Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.11.2001

OVG NRW: vertretung, widerspruchsverfahren, rechtsberatung, verwaltungsverfahren, auflage, vollmacht, begriff, autonomie, fremder, abrede

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 100/99
Datum:
29.11.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 100/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 3922/97
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Es spricht schon vieles dafür, dass mit der Antragsschrift vom 23. Dezember 1998 die
Gründe, aus denen nach Auffassung der anwaltlich vertretenen Klägerin die Berufung
zuzulassen ist, nicht in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO
genügenden Weise dargelegt sind. Eine solche Darlegung setzt voraus, dass ein Kläger
hinreichend deutlich kundtut, auf welchen der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend
aufgeführten Zulassungsgründe er sich beruft, und außerdem in Auseinandersetzung
mit der erstinstanzlichen Entscheidung erläutert, warum der jeweilige Grund seiner
Auffassung nach vorliegt.
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Vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2001 - 12 E 531/01
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Diesen Anforderungen wird das Rechtsbehelfsvorbringen der Klägerin nicht gerecht,
weil es weder einen der Gründe bezeichnet, die nach § 124 Abs. 2 VwGO allein
Grundlage für eine Zulassung sein können, noch eine eindeutige Zuordnung zu einem
dieser Zulassungsgründe ermöglicht. Die Antragsschrift ist lediglich in der Art einer
Berufungsbegründung abgefasst und lässt die notwendige Orientierung an den
gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen vermissen.
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Aber selbst wenn man diese Bedenken gegen die Einhaltung des Darlegungser-
fordernisses zurückstellt und annimmt, die Klägerin habe sich dem Sinne nach auf den
Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit
des Beschlusses) berufen wollen, führt der gestellte Antrag nicht zur Zulassung der
Berufung.
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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur dann, wenn
durch das Vorbringen des Rechtsbehelfsführers Bedenken von solchem Gewicht gegen
die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung hervorgerufen werden, dass deren
Ergebnis ernstlich in Frage gestellt ist.
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Vgl. den Beschluss des Senats vom 12. März 2001 - 12 B 1284/00 - m.w.N.
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Das ist hier nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass
die Klägerin gemäß § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB X zu Recht als Bevollmächtigte im
Widerspruchsverfahren zurückgewiesen worden sei, weil ihr wiederholtes Auftreten als
Bevollmächtigte in sozialhilferechtlichen Verfahren sich als geschäftsmäßige
Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1
RBerG darstelle, die nach dieser Vorschrift der Erlaubnis der zuständigen Behörde
bedürfe. Über eine solche Erlaubnis verfüge die Klägerin nicht. Auch durch die
Ausnahmevorschrift des Art. 1 § 3 Nr. 1 RBerG werde ihr Auftreten als Bevoll- mächtigte
in sozialhilferechtlichen Widerspruchsverfahren nicht gedeckt. Zwar nehme die Klägerin
als Teil der evangelischen Landeskirche grundsätzlich auch mit ihrer Arbeit im "Zentrum
für Sozial- und Migrationsberatung" an der Privilegierung teil, die Körperschaften des
öffentlichen Rechts nach Art. 1 § 3 Nr. 1 RBerG erführen. Jedoch gehöre die in Rede
stehende Vertretung im Widerspruchsverfahren nicht zu der nach dieser Vorschrift
erlaubnisfreien Tätigkeit der "Rechtsberatung und Rechtsbetreuung". Bei einer
Vertretung im sozialhilferechtlichen Widerspruchs- verfahren handele es sich
unzweifelhaft nicht um eine reine Rechtsberatung. Die Tätigkeit falle aber auch nicht
unter den Begriff der "Rechtsbetreuung", und zwar selbst dann nicht, wenn man
hierunter nicht nur eine im Innenverhältnis zwischen der betreuenden Stelle und dem
Ratempfänger bleibende Vorsorge, sondern auch ein Tätigwerden für den Betreuten
nach außen verstehe. Die Vertretung in streitigen Verwaltungsverfahren gehe - nicht
anders als eine Vertretung vor Gericht - über ein bloßes nach außen gerichtetes
Tätigwerden für einen anderen hinaus.
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Dass der Begriff der Rechtsbetreuung nicht auch die Rechtsvertretung in streitigen
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren erfasse, ergebe sich auch aus der Begriffs-
systematik des Rechtsberatungsgesetzes. Der Gesetzgeber habe in die Ausnahme-
vorschrift des Art. 1 § 3 Nr. 1 - anders als in die Ausnahmevorschriften des Art. 1 § 3 Nr.
