Vorfälle ergeben sich für den Zeitraum 1967
bis 1992 insgesamt 66 Entführungen und 28 Landwegnahmen und für den Zeitraum
1960 bis 1992 25 Tötungen; für den Zeitraum ab 1993 einschließlich verbleiben 25
Entführungen, 9 Tötungen und 4 Landwegnahmen.
254
Die Zahl der hiernach bis zur Ausreise der Klägerinnen im Jahr 1992
zugrundezulegenden Übergriffe (1967 bis 1992: insgesamt 66 Entführungen und 28
Landwegnahmen; Zeitraum 1960 bis 1992: 25 Tötungen) ist nach Überzeugung des
erkennenden Senats auch unter Berücksichtigung der Intensität der Verfolgungsschläge
im Verhältnis zu der im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen anzunehmenden Größe
der von den Verfolgungsschlägen betroffenen Gruppe von mehr als 5.000 Yeziden bzw.
mehr als 500 Yezidenfamilien auch dann noch nicht als Beleg für die erforderliche
Massierung von Verfolgungsschlägen hinreichend, wenn man die Übergriffe
zusammenzählt und die Summe von 119 Übergriffen ins Verhältnis zu den mehr als 500
Yezidenfamilien setzt. Die zugrundezulegenden Verfolgungsschläge, die, wie auch das
Nds. OVG in dem genannten Urteil ausgeführt hat,
255
vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997, a.a.O., S. 18,
256
weder hochgerechnet noch durch Ansatz von Dunkelziffern erweitert werden können,
eröffnen damit zur Überzeugung des Senats schon allein der Zahl und ihrem Verhältnis
zur Gesamtbevölkerung der Yeziden nach allenfalls die - ggf. anlaßgeprägte -
Möglichkeit gleichartiger, auch an die Religionszugehörigkeit geknüpfter Taten und
können bei entsprechend glaubhaftem Vorbringen im Einzelfall die Annahme einer
Individualverfolgung begründen,
257
vgl. zur „Einzelverfolgung wegen Gruppenangehörigkeit": BVerfG, Beschluß vom 23.
Januar 1991, a.a.O., S. 234; Beschluß vom 29. November 1996, a.a.O.; Beschluß vom
22. Februar 1996, - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 f.; Urteil vom 20. Juni 1995, a.a.O.;
Urteil vom 5. November 1991, aa.O.; Urteil vom 23. Juli 1991, a.a.O.; Urteil vom 30.
Oktober 1984, a.a.O.,
258
sie sind jedoch nicht geeignet, die aktuelle Gefahr der Betroffenheit jeder
Yezidenfamilie, geschweige denn jedes einzelnen Mitglieds der Yeziden zu belegen.
259
Dabei berücksichtigt der erkennende Senat im Hinblick auf den Aspekt der
Entführungen, daß hiervon nicht nur Yezidinnen, sondern zumindest auch Frauen der
anderen Minderheitsreligionen, etwa Christinnen und Alawitinnen betroffen sind - die
Moslems entführen gerne Frauen anderer Religionsgemeinschaften.
260
Vgl. S. Suleyman, Prot. der mdl. Verh. vom 5. Februar 1997 im Verfahren 2 L 3670/96
vor dem Nds. OVG.
261
Dementsprechend müßte an sich der Kreis der Betroffenen größer gezogen werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Kriterium
für die Bestimmung und Abgrenzung der Gruppe, auf die die Verfolgung zielt und die
darum von der Verfolgung betroffen ist, das tatsächliche Verfolgungsgeschehen. Alle
Personen, gegen die der Verfolger - objektiv gesehen - seine Verfolgung richtet, sind in
die Gruppe einzubeziehen.
262
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 - 9 C 43.96 -; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C
171.95 -, BVerwGE 101, 134.
263
Hiernach müßten, ausgehend von den Opfern der tatsächlichen Verfolgungsschläge,
zumindest alle Frauen der betroffenen Minderheitsreligionen (ggf. altersmäßig begrenzt)
in die Relationsbetrachtung mit einbezogen und die Gesamtzahl der auf diese Frauen
bezogenen Entführungen für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen im Oktober
1992 festgestellt werden; der erkennende Senat sieht hiervon jedoch ab, weil er der
Auffassung ist, daß die Yezidinnen auf der moslemischen „Beliebtheitsskala" jedenfalls
nicht im unteren, zu vernachlässigenden Bereich angesiedelt sind,
264
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren
6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover,
265
und daher die für diese Teilgruppe festgestellten Entführungen in etwa als repräsentativ
gelten dürfen.
266
Zusätzlich zu der schon nicht ausreichenden Anzahl der Verfolgungsschläge ist in die
Bewertung einzustellen, daß die feststellbaren Vorfälle, ohne einen zeitlichen
Schwerpunkt zu bilden, sich über - bei der Feststellung der Verfolgungsdichte ebenfalls
maßgebend zu berücksichtigende - Verfolgungszeiträume von 26 (Entführungen und
Landwegnahmen) bzw. 33 Jahren (Tötungen) erstrecken und damit deutliche zeitliche
Zäsuren zwischen den einzelnen Taten bestehen müssen (Entführungen: weniger als 3
pro Jahr, Landwegnahmen: rd. 1 pro Jahr und Tötungen: weniger als 1 pro Jahr).
267
Im Rahmen einer auf die Entführungen bezogenen Einzelbetrachtung war damit nicht
einmal ein Anteil von 0,6 % aller Familien hiervon im Jahr betroffen. Bei den Tötungen
ergibt sich ein Anteil von 0,2 %, bei den Landwegnahmen ein Anteil von weniger als 0,2
% der jährlich hiervon betroffenen Familien; bezieht man die jeweiligen Übergriffe nicht
auf die Familien sondern auf die Einzelpersonen (mehr als 5.000), so sind die
errechneten Anteile auf ein Zehntel zu reduzieren. Selbst wenn man sämtliche Vorfälle
pro Jahr im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zusammennimmt (5 Übergriffe pro Jahr),
errechnet sich lediglich ein Anteil von 1 %, mithin eine Quote, die 99 von 100 Familien
als von diesen jährlichen Übergriffen gänzlich unberührt ausweist.
268
Diese Relation sowie die für die Gesamtbevölkerung der Yeziden deutlichen zeitlichen
Zäsuren zwischen den einzelnen Vorfällen und der objektiv damit jeweils verbundene
Abschluß einer geschichtlichen Einzelfallentwicklung stehen nach der Wertung des
erkennenden Senats der Annahme eines über die jeweils abgeschlossene, mithin
punktuelle Einzeltat hinauswirkenden, die gesamte Gruppe erfassenden aktuellen
Bedrohungspotentials entgegen. Sind nach dem oben Dargelegten schon die
Verfolgungsschläge ihrer Zahl nach so gering, daß sie die aktuelle Bedrohung jedes
Mitglieds der Yeziden nicht zu begründen vermögen, gilt dies unter zusätzlicher
269
Einbeziehung des weit gestreckten Verfolgungszeitraums erst recht.
