Urteil des HessVGH vom 14.05.1990

VGH Kassel: amnesty international, afghanistan, politische verfolgung, anerkennung, verfolgung aus politischen gründen, auskunft, regierung, pakistan, indien, politischer gefangener

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UE 1029/84
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 16 Abs 2 S 2 GG
(Sippenhaft in Afghanistan)
Tatbestand
Die laut Paß 1952 und nach eigenen Angaben 1950 in Kabul geborene Klägerin ist
afghanische Staatsangehörige. Der ebenfalls in Kabul geborene Ehemann der
Klägerin, A. N., ist rechtskräftig als Asylberechtigter anerkannt (Urteil des Hess.
VGH v. 19. Dezember 1985 -- 10 UE 1017/84 --).
Die Klägerin verließ zusammen mit ihren beiden Kindern am 22. Juni 1982 ihr
Heimatland, reiste nach Pakistan und wartete in Peshawar auf ihren Ehemann, der
am 1. Juli 1982 dort eintraf. Am 28. Juli 1982 erreichte die Klägerin mit ihrer Familie
Indien. Von Bombay reisten sie am 11. September 1982 auf dem Luftwege weiter
in die Bundesrepublik Deutschland.
Am Tage ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland stellten die Klägerin und
ihr Ehemann bei der Grenzschutzstelle des Flughafens Frankfurt am Main einen
Asylantrag, den sie im wesentlichen auf die durch afghanische Behörden
veranlaßte Schließung der Buchhandlung des Ehemanns, der sich geweigert habe,
Bücher marxistischen Inhalts zu verkaufen, sowie darauf stützten, daß die Klägerin
als Lehrerin ständig verhört worden sei.
Im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens trugen die Klägerin und ihr Ehemann mit
Schriftsatz vom 22. September 1982 bzw. bei ihrer Anhörung bei dem Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 4. Oktober 1982 im
wesentlichen folgendes vor:
In der Zeit von April 1976 bis April 1978 sei der Ehemann unter der Regierung
Dauds Gouverneur der Stadt ... gewesen. Nachdem Taraki Ministerpräsident
geworden sei, habe es der Ehemann abgelehnt, weiterhin als Gouverneur im Sinne
der kommunistischen Regierung tätig zu bleiben. Daraufhin sei er unter Arrest
gestellt und nach vierzehn Tagen wieder entlassen worden. Er habe sich dann als
Buchhändler selbständig gemacht und die Leitung der seinem Vetter gehörenden
Buchhandlung übernommen. In seiner Buchhandlung habe er gegen das
kommunistische Regime gerichtete Bücher und Flugblätter verkauft, unter
anderem Schriften der Mudjaheddin-Gruppe Harakete Inquilable Islami. Am 12.
August 1979 sei die Buchhandlung durch den Staatssicherheitsdienst durchsucht
worden, wobei islamische Bücher, Flugblätter und iranische Zeitungen mit
antikommunistischem Inhalt gefunden und beschlagnahmt worden seien.
Deswegen habe man ihn vom 12. August bis Ende September 1979 im
Politscharki-Gefängnis inhaftiert und schwer gefoltert. Nach Abgabe einer
Loyalitätserklärung sei er schließlich freigelassen worden mit der Auflage, nur noch
Bücher kommunistischen Inhalts zu veräußern. Diese seien jedoch unverkäuflich
gewesen, weshalb er auch nichts nachbestellt habe. Daraufhin sei ihm die Lizenz
für die Buchhandlung entzogen, das Geschäft enteignet und der Reisepaß
abgenommen worden.
Nach Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan (27. Dezember 1979)
habe er sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen, die am 22. Februar 1980
eine Großdemonstration durchgeführt habe, bei der zahlreiche Teilnehmer
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eine Großdemonstration durchgeführt habe, bei der zahlreiche Teilnehmer
verhaftet und erschossen worden seien. Ihm selbst sei in sein Bein geschossen
worden. Am 1. Februar 1981 habe diese Widerstandsgruppe einen erneuten
Aufstand organisiert, an dem er und sein Bruder, der dann verhaftet worden sei,
teilgenommen hätten. Wegen seiner besonderen politischen Tätigkeit habe er
unter ständiger Beobachtung des Staatssicherheitsdienstes gestanden. Jederzeit
mit Verhaftung rechnend, habe er sich nur noch bei Bekannten aufgehalten, sich
aber weiterhin an vielen der folgenden Studentendemonstrationen beteiligt. Als
Journalist habe er die Aufgabe übernommen, Flugblätter bzw. Karikaturen zu
entwerfen, die vervielfältigt und den Freiheitskämpfern zur Verteilung übergeben
worden seien. Während dieser Zeit habe der Staatssicherheitsdienst mehrfach bei
seiner Ehefrau vorgesprochen und die Wohnung nach ihm durchsucht. Von diesen
Polizeiaktionen habe er über Mittelsmänner erfahren. Anfang 1982 seien mehrere
Freunde verhaftet und hingerichtet worden. Offenbar sei auch nach ihm intensiv
gefahndet worden, denn man habe seine Ehefrau ins Innenministerium bestellt, sie
dort nach ihm befragt und zur Mitarbeit aufgefordert. Da er befürchtete, ebenso
wie andere Freiheitskämpfer verhaftet zu werden, habe er sich zur Flucht
entschlossen und versucht, am 12. April 1982 vom Flughafen Kabul -- nachdem er
zuvor von einem Bekannten gegen Bestechungsgeld einen Reisepaß beschafft
habe -- Pakistan zu erreichen. Am Flughafen Kabul sei er aber von der
Gendarmerie verhaftet und vernommen worden. Wegen des bei ihm gefundenen
Geldes sei er des Devisenschmuggels bezichtigt, nach Zahlung einer Kaution von
10.000 afghanischen Rupien jedoch nach einer Woche aus der Haft entlassen
worden. Am 20. Juni 1982 habe er dann durch Freunde erfahren, daß er mit einem
Urteil von einem Jahr Haft und der Enteignung des eingezogenen Geldes rechnen
müsse, und deswegen seine Frau sowie seine Kinder nach Pakistan bringen lassen.
Nachdem er sein restliches Eigentum veräußert habe, sei er seiner Familie am 1.
Juli 1982 nachgefolgt und habe am 12. Juli 1982 Peshawar erreicht.
Die Klägerin ergänzte ihre Asylgründe dahingehend, sie sei von Beruf Lehrerin und
habe mit den Freiheitskämpfern sympathisiert sowie an Demonstrationen
teilgenommen. Sie sei ständig bedrängt worden, entsprechend den Weisungen
ihrer Vorgesetzten, Unterricht mit kommunistischen Inhalten durchzuführen. Einen
solchen Unterricht habe sie jedoch abgelehnt und sich allen Aufforderungen der
Kommunisten, sich ihnen anzuschließen, entzogen. Sie habe sich statt dessen
weiterhin für die Freiheitskämpfer betätigt und aus diesem Grunde unter
Beobachtung des Staatssicherheitsdienstes gestanden. Mehrere
Hausdurchsuchungen nach ihrem Ehemann habe sie über sich ergehen lassen
müssen und sei vom Geheimdienst KHAD im Innenministerium nach ihrem
Ehemann ausgefragt worden. Man habe ihr mangelnde Mitarbeit vorgeworfen, da
sie noch nicht Kommunistin geworden sei, und ihr damit gedroht, sie ins
Politscharki-Gefängnis zu bringen, falls sie weiterhin ihre Mitarbeit verweigern
würde. Daraufhin sei sie wieder zur Schule gegangen. Vor ihrer Flucht habe sie
einen Urlaub beantragt und schließlich nach Kenntnis des zu erwartenden Urteils
gegen ihren Ehemann mit ihren Kindern am 22. Juni 1982 Afghanistan verlassen
und sei nach Pakistan geflohen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte die
Asylanträge der Ehegatten durch Bescheid vom 27. Oktober 1982 ab und führte
hinsichtlich des Ehemannes der Klägerin aus, seine vorgetragenen Aktivitäten
könnten sein Asylbegehren nicht stützen, da sie noch keine nachteiligen Folgen für
ihn gehabt hätten. Auch die Verhaftung am Flughafen und die Verurteilung durch
ein Gericht seien nicht asylrelevant, da es sich bei einer Verurteilung wegen
Devisenvergehens und illegaler Beschaffung eines Reisepasses grundsätzlich nicht
um eine politische Bestrafung handele. Die illegale Ausreise begründe ebenfalls
keinen Asylanspruch.
Die Klägerin schließlich habe ihre gegen die Regierung gerichteten Aktivitäten nicht
glaubhaft gemacht. Die Nichtbefolgung der Aufforderung, der Demokratischen
Volkspartei Afghanistans beizutreten, reiche nicht aus, da ihr deswegen
asylrechtlich relevante Maßnahmen nicht gedroht hätten.
Selbst wenn die Klägerin und ihr Ehemann in ihrer Heimat politischer Verfolgung
ausgesetzt gewesen wären, hätten beide in Pakistan anderweitigen Schutz vor
Verfolgung im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylVfG gefunden.
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 27. Oktober 1982 wurde der Klägerin und ihrem Ehemann am 8. Dezember
1982 zugestellt.
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Am 20. Dezember 1982 erhoben die Klägerin und ihr Ehemann Klage und
begehrten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung wiederholten sie
im wesentlichen ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren.
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichts Kassel vom 15. April 1983 wurde der die
Klägerin betreffende Teil des Verfahrens abgetrennt.