4 und 5 - nicht den alles umfassenden Oberbegriff der "Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten" aufgenommen, sondern den Ausnahmetatbestand auf "die
Rechtsberatung und Rechtsbetreuung" beschränkt. Dies mache deutlich, dass es neben
der Rechtsberatung und der Rechtsbetreuung einen weiteren Bereich geben müsse, der
den Oberbegriff der Rechtsbesorgung ausfülle. In diesen Bereich falle insbesondere die
Rechtsvertretung zur Durchsetzung und Verwirklichung streitiger Rechtsansprüche,
denn die streitige Rechtsvertretung sei die Tätigkeit, die erforder-lich werde, wenn eine
Rechtsberatung und Rechtsbetreuung nicht bereits zur Verwirklichung des
Rechtsanspruchs geführt hätten.
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Die weitgehende Autonomie der Kirchen in der Regelung eigener Angelegenheiten
stehe diesem Ergebnis nicht entgegen. Auch die Kirchen seien gemäß Art. 140 GG
i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV an die Schranken der für alle geltenden Gesetze
gebunden.
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Das Rechtsbehelfsvorbringen der Klägerin gibt keine Veranlassung, die Richtigkeit
dieser Entscheidung ernstlich in Zweifel zu ziehen.
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Auf das Ergebnis eines am 24. Februar 1969 im Hinblick auf eine beabsichtigte Reform
des Rechtsberatungsgesetzes geführten Gesprächs zwischen den betei- ligten
Bundesressorts, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts- verbände und
den angeschlossenen Organisationen,
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vgl. Knopp/Fichtner, BSHG, 7. Auflage, Nr. 37 zu § 8,
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kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg berufen. Das gilt im Hinblick auf den bloß
informellen Charakter der Absprache, der eine Rechtsbindung ausschließt, selbst dann,
wenn das auf eine "Beratung" nach § 8 BSHG bezogene Gesprächsergebnis - wie die
Klägerin entgegen dem klaren Wortlaut der Absprache annimmt - den Rückschluss
gestatten sollte, die Gesprächsteilnehmer seien von einer Befugnis der
Wohlfahrtsverbände zur geschäftsmäßigen Vertretung von Bedürftigen in
sozialhilferechtlichen Widerspruchsverfahren ausgegangen. Das Verwaltungsgericht
hat die Gründe, die einer solchen Befugnis entgegenstehen, mit Blick auf die Begriffs-
systematik des Rechtsberatungsgesetzes überzeugend dargelegt. Danach lässt sich
insbesondere aus den Regelungen des Art. 1 § 3 RBerG nichts entnehmen, was eine
unterschiedliche Beurteilung des Auftretens eines Rechtsvertreters in einem
Widerspruchsverfahren und seines Auftretens in einem Klageverfahren rechtfertigen
könnte.
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Vgl. hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 22. September 1998 - 24 A 4470/96 -, NVwZ-RR
1999, 585, und das dieser Entscheidung zugrundeliegende Urteil des
Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Juli 1996 - 5 K 5617/94 - sowie VG Braunschweig,
Urteil vom 27. August 1992 - 4 A 4038/91 - info also 1994, 236; LG Stuttgart, Urteil vom
21. Juni 2001 - 5 KfH O 21/01 - info also 2001 167 (168); Rennen/Caliebe, RBerG, 3.
Auflage, Rdnr. 13 zu Art. 1 § 3 und Giese/Krahmer, SGB X, Rdnrn. 43 und 45 zu § 13.
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Der Einwand der Klägerin, die Wohlfahrtsverbände seien berechtigt, über Inhalt und
Reichweite ihrer Aufgaben allein zu entscheiden, verhilft ihrem Rechtsschutzbe- gehren
ebenfalls nicht zum Erfolg. Er gibt keine Veranlassung, die Feststellung des
Verwaltungsgerichts anzuzweifeln, die Regelungen des Rechtsberatungsgesetzes
gehörten zu den Schranken der für alle geltenden Gesetze, an die auch die Kirchen
ungeachtet ihrer durch die Verfassung garantierten weitgehenden Autonomie gebunden
seien.