Das gegenteilige Ergebnis kann auch nicht durch eine Beschränkung des Blickwinkels
auf "nicht wehrfähige kleine Dörfer des Distrikts Hassake" und einer damit
einhergehenden Reduzierung der betroffenen Zahl der yezidischen Bevölkerung,
270
vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997, a.a.O., S. 22 bis 24,
271
erreicht werden. Abgesehen davon, daß der Begriff der „Wehrfähigkeit" nicht ohne
weiteres erkennen läßt, ob damit im wesentlichen lediglich die Besiedlungsdichte von
Yeziden in dem jeweiligen Ort und deren religiöse Behauptung gemeint oder aber die
für eine erfolgreiche Abwehr moslemischer Übergriffe vorhandene "Kampfstärke"
einschließlich der hierfür erforderliche Bewaffnung gekennzeichnet ist,
272
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG,
273
und der Begriff der „Wehrfähigkeit" deshalb allein nicht zu der Annahme zwingt, daß
diese Orte grundsätzlich frei von Übergriffen auf die yezidische Mehrheitsbevölkerung
sind, läßt sich nach Auffassung des erkennenden Senats auf der Grundlage der
vorliegenden Erkenntnisse schon vom rechtlichen Ansatz her eine derartige
Verkleinerung der betroffenen Gruppe nicht rechtfertigen.
274
Nach der bereits zitierten ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist
das Kriterium für die Bestimmung und Abgrenzung der Gruppe, auf die die Verfolgung
zielt und die darum von der Verfolgung betroffen ist, das tatsächliche
Verfolgungsgeschehen, wobei alle Personen, gegen die der Verfolger - objektiv
gesehen - seine Verfolgung richtet, in die Gruppe einzubeziehen sind.
275
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1997, a.a.O., S. 9; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C
171.95 -, a.a.O..
276
Die für den Nordosten Syriens konkret feststellbaren Verfolgungsschläge gegen
Yeziden sind schon nach der insoweit bedeutsamen Aussage des Pesimam S.
Suleyman in der mdl. Verh. vor dem Niedersächsischen OVG am 5. Februar 1997 im
Verfahren 2 L 3670/96 gerade nicht ausschließlich auf „nicht wehrfähige kleine Dörfer
des Distrikts Hassake" beschränkt; vielmehr hat dieser auf Nachfrage ausdrücklich
bekundet, daß sich seine Angaben über die Entführungen nicht nur auf den Bereich um
die Stadt Al Hassake, sondern auf das Gebiet um die Stadt Al Hassake und von dort
nach Norden bis Ras al Ain und Qamishly bezögen.
277
Vgl. S. Suleyman, Prot. der mdl. Verh. vom 5. Februar 1997 im Verfahren 2 L 3670/96
vor dem Nds. OVG, S. 10.
278
Auch hinsichtlich der weiteren Übergriffe sind die diesbezüglichen Zahlenangaben nicht
auf eine bestimmte Region oder eine bestimmte Art von Dörfern innerhalb des
nordöstlichen Siedlungsgebietes beschränkt worden, so daß die Verfolgungsschläge
auf den gesamten genannten Bereich einschließlich der darin befindlichen wehrfähigen
Dörfer, etwa Berzan/Tell Berzane und Tell Tewil/Tell Taouil,
279
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 1. September 1996 an VG
Braunschweig,
280
zu beziehen sind. Danach ist die gesamte yezidische Bevölkerung dieses Gebiets mit
einer im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen (Oktober 1992) zu unterstellenden Zahl
von mehr als 5.000 bei der Feststellung der Verfolgungsdichte zu berücksichtigen.
281
Insoweit kann auch nicht auf den Fall der syrisch- orthodoxen Christen im Tur-
Abdin/Türkei rekurriert werden; im Gegenteil, der Vergleich der Situation der syrisch-
orthodoxen Christen mit der der Yeziden spricht gerade deutlich gegen die Annahme
einer die Gruppenverfolgung rechtfertigenden Verfolgungsdichte. Bei den syrisch-
orthodoxen Christen war angesichts der seinerzeit von dem Nds. OVG festgestellten
Anzahl von allein 20 bis 30 registrierten Tötungsdelikten einschließlich
Verschleppungen mit unbekanntem Ausgang während eines relativ kurzen Zeitraums
von 2 bis 3 Jahren im Verhältnis zu der Zahl von nur noch etwa 1.000 bis 1.500 syrisch-
orthodoxen Christen die Annahme einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung
durchaus gerechtfertigt.
282
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 1997, a.a.O..
283
Demgegenüber mangelt es bei der Gruppe der Yeziden in für die Feststellung der
Verfolgungsdichte wesentlichen Punkten an gleichartigen Verhältnissen, die eine
Gleichsetzung mit der Gruppenverfolgung der syrisch-orthodoxen Christen rechtfertigen
könnten. Denn sowohl die Zahl der Yeziden von mehr als 5.000 - mithin mehr als das
Dreifache - im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen (Oktober 1992) als auch die bis
mehr als das Zehnfache längeren „Verfolgungszeiträume" von 26 bzw. 33 Jahren sind
signifikant größer als die entsprechenden Verhältnisse bei den syrisch-orthodoxen
Christen.
284
Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 22. Mai 1996, a.a.O.,
bei der äußerst kleinen Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen im Tur-Abdin/Türkei
auch ohne Quantifizierung der Verfolgungsschläge die Annahme einer mittelbar
staatlichen Verfolgung seitens des VGH Bad.- Württ.,
285
Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23. November 1995 - A 12 S 3571/94 - ,
286
für gerechtfertigt erachtet hat, ist dies auf die Situation der Yeziden in Nordostsyrien
schon deshalb nicht übertragbar, weil diese Gruppe - bezogen auf den Zeitpunkt der
Ausreise - mehr als dreimal größer anzusetzen ist und damit nach der Wertung des
erkennenden Senats nicht mehr als hinsichtlich der Quantifizierung von
Verfolgungsschlägen zu privilegierende „kleine Gruppe" angesehen werden kann.
287
Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß ein beachtlicher Teil der yezidischen
Bevölkerung in etwa 30 Dörfern lebt, die kein geschlossenes Siedlungsgebiet bilden,
sondern als lockere Gruppen verstreut in größeren Entfernungen frei zugänglich
zwischen zahlreichen moslemischen Ansiedlungen liegen,
288
vgl. Nds. OVG, Urteil vom 5. Februar 1997, a.a.O., S. 25,
289
und zwischen den yezidischen Ansiedlungsgebieten keine engen Verbindungen und,
wie oben dargelegt, kein tieferes Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl bestehen.
