Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.03.2007
OVG NRW: afghanistan, unhcr, sicherheit, pakistan, bedrohung, flüchtlingshilfe, bewaffneter konflikt, humanitäre hilfe, gewalt, europa
Oberverwaltungsgericht NRW, 20 A 5164/04.A
Datum:
21.03.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 A 5164/04.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 5a K 3796/95.A
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, soweit darüber noch nicht
abschließend befunden ist.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
1
I
2
Der 1976 geborene Kläger und die 1979 geborene Klägerin sind afghanische
Staatsangehörige. Nach der Einreise in das Bundesgebiet, wo bereits wenige Monate
zuvor ihre Eltern und weitere Geschwister eingetroffen waren, beantragten sie unter
Angabe falscher Geburtsdaten im April 1995 durch ihre Eltern die Anerkennung als
Asylberechtigte.
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Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte das Begehren
mit Bescheid vom 18. Mai 1995 unter Hinweis auf die Erfolglosigkeit des Asylbegehrens
der Eltern der Kläger ab. Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht
unter Abweisung im Übrigen die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bei den
Klägern Abschiebungshindernisse hinsichtlich Afghanistan gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG (heute: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) vorliegen, weil bei einer Rückkehr keine
aufnahme- und hilfsbereiten Freunde oder Verwandte zur Verfügung stünden und
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deshalb eine extreme Gefahrenlage drohe. Das weitergehende Begehren ist
abgewiesen worden, weil es in Afghanistan an einer Staatsmacht oder staatsähnlichen
Hoheitsmacht fehle.
Die Beklagte hat daraufhin beantragt, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen. Der
Senat hat die Berufung zugelassen, zu der diese vorträgt, die Gefahren, die das
Verwaltungsgericht für die Kläger festgestellt habe, seien solche allgemeiner Art und
nicht so zugespitzt, dass entgegen der gesetzlichen Grundentscheidung Schutz im
Einzelfall gewährt werden könne.
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Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
7
Die Kläger beantragen sinngemäß,
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die Berufung zurückzuweisen,
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insoweit hilfsweise,
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dem Europäischen Gerichtshof die Fragen vorzulegen, ob die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Anwendung des sogenannten "extremen
Gefahrenmaßstabs" zur Auslegung von § 53 Abs. 6 Satz 1 und 2 AuslG bzw. § 60 Abs.
7 Satz 1 und 2 AufenthG gegen Art. 15 Buchst. c) der sogenannten
Qualifikationsrichtlinie verstößt, und ferner ob für Art. 15 Buchst. c) der Richtlinie ein
neuer erleichterter bzw. geringerer Maßstab gilt,
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und ferner zusätzlich,
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festzustellen dass die Voraussetzungen von Art. 15 Buchst. b) und c) RL 2004/83/EG
vorliegen.
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Sie führen im Wesentlichen aus:
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Die restriktive Rechtsprechung zu einem Abschiebungsschutz wegen der generellen
Verhältnisse im Heimatland könne nicht fortgesetzt werden, nachdem die
Qualifikationsrichtlinie nunmehr unmittelbare Beachtung verlange. Da das kriegerische
Geschehen seit 1945 durch Situationen des sogenannten "low intensity war" geprägt sei
und der Anknüpfungspunkt des "innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" in Art. 15
Buchst. c) der genannten Richtlinie bewusst weit gewählt worden sei, gehe eine
Beschränkung der Schutzgewährung auf Fälle des Bürgerkriegs im überkommenen
Verständnis nicht mehr an, zumal sich ergebe, dass die Schwelle zur willkürlichen
Gewalt in den heute prägenden innerstaatlichen Auseinandersetzungen, wie sich auch
in Afghanistan zeige, wesentlich herabgesetzt sei. Die Sperrwirkung von § 60 Abs. 7
Satz 2 AufenthG könne gegenüber willkürlicher Gewalt nicht mehr greifen. Das gelte
auch unter Berücksichtigung der durch die Erwägung Nr. 26 zur Qualifikationsrichtlinie
vorgegebenen Ausklammerung von Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine
Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt sei, aus der individuellen Bedrohung.
Herrsche ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt mit willkürlichen Gewaltmustern, so
entstehe für den Einzelnen eine individuelle Bedrohung. Dies sei in Afghanistan der
Fall. Die übermittelten Entscheidungen des Senats enthielten Behauptungen, die den
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Tatsachen nicht entsprächen. Das gelte insbesondere für die Ernährungssituation und
die aus dem Mangel resultierende Lebensgefahr auch und gerade im Raum Kabul, wo
in den Jahren der Talibanherrschaft alle Stammes- und Familienstrukturen zerstört
worden seien. Die Kindersterblichkeit in Afghanistan sei eine der höchsten der Welt. Der
Senat stütze seine positive Sicht der Rückkehrmöglichkeiten maßgeblich auf eine
sachverständige Zeugenaussage eines IOM-Mitarbeiters, der mit großer Vorsicht zu
begegnen sei. Insbesondere seien die Angaben über Hilfsmöglichkeiten unzutreffend,
die zurückkehrenden Afghanen zur Verfügung stünden. Tatsächlich fielen die
Rückkehrer der Obdach- und Arbeitslosigkeit anheim. Die Verwertung der Aussagen
des genannten IOM-Mitarbeiters sei prozessrechtlich unzulässig; es werde vor allem
gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen und es sei nicht
ersichtlich, woraus die Voraussetzungen für die Qualifikation als sachverständiger
Zeuge resultierten. Gegen den "Gutachter" werde daher "rein vorsorglich" ein
Befangenheitsantrag gestellt, dessen Gründe sich aus einem beigefügten Gutachten
ergäben. Die Kläger haben zu ihrem Vorbringen zahlreiche Dokumente in Bezug
genommen bzw. vorgelegt und Beweis angeboten. Die Klägerin, die inzwischen einen
Landsmann geheiratet hat, sei schwanger und daher einer besonderen Gefahrenlage
ausgesetzt.
Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung im Beschlusswege sowie
auf vorliegendes und gegebenenfalls auszuwertendes Erkenntnismaterial und den
Stand der Rechtsprechung des Senats hingewiesen worden und hatten Gelegenheit zur
Äußerung. Die Klägerseite ist zudem unter Fristsetzung gemäß § 87b VwGO zu
eventuellem weiteren, abschließenden Vorbringen zum verbliebenen Klagebegehren
aufgefordert worden. Nach dem oben angeführten Vorbringen ist die Mitteilung über die
Absicht, im Beschlusswege zu entscheiden, wiederholt worden.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die in das Verfahren eingeführten
Auskünfte und die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.
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II
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Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a VwGO durch
Beschluss. Denn er hält die Berufung der Beklagten einstimmig für begründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
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Die klägerseitig aufgeworfenen Fragen rechtlicher Natur und das unterbreitete Material
zur Tatsachenfeststellung decken sich in ihrem Kerngehalt mit dem, was in der den
Klägern mitgeteilten und von ihnen zum Teil auch aufgegriffenen Rechtsprechung des
Senats behandelt worden ist. Allein die Art und Weise der Beanstandung der
Tatsachengrundlage der bisherigen Rechtsprechung und die Reichweite der
Folgerungen, die die Kläger aus der Qualifikationsrichtlinie - Richtlinie 2004/83/EG des
Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes - ziehen wollen, führen nicht auf Besonderheiten, die eine mündliche
Verhandlung trotz einstimmigen Votums des Gerichts angezeigt erscheinen lassen.
Insbesondere wären den Klägern in einer Verhandlung keine Hinweise zu geben, da sie
aufgrund der Kenntnis der Senatsrechtsprechung und der umfassenden Beschäftigung
mit der "extremen Gefahrenlage" im Verhältnis zur Qualifikationsrechtlinie nichts
Wesentliches übersehen haben. Zwar weisen die Angriffe gegen die Richtigkeit der in
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der Niederschrift über eine Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-
Brandenburg enthaltenen Ausführungen eines IOM-Mitarbeiters auf ein mögliches
Missverstehen der Sachverhaltsfeststellungen des Senats hin - dieser hat die
Ausführungen nur als einen Teil des großen Spektrums an teilweise beträchtlich
divergierenden, von unterschiedlichen Beobachtungspunkten ausgehenden und mit
verschiedenen Zielrichtungen getätigten Aussagen betrachtet, sodass selbst ein
Nichtbeachten dieser Ausführungen allein noch nicht zu einem gegenteiligen Schluss
über die Verhältnisse führen würde -, jedoch bedarf es insofern keines ausdrücklichen
Hinweises, weil nicht ersichtlich ist, dass ein solcher Hinweis Anlass zu sonstigem
sachgerechten Vortrag geben könnte. Auch hinsichtlich der Qualifikationsrichtlinie sind
mögliche Ansatzpunkte, die gegen die befürwortete sehr weitgehende Interpretation
angeführt werden könnten, bereits abgearbeitet.