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Entsprechendes gilt im Ergebnis für das auf die Regelungen des § 67 Abs. 1 und 2
VwGO gestützte Vorbringen der Klägerin. Das ergibt sich schon daraus, dass in den
genannten Regelungen über Prozessbevollmächtigte und Beistände im gerichtlichen
Verfahren ebenso wie in der für das Verwaltungsverfahren geltenden Regelung des §
13 Abs. 5 Satz 2 SGB X i.V.m. § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG den Kirchen zuzuordnende
Einrichtungen oder Verbände nicht aufgeführt sind und die Klägerin nicht dargetan hat,
dass das Gesetz insofern eine durch analoge Gesetzesanwendungen zu schließende
Lücke aufweist.
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Auch mit dem sinngemäß erhobenen Einwand, dass es an der Geschäftsmäßigkeit ihrer
in Rede stehenden Tätigkeit (Vertretung eines Hilfe Suchenden im Wider-
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spruchsverfahren) fehle, vermag die Klägerin nicht durchzudringen. Geschäftsmäßig im
Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG handelt bereits, wer beabsichtigt, die Tätigkeit
in gleicher Weise zu wiederholen und dadurch zu einem wiederkehrenden oder
dauernden Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen.
Vgl. Rennen/Caliebe, a.a.O., Rdnr. 58 zu Art. 1 § 1; Altenhoff/Busch/
Kampmann/Chemnitz, RBerG, 9. Aufl., Rdnr. 62 zu Art. 1 § 1; Giese/Krahmer a.a.O.,
Rdnr. 43 zu § 13; Hauck/Haines, SGB X, Rdnr. 11 zu § 13 und Schorn, Die
Rechtsberatung, 2. Aufl., S. 108/109, jeweils mit weiteren Nachweisen.
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Demgemäß genügt bei Bestehen einer Wiederholungsabsicht eine über den aus
besonderen Gründen wahrgenommenen Gelegenheitsfall hinausgehende -
selbständige - Tätigkeit.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1964 - 2 C 160.62 -, BVerwGE 19, 339 (343).
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Dass es an diesen Voraussetzungen fehlen könnte, ist dem Rechtsbehelfs- vorbringen
der Klägerin nicht zu entnehmen. Vielmehr macht schon der Umstand, dass die Klägerin
nicht in Abrede stellt, in dem Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 1997 in elf
verschiedenen Sozialhilfeangelegenheiten als Bevollmächtigte im
Widerspruchsverfahren aufgetreten zu sein - wie der Beklagte in der Begründung seines
Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1997 dargelegt hat - deutlich, dass die
Vertretung von Hilfe Suchenden in einem Widerspruchsverfahren - sei es auch nur in
einer verhältnismäßig geringen Anzahl der Fälle - zu den wiederkeh-renden Tätigkeiten
im Rahmen der von der Klägerin wahrgenommenen Aufgaben gehört. Dies
anzunehmen, wird zudem durch die Angabe der Klägerin nahe gelegt, ihr werde von
den ungefähr 1500 Rat Suchenden im Jahr in maximal 2 % der Fälle eine Vollmacht
erteilt.
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Soweit die Klägerin ihre Befugnis zur Vertretung von Hilfe Suchenden in sozial-
hilferechtlichen Widerspruchsverfahren schließlich aus einem besonderen Bedarf für
ihre Tätigkeit herleiten will, kann dies die Richtigkeit der erstinstanzlichen Ent-
scheidung nicht in Frage stellen, denn der Gesetzgeber hat (bisher) keine Ver-
anlassung gesehen, einem solchen Bedarf durch eine entsprechende Änderung der
maßgeblichen gesetzlichen Regelungen Rechnung zu tragen.
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Vgl. hierzu Giese/Krahmer, a.a.O., Rdnr. 45 zu § 13.
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist auch nicht aus von der Klägerin nicht
dargelegten Gründen offenkundig unrichtig. Nur bei Offenkundigkeit käme es in
Betracht, die Darlegungslast bezüglich des geltend gemachten Zulassungsgrundes zu
reduzieren oder sogar ganz darauf zu verzichten.
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Vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, Stand: Juli 2000, § 124 a Rdnrn. 83 f. mit weiteren
Nachweisen.
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Insbesondere lässt sich nicht ohne weitere Klärung feststellen, dass die Zurück-
weisung als Bevollmächtigter nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB X sich nicht gegen die
Klägerin, sondern ihren in der Vollmacht genannten Mitarbeiter hätte richten müssen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 188 Satz 2 VwGO.
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Mit der Ablehnung des Antrages auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des
Verwaltungsgerichts Aachen vom 4. November 1998 rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2 Satz 3
VwGO).
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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