Maßgebend bleibt nach Auffassung des erkennenden Senats auch in einer derartigen
Situation die Gruppe, wie sie durch das tatsächliche Verfolgungsgeschehen bestimmt
290
wird; die Erkenntnisse hinsichtlich der Verfolgungsschläge lassen aber, wie bereits
ausgeführt, mangels diesbezüglicher eindeutiger Zuordnungskriterien eine Eingrenzung
auf bestimmte Regionen oder gar auf bestimmte Orte nicht zu, sondern die
Verfolgungsschläge betreffen ohne weitere Differenzierungen die Yeziden in dem
eingangs genannten gesamten nordöstlichen Siedlungsgebiet.
Gegen eine Gleichsetzung der Situation der Yeziden mit der der syrisch-orthodoxen
Christen im Tur-Abdin/Türkei spricht auch, daß nach den seinerzeitigen Feststellungen
des VGH Bad.- Württ. vor allem die moslemisch kurdische Bevölkerung durch
Schikanen, Drangsalierungen und Verbrechen in Form von Überfällen, Viehdiebstählen,
Erpressungen, Entführungen bis hin zu Morden und Landnahmen starken Druck auf die
syrisch- orthodoxen Christen ausgeübt und die syrisch-orthodoxen Christen aus ihren
angestammten Dörfern vertrieben hat, wobei auch Überfälle und Raub „an der
Tagesordnung" (Hervorhebung durch den Senat) gewesen seien, eine Feststellung, die
- wie bereits ausgeführt - in bezug auf die die Yeziden treffenden gravierenden
Verfolgungsschläge gerade nicht getroffen werden kann.
291
Die hiernach nicht zu treffende Feststellung einer ausreichenden Zahl von
Verfolgungsschlägen, welche eine Gruppenverfolgung der Yeziden bzw. deren Gefahr
ergibt, kann schließlich auch nicht dadurch ersetzt werden, daß, wie der erkenende
Senat oben festgestellt hat, die Yeziden, wie auch die anderen Kurden und die Moslems
in einem Klima allgemeiner gesellschaftstypischer Gewaltanwendung leben, die
aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und des in dem
genannten Siedlungsbereich stattfindenden Verteilungskampfes dort in besonders
nachhaltiger Weise zutage tritt. Entsprechendes gilt für die moralische, religiöse und
gesellschaftliche Verachtung, die den Yeziden entgegenschlägt.
292
Vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1995, a.a.O.
293
Damit wird keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr für jeden Yeziden
aufgezeigt.
294
Gegen die Annahme einer aktuellen Betroffenheit jedes Yeziden spricht im
vorliegenden Fall schließlich auch indiziell der Umstand, daß der Vater der Klägerinnen
als Landbesitzer und damit als ein nach Auffassung des Nds. OVG im Rahmen des dort
herrschenden, wirtschaftlich motivierten Verdrängungskampfes aktuell gefährdetes
Opfer von Landwegnahmen und Gewaltakten in Syrien geblieben ist mit dem
offenkundigen Ziel, seinen Landbesitz bewahren zu wollen - ein Verhalten, das - wie
auch der Verbleib der 3 jüngeren Geschwister der Klägerinnen in Syrien - objektiv und
deutlich eine der Annahme einer aktuellen Gefahr der Betroffenheit jedes Yeziden
entgegenstehende Gefahreneinschätzung erkennen läßt.
295
Unabhängig davon sieht sich der erkennende Senat auch deshalb nicht in der Lage, die
Aktualität der Bedrohung jedes Yeziden in Nordostsyrien anzunehmen, weil sich, was
auch die Klägerinnen nicht in Frage gestellt haben, viele (junge) Yeziden in Syrien zum
politischen Kurdentum bekennen,
296
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG,
297
und sich sowohl den kurdischen Untergrundparteien angeschlossen haben als auch
Mitglieder der Syrischen Kommunistischen Partei oder der regierenden Arabischen
298
Sozialistischen Baath-Partei sind.
Vgl. Dr. Ibrahim, Stellungnahme vom 16. November 1993 an VG Hannover; S.
Suleyman, Prot. der mdl. Verh. vom 30. September 1996 im Verfahren 4 A 4279/94 vor
dem VG Braunschweig.
299
Da in allen diesen Gruppierungen auch moslemische Araber bzw. Kurden tätig und
insoweit Konflikte zwischen den yezidischen Mitgliedern und den anderen
Parteigängern nicht zu verzeichnen sind, drängt sich die Annahme auf, daß
offensichtlich nicht jeder Yezide aktuell befürchten muß, ein Opfer gewalttätiger
Übergriffe moslemischer Kurden bzw. moslemischer Araber zu werden.
300
Dem steht nicht entgegen, daß Yeziden grundsätzlich von der Möglichkeit Gebrauch
machen können, sich im Notfall zum Selbstschutz durch Verstecken und Verbergen der
eigentlichen Religionsinhalte an die Umgebung anzupassen (sog. „taqiye"), soweit
dadurch nicht essentielle Tabus verletzt werden.
301
Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im März 1992, Die
Yeziden, S. 10; zur praktischen Umsetzung: Nabo, Prot. der mdl. Verh. vom 11. Februar
1993 im Verfahren 6 A 251/90 vor dem VG Hannover; Kizilyel, Prot. der mdl. Verh. vom
22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG.
302
Denn in einer vorwiegend moslemisch geprägten Umwelt mit ihren festgelegten rituellen
Fasten- und Gebetszeiten fällt der gläubige Yezide unweigerlich auf, da sein
Anderssein zwangsläufig zutage tritt.
303
Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10. Mai 1990, a.a.O. S. 364.
304
Das gilt angesichts des räumlich beschränkten Siedlungsbereichs der Yeziden
insbesondere dann, wenn sein Geburts- bzw. Herkunftsort bekannt wird.
305
Die Klägerinnen können sich auch nicht auf eine im Zeitpunkt ihrer Ausreise (Oktober
1992) aktuelle oder drohende, unmittelbar staatliche Gruppenverfolgung berufen, so daß
sie auch insoweit nicht als vorverfolgt Ausgereiste zu qualifizieren sind.
306
Aus keiner der zur Verfügung stehenden Quellen läßt sich entnehmen, daß in Syrien im
Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen (Oktober 1992) eine an die schlichte
Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Yeziden anknüpfende asylerhebliche
staatliche Gruppenverfolgung stattgefunden hat oder drohte.
307
Aufgrund der Minderheitenpolitik der „langen Leine" genießen religiöse Minderheiten
einen relativ weiten Freiraum; Vereinigungen religiöser Minderheiten werden geduldet,
soweit sie sich auf die Pflege von Sprache, Kultur und Brauchtum beschränken.