Den Befangenheitsantrag gegen den IOM-Mitarbeiter, dessen Angaben durch die
Einführung der Niederschrift über die Verhandlung mit seiner Vernehmung neben
zahlreichem anderen Material Gegenstand der Überzeugungsbildung des Senats war
und entsprechend der Materialeinführung in die vorliegende Sache auch hier
berücksichtigt werden soll, haben die Kläger nur vorsorglich und in Hinblick auf ihn als
"Gutachter" gestellt. Da eine Heranziehung des Betreffenden als Sachverständiger - und
nur bei einem solchen käme eine Ablehnung in Betracht, § 98 VwGO, § 406 ZPO - nie
im Raume stand, es vielmehr immer nur um die Einbeziehung eines schriftlichen
Dokuments mit dem Gewicht der ihm zuzubilligenden Überzeugungskraft in die
richterliche Überzeugungsbildung ging und geht, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 VwGO, tritt
der vorsorglich abgesicherte Fall nicht ein. Daher besteht auch kein Anlass, im Hinblick
auf das Ablehnungsgesuch eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Soweit der
Hilfsantrag zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs nach der ersten Anhörung
nochmals erweitert worden ist, steht auch das dem Vorgehen gemäß § 130a VwGO
nicht entgegen, weil es der Sache nach um die bereits angesprochenen Fragen zu
Qualifikationsrichtlinie geht.
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Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist hinsichtlich des
Begehrens festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG - diese
Vorschrift ist am 1. Januar 2005 an die Stelle von § 53 Abs. 6 AuslG getreten, § 31 Abs.
3 Satz 1 AsylVfG in der Fassung des Art. 3 Nr. 20 sowie Art 15 Abs. 3 des
Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 1950) - vorliegen, unbegründet; die
weiteren Begehren, die die Kläger zweitinstanzlich angebracht haben, bleiben ebenfalls
ohne Erfolg.
22
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll gewährt werden, wenn für
den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen
Ursachen sie beruht. Entscheidend ist allein, ob für den Ausländer unter
Berücksichtigung auch des im Asylverfahren erfolglos vorgetragenen Sachverhaltes
eine konkrete, individuelle Gefahr für die in der Vorschrift genannten Rechtsgüter
besteht; die Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit
drohen.
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So zu den gleichlautenden Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: BVerwG,
Urteile vom 29. März 1996 - 9 C 116.95 -, DVBl. 1996, 1257 und vom 17. Oktober 1995 -
9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324; zur Übertragbarkeit auf das neue Recht vgl. BVerwG,
Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 B 16.05 -.
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Allerdings erfasst § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - auch insoweit der Normstruktur des §
53 Abs. 6 AuslG entsprechend - nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte
Gefährdungssituationen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die
Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei
Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a
Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Eine
solchermaßen allgemeine Gefahr unterfällt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich
selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen
droht; denn bei allgemeinen Gefahren entfaltet Satz 2 der Vorschrift eine "Sperrwirkung"
dahin, dass über die Gewährung von Abschiebungsschutz allein im Wege politischer
Leitentscheidung befunden werden soll. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist
mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG der Rückgriff auf § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG jedoch bei einer allgemeinen Gefahr ausnahmsweise dann nicht gesperrt,
wenn die Situation im Zielstaat der Abschiebung so extrem ist, dass die Abschiebung
den Einzelnen "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausliefern würde".
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Vgl. (wiederum zu § 53 Abs. 6 AuslG) BVerwG, Urteile vom 8. Dezember 1998 - 9 C
4.98 -, BVerwGE 108, 77, sowie vom 29. März 1996 - 9 C 116.95 -, a.a.O. - und zur
Gewährleistung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes im Wege der
Normauslegung BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 1994 - 2 BvL 81 und
82/92 -, NVwZ 1995, 781.
26
Die extreme Gefahrenlage ist insbesondere geprägt durch einen hohen
Wahrscheinlichkeitsgrad und die - freilich nicht mit dem zeitlichen Verständnis eines
sofort bei oder nach der Ankunft eintretenden Ereignisses gleichzusetzende -
Unmittelbarkeit eines Schadenseintritts.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115,1, und Beschluss vom
26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, NVwZ 1999, 668.
28
Sie scheidet allerdings von vornherein aus, wenn gleichwertiger Schutz vor
Abschiebung anderweitig durch eine erfolgte Einzelfallregelung oder durch einen Erlass
vermittelt wird.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, NVwZ 2001, 1420, und - die
Rechtsprechung zur extremen Gefahrenlage zusammenfassend - vom 10. Oktober 2004
- 1 C 15.03 -, NVwZ 2005, 462.
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Diese Ausnahme dürfte vorliegend auch unter Berücksichtigung der Beschlusslage der
Innenministerkonferenz und deren landesinterner Umsetzung nicht eingreifen. Die im
Beschluss der Innenministerkonferenz vom 24. Juni 2005 vorgesehene Abfolge von
Abschiebungen bestimmter Personengruppen kann nicht mehr als die Erwartung tragen,
noch eine gewisse Zeit in Deutschland verbleiben zu können, und bietet so keine
(vorübergehende) Sicherheit, die der Feststellung eines Abschiebungshindernisses
gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG gleichkommt. Der "Bleiberechtsbeschluss" vom 17.
November 2006 und der darauf bezogene Erlass des nordrhein-westfälischen
Innenministeriums vom 11. Dezember 2006 dürften für die Kläger zwar hinsichtlich des
Zeitfaktors einschlägig sein, doch erscheinen die weiteren Voraussetzungen zweifelhaft;
der Senat hat keinen Anlass, dem abschließend nachzugehen, da bei Vorliegen eines
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anderweitigen hinreichenden Bleiberechts die Klage ebenso erfolglos wäre wie bei der
Annahme einer Möglichkeit der erweiternden Anwendung des § 60 Abs. 7 AuslG, und
den Klägern kann durch die Entscheidung kein Nachteil erwachsen.
Dass die vorstehend dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum
subsidiären Abschiebungsschutz aus § 53 Abs. 6 AuslG, § 60 Abs. 7 AufenthG mit
internationalen und gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik
Deutschland im Einklang steht, wird verschiedentlich bezweifelt. Das erkennende
Gericht sieht bei sachgerechter Handhabung des Prognoseelements in der Beurteilung
des maßgeblichen Gefährdungsaspekts sowie der Gewichtung des Schutzgutes keinen
Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte -
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vgl. insofern zusammenfassend Marx, Menschenrechtlicher Abschiebungsschutz, in
InfAuslR 2000, 313, 316 m.w.N. -
33
und auch keinen prinzipiellen Mangel in der vom UNHCR in seinen Anregungen zur
Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes (UNHCR-Vertretung Deutschland vom 23.
Dezember 2004) angesprochenen Art einer Schutzlücke.
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Die Qualifikationsrichtlinie beansprucht nach Ablauf der Umsetzungsfrist nunmehr zwar
Beachtung, führt aber auch nicht zur Zuerkennung des begehrten Schutzes. Dazu
bedarf es aus Anlass des vorliegenden Verfahrens nicht der abschließenden Klärung,
ob und in welchen Konstellationen die Handhabung des vom
Bundesverwaltungsgericht entwickelten Kriteriums der extremen Gefahr tatsächlich
dazu führen kann, dass einem Schutzsuchenden entgegen Art. 18 der Richtlinie der
subsidiäre Schutzstatus vorenthalten bleibt. Dem in der Fragestellung sehr weit
gefassten Hilfsbegehren der Kläger, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, ist nicht
zu folgen; auch besteht mangels Entscheidungsrelevanz kein Anlass, eine unter dem
Aspekt der Auslegung der Richtlinie eventuell geeignete Frage, nämlich diejenige nach
der Zulässigkeit des Kriteriums eines extremen Charakters von Gefahren, die aus
willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts resultieren
(Art. 15 Buchst. c) der Richtlinie) und denen die Bevölkerung oder eine
Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt ist (Erwägungsgrund 26 zur
Richtlinie), vorzulegen. Denn Art. 15 der Richtlinie bleibt insbesondere in Buchst. c) -
auch unter Berücksichtigung des weiten Verständnisses der Begriffe innerstaatlicher
bewaffneter Konflikt und willkürliche Gewalt, wie es klägerseitig vertreten wird - wegen
der vorbezeichneten Spezifizierung der beachtlichen Anknüpfungspunkte für relevante
Gefahren hinter § 60 Abs. 7 AufenthG zurück, der ohne Blick auf Anlass oder
Hintergrund allein auf die drohende Beeinträchtigung bestimmter Rechtsgüter abhebt. In
Bezug auf die nicht durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts
bestimmten Bedrohungssituationen für die Bevölkerung oder eine bestimmte Gruppe ist
gegen die in der innerstaatlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgestellten
Maßstäbe allein mit Blick auf die Qualifikationsrichtlinie jedenfalls nichts zu erinnern.
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Vgl. dazu Hessischer VGH, Urteil vom 9. November 2006 - 3 UE 3238/03.A - .