Bei ihrer informatorischen Anhörung durch das Verwaltungsgericht am 15. März
1984 machte die Klägerin noch folgende Angaben: Sie sei ebenfalls, wie ihr Mann,
Mitglied der Studenten- und Dozentenorganisation der Universität Kabul gewesen.
Sie habe Schülern, die ihr vertrauensvoll erschienen, Flugblätter, die von ihrem
Ehemann verfaßt worden seien, mitgegeben. Sie habe ihren Schülern empfohlen,
nicht an der politischen Schulung, dem Politikunterricht, teilzunehmen. Deshalb sei
sie mehrfach von der Schulleitung verwarnt worden. Im Innenministerium habe
man ihr sogar mit dem Gefängnis gedroht. Sie habe nicht weiter im Fach Dari
unterrichten dürfen, sondern man habe sie mit dem Politikunterricht beauftragt.
Als sie sich geweigert habe, diesen durchzuführen, sei sie als Systemgegnerin
verdächtigt worden. Sie habe es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können,
solchen Unterricht zu erteilen.
Die Klägerin beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
vom 27. Oktober 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie bezog sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
Der Bundesbeauftragte beteiligte sich am erstinstanzlichen Verfahren nicht.
Mit Urteil vom 15. März 1984 wies das Verwaltungsgericht Kassel die Klage ab und
führte zur Begründung im wesentlichen aus: Die Behauptung der Klägerin, eine
Aufforderung zum Beitritt in die kommunistische Partei Afghanistans und zur
Teilnahme an deren Veranstaltungen verweigert und deswegen berufliche
Nachteile erlitten zu haben, rechtfertige nicht ihre Anerkennung als
Asylberechtigte, da diese Maßnahmen von ihrer Intensität her keine Verletzung
der Menschenwürde darstellten. Im übrigen habe die Klägerin noch bis zu ihrer
Flucht an der Schule unterrichtet. Eine andere Beurteilung sei auch nicht aufgrund
der von ihrem Ehemann vorgebrachten Fluchtgründe geboten, da dessen
Vorbringen -- wie in dem Urteil der Kammer vom 15. März 1984 (IV/2 E 8064/82)
dargelegt -- nicht für eine Asylanerkennung ausreiche. Davon abgesehen werde in
Afghanistan auch eine gezielte Sippenverfolgung nicht praktiziert. Die Klägerin
könne sich ferner nicht auf Nachfluchtgründe berufen. Allein deshalb, weil sie ihr
Heimatland illegal verlassen und in der Bundesrepublik Deutschland um politisches
Asyl nachgesucht habe, drohe ihr bei Rückkehr nach Afghanistan keine politische
Verfolgung.
Gegen dieses am 29. März 1984 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. April
1984 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie unter anderem vorträgt:
Das Verwaltungsgericht sei hinsichtlich ihrer Person von unzutreffenden
Feststellungen ausgegangen. Im übrigen drohe ihr auch bei Rückkehr in ihr
Heimatland Verfolgung, weil ihr Ehemann als Regimegegner in Erscheinung
getreten sei. Wegen seiner regimefeindlichen Tätigkeit sei sie mehrfach verhört
und unter Druck gesetzt sowie ihre Wohnung durchsucht worden. Schließlich
müsse sie auch wegen ihrer Asylantragstellung, die einen Nachfluchtgrund
darstelle, als Asylberechtigte anerkannt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Bescheides
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Oktober
1982 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Der Bundesbeauftragte hat sich im
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Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Der Bundesbeauftragte hat sich im
Berufungsverfahren nicht geäußert.
Die Klägerin ist im Berufungsverfahren als Beteiligte zu ihren Asylgründen
vernommen worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Niederschrift vom 28. März 1990 verwiesen.
Den Beteiligten ist eine Liste der dem Senat zu Afghanistan vorliegenden
Erkenntnisquellen übersandt worden. Sie haben ihr Einverständnis erklärt, daß
über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die von diesen eingereichten Schriftsätze, den einschlägigen
Vorgang des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge -- Gz.:
423/01222/82 -- und die den Ehemann der Klägerin betreffende Gerichtsakte des
Verwaltungsgerichts Kassel -- Az.: IV/2 8064/82 -- Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der
Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 101 Abs. 2, 125
Abs. 1 VwGO), ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage
auf Anerkennung als Asylberechtigte zu Unrecht abgewiesen.
Asylrechtlichen Schutz genießt jeder, der im Falle seiner Rückkehr in den
Herkunftsstaat dort aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr
für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt
wäre oder in diesem Land politische Repressalien zu erwarten hätte (BVerfG,
Beschluß vom 2. Juli 1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 (357)). Eine
Verfolgung ist politisch im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn sie dem
einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse
Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein
prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der
übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Diese
spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung
nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des
Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, Beschluß v. 10. Juli 1989 -- 2 BvR 502/86 u.a. --
, BVerfGE 80, 315 ff.)
Werden durch die staatliche Maßnahme nicht Leib, Leben oder die physische
Freiheit des Betreffenden gefährdet, sondern andere Rechtsgüter beeinträchtigt,
so sind diese Eingriffe nur dann asylrelevant, wenn sie nach Intensität und Schwere
die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des
Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen
haben (BVerfG, a.a.O.).
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG setzt eine gegenwärtige Verfolgungsbetroffenheit voraus
(BVerwG, a.a.O., S. 359, 360). Dem Asylbewerber muß deshalb politische
Verfolgung bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles mit
beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit drohen, so daß es ihm nicht
zumutbar ist, in sein Heimatland zurückzukehren. Hierbei ist auf die Verhältnisse
im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen, wobei
es einer über einen absehbaren Zeitraum ausgerichteten Prognose der sich für
den Asylbewerber ergebenden Verfolgungssituation bedarf (BVerwG, Urteil v. 24.
April 1979 -- BVerwG 1 C 49.77 --, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 13; Urteil v. 31.
März 1981 -- BVerwG 9 C 286.80 --, EZAR 200 Nr. 3).
Ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt für diejenigen
Asylantragsteller, die schon in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, die
insbesondere bereits Opfer politisch motivierter Repressalien waren oder jedenfalls
gute Gründe hatten, solche Repressalien als konkret bevorstehend zu befürchten.
Diese Personen sind schon dann als Asylberechtigte anzuerkennen, wenn an ihrer
Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat
ernsthafte Zweifel verbleiben (BVerfG, a.a.O.; BVerwG, Urteil v. 25. September
1984 -- BVerwG 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169).
Ein strenger Maßstab ist demgegenüber sowohl in materieller Hinsicht als auch
was die Darlegungslast und die Beweisanforderungen anbelangt, dann anzulegen,
wenn sich der Asylbewerber auf Verfolgungsgründe beruft, die er nach Verlassen
seines Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sogenannte
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seines Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat (sogenannte
selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände). Diese subjektiven Nachfluchtgründe
sind wegen des Fehlens des von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich
vorausgesetzten kausalen Zusammenhangs zwischen Verfolgung und Flucht
überdies nur in eng begrenzten Ausnahmefällen überhaupt asylrechtlich relevant
(BVerfG, Beschluß v. 26. November 1986 -- 2 BvR 1058/85 --, BVerfGE 74, 51).
Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unerheblichkeit subjektiver
Nachfluchtgründe ist dabei dann anzuerkennen, wenn sich der Ausländer bei
Vornahme seines Verfolgung auslösenden Nachfluchtverhaltens in einer
ausweglosen Lage befunden hat (BVerwG, Urteil v. 30. August 1988 -- BVerwG 9 C
80.87 --, BVerwGE 80, 131). Besteht das zur Verfolgung führende
Nachfluchtverhalten in einer exilpolitischen Betätigung, ist der sich hieraus
ergebende Nachfluchttatbestand dann asylrechtlich relevant, wenn sich die
politische Betätigung als Ausdruck und Fortführung einer schon während des
Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen
Überzeugung darstellt (BVerfG, Beschluß v. 26. November 1986, a.a.O., S. 66).
Handelt es sich bei dem Asylantragsteller um den Angehörigen eines politisch
Verfolgten, kann seinem Asylbegehren nicht entgegengehalten werden, daß ihm
schon ausländerrechtlich der Aufenthalt bei seinem in der Bundesrepublik
Deutschland lebenden Angehörigen gestattet ist, sich sein Schicksal nach
freiwilliger oder erzwungener Rückkehr somit -- jedenfalls gegenwärtig -- lediglich
als theoretische Frage stellt (BVerwG, Urteil vom 27. April 1982 -- BVerwG 9 C
239.80 --, BVerwGE 65, 245 (249)).
Allerdings setzt die Zuerkennung eines Asylanspruchs stets die Gefahr eigener
politischer Verfolgung voraus. Angehörige von politisch Verfolgten können ihre
Anerkennung als Asylberechtigte deshalb nicht bereits wegen der familiären
Verbundenheit mit der von politischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen oder
bedrohten Person verlangen (BVerfG, Vorprüfungsausschuß, Beschluß vom 19.