308
Vgl. etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21. August 1997.
309
Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß speziell im Fall der Yeziden etwas anderes gelten
sollte, ist den Erkenntnissen nicht zu entnehmen. Auch die die Lebenssituation der
Yeziden betreffenden Stellungnahmen von ai,
310
vgl. ai, Stellungnahmen vom 18. Dezember 1991 an VG Braunschweig und vom 31.
311
Januar 1994 an VG Ansbach,
weisen Gegenteiliges nicht aus.
312
Andere gutachterliche Äußerungen und Aussagen von als sachverständige Zeugen vor
verschiedenen Gerichten gehörten Yeziden bieten gleichfalls keinen hinreichenden
Grund für die Annahme einer unmittelbar staatlichen Verfolgung. Im Gegenteil, eine
unmittelbar staatliche Verfolgung wird ausdrücklich ausgeschlossen.
313
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren
6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover; ders. Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar
1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG; ders. Stellungnahme
vom 17. September 1996 an das Nds. OVG; Nabo, Prot. der mdl. Verh. vom 9.
Dezember 1993 in den Verfahren 6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover; ders.
Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor
dem Nds. OVG; Prof. Dr. Hanf, Stellungnahme vom 19. April 1993 an VG Ansbach; Dr.
Ibrahim, Gutachten vom 16. November 1993 an VG Hannover; Deutsches Orient-
Institut, Stellungnahmen vom 8. Juli 1997 an VG Gießen, vom 21. April 1993 an VG
Ansbach und vom 25. September 1992 an VG Ansbach.
314
Selbst die Klägerinnen haben eine Gruppenverfolgung unmittelbar durch den syrischen
Staat nicht geltend gemacht und auch nach der von ihnen in Bezug genommenen
Magisterarbeit gehen die Übergriffe im wesentlichen nicht vom syrischen Staat aus.
315
Vgl. Maisel, a.a.O., S. 50.
316
Insbesondere sind asylerhebliche staatliche Eingriffe in das „religiöse
Existenzminimum" der Yeziden nicht gegeben. Die insoweit zu würdigenden, alle
Yeziden betreffenden staatlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des
Personenstandsrechts und des Schulwesens greifen weder in die private
Religionsausübung ein noch zerstören sie den für die Vornahme religiöser
Kulthandlungen erforderlichen Gruppenzusammenhalt und die Verbindung mit der
zuständigen Priesterfamilie.
317
Soweit bei der Erteilung von Geburtsurkunden, Nationalpässen und sonstigen
Dokumenten, die die Eintragung der Religionszugehörigkeit erfordern, die Bezeichnung
"Yezide" entweder von vornherein nicht akzeptiert oder in "Moslem" abgeändert wird,
318
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig; Dr. Ibrahim, Gutachten vom 16. November 1993 an VG
Hannover; Nabo, Protokoll der mdl. Verh. vom 11. Februar 1993 in dem Verfahren 6 A
251/90 vor dem VG Hannover,
319
handelt es sich lediglich um eine ordnungspolitische Maßnahme in der Außensphäre;
den Yeziden wird dadurch nicht angesonnen, zum Islam überzutreten und ihren eigenen
Glauben sowie dessen private Ausübung oder die - unter Beteiligung des zuständigen
Priesters erfolgende - Ausübung in der Glaubensgemeinschaft aufzugeben.
320
Soweit verschiedentlich ausgeführt wird, daß heiratswillige Yeziden gezwungen seien,
den islamischen Eheritus zu vollziehen,
321
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig; Nabo, Protokoll der mdl. Verh. vom 11. Februar 1993 in dem
Verfahren 6 A 251/90 vor dem VG Hannover,
322
weil das syrische Personenstandsrecht lediglich die islamische und die christliche
Religion anerkenne,
323
vgl. das syrische Personalstatutgesetz (Gesetz Nr. 59 vom 17. September 1953 mit
Änderung), auszugsweise abgedruckt bei: Bergmann/Ferid, a.a.O., Stichwort:
"Arabische Republik Syrien", Stand: 70. Lieferung vom 15. Dezember 1980,
324
kann dies nicht als zutreffend erachtet werden: Nach Art. 1 des syrischen
Personalstatutgesetzes handelt es sich bei der Eheschließung um einen Vertrag
zwischen Mann und Frau. Das Eheangebot und die Annahme sollen entweder wörtlich
oder durch Verwendung von Ausdrucksformen erfolgen, die üblicherweise in diesem
Sinn verstanden werden (Art. 6); dadurch wird die Ehe geschlossen (Art. 5). Nach Art. 2
gilt gerade nicht als Eheschließung die Rezitation der Eröffnungssure des Korans.
Gemäß syrischem Recht ist also nur eine standesamtliche Trauung, die bei den
zuständigen staatlichen Personenstandsbehörden registriert wird, gültig,
325
vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. Mai 1994 an VG Schleswig,
326
so daß einerseits Trauungen nach den Ritualen der unterschiedlichen Konfessionen
ohne staatliche Registrierung nicht zu einer nach syrischem Recht gültigen Ehe führen,
andererseits eine ausschließlich islamische Ausrichtung des Vertragsschlusses
zwischen den Eheleuten nicht verbindlich vorgegeben ist.
327
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16. Januar 1998.
328
Abgesehen davon führt ein etwa in extensiver Auslegung des Personalstatutgesetzes
durch einzelne Amtswalter begründeter Zwang zum Vollzug der Eheschließung in der
islamischen Formentradition nicht zur Beschneidung des „religiösen
Existenzminimums" der Yeziden; weder bedingt eine derartige Zeremonie den Verlust
des eigenen Glauben, noch wird dadurch die Ausübung dieses Glaubens außerhalb der
Öffentlichkeit tangiert.
329
Nach den sachverständigen Ausführungen des Pesimam S. Suleyman in der mdl. Verh.
vom 30. September 1996 im Verfahren 4 A 4279/94 vor dem VG Braunschweig kommt
es maßgebend darauf an, ob der Betroffene sich freiwillig vom Glauben abwendet oder
ob dies unter Zwang geschieht. Fehlt es an der Freiwilligkeit, führt das erzwungene
Aussprechen islamischer Glaubensformeln nicht dazu, daß die Zugehörigkeit zur
Glaubensgemeinschaft der Yeziden erlischt; insoweit ermöglicht offensichtlich das im
yezidischen Glauben zulässige Verstecken oder Verheimlichen der
Glaubensüberzeugung („taqiye") eine flexible, am religiösen Überleben orientierte
Bewältigung dieses Konflikts. Bestätigt wird dies eindrucksvoll durch den Umstand des
schlichten Fortbestehens des Yezidentums über Jahrzehnte trotz angeblich
„schleichender Zwangsislamisierung",
330
vgl. Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar
1997 an VG Braunschweig,
331
nicht zuletzt in dem sensiblen Bereich des Personenstandswesens.