36
In diesem Bereich aber liegen die im Weiteren als möglicherweise ernstlich kritisch
näher zu betrachtenden Elemente der Gesamtsituation für zurückkehrende
Asylbewerber, während für die dem Art. 15 Buchst. c) unterfallenen Elemente - auch bei
dem weiten Verständnis der Kläger - schon die ernsthafte Bedrohung nicht gegeben ist.
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Eine den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unmittelbar genügende
individuelle, also gerade in den klägerischen persönlichen Eigenschaften und
Verhältnissen angelegte Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht bezogen auf die
Verhältnisse in Kabul nicht. Diese sind maßgeblich in den Blick zu nehmen, weil Kabul
der Bereich ist, der im Fall einer Rückkehr oder Abschiebung am ehesten zu erreichen
ist.
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Die Kläger haben erstinstanzlich wiederholt auf Gefahren infolge von Sippenhaft und
Blutrache hingewiesen, jedoch nicht in einer auch nur in etwa fassbaren Weise
aufgezeigt, dass und welches Verhalten von Angehörigen, insbesondere der Eltern,
Dritten einen Grund dafür bieten könnte, selbst mit einer nur gewissen
Wahrscheinlichkeit gerade auf sie, die Kläger, zuzugreifen.
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Die Sicherheitslage, bei der sich die oben angesprochene, an Art. 15 Buchst. c) der
Qualifikationsrichtlinie anknüpfende Problematik der Anforderungen bei
Allgemeingefahren wegen der Nähe der Elemente der willkürlichen Gewalt und des
innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor allem stellt, hat sich entgegen den
Erwartungen, die mit der Stationierung der ISAF und der Hilfe beim Aufbau der Polizei
verbunden waren, zwar - wie laufend den allgemein zugänglichen Quellen zu
entnehmen ist - negativ entwickelt, ist jedoch nicht so zugespitzt, dass sie für einen in
sein Heimatland zurückkehrenden und nach Kabul gelangenden Afghanen eine
ernsthafte individuelle Bedrohung darstellt, dieser also die berechtigte Sorge hegen
muss, gezielt oder zufällig Opfer eines Übergriffs oder Anschlags zu werden oder in
sonstiger Weise von rivalisierenden ethnischen, religiösen oder sonst motivierten
Gruppen oder Banden in seinem Leben oder seiner Unversehrtheit geschädigt zu
werden. Zwar trifft der Hinweis der Kläger zu, dass sich das Willkürhafte bei Gewalt
gerade auch in der Unberechenbarkeit und dadurch bedingten mangelnden
Ausweichmöglichkeit manifestiert. Dennoch bedarf es - ohne dass sich insofern
Auslegungsfragen von nennenswertem, geschweige denn eine Vorlage an den
Europäischen Gerichtshof tragendem Gewicht ergäben - einer gewissen Dichte der
gefährlichen Vorkommnisse, um von einer Ernsthaftigkeit der Bedrohung zu sprechen.
Die Bedrohung stellt ebenso ein objektives Faktum dar, wie auch ihre Ernsthaftigkeit
über den Bereich subjektiven - von Ängstlichkeit oder Robustheit bestimmten -
Empfindens hinausgeht. In der Spannweite zwischen einer quasi absoluten Sicherheit
und einer geradezu unausweichlichen Rechtsgutbeeinträchtigung ist daher abwägend
nach der Zumutbarkeit einer Rückkehr zu fragen. Dies setzt neben der Berücksichtigung
der Häufigkeit einschlägiger Vorkommnisse insbesondere auch die Betrachtung der
Größe des betroffenen Gebietes sowie der räumlichen (Schwerpunkt-)Bereiche und
ferner der Anlässe und Zielpersonen oder -objekte von gewaltsamen Übergriffen voraus,
da sich u.a. danach bestimmt, inwieweit das Verhalten des Einzelnen und seine
Entfaltungsmöglichkeiten beeinflusst werden. Dies zugrunde legend lässt sich noch
nicht feststellen, dass die Sicherheitslage, soweit sie von den innerstaatlichen, teils mit
Waffeneinsatz einhergehenden Spannungen (mit-)bestimmt wird, Schutz erfordert. Die
Auseinandersetzungen, seien sie zwischen Ethnien, Religionsrichtungen, war-lords und
ihren jeweiligen Anhängern oder Regierungskräften und Taliban, sind jedenfalls noch
nicht so stark in den Bereich Kabul hineingetragen, dass sich der einzelne begründeter
Weise als ernsthaft bedroht sehen muss. In Auswertung der vielfältigen in das Verfahren
eingeführten Stellungnahmen ergibt sich insofern Folgendes: Von einer allgemeinen
Sicherheit und Stabilität im gesamten Land sind die Verhältnisse in Afghanistan weit
entfernt. Regionale Warlords praktizieren ihre Eigenständigkeit in der Durchsetzung
ihrer jeweiligen Interessen und fügen sich allgemeinen Vorgaben der Zentralregierung
40
nur in diesem Rahmen (Deutsches Orientinstitut an OVG Bautzen - im Weiteren:
Deutsches Orientinstitut - vom 23.09.2004, Auswärtiges Amt Lagebericht - im Weiteren:
AA - vom 29.11.2005 und vom 13.07.2006, Informationsverbund Asyl/PRO ASYL
Bericht "Rückkehr nach Afghanistan" von Arend-Rojahn u.a. - im Weiteren: PRO ASYL -
vom 1.06.2005). Der Bereich Kabul hebt sich - maßgeblich gestützt auf ausländische
Hilfe, insbesondere ISAF, und auf die im Aufbau und in der Ausbildung befindliche
Polizei - davon ab; die allgemeine Sicherheitslage dort wird insgesamt günstiger
bewertet, aber keinesfalls als zufriedenstellend bezeichnet. Die Lage wird teils als
weitgehend stabil (Schweizerische Flüchtlingshilfe Afganistan Update - im Weiteren:
Schweizerische Flüchtlingshilfe - vom 3.02.2006), teils als fragil, aber auch als vom
UNHCR für ausreichend sicher gehalten bezeichnet (AA vom 13.07.2006). Bewaffnete
Aktionen (AA vom 13.07.2006) und gewalttätige Ausschreitungen (etwa ai-
Info/Pressespiegel, Ausgabe 73, Seiten 7 ff.), die auf einen innerstaatlichen bewaffneten
Konflikt hinweisen und sich in diesen einfügen könnten, nehmen zwar zu, vor allem im
Süden und Südosten des Landes; sie prägen bezogen auf Kabul die Gesamtsituation
jedoch nicht, jedenfalls nicht im Sinne einer schon als ernsthaft zu wertenden
Bedrohung.
Die von den Klägern weiter angeführten, für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan
befürchteten Gefahren für die Schutzgüter des § 60 Abs. 7 AufenthG sind solche
allgemeiner Art im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift. Das gilt zunächst für die Gefahr,
durch Mangel an Lebensmitteln, Wohnraum sowie - vorbehaltlich besonderer Umstände
- gesundheitlicher und sozialer Infrastruktur oder durch Überfälle bei unzureichendem
polizeilichen Schutz zu Schaden zu kommen. Insoweit ist auch ohne Belang, dass sich
Rückkehrer dieser Gefahr dann in höherem Maße ausgesetzt sehen, wenn sie in
Afghanistan mangels aufnahmebereiter Verwandter oder Nachbarn auf sich selbst
gestellt sind. Die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem religiösen Bekenntnis
ist neben anderen ein typischer Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung von
Bevölkerungsgruppen, denen menschenrechtswidrige Repressalien drohen können.
Opfer wird der Einzelne hier aus Gründen, die er mit vielen anderen teilt; das
Betroffensein hängt zwar von dem persönlichen Einstellung zur Religion - bzw. einer
entsprechenden Zuordnung aus der Sicht eines potentiellen Verfolgers - ab, erstreckt
sich aber, was für eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
ausschlaggebend ist, auf eine Vielzahl von Personen mit demselben Merkmal.
Entsprechendes gilt auch für die sonstigen für die Kläger aufgezeigten Aspekte,
insbesondere den der westlichen Prägung und deren Auffälligkeit sowie Anstößigkeit in
der afghanischen Gesellschaft. Als Bevölkerungsgruppe sind auch die Frauen,
gegebenenfalls auch eine Untergruppe der alleinstehenden Frauen anzusehen, sodass
auch bei hier festzustellenden zusätzlichen Erschwernissen grundsätzlich die
Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eingreift.
41
Für die Prognose, die im Rahmen der Prüfung einer Allgemeingefahr auf die Möglichkeit
und Notwendigkeit einer Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2
AufenthG vorzunehmen ist, ist die wertende Gesamtschau aller Gefährdungsmerkmale
im Einzelfall sowie die Betrachtung der Entscheidungspraxis anderer Obergerichte
erforderlich.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 -, Buchholz 402.240 § 53
AuslG Nr. 75, und Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, a.a.O.