Dezember 1984 -- 2 BvR 1517/84 --, NVwZ 1985, 260; BVerwG, Urteil vom 27. April
1982, a.a.O.). Soweit es um das Schicksal von Familienangehörigen politisch
Verfolgter geht, ist jedoch stets in Betracht zu ziehen, daß die primär gegen ein
Familienmitglied gerichteten Maßnahmen des Staates kraft der gegenseitigen
Abhängigkeit mittelbar Auswirkungen auch auf die Lage seiner Angehörigen haben
und sich -- je nach Art und Schwere dieser Folgen -- auch für diese als Verfolgung
darstellen können. Anhaltspunkte für den Willen des Staates, auch diese Personen
in die Verfolgung mit einzubeziehen, können in der Schwere der Maßnahmen und
ihrer Folgen, dem Stellenwert, der der Familie aus Sicht des Regimes zukommt
sowie in den allgemeinen politischen Verhältnissen im Verfolgerstaat zu finden
sein. Eine Rolle spielen kann auch die Frage, ob und inwieweit Familienangehörige
von Verfolgten, soweit sie im Land zurückbleiben oder dorthin zurückkehren
müssen, in die Gefahr geraten können, daß der Verfolgerstaat sich ihrer
geiselähnlich bedient, um auf den Angehörigen Druck auszuüben (BVerwG, Urteil
vom 27. April 1982, a.a.O.).
Einer besonderen Gefährdung unterliegen unter dem Gesichtspunkt der
Sippenhaft Ehegatten und minderjährige Kinder eines politisch Verfolgten, da
totalitäre Staaten erfahrungsgemäß auf diese der Zielperson nahestehende und
von ihm abhängige Personen Zugriff nehmen, um sie gewissermaßen
stellvertretend oder zusätzlich für den eigentlichen Adressaten der
Verfolgungsmaßnahmen zu treffen. Um dieser besonderen potentiellen
Gefährdungslage Rechnung zu tragen, wird für Ehegatten und minderjährige Kinder
von politisch Verfolgten eine -- widerlegliche -- Vermutung eigener politischer
Verfolgung wirksam, wenn Fälle festgestellt worden sind, in denen der
Verfolgerstaat Repressalien gegenüber solchen Personen im Zusammenhang mit
der politischen Verfolgung des Ehegatten oder der Eltern ergriffen hat. In diesen
Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren Überprüfung, ob die festgestellten
Fälle Ausdruck einer allgemeinen Praxis des Verfolgerstaates sind, ob die ihnen
zugrunde liegenden Umstände konkrete Rückschlüsse auf eine eigene
Verfolgungsgefahr desjenigen gestattet, der sich auf sie als Vergleichsfälle beruft,
und ob die befürchteten Maßnahmen Ausdruck eines gerade gegen den
Angehörigen gerichteten staatlichen Verfolgungswillens sind. Die für die eigene
Verfolgung des Familienmitglieds streitende Vermutung kann nur auf Grund
besonderer Umstände, deren Darlegung und Nachweis der Beklagten obliegt, als
widerlegt gelten, etwa wenn erkennbar ist, daß es sich bei den Übergriffen gegen
Angehörige politisch Verfolgter um atypische Einzelfälle gehandelt hat, die sich
nicht wiederholt haben (BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1985 -- BVerwG 9 C 35.84 --,
NVwZ 1986, 487 und vom 13. Januar 1987 -- BVerwG 9 C 53.86 --, BVerwGE 75,
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NVwZ 1986, 487 und vom 13. Januar 1987 -- BVerwG 9 C 53.86 --, BVerwGE 75,
304 (312, 313)).
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen
Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus die in seine eigene Sphäre fallenden
tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern sowie
eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien
nachvollziehbar aufzulösen, so daß sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den
Asylanspruch lückenlos zu tragen und insbesondere auch eine politische
Motivation der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen. Bei der Darstellung der
allgemeinen Umstände im Heimatland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen
Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben
(BVerwG, Urteil v. 23. November 1982 -- 9 C 74.81 --, EZAR 630 Nr. 1).
Ungeachtet dessen muß sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von
der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen
Verfolgungsschicksals verschaffen, hat dabei allerdings den sachtypischen
Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Heimatland bei der Auswahl der
Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrages und der Beweise angemessen
zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil v. 16. April 1985 -- BVerwG 9 C 109.84 --,
BVerwGE 71, 180 ff).
Ob die Klägerin in Anwendung dieser Rechtsgrundsätze als politisch Verfolgte
anzusehen ist, hängt entscheidend von der politischen Situation in ihrer Heimat
ab. Diese stellt sich nach den vom Senat in das Verfahren eingeführten
Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere: Hamed Mahmud: Bericht für das
Sozialwissenschaftliche Institut der Konrad-Adenauer-Stiftung über die historische
Entwicklung und gegenwärtige Lage Afghanistans (Stand: 1980); Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 8. September 1982 an das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge; Afghanistan-Zentrum, Afghanistan-
Chronik, 1978 bis 1984; Afghanistan-Zentrum, Informationsblatt Nr. 2 (ohne
Datum); Afghanistan-Zentrum, Informationsblatt Nr. 3 (Stand: Mai 1985); Klaus
Natorp in FAZ vom 20. Februar 1989; Victor Freigang in FAZ vom 2. Oktober 1989;
Lagebericht des Auswärtigen Amtes Afghanistan vom 24. Oktober 1989; FAZ vom
8. März 1990) wie folgt dar:
Die seit Februar 1919, dem Zeitpunkt der Erlangung der Unabhängigkeit,
bestehende Monarchie in Afghanistan wurde durch einen unblutigen Staatsstreich
im Juli 1973 von Mohammed Daud, Schwager des damaligen, seit 1933
regierenden afghanischen Königs Zahir Schah gestürzt. Mohammed Daud erklärte
sich daraufhin zum Präsidenten der von ihm ausgerufenen Republik. Im Laufe
seiner autokratischen Herrschaft entledigte er sich weitgehend auch derjenigen,
die -- zugehörig zur moskauorientierten Gruppierung -- seinen Umsturz begrüßt
hatten und anfänglich an der Regierung beteiligt worden waren. Ferner versuchte
er, besonders sowjetfreundliche Putschoffiziere zu eliminieren, und wurde deshalb
am 27. April 1978 durch einen Staatsstreich, der sogenannten "Saur-Revolution"
beseitigt. Wesentlich beteiligt hieran war die Sowjetunion, die der Operation den
Decknamen "Saur" (April) gegeben hatte und durch ihr militärisches Einschreiten
einer weiteren Liquidierung der ihnen in Afghanistan nahestehenden Offiziere
zuvorkommen wollte. Weiterhin war für dieses militärische Engagement der
Versuch Dauds maßgebend, die Bindung seines Landes an die Sowjetunion zu
lockern, obwohl er als Premierminister noch unter König Zahir in den Jahren 1953
bis 1963 eine deutlich prosowjetische Politik verfolgt hatte. Zum neuen
Machthaber und Präsidenten wurde der Schriftsteller Nur Mohammed Taraki
ernannt, der zuvor Generalsekretär der 1965 im Untergrund gegründeten
Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) gewesen war. Die Partei setzt
sich im wesentlichen aus den Flügeln "Khalq" (Volk), zu denen auch Taraki und der
spätere Präsident Amin gehörten, sowie "Parcham" (Banner), zusammen. Am 14.
September 1979 wurde Präsident Taraki durch seinen Premierminister Hafizullah
Amin, der gleichzeitig Verteidigungsminister war, entmachtet und umgebracht. Die
Regierungszeit von Amin dauerte bis 27. Dezember 1979. Nach einer blutigen
militärischen Besetzung der Stadt Kabul und dem damit einhergehenden
Einmarsch durch die sowjetischen Truppen in Afghanistan wurde Amin hingerichtet
und Barbak Karmal zu seinem Nachfolger ernannt. Auf Geheiß der Sowjets mußte
Barbak Karmal am 4. Mai 1986 abdanken. Er wurde durch den Geheimdienstchef
Mohammed Najibullah, der zu den "Parcham" zählt, ersetzt. Mohammed Najibullah
regiert auch noch zur Zeit.
Bereits von Mitte November 1978 an hatte die Sowjetunion, die damals schon eine
große Anzahl Militärberater nach Afghanistan entsandt hatte und über eine eigene
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große Anzahl Militärberater nach Afghanistan entsandt hatte und über eine eigene
Flugbasis nördlich von Kabul verfügte, Soldaten und Kriegsgerät nach Afghanistan
verlegt. Am 27. Dezember 1978 begann sie mit der offenen Invasion nach einem
angeblichen "Hilferuf" der Regierung Afghanistans. Aufgabe der sowjetischen
Militärs war es, bis zu ihrem vollständigen Abzug im Februar 1989 durch immer
neuere Offensiven die Angriffe der Mudjaheddin niederzuschlagen und den
Widerstand der afghanischen Bevölkerung gewaltsam zu brechen. Die afghanische
Armee war hierzu nicht in der Lage, weil sie durch Verletzte im Kampf mit den
Mudjaheddin und vor allem infolge zahlreicher Desertionen von annähernd
100.000 auf 30.000 Mann oder noch weniger geschrumpft und militärisch ohne
größere Bedeutung war.
Im Januar 1987 verkündete Mohammed Najibullah einen einseitigen
Waffenstillstand und zum ersten Mal seine "Politik der Nationalen Versöhnung" die
unter anderem eine Volksfrontregierung unter Führung der DVPA zum Ziel hatte.
Die Regierungstruppen hielten den Waffenstillstand jedoch nicht ein. Das Angebot
der "Nationalen Versöhnung" wurde von den Mudjaheddin abgelehnt. Für den
"Khalq"-Flügel der DVPA galt diese Politik ohnehin als zu "weich". Der Rückzug der
sowjetischen Truppen wurde am 8. Februar 1988 von dem seit 1985 in der
Sowjetunion regierenden Gorbatschow angekündigt und schließlich am 15. Mai
1988 begonnen und am 15. Februar 1989 abgeschlossen.