332
Auch soweit yezidische Schulkinder in Syrien am Koranunterricht teilnehmen müssen,
in dem die Lehrer oftmals das Aufsagen des Sure 112 des Korans (des islamischen
Glaubensbekenntnisses) verlangen, was für yezidische Schüler zumindest eine
schwerwiegende Glaubensprüfung darstellt, weil sie sich damit im Widerspruch zu ihrer
Religion setzen,
333
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Protokoll der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den
Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG; Prieß, Evang.-luth. Neustädter St.
Marienkirche, Stellungnahme vom 10. Februar 1997 an VG Braunschweig; Nabo,
Protokoll der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93
vor dem Nds. OVG; derselbe, Protokoll der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den
Verfahren 6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannver; Barimou, Protokoll der mdl.
Verh. vom 8. August 1996 im Verfahren 4 A 4314/94 vor dem VG Braunschweig,
334
stellt dies keinen asylerheblichen Eingriff in die yezidische Religion dar. Zum einen ist
diese Maßnahme nicht auf die Beseitigung der yezidischen Religion gerichtet. Denn im
Unterschied zu der Lage in der Türkei gehört das Aufsagen der Sure 112 in Syrien
offiziell nicht zu den Inhalten des Koranunterrichts; Ziel des Koranunterrichtes in Syrien
ist nicht eine Bekehrung zum Islam, sondern das Einüben in die arabische Tradition und
in das klassische Arabisch des Koran (in etwa vergleichbar mit dem Latein-Unterricht an
deutschen Gymnasien), wobei die Teilnahme daran in Syrien Voraussetzung für die
Zulassung zum Universitätsstudium und für die Übernahme in den Staatsdienst ist.
335
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 13. April 1996 an VG Neustadt an der
Weinstraße.
336
Zum anderen ist es, und dies gilt hinsichtlich aller Einflußnahmen des Islam auf die
yezidische Religion, eine Frage der Wertung durch die yezidische Gemeinde, ob ein
Kind vom Glauben abgefallen ist, wenn es etwa das islamische Glaubensbekenntnis
oder das den Yeziden verbotene Wort „sheytan" (Teufel) ausgesprochen hat.
337
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Protokoll der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den
Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG.
338
Daß die yezidische Gemeinde die Klägerinnen, die sich trotz der zeitweiligen
Teilnahme am Koranunterricht wie selbstverständlich als zur Glaubensgemeinschaft der
Yeziden zugehörig betrachten, von dieser wegen der Teilnahme am Koranunterricht
ausgeschlossen worden sind, ist nicht ersichtlich; auch die Klägerinnen haben
diesbezüglich nichts geltend gemacht.
339
Kennzeichnend für die Bewahrung des Yezidentums trotz der Teilnahme am
Koranunterricht und der damit verbundenen Konflikte sind etwa die Lebensgeschichten
des bereits zitierten sachverständigen Zeugen Barimou, der auch ohne Aufgabe seines
religiösen Bekenntnisses studiert hat und Akademiker geworden ist, wofür er auch am
Koranunterricht teilnehmen mußte.
340
Vgl. Barimou, Protokoll der mdl. Verh. vom 8. August 1996 im Verfahren 4 A 4314/94 vor
dem VG Braunschweig.
341
Konkrete Anhaltspunkte für eine auf sonstigen asylerheblichen Merkmalen beruhende
Gruppenverfolgung der Klägerinnen unmittelbar durch den syrischen Staat liegen nach
der Auskunftslage ebensowenig vor.
342
Insbesondere wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit,
343
vgl. hierzu etwa Prof. Dr. Dr. Wießner, in: Die kurdischen Yezidi, S. 31 ff.,
344
drohte den Klägerinnen bei ihrer Ausreise (Oktober 1992) eine solche nicht.
Übereinstimmend wurde in den bis dahin ausgewerteten Auskünften regelmäßig und
nachvollziehbar die Auffassung vertreten, die Kurden in Syrien unterlägen in ihrer
Eigenschaft als ethnische Minderheit keiner staatlichen Verfolgung; soweit staatliche
Maßnahme sich gegen Kurden richteten, zielten sie darauf ab, die Betroffenen wegen
eines konkreten politischen und staatskritischen Verhaltens zu treffen.
345
Vgl. etwa: OVG NW, Beschluß vom 21. Mai 1992 - 16 A 249/92.A -.
346
Im Zeitpunkt ihrer Ausreise waren die Klägerinnen weder individuell politisch verfolgt
noch drohte ihnen eine solche Verfolgung.
347
Ein, wie oben dargelegt, hierfür erforderliches politisches, staatskritisches Verhalten der
Klägerinnen, die im Zeitpunkt der Ausreise aus Syrien im Oktober 1992 erst 12 und 14
Jahre alt waren, liegt nicht vor; insbesondere kann dies nicht in der vor dem Bundesamt
geschilderten Teilnahme am Newroz-Fest gesehen werden.
348
Newroz-Feste sind in Syrien seitens des Staates grundsätzlich erlaubt, wenn sie auch
unter intensiver Beobachtung der Sicherheitsdienste stattfinden.
349
Vgl. zuletzt: Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11. Juli 1997 an VG Würzburg.
350
Die schlichte Teilnahme daran, wie sie die Klägerinnen durch ihren Vormund
geschildert haben, noch dazu von Kindern, kann daher nicht den Eindruck eines
oppositionellen Verhaltens erwecken.
351
Ob etwas anderes dann gilt, wenn das Newroz-Fest wegen befürchteter
regimefeindlicher Lieder, Ansprachen oder dergleichen im Einzelfall verboten worden
ist,
352
vgl. zu dieser Möglichkeit: Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11. Juli 1997 an VG
Würzburg,
353
gleichwohl jedoch das Fest durchgeführt und an diesem verbotenen Fest teilgenommen
wird, kann dahinstehen, da weder ersichtlich noch von den Klägerinnen geltend
gemacht worden ist, daß das Fest, an dem die Klägerinnen teilgenommen haben, von
vornherein verboten war oder im Laufe der Veranstaltung wegen regimefeindlicher
Aktivitäten verboten worden ist.
354
Die auf die Teilnahme an dieser erlaubten Veranstaltung nach Darstellung des
Vormundes der Klägerinnen gegenüber der Klägerin zu 1. erfolgte Sanktion, wie
Schläge und der Aussschluß von der Schule für eine Woche, stellt sich im
Gesamtkontext der bis zu dem vorgenannten Beschluß vom 21. Mai 1992 - 16 A
355
249/92.A - verwerteten Erkenntnisse als schlichter, dem syrischen Staat nicht
zuzurechnender Amtswalterexzess dar.