43
Dabei ergibt sich zugunsten des noch streitigen klägerischen Begehrens nichts
44
Tragfähiges.
Der Senat, der sich mit der Frage des verfassungsrechtlich gebotenen
Abschiebungsschutzes für afghanische Staatsangehörige wiederholt befasst hat, hat
nach Betrachtung auch der spezifischen Umstände verschiedener Gruppen eine
extreme Gefahrenlage lediglich in besonders gelagerten Einzelfällen anerkannt, z. B.
bei alten, behinderten und schwer erkrankten Personen ohne für eine Hilfestellung in
Betracht kommende Bezugspersonen in Afghanistan -
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vgl. dazu Urteil vom 15. Mai 2003 - 20 A 3332/97.A .
46
Im Anschluss an die Rechtsprechung schon für die Zeit des Taliban-Regimes, für die
eine gebotene Schutzgewährung gemäß § 53 Abs. 6 AuslG ebenfalls grundsätzlich
verneint worden war -
47
vgl. Urteil vom 16. August 2001 - 20 A 3011/97.A - ,
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hat der Senat bereits im Jahre 2003, also zwar nach dem Ende des Taliban- Regimes,
jedoch noch in der ersten Phase der Herausbildung neuer Strukturen -
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vgl. Urteil vom 20. März 2003 - 20 A 4270/97.A -,
50
gestützt auf Erkenntnismaterial, das auch in das vorliegende Verfahren eingeführt
worden ist, auf eine trotz beträchtlicher Schwierigkeiten festzustellende Verbesserung
der Lage zumindest in Kabul hingewiesen sowie auf die internationale humanitäre Hilfe,
die nicht zuletzt wegen der Anwesenheit von Truppen der ISAF auch durch militärische
Auseinandersetzungen, terroristische Anschläge und kriminelle Übergriffe nicht
gefährdet sei, und sodann ausgeführt:
51
Anzeichen dafür, dass die ISAF in näherer Zukunft abgezogen werden könnte, bevor die
erst am Anfang stehende Aufstellung handlungsfähiger nationaler Sicherheitskräfte und
die Entwicklung wirksamer ziviler Strukturen einen zur Vermeidung des vollständigen
Scheiterns der derzeitigen Stabilisierungsbemühungen erforderlichen Mindeststandard
erreicht haben wird, gibt es nicht. Die finanzielle Ausstattung der Hilfsorganisationen ist,
gemessen am überaus großen Bedarf, knapp, sodass für die von humanitärer Hilfe
abhängigen Teile der Bevölkerung lediglich eine Grundversorgung auf niedrigem
Niveau erbracht wird. Jedoch ist selbst in abgelegenen ländlichen Bereichen ein
Zusammenbruch der Hilfeleistungen mit der Folge einer gravierenden Unterversorgung
und einer verbreiteten Hungersnot ausgeblieben (UNHCR an VG Schleswig vom
15.07.2002; Danesch an VG Schleswig vom 5.08.2002). Dies fällt umso mehr ins
Gewicht, als die Zahl der aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehrenden
Flüchtlinge die Erwartungen und Vorbereitungen vor allem auch des UNHCR, der die
Rückkehr unterstützend begleitet, bei weitem übertroffen hat. Nach Schätzungen sollen
2002 weit mehr als 1,5 Mio. Menschen insbesondere aus Pakistan und Iran nach
Afghanistan zurückgekehrt sein, von denen sich mehrere hunderttausend nach Kabul
begeben haben und dort auf Hilfe angewiesen sind (AA Lagebericht vom 2.12.2002).
Für 2003 wird mit der freiwilligen Rückkehr von weiteren mehreren hunderttausend
Afghanen gerechnet. Von akuter Nahrungsmittelknappheit für die Rückkehrer, die die
vorhandenen Ressourcen der humanitären und sozialen Infrastruktur zusätzlich stark
beanspruchen, wird nicht berichtet; auch das Auftreten von Mangelernährung wird für
Kabul - anders als für einige ländliche Gebiete - nicht bestätigt (AA Lagebericht vom
52
2.12.2002 und Ad-hoc-Bericht vom 4.06.2002; Glatzer an VG Hamburg vom
22.08.2002). Eine in größerem Umfang stattfindende Umkehrung der
Flüchtlingsbewegungen, die sich in der Vergangenheit bei krisenhaften Zuspitzungen in
Afghanistan mit dem Auftreten großer Flüchtlingsströme vor allem nach Pakistan und
Iran ereignet haben und die auf ein mit dem Fehlen des für ein Überleben
Notwendigsten einhergehendes breites Scheitern der Rückkehrwilligen schließen
lassen könnten, sind nicht bekannt geworden (AA Lagebericht vom 2.12.2002). Die
Unterbringungsmöglichkeiten in Kabul sind für Rückkehrer wegen der Unbewohnbarkeit
vieler Häuser, dem massenhaften Zuzug von Menschen und der Nachfrage durch die
Vielzahl der finanziell bei weitem leistungsfähigeren Hilfsorganisationen und deren
Mitarbeiter stark eingeschränkt (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 6.12.2002; Glatzer
an VG Schleswig vom 26.08.2002). Indessen bereitete der UNHCR zur Vermeidung von
Obdachlosigkeit mit existenzgefährdenden Auswirkungen bereits 2002 die Errichtung
von Notunterkünften vor (AA Ad-hoc-Bericht vom 4.06.2002); auch ist nicht berichtet
worden, dass der Mangel an angemessenen Unterkünften in Kabul zu
lebensbedrohlichen Zuständen für größere Teile der Bevölkerung geführt hat. Es ist
daher nicht festzustellen, dass wegen des Fehlens auch nur notdürftigen Wohnraums
eine Vielzahl von Menschen in Kabul schutzlos der Witterung ausgesetzt wäre und
deshalb Gefahren für Leib und Leben zu gewärtigen hätte.
Es ist nicht festzustellen, dass die Einschätzung des Senats insgesamt oder für
bestimmte bisher schon gesondert betrachtete Gruppen wegen einer gravierenden und
schon relevanten Veränderung der Verhältnisse zum Schlechteren der Korrektur bedarf
und nunmehr Schutz im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG gewährt werden muss. Die
allgemeinen Lebensbedingungen haben sich nicht in einer Weise entwickelt, dass sie
für den Einzelnen jetzt einen triftigen Grund für die Annahme bieten, alsbald schwere
Beeinträchtigungen erleiden zu müssen. Zwar ist die Situation für Rückkehrer auch
insoweit keinesfalls frei von Gefahren und dürften etwa mit Blick auf die
Versorgungslage bei Lebensmitteln, Unterkunft und medizinischer Behandlung die
tatsächlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 in
Verbindung mit § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht fraglich sein. Dies kann freilich - wie
oben zu den Anforderungen bei allgemeiner Gefahr außerhalb des
Anwendungsbereichs des Art. 15 Buchst. c) der Qualifikationsrichtlinie dargetan - allein
nicht weiterhelfen. Dass insofern von einer Zuspitzung der Situation, bei der das
verfassungsrechtliche Schutzgebot eingreift, noch nicht die Rede sein kann, ergibt sich
aus der Vielzahl der Stellungnahmen und Darstellungen, die in das Verfahren eingeführt
worden sind und die zusammenfassend ein aktuelles Bild der Lage in Afghanistan
vermitteln. Die teilweise konträren Aussagen in verschiedenen Stellungnahmen
zwingen ganz überwiegend nicht zu einer Klärung und Entscheidung für die eine oder
die andere Darstellung und Wertung. Denn eine jede Aussage erhält das ihr
zukommende Gewicht nicht zuletzt unter Berücksichtigung der in ihr erkennbaren
Vorstellungen des Verfassers über die entscheidenden Aspekte sowie zu den (Beweis-
)Maßstäben, nach denen die berichteten Zustände und Vorkommnisse zu bewerten
sind. Insofern sei beispielhaft darauf verwiesen, dass etwa die von den Klägern
herangezogene Einschätzung der Rückkehrmöglichkeiten durch Hinz ("Ein Ende für die
afghanische Tragödie?") von der Vorstellung ausgeht, es müsse positiv festgestellt sein,
dass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde erfolgen werde. Der Senat hat gerade
unter Berücksichtigung dieser Wertungsumstände die Überzeugung gewonnen, dass
die gegenwärtige Situation in Kabul von erheblichen Widersprüchen geprägt ist und
sich für keine verallgemeinernde Schilderung tragfähige Anhaltspunkte eines
eindeutigen Falsch oder Richtig finden lassen. Er sieht sich insofern auch durch die
53
große Spannweite der Gegenstände und Inhalte von Berichterstattungen in den
allgemein zugänglichen Quellen bestätigt. Die unterschiedlichen Blickwinkel und
Zielrichtungen der einzelnen Beiträge tragen nach Einschätzung des Senats zu einem
hohen Grad von Verlässlichkeit des Gesamtbildes bei. Erkenntnisquellen, die
weitergehendes oder solideres Material bieten könnten, sind nicht ersichtlich, obwohl
Afghanistan, insbesondere der Bereich Kabul, nicht zuletzt wegen der Anwesenheit von
Sicherheits- und Hilfskräften zahlreicher Staaten unter einer interessierten Beobachtung
gerade auch durch die Medien steht, und daher nicht angenommen werden kann,
Zustände, Entwicklungen und Ereignisse, die sich im zugrunde gelegten
Auskunftsmaterial nicht widerspiegeln und zu bestimmten eindeutigen Schlüssen in
Bezug auf die oben bezeichneten Kriterien führen könnten, seien unbekannt geblieben.