Verhandlungen der Sowjets im Dezember 1988 und später mit Vertretern der
afghanischen Widerstandskämpfer blieben erfolglos. Nach wie vor beabsichtigen
die verschiedenen Widerstandsgruppen, die sich allerdings nicht auf eine
gemeinsame Strategie einigen konnten und unter denen zum Teil Mißtrauen
herrscht (obwohl im Februar 1989 eine provisorische Gegenregierung von ihnen
gebildet worden war), die Macht in Afghanistan zu übernehmen. Aus diesem
Grunde herrschen in einigen Teilen des Landes, insbesondere um Kabul und
Jalalabad kriegerische Zustände.
Ende Februar 1989 verhängte Najibullah wegen der "Bedrohung der nationalen
Souveränität und territorialen Integrität" den Ausnahmezustand über Afghanistan,
obwohl sein Regime nur noch einen kleineren Teil des Landes kontrolliert.
Gleichzeitig hat er zahlreiche Grundrechte, wie die Meinungs-, Versammlungs- und
Reisefreiheit außer Kraft gesetzt.
Die erbitterten Kämpfe insbesondere um Jalalabad haben die Sowjetunion zu einer
militärischen Luftbrücke veranlaßt. Nicht zuletzt aufgrund dieser massiven Hilfe
der Sowjetunion, aber auch der militärisch sich nicht als durchsetzungsfähig
erweisenden Mudjaheddingruppen, konnte sich Najibullah bislang an der Macht
halten. Selbst der Umsturzversuch seines Verteidigungsministers, Shah Nawaz
Tanai, im März 1990 blieb erfolglos.
Der Senat ist unter Berücksichtigung dieser Lage und aufgrund des Ergebnisses
der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren, der weiteren Angaben der Klägerin
im Verlaufe des gesamten Asylverfahrens sowie aufgrund der vom Senat
beigezogenen, den Ehemann betreffenden Gerichtsakten zu der Auffassung
gelangt, daß die Klägerin die Voraussetzung für ihre Anerkennung als
Asylberechtigte im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erfüllt.
Ob die Klägerin schon zu den Asylbewerbern gehört, die wegen einer vor der
Ausreise aus Afghanistan erlittenen oder konkret bevorstehenden politischen
Verfolgung unter erleichterten Voraussetzungen als Asylberechtigte anzuerkennen
sind, mag dahingestellt bleiben.
Der Senat ist auch nicht gehalten, auf die von der Klägerin vorrangig zur
Begründung ihrer Berufung vertretene Auffassung abschließend einzugehen,
wonach das von ihr betriebene Asylverfahren die Gefahr politischer Verfolgung
begründe. Nach den vorliegenden Informationen erscheint dies zumindest
zweifelhaft. So hat das Auswärtige Amt schon 1981 bzw. 1982 darauf hingewiesen,
daß eine Verfolgungsgefahr wegen der Beantragung von Asyl allgemein als
unwahrscheinlich anzusehen sei und eine andere Betrachtungsweise nur dann
gerechtfertigt erscheine, wenn zum Antrag besondere Umstände hinzuträten, zum
Beispiel, wenn der Antrag mit einer gewissen Publizität oder mit Angriffen auf das
Regime verbunden sei (Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 24. Juli 1981 und
15. September 1981 an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, vom 1. Oktober
1981 an das Verwaltungsgericht Köln, vom 25. Juni 1982 an das
Verwaltungsgericht Ansbach, vom 27. Oktober 1982 an das Verwaltungsgericht
Minden und vom 1. September 1982 an das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-
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Minden und vom 1. September 1982 an das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-
Westfalen). Davon ist auch der vormals allein für Asylrecht zuständige 10. Senat
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ausgegangen (vgl. Urteil v. 19.
Dezember 1985 -- 10 UE 2971/84 --; Urteil v. 13. November 1986 -- 10 OE 108/83
--). Die Auskünfte des Auswärtigen Amtes jüngeren Datums scheinen nichts
anderes zu belegen, auch wenn darauf hingewiesen wird, daß bei den
Zurückgekehrten eine Überwachung durch den afghanischen Geheimdienst
durchgeführt werde, wobei schon der geringste Verdacht regimefeindlicher
Tätigkeiten zu Verfolgungsmaßnahmen führen könne (vgl. die Auskünfte vom 14.
Januar 1988 an das Verwaltungsgericht Köln, vom 10. Februar 1988 an das
Verwaltungsgericht Oldenburg (Kammern Osnabrück), vom 25. April 1989 an das
Verwaltungsgericht Düsseldorf). Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß auch die
Gefangenenhilfsorganisation amnesty international in ihrer Auskunft vom 11.
August 1989 an den Senat über keine Kenntnisse darüber verfügt, daß allein die
Asylantragstellung in der Bundesrepublik bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu
politischer Verfolgung führen würde.
Ob für die Klägerin eine Verfolgungsgefahr wegen ihres illegalen
Auslandsaufenthalts in der Bundesrepublik besteht, bedarf ebenfalls keiner
abschließenden Erörterung. Die hierzu vorliegenden Auskünfte älteren Datums
(vgl. die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 27. Oktober 1982 an das
Verwaltungsgericht Minden, vom 21. Januar 1983 und 1. Februar 1983 an das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, vom 28. Juli 1983 an
das Verwaltungsgericht Stade) halten eine asylrelevante Gefährdung nur
ausnahmsweise bei besonderen Umständen für möglich (so auch der 10. Senat
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinen Entscheidungen vom 19.
Dezember 1985 und 13. November 1986). Ob nach einer neueren Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 28. November 1988 (an das Verwaltungsgericht Koblenz),
nach der demjenigen, der sich illegal im Ausland aufhält oder aufgehalten hat,
Regimegegnerschaft und Zusammenarbeit mit dem "imperialistischen" Ausland
unterstellt wird, möglicherweise eine Änderung eingetreten sein könnte, mag
dahinstehen.
Die Klägerin kann jedenfalls ihre Anerkennung als politisch Verfolgte verlangen, da
ihr nach der Überzeugung des Senats in Afghanistan politische Repressalien mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit deshalb drohen, weil davon ausgegangen werden
muß, daß ihr Ehemann aufgrund besonderer Umstände, nämlich seiner
asylrechtlich beachtlichen Vorfluchtgründe und seiner Asylanerkennung, in
Afghanistan als Regimegegner eingestuft wird.
Dabei kommt der Klägerin allerdings die nach der dargestellten höchstrichterlichen
Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen für die Ehefrau geltende
Regelvermutung eigener politischer Verfolgung nicht zugute.
Die Annahme einer solchen Regelvermutung würde voraussetzen, daß es bereits
Fälle gegeben hat, in denen zurückkehrende Ehefrauen durch das derzeit an der
Macht befindliche Regime in Afghanistan wegen ihres im Ausland lebenden und als
asylberechtigt anerkannten Ehemannes in asylrechtlich erheblicher Weise belangt
worden sind.
Konkrete Erkenntnisse über derartige Beispielfälle sind jedoch keiner der
vorliegenden Auskünfte und Stellungnahmen, die sich mit dem Problem der
Sippenhaft in Afghanistan befassen, zu entnehmen. Das Auswärtige Amt sah sich
in seiner Stellungnahme an den Senat nicht zu einer konkreten Aussage in der
Lage (Auskünfte vom 3. Mai und 7. Juni 1989).
Auch die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international hat in ihrer
Stellungnahme vom 11. August 1989 an den Senat nicht beispielhaft belegen
können, daß das afghanische Regime die zurückkehrende Ehefrau politischen
Repressalien aussetzt, um ihren im Ausland lebenden Ehemann zu treffen.
Allerdings hat amnesty international Fälle benannt, in denen Sippenhaft bei sich in
Afghanistan aufhaltenden Familienmitgliedern praktiziert wurde. In diesem Sinne
sind auch die Auskunft der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international
vom 16. November 1984 (an das Verwaltungsgericht Wiesbaden) und die von ihr
genannten Beispiele in "Afghanistan, Leben ohne Menschenrechte -- Folter an
Gefangenen in Afghanistan", November 1986, zu verstehen. Auf diese Vorfälle
kann aber eine zugunsten der Klägerin sprechende Vermutung eigener politischer
Verfolgung nicht gestützt werden. Staatliche Übergriffe gegen Familienmitglieder
im Inland indizieren ein entsprechendes Vorgehen gegen Angehörige des
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im Inland indizieren ein entsprechendes Vorgehen gegen Angehörige des
Gesuchten, die vom Ausland her in den Verfolgerstaat zurückkehren, nicht ohne
weiteres. Vielmehr können, was die Wahrscheinlichkeit des Verfolgungsangriffs und
die hierbei eingesetzten Mittel anbelangt, zwischen beiden Fallgestaltungen
Unterschiede bestehen, je nachdem, welche Absichten der Verfolgerstaat mit dem
Zugriff auf den Familienangehörigen verfolgt. So ist beispielsweise denkbar, daß
der Staat lediglich auf die im Land lebenden und ihm bekannten
Familienangehörigen des Regimegegners zugreift, das zurückkehrende
Familienmitglied aber als "unbeschriebenes Blatt" (zunächst) unbehelligt läßt.
Die Befürchtung der Klägerin, im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit wegen der asylrechtlich beachtlichen Vorfluchtgründe ihres
Ehemannes und seiner erfolgten Asylanerkennung selbst unter dem
Gesichtspunkt der Sippenhaft politisch verfolgt zu werden, ist jedoch deshalb
begründet, weil sich aus den vorliegenden Erkenntnissen über das Verhalten der
staatlichen Organe in Afghanistan gegenüber im Lande lebenden Angehörigen
politischer Gegner Anhaltspunkte für ein entsprechendes Vorgehen auch gegen
zurückkehrende Familienangehörige von im Ausland lebenden Oppositionellen
ergeben und angesichts der konkreten Umstände des vorliegenden Falles
anzunehmen ist, daß sich die Gefahr staatlicher Repressalien auch bei einer
Rückkehr der Klägerin realisieren wird.