Asylerhebliche Maßnahmen der staatlichen Behörden sind auch im übrigen den
Klägerinnen gegenüber nicht erfolgt. Der Umstand, daß die Klägerin zu 1. von ihrer
Lehrerin geschlagen worden ist, nachdem sie sich über moslemische Mitschüler
beschwert hatte, die sie, die Klägerin zu 1. geschlagen hatten, kann - ungeachtet
dessen, daß es sich offenbar um einen nicht für die Ausreise ursächlichen - Einzelfall
handelt - nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht ohne weiteres als in
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale erfolgt bewertet werden; vielmehr spricht
genauso viel dafür, daß die Schläge objektiv darauf gerichtet waren, den Konflikt, zu
wessen Lasten auch immer, zu beseitigen. Dem steht die möglicherweise auch
erhebliche Gewaltanwendung nicht entgegen. Es ist ein allgemeiner Schulzustand im
vorderen Orient, so auch in Syrien, daß Gewaltausbrüche zwischen Schülern und
zwischen Lehrern und Schülern häufig vorkommen. Es gibt dort noch die Pädagogik mit
dem Stock.
356
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2
L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG.
357
In diesem Zusammenhang häufiger Gewaltausbrüche zwischen Schülern sind nach
Auffassung des erkennenden Senats auch die von den Klägerinnen geschilderten
Schläge seitens der moslemischen Schüler zu sehen; eine spezifische, auf die
Klägerinnen als Yezidinnen objektiv bezogene Zielrichtung dieser Gewaltausbrüche
kann bei der gebotenen zurückhaltenden Wertung dieser Schilderungen,
358
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahmen vom 17. September 1996 an Nds. OVG und
vom 13. April 1996 an VG Neustadt a.d. Weinstraße,
359
diesem offenbar alltäglichen, im übrigen auch an bundesdeutschen Schulen nicht
unüblichen Geschehen nicht entnommen werden.
360
Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß den Klägerinnen im
Zeitpunkt ihrer Ausreise (Oktober 1992) eine Entführung durch Moslems drohte. Zwar
haben sie geltend gemacht, daß in ihrem Dorf ein Mädchen entführt worden sei, jedoch
kann aus dieser punktuellen und auf eine andere Adressatin bezogenen
Erscheinungsform moslemischer Übergriffe keine gerade den Klägerinnen gegenüber
drohende Gefahr der Entführung abgeleitet werden; insoweit verbleibt es bei der oben
dargelegten Möglichkeit von Übergriffen, deren Verdichtung zu einer drohenden
Ausführung im Wege der zumutbaren Eigenvorsorge durch die Klägerinnen selbst und
deren Familie sowie durch eine Stärkung der Solidargemeinschaft der Yeziden
untereinander grundsätzlich entgegengewirkt werden kann.
361
Für die hiernach unverfolgt aus Syrien ausgereisten Klägerinnen sind nach
Überzeugung des erkennenden Senats beachtliche Nachfluchtgründe nicht gegeben;
nach der zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr gebotenen „qualifizierenden
Betrachtungsweise",
362
vgl. BVerwG, Beschluß vom 3. Januar 1996 - 9 B 650.95 -; Urteil vom 5. November
1991, a.a.O.; Urteil vom 23. Juli 1991, a.a.O.,
363
kann nicht davon ausgegangen werden, daß den Klägerinnen im Falle ihrer Rückkehr
nach Syrien in absehbarer Zeit,
364
vgl. zu dieser zeitlichen Reichweite der Zukunftsprognose: BVerwG, Beschluß vom 31.
Juli 1986 - 9 B 165.86 -, NVwZ 1987, 60; Urteil vom 31. März 1981 - 9 C 237.80 -,
Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27,
365
politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
366
Die Übergriffe der Moslems haben auch nach der Ausreise der Klägerinnen keine
Dimension angenommen, die im Gegensatz zur Situation bei der Ausreise nunmehr
eine hinreichende Verfolgungsdichte ergibt und damit die Annahme einer mittelbar
staatlichen Gruppenverfolgung als beachtlichen Nachfluchtgrund rechtfertigt.
367
Dies gilt zunächst für das nordwestliche Siedlungsgebiet der Yeziden, in dem die die
bisherige Lebenssituation der Yeziden kennzeichnenden Umstände (Assimilation, ein
wirtschaftlich im allgemeinen gute Lage, kaum feststellbare Übergriffe, Ausweichgebiet
für Yeziden aus dem Nordosten) unverändert fortbestehen.
368
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Prot. der mdl. Verh. vom 9. Dezember 1993 in den Verfahren
6 A 2701 und 2702/91 vor dem VG Hannover; ders. Stellungnahme vom 13. April 1996
an VG Neustadt a.d. Weinstraße; Prieß, Evang.-luth. Neustädter St. Marienkirche,
Stellungnahme vom 10. Februar 1997 an VG Braunschweig; Nabo, Prot. der mdl. Verh.
vom 22. Februar 1995 in den Verfahren 2 L 4399 und 4400/93 vor dem Nds. OVG,
369
Im Ergebnis nichts anderes gilt auch für das nordöstliche Siedlungsgebiet der Yeziden
mit einem zugunsten der Klägerinnen zu unterstellenden Bevölkerungsstand von
nunmehr noch 5.000 Personen (500 Familien mit durchschnittlich jeweils 10
Familienmitgliedern).
370
Die der Relationsbetrachtung zugrundezulegenden Übergriffe sind nach dem oben
Dargelegten für den Zeitraum von 1993 einschließlich bis 1998 mit 25 Entführungen, 9
Tötungen und 4 Landwegnahmen anzusetzen. Diese Zahlen sind nach Überzeugung
des erkennenden Senats auch unter Berücksichtigung der Intensität der
Verfolgungsschläge im Verhältnis zu der Größe der von den Verfolgungsschlägen
betroffenen Gruppe nach wie vor als unterhalb der Schwelle der erforderlichen
Massierung anzusehen; dies gilt auch, wenn man die Übergriffe zusammenrechnet (38)
und sie der betroffenen Bevölkerungsgruppe (5.000 Yeziden bzw. 500 Yezidenfamilien)
gegenüberstellt.
371
Zusätzlich zu der insgesamt nicht ausreichenden Anzahl der Verfolgungsschläge ist
auch hier in die Bewertung einzustellen, daß die zugunsten der Klägerinnen zu
unterstellenden Vorfälle, ohne einen zeitlichen Schwerpunkt zu bilden, sich über einen
Verfolgungszeitraum von 6 Jahren erstrecken und damit deutliche zeitliche Zäsuren
zwischen den einzelnen Taten bestehen müssen (Entführungen: rd. 4 pro Jahr,
Landwegnahmen: weniger als 1 pro Jahr und Tötungen: 3 in zwei Jahren).