Unter Berücksichtigung dieser Situation besteht kein Anlass auf die zahlreichen
Beweisangebote der Kläger einzugehen. Auch in Kenntnis der Rechtsprechung und der
Betrachtungsweise des Senats hinsichtlich der erforderlichen Tatsachenfeststellungen
bieten die Angebote nichts, was nicht so oder ähnlich bereits im ausgewerteten Material
enthalten ist. Im Kern geht es darum, aus dem breiten Spektrum einzelne, dem Klageziel
entgegenstehende Aussagen herauszubrechen, ohne sie mit sachlichen Aspekten zu
entwerten oder zugleich die übrigen Aussagen in ihrer Überzeugungskraft zu stärken,
letztlich also darum, die Überzeugungsbildung durch selektive
Materialzusammenstellung zu beeinflussen und nicht darum, etwas wirklich Neues und
Gehaltvolles in das Verfahren einzubeziehen.
Allgemein ist festzuhalten, dass in Kabul wirtschaftliche Entwicklung und Etablierung
günstiger Lebensumstände zusammentreffen mit größter Armut und schlimmen
Verhältnissen, die bis zu einer schon lebensbedrohlichen Existenz in Slums reichen.
Weiterhin gibt es einerseits die in Kabul verbliebenen oder in der Zeit der Mujaheddin
und der Taliban nach Kabul Gelangten, die sich zum Teil auf Kosten derer bereichert
haben, die aus der Stadt und dem Land geflohen waren, andererseits die Rückkehrer,
wobei zu unterscheiden ist zwischen denen, die in großen Strömen freiwillig oder
faktisch gezwungen aus Flüchtlingslagern in Pakistan und Iran nach Kabul gelangen,
obwohl sie weithin nicht von dort, zum Teil nicht einmal aus städtischen Gebieten
stammen, und denen, die - etwa wegen ihres allgemeinen wirtschaftlichen oder sozialen
Status schon vor dem Verlassen Afghanistans - in entferntere Länder, sei es Indien, sei
es Europa, fliehen konnten und von dort zurückkehren. Schließlich liegt auf der Hand,
dass in einem städtischen Siedlungsraum mit mehreren Millionen Menschen in einer
Zeit des Wiederaufbaus grundlegender Strukturen - beispielsweise für die
Sicherheitskräfte - nicht überall ein gleiches und zufriedenstellendes Mindestmaß an
Versorgung und Ordnung zu finden ist. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass in der
derzeitigen Phase der staatlichen Entwicklung eine Vielzahl divergierender Richtungen
ideologischer, religiöser oder politischer Art sowie auf Eigenständigkeit pochender
Machthaber mit jeweils eigenem ethnischen und regionalen Hintergrund eingebunden
werden muss, was die Herausbildung und Durchsetzung klarer Verhältnisse und
Strukturen erschwert.
54
Diese Gegebenheiten, die sich durchweg in allen umfassenden Stellungnahmen
wiederfinden, einbeziehend ist im Einzelnen festzustellen:
55
In den Auskünften wird übereinstimmend auf die Kriminalität, bei der vor allem
Kindesentführungen hervorgehoben werden, auf die Korruptheit der Sicherheitskräfte
und auf einen weitestgehenden Ausfall effektiven gerichtlichen Schutzes verwiesen. Die
Polizei folgt zwar im Raum Kabul grundsätzlich den Weisungen (Deutsches
56
Orientinstitut vom 23.09.2004, PRO ASYL vom 1.06.2005), kann aber trotz erheblicher
Fortschritte noch keine Sicherheit im öffentlichen Raum bieten (PRO ASYL vom
1.06.2005). So wird angeführt, dass ganze Stadtviertel ohne Ordnungskräfte seien und
Nacht für Nacht Dutzende ums Leben kämen (Danesch Gutachten zur Lage der Hindu-
und Sikh-Minderheit im heutigen Afghanistan - im Weiteren: Danesch - vom
23.01.2006). Demgegenüber wird aber auch berichtet, die Sicherheit im täglichen
Lebensablauf sei nicht beeinträchtigt und die Zahl der Morde sei im Vergleich zu
westlichen Großstädten nicht auffällig hoch (David Aussage vor dem 12. Senat des
OVG Berlin-Brandenburg - im Weiteren: David - vom 27.03.2006). Festzustellen ist
ferner, dass die Verfasser von Auskünften, die auf relativ aktuellen eigenen
Beobachtungen beruhen (insbesondere Danesch, Merzadah - in Afghan Hindu und Sikh
Verband in Deutschland "Zur Lage der Hindus und Sikh-Minderheit in heutigen
Afghanistan" von 01.2006 - und die Berichterstatter für PRO ASYL), in Kabul zahlreiche
Bereiche haben besuchen und Kontakte haben knüpfen können. In einer Gesamtschau
der Sicherheitslage in Kabul bleibt danach festzuhalten, dass die Beeinträchtigungen
maßgeblich geprägt sind durch kriminelles Geschehen, dass insofern aber noch nicht
von einer Allgegenwärtigkeit von Übergriffen auf Leben oder Gesundheit sowie die
unerlässlichen Grundlagen der Lebensführung ausgegangen werden kann, obwohl
freilich mit effektiver Verfolgung und Abhilfe sowie gerichtlicher Ahndung im Falle eines
Übergriffs nicht zu rechnen ist. Ein maßgeblicher Faktor ist offensichtlich, wie und in
welcher Umgebung sich der Einzelne bewegt. Dass es für Rückkehrer zwangsläufig zu
einer Zuspitzung kommen muss, die zur Sorge berechtigt, alsbald Opfer von Übergriffen
- geschweige denn in die Auswirkungen bewaffneter Konflikte einbezogen - zu werden,
ist nicht ersichtlich. Das bei Rückkehrern vielleicht vermutete Verfügen über Geldmittel
trägt anders lautende Einschätzungen mangels konkreter Darstellung derartiger
Vorkommnisse nicht, jedenfalls nicht mit dem hier aus Rechtsgründen im Hinblick auf
kriminelles Geschehen anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab.
Entsprechendes gilt für die weiteren Voraussetzungen, deren Vorhandensein für die
Schutzgüter des § 60 Abs. 7 AufenthG generell unerlässlich ist, insbesondere für
Unterkunft und Verpflegung. Auch hier zeigt die Auskunftslage einerseits
existenzbedrohende Szenarien, andererseits aber auch reale Möglichkeiten einer
akzeptablen Problembewältigung. Insgesamt steht die Frage im Vordergrund, wer in
dem von Armut geprägten Land die notwendigen finanziellen Mittel besitzt und/oder sich
beschaffen kann, um die verfügbaren und erwerbbaren Güter einschließlich Wohnraum
zu erlangen. Dass nach jahrelangen Kämpfen im Stadtgebiet von Kabul und angesichts
des Zustroms von Rückkehrern vornehmlich aus Pakistan und Iran Wohnraum sehr
knapp sowie - zum Teil auch infolge der Ansprüche zahlungskräftiger Ausländer, etwa
auch von Nicht-Regierungs-Organisationen (PRO ASYL vom 1.06.2005) - sehr teuer ist
und die Unterbringung ein hervorstechendes Problem darstellt, leuchtet ebenso ein, wie
das Bemühen des UNHCR, hier zu helfen (AA vom 29.11.2005 und vom 13.07.2006,
UNHCR Anhang 10 in der BMJ- Übermittlung vom 5.12.2005), und das Interesse
afghanischer Regierungsstellen, im Rahmen von Rückkehrvereinbarungen mit Ländern,
in die Afghanen geflohen waren, Geldleistungen für die Wohnraumbeschaffung zu
erlangen (PRO ASYL vom 1.06.2005, Danesch vom 23.01.2006). Viele zurückkehrende
Personen müssen sich mit äußerst behelfsmäßigem Schutz begnügen oder in Ruinen
eine Bleibe suchen. Die Größe dieses Anteils an der Bewohnerschaft Kabuls wird
unterschiedlich bewertet. Während zum Teil in offensichtlicher Fokussierung der
Betrachtung auf die Elendsviertel, in denen gerade Rückkehrer aus den Afghanistan
benachbarten Ländern leben, der Eindruck erweckt wird, der überwiegende Teil der
Millionen zählenden, weithin aus verarmten Rückkehrern bestehenden Bewohner von
57
Kabul sei nur äußerst notdürftig und slumartig untergebracht (etwa Danesch vom
23.01.2006), nennt David (vom 27.03.2006) - aus der Sicht eines Betreuers von
Flüchtlingen vornehmlich aus westeuropäischen Ländern - eine Zahl von etwa 100.000
Personen, die in Slums oder Ruinen leben müssten. Dabei ist freilich zugrundezulegen,
dass der Wohnstandard den dortigen Verhältnissen entsprechend das Zusammenleben
einer Mehrzahl von Personen auf engstem Raum, bis hin zu einem Zimmer für eine
mehrköpfige Familie einschließen kann (PRO ASYL vom 1.06.2005). Auch hinsichtlich
der Unterkunftsmöglichkeit ist letztlich zu folgern, dass für die Prognose, was den
einzelnen Rückkehrer treffen wird, von wesentlicher Bedeutung ist, ob auf ihn die
Beobachtungen zu übertragen sind, die für die Masse der Rückkehrer aus Pakistan und
Iran zu machen sind, wovon offensichtlich Danesch ausgeht, oder ob - wovon ersichtlich
David ausgeht - für Europarückkehrer etwas günstigere Bedingungen vorliegen können.