Der Senat ist aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen zu der Überzeugung
gelangt, daß in Afghanistan Sippenhaft oder jedenfalls sippenhaftähnliche
Praktiken in der Weise angewandt werden, daß, wenn es die Opportunität gebietet,
auch auf Ehegatten eines politisch Verfolgten zu dem Zweck zurückgegriffen wird,
auf den eigentlichen Adressaten der Verfolgungsmaßnahme Druck auszuüben.
Um die insoweit angestrebte Wirkung zu erzielen, laufen die nahen Angehörigen
des politisch Verfolgten Gefahr, inhaftiert, mißhandelt oder gar gefoltert zu
werden.
Zu dieser Erkenntnis gelangt der Senat in Würdigung der verschiedenen Auskünfte
des Auswärtigen Amtes, der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international,
verschiedener gutachterlicher Stellungnahmen sowie der gesamten politischen
Lage in Afghanistan.
Allerdings schließen die zahlreichen älteren Auskünfte des Auswärtigen Amtes aus
den Jahren 1981 bis Ende 1985 eine (generelle) Sippenhaft in Afghanistan aus. So
soll nach der Auskunft vom 15. September 1981 an das Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen die Tatsache der Familienzusammengehörigkeit zu gesuchten
Personen nicht die Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen begründen; lediglich
"gewisse sonstige Nachteile" seien zu befürchten (Auskunft vom 24. Juli 1981 an
das Verwaltungsgericht Köln). Auch wenn bereits die Auskunft vom 7. August 1981
an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in
verschiedenen Fällen konkrete Verfolgungsmaßnahmen von Familienangehörigen
feststellt, wird eine gezielt praktizierte Sippenhaft verneint und in
Übereinstimmung hiermit ausgeführt, eine automatische Sippenhaft als reine
Vergeltungsmaßnahme an Dritten, die zu der politisch verfolgten Person in enger
verwandtschaftlicher Beziehung stehe, könne zwar nicht ausgeschlossen werden,
sei aber sehr selten anzunehmen (Auskünfte vom 27. Oktober 1982 an das
Verwaltungsgericht Minden, vom 1. August 1984 an das Verwaltungsgericht
Wiesbaden und vom 29. März 1985 an das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-
Westfalen).
Demgegenüber ist bereits dem Sachverständigengutachten des Dr. M. Naim
Assad vom 30. September 1981 an das Verwaltungsgericht Köln der deutliche
Hinweis auf die Verhaftung Familienangehöriger oder ihrer Benutzung als Geiseln
enthalten. Die schriftlichen Erläuterungen dieses Sachverständigen vom 27.
August 1984 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden sowie seine konkreten
Ausführungen am 23. Juli 1985 vor dem Verwaltungsgericht Köln belegen zudem
eine in Afghanistan praktizierte Sippenhaft und Geiselnahme näher. In seiner
Stellungnahme vom 23. Juli 1985 hat Dr. Assad angegeben, im Rahmen seiner
Flüchtlingsarbeit seien ihm häufig Fälle bekannt geworden, in denen Verwandte
von politisch Andersdenkenden durch das Regime unter Druck gesetzt oder
verhaftet worden seien.
Es besteht keine Veranlassung, die Richtigkeit dieser Erkenntnisquellen in Frage zu
stellen. Denn auch die dem Senat weiter vorliegenden Auskünfte und Unterlagen
zeigen die Praxis der afghanischen Behörden auf, Angehörige politischer Gegner in
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zeigen die Praxis der afghanischen Behörden auf, Angehörige politischer Gegner in
die Verfolgung miteinzubeziehen. So bestätigt das Auswärtige Amt, daß
afghanische Behörden versuchen, Druck auf einen im Ausland befindlichen
politisch Verfolgten auszuüben, indem sie seine nächsten Verwandten besonderen
Erschwernissen bis hin zur Haft unterwerfen (Auskünfte vom 14. Januar 1988 an
das Verwaltungsgerichts Köln und vom 22. Februar 1988 an das
Verwaltungsgericht Düsseldorf). In Übereinstimmung hiermit führt das Auswärtige
Amt ferner aus, für nahe Verwandte von Personen, die aus Afghanistan geflohen
seien, bestehe die Gefahr, daß gegen sie, sobald die Flucht afghanischen Stellen
bekannt werde, Maßnahmen (z. B. Verhöre oder Verhaftungen) ergriffen würden,
die darauf abzielten, die geflohenen Personen zur Rückkehr nach Afghanistan zu
bewegen (Auskunft vom 10. Februar 1988 an das Verwaltungsgericht Oldenburg).
Die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international bestätigt darüber hinaus in
ihrer Auskunft vom 11. August 1988 an den Senat eine in Afghanistan ausgeübte
allgemeine Sippenhaft. Bei den von amnesty international angeführten Beispielen
handelt es sich erkennbar auch nicht um außergewöhnliche, der üblichen
Verfahrensweise der staatlichen Organe in Afghanistan offenkundig nicht
entsprechende Einzelfälle. Vielmehr ist unter Berücksichtigung des Charakters des
Regimes in Kabul davon auszugehen, daß sich die genannten Beispiele
verallgemeinern lassen. Die afghanische Regierung unterdrückt nämlich jedwede
politische Gegnerschaft mit einem kaum zu überbietenden Ausmaß an Härte und
Willkür. Geringste Verdachtsmomente reichen bereits aus,
Verfolgungsmaßnahmen auszulösen (vgl. die Lageberichte des Auswärtigen
Amtes vom 15. März 1987, vom 21. Januar 1988, vom 1. Oktober 1988, vom 14.
Dezember 1988, vom 10. April 1989 und vom 24. Oktober 1989), wobei
Familienangehörige von wirklichen oder vermeintlichen Regimegegnern nicht
verschont bleiben. Dies wird bestätigt durch den umfangreichen, auf der
Untersuchung ausgewerteter typischer Fälle beruhenden Sonderbericht der
Vereinten Nationen über die Lage der Menschenrechte in Afghanistan
(veröffentlicht in EuGRZ 1985, 249 ff.). Der Verfasser, Prof. Dr. Ermacora, berichtet
von Geiselnahme (Rdnr. 68), der nach der Verhaftung ihrer Ehemänner bzw. Väter
erfolgten Inhaftierung von Frauen und Kindern (Rdnr. 72), der willkürlichen
Verhaftung verdächtige Personen (Rdnr. 69), verschiedener brutaler
Foltermethoden (Rdnr. 74 ff., 86) und der Ermordung von Regimegegnern (Rdnr.
88). Auch Frauen und Kinder würden gefoltert, mißhandelt und getötet (Rdnr. 105
ff.).
Zwar hat Prof. Dr. Ermacora im Jahre 1987 berichtet, die Zahl der politischen
Gefangenen sei zurückgegangen (FAZ vom 20. August 1987 und FR vom 12.
November 1987). Dies bedeutet jedoch keine Änderung oder Aufgabe der
totalitären Praxis in Afghanistan, wie die schon angeführten Lageberichte des
Auswärtigen Amtes zeigen und auch anderen Informationsquellen zu entnehmen
ist (vgl. FAZ vom 14. Oktober 1988).
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß bei der Feststellung politischer
Verfolgungsmotivation mangels unmittelbarer Beweise aus dem Herkunftsland in
besonderem Maße Erfahrungen und typische Geschehensabläufe miteinbezogen
werden müssen. Erfahrungsgemäß neigen aber totalitär geprägte Staaten dazu,
sich in ihrem Kampf gegen Oppositionelle gerade deren enge Beziehungen zu
ihren Familienangehörigen zunutze zu machen und die Angehörigen unabhängig
davon, ob sie selbst durch eigene politische Aktivitäten hervorgetreten sind, als
Druckmittel gegen den Regimegegner einzusetzen. Überdies ist immer in Betracht
zu ziehen, daß der Verfolgerstaat bei dem Angehörigen eines Regimegegners
schon aufgrund der Familienzugehörigkeit ebenfalls eine staatsfeindliche
Gesinnung voraussetzt und deshalb um so eher geneigt ist, sich seiner bei der
Verfolgung des Familienmitglieds zu bedienen. Dies gilt erst recht angesichts einer
in Afghanistan vorherrschenden Familientradition, die ausschließlich eine enge
Verbundenheit sämtlicher Familienmitglieder kennt (vgl. das Gutachten des Dr.
Amin Farhang vom 20. Juni 1984). Werden aus diesem Grunde die Frauen in
Afghanistan als natürliche Verbündete ihrer Ehemänner angesehen, liegt es für
totalitäre Staaten wie Afghanistan nahe, auch auf die Ehefrau repressiv
einzuwirken, um eigentlich den Partner zu treffen.
An dem totalitären Charakter des Landes und der grundsätzlich praktizierten
Sippenhaft hat sich auch nichts durch die von Mohammed Najibullah proklamierte
"Politik der Nationalen Versöhnung" geändert (so auch Bay. VGH, Urteil vom 3.