372
Im Rahmen einer auf die Entführungen bezogenen Einzelbetrachtung war damit nicht
einmal ein Anteil von 0,8 % aller Familien hiervon im Jahr betroffen. Bei den Tötungen
ergibt sich ein Anteil von 0,3 %, bei den Landwegnahmen ein Anteil von weniger als 0,2
% der jährlich hiervon betroffenen Familien; bezieht man die jeweiligen Übergriffe nicht
373
auf die Familien sondern auf die Einzelpersonen (mehr als 5.000), so sind die
errechneten Anteile um das Zehnfache zu reduzieren. Selbst wenn man sämtliche
Vorfälle im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zusammennimmt (6,5 Übergriffe pro Jahr)
errechnet sich lediglich ein Anteil von 1,3 %, mithin eine Quote, die mehr als 98 von 100
Familien als von diesen jährlichen Übergriffen gänzlich unberührt ausweist.
Sowohl die Zahl der Übergriffe als auch die Berücksichtigung des Verfolgungszeitraums
stehen damit nach der Überzeugung des erkennenden Senats der Annahme eines über
die jeweils abgeschlossene, mithin punktuelle Einzeltat hinauswirkenden, die gesamte
Gruppe erfassenden aktuellen Bedrohungspotentials entgegen. Daß eine rechnerische
Reduzierung der Personenzahl nicht durch eine Beschränkung des Blickwinkels auf
"nicht wehrfähige kleine Dörfer des Distrikts Hassake" unzulässig ist, ist bereits oben
ausgeführt worden.
374
Bei einem anzunehmenden Bevölkerungsstand von ca. 5.000 Yeziden kann diese
Gruppe nach Wertung des erkennenden Senats nach wie vor nicht mit der Gruppe der
syrisch-orthodoxen Christen im Tur-Abdin/Türkei gleichgesetzt und insoweit auf eine
Quantifizierung der Verfolgungsschläge verzichtet werden, da die Gruppe der Yeziden
immer noch mehr als dreimal größer ist und im übrigen das Beispiel des Vaters der
Klägerinnen und die Möglichkeit der politischen Mitarbeit von Yeziden in kurdischen
oder arabischen Parteiorganisationen deutlich gegen eine jedem Yeziden wegen seiner
Religionszugehörigkeit drohende mittelbar staatlichen Verfolgung spricht.
375
Etwas anderes ergibt sich auch unter dem Aspekt des „religiösen Existenzminimums"
nicht, wenn man in Rechnung stellt, daß nicht nur Muriden, sondern zwischenzeitlich
auch Priesterfamilien Syrien verlassen und damit den religiösen Zusammenhalt
geschwächt haben,
376
vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG,
377
oder zugunsten der Kläger sogar unterstellt, daß deshalb die religiöse Betreuung der
verbliebenen Muriden insgesamt nicht mehr gewährleistet ist, was den Eintritt in die mit
dem Beweisantrag zu 2. hierzu begehrte Beweiserhebung entbehrlich werden läßt.
378
Die Abwanderungen der Priesterfamilien sind ebenso wie die Abwanderung der
Klägerinnen weder durch eine dem Staat Syrien zurechenbare Gruppenverfolgung
bedingt - eine herausgehobene Stellung dieser Familien bei den Übergriffen ist weder
den bisherigen Erkenntnissen noch den als zutreffend unterstellten
Einzelfallschilderungen der Klägerinnen zu entnehmen - noch sind dem Staat Syrien
zurechenbare Individualverfolgungen aller abgewanderter yezidischer Priester und ihrer
Familien dokumentiert; auch die Klägerinnen haben dies nicht geltend gemacht. Wenn
gleichwohl diese Familien - aus sicherlich verständlichen Gründen - als politisch nicht
Verfolgte die Betreuung ihrer Muriden aufgeben und aus Syrien auswandern, kann die
damit einhergehende Schwächung und ggf. auch Zerstörung der bestehenden
yezidischen Religionsgemeinschaften unter dem speziellen asylrechtlichen Blickwinkel
nicht dem syrischen Staat zugerechnet werden, sondern beruht ausschließlich auf der
diesbezüglichen eigenen und asylrechtlich unerheblichen Willensentscheidung der
Priesterfamilien.
379
Die Feststellung der fehlenden Verfolgungsdichte gilt auch unter zusätzlicher
Berücksichtigung des Umstandes, daß sich die Abwanderungsbewegung der Yeziden
380
einschließlich der Priesterfamilien fortsetzt und damit auch der jetzt noch als vorhanden
zu unterstellende Bevölkerungsstand von ca. 5.000 Yeziden allmählich reduziert wird.
Der Senat verkennt dabei nicht, daß aufgrund der Abnahme der Zahl der Yeziden die
Hemmschwelle ihrer kurdischen Volksgenossen vor Übergriffen sinken kann.
Vgl. Prof. Dr. Dr. Wießner, Stellungnahme vom 17. September 1996 an Nds. OVG.
381
Eine über diese Möglichkeit hianusgehende, konkrete signifikante Zunahme von
schwerwiegenden Übergriffen ist jedoch den zugrundezulegenden Zahlen nicht zu
entnehmen und allein aufgrund der Möglichkeit der Zunahme von weiteren Übergriffen
kann nicht schon von deren Umsetzung ausgegangen werden; dies gilt um so mehr, als
in die Bewertung der Auswirkungen der Abwanderung auch die Überlegung
einzustellen ist, daß diese aufgrund der damit verbundenen Landaufgaben in dem im
Nordosten herrschenden Verdrängungskampf naturgemäß zu einer relativen
Entschärfung der Landnot beiträgt und damit die nicht zuletzt wirtschaftlich motivierte
Verdrängung der (restlichen) Yeziden, wenn auch nicht beseitigt, so ihr doch
entschärfend entgegenwirken kann.
382
Angesichts dieser in den möglichen Auswirkungen festzustellenden Ambivalenz der
Abwanderung kann auf eine zumindest ansatzweise Konkretisierung weiterer
Verfolgungsschläge sowie insbesondere eines etwaigen abwanderungsbedingten
Anstiegs der Übergriffe nicht verzichtet werden, zumal nach Überzeugung des Senats
nicht davon ausgegangen werden kann, daß die noch verbliebene Gruppe der Yeziden
im Nordosten Syriens aufgrund der Abwanderungsbewegung in absehbarer Zeit mit der
äußerst kleinen Gruppe der syrisch- orthodoxen Christen im Tur-Abdin/Türkei
gleichgestellt und damit schon jetzt von einer Quantifizierung der Verfolgungsschläge
gänzlich abgesehen werden kann.