Die Diskrepanzen in den Darstellungen setzen sich fort bei dem Versorgungsproblem
und der Chance, eigenständig für den Lebensunterhalt sorgen zu können. Einheitlicher
Ausgangspunkt ist allerdings, dass es an jeglicher öffentlicher Gewährleistung einer
Grundversorgung fehlt. Der gesamte Bereich der sozialen Absicherung ist traditionell
und grundsätzlich der Hilfe und Unterstützung innerhalb der Familie, des Clans oder
des Stammes überlassen. Überwiegend wird dementsprechend davon ausgegangen,
dass bei einer Rückkehr in einer oder in eine Großfamilie regelmäßig mit keinen
schwerwiegenden Gefährdungen im Sinne der Kriterien bei der hier in Rede stehenden
Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG zu rechnen ist, wenngleich auch nicht
auszuschließen ist, dass an Rückkehrer aus Europa Erwartungen gestellt werden, weil
im Ausland erworbenes Vermögen unterstellt wird (Deutsches Orientinstitut vom
23.09.2004, PRO ASYL vom 1.06.2005, Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 3.02.2006,
AA vom 29.11.2005). Ohne ein solches soziales Netz wird die Situation in den
vorgenannten Auskünften als schwierig oder äußerst schwierig bzw. als auf die
Grundnahrungsmittelversorgung beschränkt bezeichnet; für bestimmte Konstellationen
wird bei Mittel- und Arbeitslosigkeit eine Überlebensmöglichkeit sogar ausgeschlossen
(PRO ASYL vom 1.06.2005). Das Vorhandensein der notwendigen Lebensmittel im
erforderlichen Umfang in Kabul wird überwiegend bejaht, wobei zum einen darauf
verwiesen wird, dass die Versorgung durch die Vereinten Nationen sowie
Hilfeleistungen anderer Organisationen greifen, zum anderen aber auch die allgemeine
wirtschaftliche Entwicklung und der - wegen der Kaufkraft freilich längst nicht allen
zugute kommende - freie Warenverkehr angeführt werden (AA vom 13.07.2006,
Deutsches Orientinstitut vom 23.09.2004, PRO ASYL vom 1.06.2005, David vom
27.03.2006). Danesch (vom 23.01.2006) weist wiederholt darauf hin, in den von ihm
besuchten Slums und Ruinen keine Helfer angetroffen zu haben, die sich um die
Versorgung der dort Lebenden gekümmert hätten, und berichtet von vielen Fällen der
Unterernährung; Rückkehrer könnten nur mit einer geringen Geldleistung und mit einer
notdürftigen Grundausstattung rechnen, wobei sich die Aufmerksamkeit des UNHCR auf
die Rückkehrer aus den Nachbarländern richte, zumal die Rückkehrer aus Europa
zahlenmäßig keine Rolle spielten. Auf die schlimme Lage der Binnenflüchtlinge sowie
der Rückkehrer aus Pakistan in den von ihnen genutzten Lagern sowie auf die (nur)
begrenzte Hilfe des UNHCR mit Geld- und Sachmitteln weisen auch PRO ASYL, AA
sowie UNHCR (vom 1.06.2005 bzw. 13.07.2006 und in Anlage 10 zur BMJ-Übermittlung
von 5.12.2005) hin. Zum Teil werden Arbeitsmöglichkeiten nur in Hilfsarbeiten als
Tagelöhner mit einem Entgelt gesehen, das kaum zur Beschaffung von Brot für eine
Familie reicht (Danesch vom 23.01.2006), zum Teil wird allgemein auf das Fehlen von
Arbeitsplätzen verwiesen, wobei auch der Staat nicht, selbst nicht für Gebildete,
einspringen kann, weil seine Dienste bereits überbesetzt sind (PRO ASYL von
58
1.06.2005). Demgegenüber wird aber auch auf die wirtschaftliche Entwicklung mit
ausländischem Engagement und reger Bautätigkeit hingewiesen, die trotz verbreiteter
Arbeitslosigkeit gerade Rückkehrern aus Europa aufgrund von Sprachkenntnissen oder
als Geschäftsleuten Chancen eröffnet (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 3.02.2006,
David vom 27.03.2006). Diese Darstellung überzeugt, da die Möglichkeit der Nutzung
von Erfahrungen, Fähigkeiten und Kenntnissen, die beim Aufenthalt in Ländern mit
anderer Kultur und anderem Wirtschaftsstandard erworben wurden, im derzeitigen
Entwicklungsstadium Afghanistans geradezu auf der Hand liegt und damit ein
erheblicher Unterschied zu den Rückkehrern besteht, die in Nachbarländern
Afghanistans in Flüchtlingslagern gelebt haben. Dass insofern die individuelle
Bereitschaft und entsprechendes Engagement von Gewicht sind, bedarf keiner
Erläuterung und wird etwa in dem Bericht auf Seiten 37 ff. in dem ai- Info/Pressespiegel,
Ausgabe 73, exemplarisch deutlich.
Vgl. insofern auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Mai 2006 - 12 B 11.05 -.
59
Vorbehaltlich von Problemfeldern, die wie insbesondere die medizinische Versorgung
von allgemeiner Bedeutung sind, ist im Hinblick auf die Gestaltung eines Lebens in
Kabul nach dem Vorstehenden für die Rückkehrer von Bedeutung, ob sie, soweit sie
nicht Aufnahme in einem familiären Verband, der nach den sozialen Gegebenheiten in
Afghanistan erheblich über ein Verständnis lediglich von Eltern und Kindern hinausgeht,
finden, als Teil einer allein seitens des UNHCR erfassten, versorgten und rudimentär
betreuten großen Zahl von mehr oder weniger mittellosen und hilfsbedürftigen
Flüchtlingen nach Kabul gelangen, von denen viele dort nicht einmal heimisch sind,
sondern wohin sie nur gelangen, weil in ihren Heimatregionen die Lebensbasis von
Landwirtschaft und Handwerk zerstört ist (UNHCR Anlage 5 zur BMJ-Übermittlung vom
5.12.2005), oder ob sie von den beschränkten Möglichkeiten eigener Entfaltung
Gebrauch machen können, die eine Stadt wie Kabul hinsichtlich eigener
Erwerbstätigkeit bietet.