März 1988 -- 24 BZ 87.30942 --, und OVG für die Länder Niedersachsen und
Schleswig-Holstein, Urteil vom 3. November 1989 -- 21 OVG A 92/88 --). Diese
Anfang 1987 zum erstenmal propagierte Politik soll zurückkehrenden Personen
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Anfang 1987 zum erstenmal propagierte Politik soll zurückkehrenden Personen
Straffreiheit und Wiedereingliederungshilfe zusichern (Lageberichte Afghanistan
des Auswärtigen Amtes vom 15. April 1987, vom 21. Januar 1988 und vom 1.
Oktober 1988). Rückkehrer mußten jedoch von Anfang damit rechnen, gezwungen
zu werden, für das Regime Propaganda zu betreiben (Lageberichte Afghanistan
des Auswärtigen Amtes vom 15. April 1987, vom 21. Januar 1988 und vom 1.
Oktober 1988). Nachdem die "Politik der Nationalen Versöhnung", die ohnehin von
der Khalq-Fraktion der DVPA abgelehnt wurde bzw. wird (Klaus Natorp in FAZ vom
20. Februar 1989), weitgehend erfolglos blieb, weil die Appelle bei Flüchtlingen und
Freiheitskämpfern wenig Gehör fanden, sind Rückkehrer und entlassene Häftlinge
inzwischen vor erneuter Willkür des staatlichen Machtapparates nicht sicher
(Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25. April 1989 an das Verwaltungsgericht
Düsseldorf). Nach Ausrufung des Ausnahmezustandes am 19. Februar 1989
versucht das Regime, verstärkt seine Macht in den von ihm kontrollierten
Landesteilen mit totalitären Mitteln wie intensiver geheimdienstlicher
Überwachung, willkürlichen Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Verhören,
Mißhandlungen und Folterungen, intensiver indoktrinierender Propaganda und
verschärfter Rekrutierung auch Minderjähriger zum Militärdienst zu festigen
(Lageberichte Afghanistan des Auswärtigen Amtes vom 10. April 1989 und 24.
Oktober 1989). Selbst Parteimitglieder der DVPA werden inhaftiert, wenn sie der
politischen Linie der Regierung ablehnend gegenüberstehen (Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 25. April 1989 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf).
Nach dem Putschversuch des Verteidigungsministers Tanai dürfte sich das
politische Klima darüber hinaus noch verschlimmert haben.
Angesichts dieser gesamten Umstände bestehen nach Ansicht des erkennenden
Senats daher hinreichende Anhaltspunkte für eine asylrelevante Verfolgung von
nahen Angehörigen, die als politische Gegner des Regimes angesehen werden.
Daß dies auch für im Ausland lebende Afghanen zutrifft, belegen deutlich die
Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 14. Januar 1988 (an das
Verwaltungsgericht Köln) und vom 22. Februar 1988 (an das Verwaltungsgericht
Düsseldorf). Mit seiner Einschätzung einer allgemein praktizierten Sippenhaft in
Afghanistan befindet sich der Senat im übrigen in Übereinstimmung mit den
Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. März 1988 -- 24
BZ 87.30942 --, des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12.
September 1988 -- A 13 S 272/87 -- und des Oberverwaltungsgerichts Saarland
vom 22. Februar 1989 -- 3 R 434/85 --. Soweit demgegenüber der damals
ausschließlich für Asylrecht zuständige 10. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs in seinen Entscheidungen vom 19. Dezember 1985 eine
in Afghanistan geübte Praxis einer generellen Sippenhaft nicht feststellen konnte
(zum Beispiel 10 UE 568/84; 10 UE 2971/84; ferner Urteil vom 13. November 1986
-- 10 OE 108/83 --), beruht dies weitgehend auf den Auskünften des Auswärtigen
Amtes vom 27. Oktober 1982 (an das Verwaltungsgericht Minden), vom 16.
Februar 1983 (an das Verwaltungsgericht Trier) und vom 29. März 1985 (an das
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen) und damit auf einer oben bereits
dargelegten, inzwischen erkennbar gewandelten Auskunftslage. Immerhin wurde in
diesen Entscheidungen schon festgestellt, daß in Einzelfällen in Afghanistan
Angehörige politisch Verfolgter Verhören unterzogen und verdächtigt würden,
ebenfalls Widerstandsgruppen anzugehören oder in sonstiger Weise gegen die
afghanische Regierung zu arbeiten.
Für den vorliegenden Fall ist aufgrund der dargestellten Erkenntnisse davon
auszugehen, daß der Klägerin in Afghanistan aus Gründen der Sippenhaft
Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Sie ist mit einem Mann
verheiratet, der bereits in Afghanistan wegen seines dortigen Verhaltens ins
Blickfeld der Behörden geraten war und dessen Verhaftung durch den
afghanischen Staat drohte. Aus diesem Grunde wurde die Wohnung der Klägerin
mehrmals nach ihrem Ehemann von russischen Soldaten und afghanischen
Geheimpolizisten durchsucht.
Im Asylverfahren des Ehemanns der Klägerin stellte sich heraus, daß er sein noch
unter Daud innegehabtes Amt als Gouverneur offenbar deswegen nicht wieder
antreten konnte, weil er sich nicht als zuverlässig im Sinne der kommunistischen
Regierung Afghanistans erwiesen hat, und daß er zusätzlich deshalb verdächtigt
wurde, weil er als Buchhändler die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat.
Aus letzterem Grund ist er im August 1979 im Presseamt der iranischen Regierung
verhört, sodann für einen bis eineinhalb Monate im Gefängnis festgehalten und
dort gefoltert worden. Wie der 10. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
in seiner den Ehemann der Klägerin betreffenden Entscheidung vom 19.
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in seiner den Ehemann der Klägerin betreffenden Entscheidung vom 19.
Dezember 1985 festgestellt hat, dienten Haft und Folter dazu, den Ehemann der
Klägerin als Regimegegner zu treffen und ihn dazu zu bringen, seine den Behörden
mißliebige politische Auffassung aufzugeben sowie ihn zu zwingen, bei der
Verbreitung der von ihm für irrig gehaltenen Staatsideologie mitzuwirken.
Angesichts der fortbestehenden Verdachtsmomente gegen ihn läuft er Gefahr, bei
einer Rückkehr nach Afghanistan erneut wegen seiner schon hinlänglich bekannten
Regimefeindlichkeit Verfolgungen aus politischen Gründen ausgesetzt zu werden.
Hinzu kommt, daß er in der Bundesrepublik als Asylberechtigter anerkannt ist und
hierdurch seine Regimegegnerschaft für den afghanischen Staat erneut unter
Beweis gestellt hat. Angesichts der Aktivitäten des afghanischen Geheimdienstes
Khad, der auch in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen über eine Vielzahl
von Informanten verfügt (Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 19. April 1983 an
das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Lagebericht Afghanistan des Auswärtigen
Amtes vom 1. Oktober 1988 und vom 14. Dezember 1988), muß davon
ausgegangen werden, daß die afghanischen Behörden über die Anerkennung des
Ehemannes der Klägerin als Asylberechtigter unterrichtet sind. Deswegen ist
anzunehmen, daß die afghanischen Behörden in Anbetracht der von ihnen
praktizierten Sippenhaft auch von einer bestehenden, eine politische Verfolgung
indizierenden Regimegegnerschaft der Klägerin ausgehen, zumindest sie aber
deswegen verfolgen könnten, um auf diese Weise Druck auf den als Regimegegner
anzusehenden Ehemann auszuüben.
Die nach alledem drohende Gefahr einer politischen Verfolgung der Klägerin durch
den afghanischen Staat ist nicht deswegen asylrechtlich irrelevant, weil die
Kampfhandlungen in Afghanistan als Bürgerkrieg, jedenfalls aber als
bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen einzustufen sind.
Aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse geht der Senat davon aus, daß in
Afghanistan seit etwa 1979 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen dem
herrschenden Regime in Kabul und bewaffneten afghanischen
Widerstandsorganisationen stattfinden, die sich zum Teil in offenen
Kampfhandlungen, zum Teil in der Form eines Guerillakrieges abspielen. Anlaß und
Ziel dieser kriegsähnlichen Auseinandersetzung ist die Absicht der
Widerstandsorganisationen, Afghanistan als einen von der Vorherrschaft des
derzeitigen Regimes befreiten Staat auf der Grundlage einer islamisch-orthodoxen
Religion zu etablieren. Um demgegenüber die mit dem Islam nicht zu
vereinbarende kommunistische Gesellschaftsordnung zu verteidigen bzw. diese
weiter zu verfestigen und sie in sämtlichen Landesteilen einzuführen, wurden bzw.
werden die Mudjaheddin von regimetreuen Kräften bekämpft.
Diese zumindest bürgerkriegsähnliche Situation in Afghanistan läßt aber nicht den
politischen Charakter der zu erwartenden Verfolgung entfallen (so auch: OVG für
die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Urteil v. 3. November 1989 --
21 OVG A 92/88 --, S. 15 des amtlichen Umdrucks).
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der
vorliegend erkennende Senat im Grundsatz angeschlossen hat (z.B. Urteile v. 8.