383
Vgl. hierzu: BVerwG, Beschluß vom 22. Mai 1996, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom
23. November 1995, a.a.O.,
384
Auch im Hinblick auf eine unmittelbar staatliche Gruppenverfolgung ergeben sich keine
beachtlichen Nachfluchtgründe zugunsten der Klägerinnen.
385
Von der Entwicklung im Schulwesen sind die Klägerinnen aufgrund ihres Alters von
nunmehr 18 bzw. 20 Jahren nicht mehr betroffen. Anhaltspunkte dafür, daß sich die
Situation im Personenstandswesen nachhaltig zu Lasten der Yeziden geändert hat oder
sich in absehbarer Zeit ändern wird und sie nunmehr etwa entgegen der
fortbestehenden Rechtslage in der Praxis generell gezwungen sind, ihren Glauben zum
Zweck der Heirat aufzugeben, ist keiner der vorliegenden Erkenntnisquellen zu
entnehmen und haben die Klägerinnen auch nicht geltend gemacht; im Gegenteil, nach
dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 1998 können
syrische Bürger yezidischen Glaubens rein zivilrechtlich heiraten und diese Trauung
anschließend von den staatlichen Standesämtern registrieren lassen.
386
Die Gefahr einer unmittelbar staatlichen Verfolgung in alleiniger Anknüpfung an die
kurdische Volkszugehörigkeit der politisch unauffälligen Klägerinnen ist auch für die
absehbare Zukunft auszuschließen; an der der damaligen Einschätzung,
387
vgl. etwa: OVG NW, Beschluß vom 21. Mai 1992, a.a.O.,
388
zugrundeliegenden tatsächlichen Situation hat sich nach allen zwischenzeitlich
veröffentlichten Erkenntnissen bis heute nichts geändert,
389
vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Januar 1998 und vom 10. Januar 1991;
Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 23. Oktober 1997 an VG Ansbach und vom 15. August
1991 an VG Köln; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 20. Dezember 1996
an VG Koblenz und vom 24. Juli 1991 an VG Köln; ai, Stellungnahmen vom 3.
Dezember 1996 an VG Ansbach und vom 22. Oktober 1993 an VG Ansbach,
390
so daß angesichts dieser über Jahre stabilen Entwicklung eine grundlegende Änderung
nicht zu erwarten ist.
391
Schließlich liegen in den Personen der politisch bislang völlig unauffälligen Klägerinnen
auch keine Gründe vor, die die Annahme der Gefahr einer asylerheblichen,
individuellen mittelbar bzw. unmittelbar staatlichen Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr
nach Syrien rechtfertigen könnten.
392
Die Voraussetzungen des § 51 AuslG liegen danach ebensowenig vor. Im Rahmen des
§ 51 Abs. 1 AuslG über Art. 16 a Abs. 1 GG hinaus zu berücksichtigende subjektive
Nachfluchtgründe sind nicht gegeben. Auf die Frage der inländischen Fluchtalternative
kommt es danach nicht mehr an, so daß die mit dem Beweisantrag zu 3. hierzu begehrte
Beweiserhebung nicht geboten ist.
393
Allein die Asylantragstellung in Verbindung mit dem mehrjährigen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland, d.h. ohne Anreicherung durch eine zur Kenntnis der
syrischen Sicherheitsorgane gelangte oppositionelle Tätigkeit - die im vorliegenden Fall
nicht gegeben ist -, führten schon in der Vergangenheit nicht zur staatlichen Verfolgung,
394
vgl. OVG NW, Beschluß vom 21. Mai 1992, a.a.O.;
395
diese Situation besteht nach allgemeiner Einschätzung auch heute noch fort,
396
vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16. Januar 1998 und Stellungnahme vom 19.
Januar 1993 an VG Schleswig; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 28.
Februar 1997 an VG Sigmaringen und vom 2. Februar 1993 an VG Ansbach; ai,
Stellungnahmen vom 9. Dezember 1994 an VG Ansbach und vom 29. Oktober 1991 an
Rechtsanwältin Würdinger, Berlin; SWP, Stellungnahme vom 7. März 1993 an VG
Schleswig,
397
so daß in Ermangelung gegenteiliger Erkenntnisse davon auszugehen ist, daß dies
auch in Zukunft so bleiben wird.
398
Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 AuslG liegen ebenfalls nicht vor; insbesondere
besteht allein wegen der Asylantragstellung in Verbindung mit dem mehrjährigen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht die konkrete Gefahr, im Falle der
Abschiebung in Syrien der Folter i.S.d. § 53 Abs. 1 AuslG oder sonstigen im Rahmen
des § 53 Abs. 4 i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG relevanten staatlichen
Maßnahmen unterzogen zu werden.
399
Die Stellung des Asylantrags wird von syrischer Seite nicht als Ausdruck der Illoyalität
gegenüber dem syrischen Staat oder gar als Regimegegnerschaft, sondern als
400
Formalität angesehen, die genutzt werden kann, um ein Aufenthaltsrecht in der
Bundesrepublik Deutschland zu erlangen. Bei der Rückkehr nach Syrien müssen sich
abgeschobene Asylbewerber allerdings einer ggf. auch intensiven Befragung stellen;
abschiebungserhebliche Weiterungen, insbesondere die Verbringung zu Verhörzentren
mit der gesteigerten Gefahr der Folter, sind aber erst dann zu gewärtigen, wenn sich bei
der Befragung über die bloße Asylantragstellung hinaus der Verdacht oppositioneller
Tätigkeit ergibt.
Vgl. etwa: OVG NW, Beschluß vom 27. Januar 1993 - 16 A 4014/92.A; Urteil vom 25.
Juni 1992 - 16 A 1334/91.A -; Beschlüsse vom 30. Juni 1992 - 16 A 859, 867 und 868
/92. A; Beschluß vom 21. Mai 1992, a.a.O., und die nachfolgenden Erkenntnisse:
Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 16. Januar 1998 und vom 10. Januar 1991;
Auswärtiges Amt, Stellungnahmen vom 15. Mai 1995 an VG Stuttgart und vom 19.
Januar 1993 an VG Schleswig; ai, Stellungnahmen vom 13. April 1995 an VG Koblenz
und vom 25. Mai 1993 an VG Ansbach; SWP, Stellungnahme vom 7. März 1993 an VG
Schleswig.
401
Derartige Verdachtsmomente sind bei den noch als Kindern aus Syrien ausgereisten
Klägerinnen, die im übrigen auch nicht exilpolitisch tätig sind, nach Überzeugung des
erkennenden Senats ausgeschlossen.
402
Die Abschiebungsandrohung ist nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG zu Recht
erlassen worden, da die Klägerinnen weder als Asylberechtigte anerkannt sind noch
eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen; die den Klägerinnen gesetzte Ausreisefrist von
einem Monat ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylVfG.
403
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO,
§ 83 b AsylVfG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167
VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
404
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
hierfür nicht vorliegen.
405