60
Dass letzteres unerlässlich ist, um den Mindeststandard zu gewährleisten, den
höherrangiges Recht - selbst bei Einbeziehung der Qualifikationsrichtlinie - über den
ausdrücklichen Regelungsgehalt des § 60 Abs. 7 AufenthG hinaus gebietet, dass also
ohne entsprechende positive Feststellung im Einzelfall aus verfassungsrechtlichen
Gründen Schutz zu gewähren wäre, ist allerdings zu verneinen. Denn bei allen von den
Beobachtern der Lage aufgezeigten gravierenden Mängeln in der Sicherheit, der
Gewährleistung der Ernährung und der Wohnraumversorgung gibt es keine
verlässlichen Erkenntnisse über Beeinträchtigungen von Leben oder Gesundheit in
einem solchen Maße, dass Rückschlüsse auf einen hohen Gefährdungsgrad für jeden
Einzelnen zu ziehen sind. Diesbezügliche, auf Angaben vom Hörensagen gestützte
Schlussfolgerungen etwa von Danesch (vom 23.01.2006) erscheinen zwar vor dem
Hintergrund von Schilderungen einzelner vorgefundener konkreter Verhältnisse
zunächst durchaus schlüssig. Sie entbehren aber jeder weiteren Präzisierung und
lassen Fragen danach offen, wie die von ihm Angetroffenen etwa die geschilderte,
langandauernde und nach seiner Darstellung völlig unzureichende Versorgung und die
kalte Jahreszeit ohne nennenswerten Schutz überstanden haben sowie wie sich die
Lebensbedingungen befragter Händler im Einzelnen darstellen. Ferner bleibt etwa bei
Merzadah (von 01.2006) ausgeblendet, wie sich die Lebensgrundlage und deren
Entwicklung bei Personen darstellen, die er als Tempelbesucher und -bewohner
angetroffen hat oder die wie ein aufgesuchter Geschäftsmann aus anderen Ländern als
den Nachbarstaaten zurückgekehrt waren. Gegen einen Schluss dahin, die Verhältnisse
61
erfüllten grundsätzlich und für jeden Rückkehrer die vom Bundesverwaltungsgericht
nach den einleitenden Ausführungen aufgestellten Kriterien für die Zubilligung von
Abschiebungsschutz bei allgemeinen Gefahren im Heimatstaat sprechen auch die
Feststellungen des Auswärtigen Amtes in seinen Lageberichten. Danach (vgl. zuletzt
AA vom 13.07.2006) stellt sich die Lage von Rückkehrern sicherlich nicht problem- und
gefahrlos dar, was allerdings zunächst nur auf Verhältnisse hindeutet, die Erwägungen
zu einem Abschiebungserlass nach § 60a Abs. 1 AufenthG in hohem Maße nahe legen,
den Schluss auf eine extreme Gefahrenlage indes noch nicht zulässt. Dem entspricht es
auch, wenn die mit den rechtlichen Anforderungen und Kriterien vertrauten Autoren des
Berichts von PRO ASYL (1.06.2005) die Lage von Rückkehrern im Grunde (nur) als
"generell problematisch" bezeichnen, was grundsätzlich mit den erhöhten
Anforderungen an unabweisbaren Individualschutz nicht korreliert. Vor allem aber
leuchtet schwerlich ein, dass UNHCR, dessen Mitarbeiter mit der Lage vor Ort jedenfalls
zuverlässig vertraut sein müssen, weiterhin zur massenhaften Rückkehr aus Pakistan
und Iran beiträgt, ohne die weitere Rückführung ausschlaggebend unter die Bedingung
zusätzlicher umfangreicher Mittel zu stellen; demgegenüber hat er etwa zu Zeiten der
Besorgnis von Versorgungsengpässen infolge der Dürreperioden auf eine nachhaltige
Verbesserung seiner finanziellen Ausstattung gedrängt.
Aber ungeachtet dessen ist jedenfalls nicht festzustellen, dass Rückkehrer aus
Deutschland - vorbehaltlich besonderer Umstände, auf die im Weiteren noch
einzugehen ist - zwangsläufig und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Situationen
geraten werden, die den in den Auskünften geschilderten Zuspitzungen gleichkommen.
David (vom 27.03.2006), der längerfristig an Betreuungsarbeiten und der Vergabe von
Leistungen aus dem RANA-Programm mit Mitteln der EU, die von der IOM - International
Organization for Migration - erbracht wurden und allen Rückkehrern aus der EU - seien
sie freiwillig ausgereist, abgeschoben oder im Rahmen einer Vereinbarung
zurückgelangt - zur Verfügung standen, mitgewirkt hat und so auf Beobachtungen der
ersten Zeit nach der Rückkehr bei zahlreichen Personen, etwa 30 bis 40 monatlich aus
Großbritannien und insgesamt schon etwa 120 aus Deutschland zurückgreifen kann, hat
berichtet, dass die auf zwei Wochen angelegten Unterkunftsangebote regelmäßig in
zeitlicher Hinsicht nicht voll genutzt wurden und das Heim nie voll belegt war. Das zeigt,
dass Rückkehrer aus Europa also auch andere Wege oder Kontakte finden, um
gegebenenfalls erforderliche Hilfe zu erlangen. David hat ferner aus eigener Tätigkeit
heraus berichtet, dass das Bemühen um eine Arbeitsstelle bei Rückkehrern aus
Deutschland im Hinblick auf das Interesse ausländischer Unternehmen vor allem wegen
Sprachkenntnissen durchaus erfolgreich sein kann (entsprechend: Schweizerische
Flüchtlingshilfe vom 3.02.2006). Die Ausführungen von David für die Einstiegsphase
von Rückkehrern aus Europa überzeugen, selbst wenn gewisse Abstriche wegen
spürbarer Pauschalierungen und nicht recht nachvollziehbarer Diskrepanzen zu
anderen Auskünften angebracht sein sollten und eingestellt werden, zumindest
dahingehend, dass nicht von einer generellen Chancenlosigkeit und quasi von der
Zwangsläufigkeit einer Situation auszugehen ist, die eine Durchbrechung des
gesetzlichen Vorbehalts einer politischen Entscheidung zugunsten eines Bleiberechts
erlaubt und gebietet. Es handelt sich um eine präzise Darstellung, die gerade auch den
Personenkreis in den Blick nimmt, auf den es im vorliegenden Verfahren für eine
Prognose der Lebensumstände ankommt. Insofern weisen die sonstigen Auskünfte eine
gewisse Lücke auf, sei es, weil die Probleme für die Masse der zurückkehrenden
Flüchtlinge dominieren, sei es, weil die geringe Zahl der Rückkehrer aus Europa oder
sonstigen im Weltmaßstab reichen Fluchtländern eine eher aufwändige spezielle
Betrachtung erfordert. Die Darstellung ist in sich stimmig und nachvollziehbar. Sie
62
blendet auch die allgemeinen Schwierigkeiten - insbesondere für die große Zahl der
aus Pakistan und Iran nach Kabul Gelangenden - nicht aus. Einige Gegensätze - etwa
bei den Aussagen zur allgemeinen Sicherheit sowie in der Abschätzung der in Slums
oder Ruinen Lebenden - zu anderen Darstellungen, insbesondere zu den im
Vorstehenden auch wiedergegebenen Aussagen von Danesch, spiegeln die
Widersprüche wider, die eine Stadt von mehreren Millionen Einwohnern stets aufweist,
und bringen zum Ausdruck, dass einmal aus der täglichen Arbeit in einem speziellen
und überschaubaren Bereich, einmal von einem außenstehenden Sammler von
Informationen - ob mit oder ohne bestimmte Auftraggeber und Tendenz - berichtet wird;
unterschiedliche Wahrnehmungen und Akzentsetzungen erscheinen dabei
unvermeidlich. Insofern ist allerdings auffällig, dass Danesch (vom 23.01.2006) von der
Tätigkeit von IOM in Kabul spricht, sich aber mit einer Mitteilung vom Hörensagen dahin
begnügt, die Organisation zahle nur für den Transport von Rückkehrern. Kaum anders
verhält es sich mit dem Bericht von PRO ASYL (vom 1.06.2005), in dem die Tätigkeit
von IOM erwähnt, jedoch mit einem bloßen Hinweis darauf abgetan wird, die
Unterstützung für freiwillige Rückkehrer sei zur Zeit möglich, weil nur wenige kämen;
nähere Feststellungen vor Ort sind offensichtlich nicht getroffen worden.
Der Senat verbleibt daher auch nach Auslaufen des von David (vom 27.03.2006)
geschilderten Hilfsprogramms von IOM, das einer relevanten Zuspitzung der
Gefahrenlage jedenfalls entgegenstand -
63
vgl. Urteil des Senats vom 5. April 2006 - 20 A 5161/04.A - ,
64
bei seiner Einschätzung, dass für Rückkehrer aus Deutschland nach Afghanistan nicht
allgemein die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG bejaht werden können. Die
möglichen Feststellungen tragen nicht den von der Vorinstanz gezogenen Schluss,
Personen, die nicht - z. T. sogar unter Missachtung der Beibringungslast: nicht
nachweisbar - in einen funktionierenden - und z. T. in einem zu engen Sinne
verstandenen - Familienverband Aufnahme finden, gerieten in Afghanistan in eine völlig
aussichtslose Lage.
65
Im Ergebnis jedenfalls für männliche Flüchtlinge mittleren Alters ebenso OVG Berlin-
Brandenburg, Urteil vom 5. Mai 2006 - 12 B 9.05 - und Sächsisches OVG, Urteil vom 23.
August 2006 - A 1 B 58/06 -; in der Wertung abweichend etwa VG Karlsruhe, Urteil vom
9. November 2005 - A 10 K 12302/03 -.
66
Allerdings ist nicht auszuschließen, dass eine solche Situation bei Hinzukommen
besonderer Umstände eintritt. Dazu bedürfen verschiedene Anknüpfungspunkte der
gesonderten Betrachtung.
67
Eine im Rahmen der Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG
relevante Zuspitzung in Anknüpfung an Volks- oder Religionszugehörigkeit ist nicht
festzustellen. In Afghanistan leben seit jeher verschiedene Ethnien unterschiedlicher
Größenordnung zusammen (vgl. etwa Deutsches Orientinstitut vom 23.09.2004, AA vom
29.11.2005), wobei es je nach den Größen- und Machtverhältnissen in Teilregionen des
Landes zu Spannungen und auch zu erheblichen Diskriminierungen kommen kann.