Mai 1989 -- 13 UE 3885/87 -- und v. 25. September 1989 -- 13 UE 2036/86 --,
Beschluß v. 22. Juni 1989 -- 13 TH 3075/88 --), vermögen staatliche
Verfolgungsmaßnahmen den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Asyl
dann nicht auszulösen, wenn sie nicht politisch motiviert sind, sondern im Zuge
eines Bürgerkrieges oder einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung gegen
Mitglieder und Parteigänger der anderen Bürgerkriegspartei zwecks Sicherung der
Staatsmacht vorgenommen werden. Andererseits erscheint es selbstverständlich,
daß eine Verfolgung aus politischen Gründen nicht von vornherein deshalb
unbeachtlich ist, weil sie Form und Ausmaß eines Bürgerkrieges oder
bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen annimmt. Die Annahme einer
politischen Verfolgung unter diesen Verhältnissen ist vielmehr von der dem
staatlichen Vorgehen zugrundeliegenden Motivation abhängig und erfordert die
Feststellung, daß der Staat auf den von ihm möglicherweise auch als "politischen
Feind" angesehenen Bürgerkriegsgegner gerade deshalb zugreift, weil er ihn in
einem asylrechtlich geschützten Merkmal treffen will. Ob dies der Fall ist, läßt sich
nur unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland sowie unter
Beachtung der besonderen Umstände des zu entscheidenden Einzelfalles
beurteilen. Insoweit kommt es wesentlich darauf an, ob der betreffende Staat
jedenfalls auch auf die politische Überzeugung der Betroffenen zugreifen will, was
in der Regel dann der Fall ist, wenn bereits diese Überzeugung als zu
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in der Regel dann der Fall ist, wenn bereits diese Überzeugung als zu
bekämpfende Gefahr angesehen wird. Ob dies der Fall ist, hängt von einer Vielzahl
von Kriterien ab, beispielsweise von der Eigenart des Staates, seinem eventuell
totalitären Charakter, der Radikalität seiner Ziele und der zu ihrer Verwirklichung
eingesetzten Mittel. Ferner kann entscheidend auf den Umfang der rechtlich
gewährten und tatsächlich respektierten Meinungsfreiheit abgestellt werden und
insoweit insbesondere darauf, ob im Wege der Kritik eine geistige
Auseinandersetzung zwischen den Prinzipien der jeweiligen staatlichen Ordnung
und anderen, ihnen nicht entsprechenden Ideen und Überzeugungen möglich ist
(vgl. BVerwG, Urteil v. 30. Mai 1989 -- BVerwG 9 C 44.88 --, Buchholz, 402.25, Nr.
10 zu § 2 AsylVfG (S. 27), m.w.N. = InfAuslR 1990, 68 ff.).
Aufgrund der in das Berufungsverfahren eingeführten Auskünfte und sonstigen
Unterlagen ist der Senat der Auffassung, daß die Situation in Afghanistan im
Zeitpunkt der Flucht der Klägerin wie auch noch heute in hohem Maße durch
Elemente der Gewaltherrschaft und Rechtsunsicherheit bis hin zu Willkür und
Gesetzlosigkeit gekennzeichnet ist und immer noch Gewaltmaßnahmen,
Verhaftungen, Folterungen und Exekutionen durchgeführt werden. Nach wie vor
gilt, daß jeder afghanische Staatsangehörige, der nicht bereit ist, sich dem
ideologischen Absolutheitsanspruch des totalitär herrschenden kommunistischen
Regimes in Kabul zu unterwerfen, Gefahr läuft, als Regimegegner eingestuft und
damit als Staatsfeind bekämpft zu werden. Dies bedeutet für ihn, daß er damit
rechnen muß, weitgehend willkürlich und ohne ein den Minimalerfordernissen der
Rechtsstaatlichkeit entsprechendes Gerichtsverfahren kurzzeitig, aber evtl. auch
jahrelang gefangengenommen, gefoltert oder gar getötet zu werden. Zu dieser
Einschätzung gelangt der Senat in Würdigung einer Vielzahl ihm vorliegender
Dokumente und Berichte über die Menschenrechtslage in Afghanistan. So weist
z.B. der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Prof. Dr. Felix Ermacora,
Wien, in seinem Bericht vom 19. Februar 1985 über die Lage der Menschenrechte
in Afghanistan auf eine Vielzahl von Folterungen und Mißhandlungen
Kriegsgefangener hin. Diese würden gefoltert und in einigen Fällen getötet. Von
einer hohen Zahl politischer Gefangener, die allerdings zurückgegangen sei, hat
Prof. Dr. Ermacora nach einer weiteren Reise im Auftrag der Vereinten Nationen
berichtet (FAZ v. 20. August 1987). Auch die Gefangenenhilfsorganisation
amnesty international bestätigt in ihrem Bericht "Folter in Afghanistan", daß
Personen, die lediglich der Opposition verdächtigt würden, mit allen Mitteln
eingeschüchtert und verfolgt würden. In Übereinstimmung hiermit stehen die
neueren Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes. Danach ist jeder Afghane starker
innenpolitischer Repression, insbesondere intensiver Bespitzelung durch ein Heer
geheimdienstlicher Agenten ausgesetzt (Lagebericht v. 1. Oktober 1988). Vor
allem derjenige ist bedroht, der sich gegen das Regime betätigt oder bereits schon
abweichende politische Auffassungen kundgetan hat (Auswärtiges Amt,
Lageberichte v. 1. Oktober 1988 und 10. April 1989). Nach dem Scheitern der
"Politik der Nationalen Versöhnung" und dem von Najibullah am 15. Februar 1989
verhängten Ausnahmezustand dürfte sich die Situation in Afghanistan noch
verschlechtert haben. Das Auswärtige Amt weist in seinem Lagebericht vom 10.
April 1989 und in dem hiermit wörtlich übereinstimmenden Lagebericht vom 24.
Oktober 1989 darauf hin, Najibullah habe sich auf eine "härtere Linie" eingerichtet.
Nachdem das Kriegrecht ausgerufen worden sei, sei kein Afghane mehr vor Willkür
sicher. Selbst Familienangehörige kämpfender Mudjaheddin hätten, auch wenn sie
nicht als Regimegegner tätig geworden oder aufgefallen seien, mit der
Beschattung durch den Geheimdienst zu rechnen, die zu Hausdurchsuchungen,
Verhören und Freiheitsentzug führen könne.
Aus der Tatsache, daß der afghanische Staat bemüht ist, von seiner politischen
Auffassung abweichende Meinungen zu bekämpfen und jede gegen das Regime
gerichtete Opposition zu unterdrücken und auszuschalten, folgt, daß der Kampf
des Kabuler Regimes gegen wirkliche oder vermeintliche Angehörige oder
Sympathisanten der Widerstandsorganisationen nicht ausschließlich durch die
Zielrichtung bestimmt ist, die Staatsmacht in allen Landesteilen zu sichern und
den Frieden im Lande wiederherzustellen, sondern daß mit der Bekämpfung dieser
Personengruppe auch und entscheidend der politische Gegner getroffen und
vernichtet werden soll, um hierdurch gleichzeitig die von diesem vertretene und
der Auffassung der Regierung Najibullahs zuwiderlaufende politische Überzeugung
möglichst weitgehend auszumerzen.
Aus der geschilderten Lage in Afghanistan folgt, daß auch unter Beachtung der
neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil v. 10. Juli 1989 --
2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 80, 315 ff.) von einer mit beachtlicher
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2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 80, 315 ff.) von einer mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu erwartenden politischen Verfolgung der Klägerin trotz
herrschender Bürgerkriegssituation ausgegangen werden muß. Obgleich die
Regierung in Kabul nur einen geringen Teil des Landes zu kontrollieren in der Lage
ist und daher nicht als übergreifende effektive Ordnungsmacht in Afghanistan
angesehen werden kann, ist ihr erkennbares Bestreben doch darauf gerichtet, den
politischen Gegner, auch wenn er am eigentlich militärischen Geschehen nicht
beteiligt ist, bis hin zur physischen Vernichtung auszuschalten. In Fällen dieser Art
stellen Verfolgungshandlungen des Staates, auch wenn sie sich in Form
kriegerischer Auseinandersetzungen ereignen, auch nach der Ansicht des
Bundesverfassungsgerichts Akte politischer Verfolgung dar.
Schließlich wird der Anspruch der Klägerin, als Asylberechtigte anerkannt zu
werden, nicht dadurch ausgeschlossen, daß sie im Falle der Rückkehr in
Afghanistan Schutz vor politischer Verfolgung finden könnte.
Zwar ist der Asylanspruch davon abhängig, daß die Klägerin den Schutz vor
politischer Verfolgung nicht im eigenen Land, also in Afghanistan finden kann.
Auch insoweit gilt -- ähnlich der Regelung des § 2 AsylVfG -- nach der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher der Senat folgt, der
Grundsatz der Subsidiarität des Asylrechts (vgl. BVerwG, Urteil v. 6. Oktober 1987
-- BVerwG 9 C 13.87 --, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 402.25, Nr. 72 zu § 1 AsylVfG).
Danach kommt es darauf an, ob dem Asylbewerber nur in Teilen seines
Heimatlandes politische Verfolgung droht, während er in anderen Teilen ohne
Furcht vor politischer Verfolgung leben kann, ob es ihm also zugemutet werden
kann, in solche Orte oder Gebiete seines Heimatstaates zurückzukehren, in denen
er -- anders als in seiner Heimatregion -- vor Verfolgung hinreichend geschützt ist
(sogenannte inländische oder innerstaatliche Fluchtalternative).
Hier ist es der Klägerin aber gerade nicht zuzumuten, aus der Bundesrepublik
Deutschland in solche Gebiete ihres Heimatstaates zurückzukehren, in denen sie
möglicherweise vor Verfolgung geschützt wäre. Als Fluchtalternative in Afghanistan
kommt nur ein Aufenthalt in den von den Befreiungsbewegungen beherrschten
Gebieten in Betracht, in denen die Staatsgewalt der kommunistischen Regierung
in Kabul keine Einwirkungsmöglichkeit besitzt. Die Einreise nach Afghanistan kann
aber nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Juni 1989 an den Senat nur
über den einzigen internationalen Flughafen in Kabul erfolgen, da bei der Einreise
über Land die Möglichkeit besteht, Kampfgebiete zu berühren. Wie die
Gefangenenhilfsorganisation amnesty international in ihrer Auskunft an den Senat
vom 11. August 1989 mitgeteilt hat, kommt auch eine Abschiebung über Pakistan
und den Landweg nach Afghanistan wegen der starken Verminung der
Verbindungsstraßen nicht in Betracht. Es muß ohnehin schon bezweifelt werden,
ob die jeweils unterschiedlichen Gruppierungen der Freiheitskämpfer die Klägerin
durchreisen ließen (vgl. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes Pakistan vom 1.
April 1989). Reist die Klägerin, über den Flughafen Kabul ein, so besteht gerade die
Gefahr politisch motivierter Repressalien.
Im übrigen kann die Klägerin auch aus anderen Gründen nicht auf eine inländische
oder innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden. Eine solche inländische
Fluchtalternative besteht nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts nämlich nur dann, wenn der Betroffene in den in
Betracht kommenden Gebieten nicht in eine ausweglose Lage gerät, er also vor
politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm auch keine anderen Nachteile
und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen
Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese
existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, Beschluß v.
10. Juli 1989 -- 2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 80, 315 ff. und vom 10. November
1989 -- 2 BvR 403/84 u. 1501/84 --, DVBl. 1990, 201 = InfAuslR 1990, 34 ff.).
Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden, auch wenn die afghanische
Regierung zur Zeit höchstens 20 % des Landes kontrolliert (vgl. Lageberichte des
Auswärtigen Amtes v. 10. April 1989 und v. 15. Oktober 1989). Denn die übrigen
Gebiete -- soweit sie überhaupt zu besiedeln sind -- werden von den Mudjaheddin
beherrscht. Diese unterschiedlichen jeweils aus Traditionalisten, Islamisten und
Fundamentalisten zusammengesetzten Gruppierungen und Stämme rivalisieren
nicht nur miteinander, sondern tragen auch Stammesfehden aus (vgl. Klaus
Natorp in FAZ vom 20. Februar 1989) und schrecken selbst nicht vor Massakern
an politisch anders denkenden Freiheitskämpfern zurück (vgl. FAZ vom 19. Juli
1989). Darüber hinaus sind die verschiedenen Gruppierungen oftmals in
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1989). Darüber hinaus sind die verschiedenen Gruppierungen oftmals in
militärische Auseinandersetzungen mit dem Regime verwickelt. Wie das
Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 24. Oktober 1989 bestätigt hat und in
Übereinstimmung hiermit auch anderen Berichten zu entnehmen ist, sind
Afghanen daher in den "befreiten" Gebieten ihres Landes nicht sicher (vgl. Andreas
Kohlschütter in "Die Zeit" vom 28. April 1989 und Peter Delle in "Der Spiegel" vom
5. Juni 1989). Abgesehen davon, läßt sich auch nicht feststellen, ob es bei der
gegenwärtigen militärischen Situation bleiben wird. Nach der Auskunft des
Auswärtigen Amtes vom 11. Januar 1990 (an das Oberverwaltungsgericht
Nordrhein-Westfalen) soll es zwar Regionen geben, in denen derzeit keine
Kampfhandlungen stattfänden. Doch diese Situation könne sich jederzeit wieder
ändern. Es könne daher von keiner Region mit Sicherheit angenommen werden,
daß die Bevölkerung dort permanent von kriegerischen Auseinandersetzungen
verschont bleibe.
Es kann daher weder in den vom Widerstand kontrollierten noch in anderen
Gebieten die Rede von einer zureichenden inländischen Schutzmöglichkeit sein (so
auch OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Urteil vom 3.
November 1989 -- 21 OVG A 92/88 --; OVG Saarland, Urteil vom 22. Februar 1989
-- 3 R 434/85 --).
Dem Anspruch der Klägerin, als Asylberechtigte anerkannt zu werden, steht auch
die Vorschrift des § 2 AsylVfG nicht entgegen. Denn der Tatbestand dieser
Bestimmung ist nicht erfüllt.
Der Senat folgt der Auslegung des § 2 AsylVfG, die das Bundesverwaltungsgericht
in mehreren Entscheidungen vom 21. Juni 1988 (BVerwG 9 C 12.88 -- BVerwGE 79,
347 ff. -- u.a.) vorgenommen hat. Danach setzt die Anwendung dieser Vorschrift
zunächst voraus, daß die Flucht des politisch Verfolgten in dem "anderen Staat" ihr
Ende gefunden hat und deshalb kein Zusammenhang mehr zwischen dem
Verlassen des Heimatstaates und der Einreise in die Bundesrepublik besteht. Liegt
der Zusammenhang dagegen vor, genießt der politisch Verfolgte ungeachtet
eines Zwischenaufenthalts in einem anderen, objektiv sicheren Land in der
Bundesrepublik Asylrecht (BVerwG, Urteil v. 21. Juni 1988 -- BverwG 9 C 12.88 --,
BVerwGE 79, 347 (351) und Urteile v. 21. November 1989 -- BVerwG 9 C 54.89 u.a.
--).
Ob die Flucht in dem sogenannten Drittstaat als beendet anzusehen ist, richtet
sich nach objektiven Maßstäben und nicht nach den subjektiven Vorstellungen des
Flüchtlings. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den vorgenannten
Entscheidungen desweiteren ausgeführt, der bloße Wille des Flüchtlings, gerade in
der Bundesrepublik Deutschland Schutz zu finden, belasse ihn nicht im Zustand
der Flucht. Es komme vielmehr darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise
aufgrund der gesamten Umstände, insbesondere des tatsächlich gezeigten
Verhaltens des politisch Verfolgten während seines Zwischenaufenthalts im
Drittstaat, dem äußeren Erscheinungsbild nach noch von einer Flucht gesprochen
werden könne. Dies sei nicht mehr der Fall, wenn der Aufenthalt stationären
Charakter angenommen habe. Für die Feststellung des (gegebenenfalls)
stationären Charakters des Aufenthalts des Flüchtlings komme der Dauer des
Aufenthalts eine entscheidende Bedeutung zu.
Die Klägerin hat nach ihren glaubhaften Angaben am 22. Juni 1982 zusammen mit
ihren beiden Kindern Afghanistan verlassen und wartete in Peshawar auf ihren
Ehemann, der dort am 1. Juli 1982 eintraf. Am 28. Juli 1982 ist die Familie weiter
nach Bombay gereist und hat am 11. September 1982 ihren Flug nach Frankfurt
am Main angetreten. Am gleichen Tag traf sie dort ein.
Dem Aufenthalt der Klägerin in Pakistan ist danach kein stationärer Charakter im
Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beizumessen. Dies
ergibt sich aus einer bis dahin erfolgten Reise von insgesamt nur geringer Dauer
und daraus, daß sich die Klägerin auf ihrer Reiseroute von Spin Baldak
(Afghanistan) über Chaman. (Pakistan), Peshawar, Karachi und Rawalpindi nach
Amritsar (Indien) an den jeweiligen Orten und Städten in Pakistan nur kurz
befunden hat, ohne irgendetwas getan zu haben, was den Schluß auf eine
Verfestigung ihres Aufenthalts und damit auf eine Beendigung ihrer Flucht zuließe.
Auch ihrem Aufenthalt in Indien kommt kein stationärer Charakter zu. Allerdings
hat ihre Anwesenheit in Indien längere Zeit in Anspruch genommen. Zwar hat die
Klägerin im Termin zur Beweisaufnahme vor dem Berichterstatter am 28. März
1990 -- wenn auch unter Hinweis, sich nicht mehr genau erinnern zu können --,
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1990 -- wenn auch unter Hinweis, sich nicht mehr genau erinnern zu können --,
ausgeführt, sich in Bombay nur eine Woche aufgehalten zu haben. Diese Aussage
ist jedoch in diesem Punkte unglaubhaft, weil sie im Widerspruch zu früheren
Angaben der Klägerin steht, denen der Senat deswegen folgt, weil sie unmittelbar
nach der Flucht abgegeben worden sind. Bei der Grenzschutzstelle des Flughafens
Frankfurt am Main haben die Klägerin und ihr Ehemann am 12. September 1982
erklärt, bereits am 28. Juli 1982 mit dem Zug nach Amritsar (Indien) und von dort
am 1. August 1982 weiter nach Bombay gefahren zu sein, von wo sie am 11.
September 1982 in die Bundesrepublik einreisten. Auch wenn sich die Klägerin
folglich fast anderthalb Monate in Indien aufgehalten hat, liegen Anhaltspunkte für
eine Aufenthaltsverfestigung in Indien nicht vor. Die Klägerin hat sich auf ihrer
Reiseroute nach Bombay in Amritsar und Neu-Delhi nur kurz aufgehalten. Ihren
längeren Aufenthalt in Bombay -- offenbar vom 1. August 1982 bis 11. September
1982 -- hat sie aber glaubhaft damit erklärt, auf die Besorgung der Flugtickets und
den Flug in die Bundesrepublik gewartet zu haben. Sie hat darüber hinaus
glaubhaft angeführt, sich in Bombay lediglich in einem Hotel, ohne Kontakte zu
indischen Behörden oder Einheimischen, aufgehalten zu haben, so daß insgesamt
davon ausgegangen werden muß, daß die Flucht der Klägerin in Indien nicht zu
Ende war.
Da somit die Berufung der Klägerin Erfolg hat, ist das Urteil des
Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klägerin als Asylberechtigte
anzuerkennen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.