Selbst wenn solche Vorkommnisse bis an die Beeinträchtigung der Lebensgrundlagen,
bis zur Vertreibung oder unmittelbaren Bedrohung von Leben und Gesundheit reichen,
besteht bei der alleinigen Anknüpfung an die Volkszugehörigkeit immer noch die
Möglichkeit, in andere Landesteile auszuweichen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der
68
religiösen Ausrichtung innerhalb des Islam, also insbesondere hinsichtlich von Schiiten
und Sunniten. Anders zu sehen sind die nichtislamischen Religionen, denen zwar in der
Verfassung Freiheit zugestanden ist, allerdings unter dem Vorbehalt gesetzlicher
Regelungen, die ihrerseits den Grundlagen des Islam nicht widersprechen dürfen
(Hutter/Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Universität Bonn,
"Existenzmöglichkeiten für Hindus und Sikhs in der Islamischen Republik Afghanistan?"
- im Weiteren: Hutter - vom 25.01.2006). Wie sich die Verfassungswirklichkeit entwickeln
und festigen wird, ist derzeit noch offen und schwer vorherzusehen, wie nicht zuletzt die
durch die allgemeine Presse jüngst bekannt gewordenen Vorgänge um einen im
Ausland zum Christentum übergetretenen afghanischen Moslem belegt haben. Für eine
systematische Verfolgung der Angehörigen nichtislamischer Religionen sind
gegenwärtig allerdings keine Ansätze ersichtlich. Festzustellen sind vielfältige
Benachteiligungen, insbesondere von privater Seite. Dass diese Beeinträchtigungen
allgemein schon bis an den Kern des Schutzbereichs reichen, den § 60 Abs. 7 AufenthG
abdecken soll und muss, ergibt sich jedoch nicht. In zugespitzten Einzelfällen einer
besonders schwerwiegenden Verletzung islamischer Vorstellungen und/oder bei
Hinzutreten weiterer Umstände wird freilich ein unabweisbarer Schutzbedarf wegen der
Religion in Betracht zu ziehen sein.
Vgl. etwa OVG Bautzen, Urteil vom 23.Oktober 2003 - A 1 B 114/00 -.
69
Eine im vorliegenden Zusammenhang relevante Zuspitzung der Lage hinsichtlich der
Existenzbedingungen ist - vorbehaltlich besonderer Umstände - für Frauen konkret zu
befürchten, die ohne männliche Begleitung nach Afghanistan zurückkehren müssen und
nicht in intakten Strukturen Aufnahme finden. Denn alleinstehende Frauen sind in
hohem Maße schon dann gefährdet, wenn sie die erforderlichen Schritte zur
Beschaffung des Lebensnotwendigen unternehmen. So ist in den Auskünften weithin
einheitlich festgehalten, dass alleinstehende Frauen nicht akzeptiert sowie als
"Freiwild" betrachtet werden, vielfältigen Benachteiligungen und Übergriffen ausgesetzt
sind und auch bei Unterkunft in einer der von Nicht- Regierungsorganisationen speziell
für Frauen geschaffenen Unterkünfte letztlich als moralisch verwerflich angesehen und
behandelt werden (PRO ASYL vom 1.06.2005, AA vom 13.07.2006, Danesch vom
23.01.2006). Es ist ohne Weiteres plausibel, dass unter solchen Bedingungen ein
Leben ohne nachhaltige Beeinträchtigungen der Versorgung mit dem Nötigsten oder mit
Ausschluss jeglicher Bewegungsfreiheit oder mit der konkreten Gefahr, sich
körperlichen Übergriffen auszusetzen, nicht möglich ist. Insofern stimmt das Gericht
auch der Beurteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in seinem
Bescheid vom 13. Mai 2005 - 5156885-423 - (AuAS 2005, 249) zu und schließt an seine
bisherige Rechtsprechung an.
70
Vgl. Urteil des Senats vom 20. März 2003 - 20 A 4270/97.A -, in dem bei einer
unverheirateten Frau auf die bei realistischer Betrachtung der konkreten Umstände
allein zu erwartende Rückkehr gemeinsam mit einem Bruder abgestellt worden ist.
71
Von einer relevanten Zuspitzung der Lage ist ferner bei Erkrankungen auszugehen, die
eine die Grundelemente in Behandlung und Medikamenten übersteigende Versorgung
erfordern. Dass die medizinischen Möglichkeiten in Afghanistan entsprechend den
Verhältnissen eines der ärmsten Länder der Welt und nach jahrlangen Kämpfen höchst
unzureichend sind, wird von keiner der Auskunftsstellen oder -personen bezweifelt.
EURASIL (Anlage 11 Annex I zur Übermittlung des BMJ vom 5.12.2005) bezeichnet den
Mangel an möglicher medizinischer Behandlung demgemäß auch schon als ein in
72
Betracht kommendes Rückkehrhindernis. Standardmittel und eine gewisse
Grundversorgung sind zwar vorhanden, wobei aber offen bleibt, inwieweit die
prinzipielle Unentgeltlichkeit nicht durch erforderliche Bestechung zunichte gemacht
wird (Deutsches Orientinstitut vom 23.09.2004, Schweizerische Flüchtlingshilfe vom
3.02.2006, Danesch vom 23.01.2006 und an OVG Bautzen vom 24.07.2004). Bei
unerlässlichen Behandlungen komplizierterer Art sowie bei erforderlicher
kontinuierlicher und gleichmäßiger Versorgung mit bestimmten qualifizierten
Medikamenten wird - falls ein Ausbleiben alsbald zu schwerwiegenden Folgen führt -
regelmäßig (vgl. aber etwa zur Diabetes: Deutsche Botschaft Kabul an VG Osnabrück
vom 18.06.2006) die hinreichende Wahrscheinlichkeit für Beeinträchtigungen gegeben
sein, vor denen nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu schützen ist. Vergleichbar kann sich im
Einzelfall auch die Situation mittelloser alter, schwacher oder behinderter Personen
darstellen, wenn es ihnen aufgrund ihrer Verfassung nicht mehr möglich ist, die
notwendigen Schritte zur Grundversorgung zu unternehmen, und festzustellen ist, dass
hilfsfähige und - bereite Personen in Afghanistan nicht zur Verfügung stehen.
Vgl. schon Urteil des Senats vom 15. Mai 2003 - 20 A 3332/97.A -.
73
Weitere Zuspitzungen können sich noch aus Umständen ergeben, die ihrer Art nach
schon andere, regelmäßig vorrangige Schutzgründe - Asyl oder § 60 Abs. 1 bis 3 und 5
AufenthG - tragen könnten, dort aber aus welchen Gründen außer mangelnder
Glaubhaftigkeit auch immer nicht zum Erfolg geführt haben. Insofern ist, soweit dabei
von einer Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gesprochen
werden kann, vor allem an Angehörige früherer Regime - etwa Kommunisten oder
Taliban - zu denken (vgl. dazu Deutsches Orientinstitut vom 23.09.2004, AA vom
13.07.2006, Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 3.02.2006). Allerdings dürfte es hier
nur ganz ausnahmsweise zu einer Konstellation kommen, die nach Wahrscheinlichkeit
und Dringlichkeit der Gefahr den hier betrachteten Anforderungen für einen
unerlässlichen Abschiebungsschutz genügt.
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Für die Kläger trifft keine der vorstehend als unabweisbar Schutz erfordernd
dargestellten Konstellationen zu. Insbesondere steht für die Klägerin nicht zu besorgen,
dass sie als alleinstehende Frau nach Kabul gelangt, nachdem sie verheiratet ist und
eine Abschiebung nur unter Berücksichtigung des gebotenen Schutzes der Ehe in
Betracht kommt. Ihre Schwangerschaft wird vorrangig unter dem Aspekt der
Reisefähigkeit von Bedeutung sein und stellt daher gegebenenfalls ein hier nicht zu
berücksichtigendes innerstaatliches Abschiebungshindernis dar. Mit Blick auf ihr
Heimatland bedeutet die Schwangerschaft zwar eine zusätzliche erhebliche
Erschwernis, für deren Relevanz im Sinne der verfassungskonformen Handhabung des
§ 60 Abs. 7 AufenthG jedoch noch nichts Tragfähiges spricht.
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Das zusätzlich angebrachte Begehren der Kläger, die Voraussetzungen des Art. 15
Buchst. b) und c) der Qualifikationsrichtlinie festzustellen, begegnet verschiedenen
Bedenken verfahrensrechtlicher Art, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden
muss. Denn den obigen Ausführungen zum Verhältnis der im vorliegenden
Berufungsverfahren relevanten innerstaatlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu den
angeführten europarechtlichen Vorgaben ist bereits zu entnehmen, dass die
Voraussetzungen der Richtlinie nicht erfüllt sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1
ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, § 132 Abs. 2 VwGO, liegen nicht vor.
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