Urteil des HessVGH vom 27.11.1991
VGH Kassel: benutzungsgebühr, zahl, anteil, deckung, satzung, kanalisation, grundstück, grundsteuer, einziehung, ersparnis
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 N 2684/86
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, § 10 Abs 3
S 2 KAG HE
(Mindestgebühren in Gebührensatzung)
Tatbestand
Der Antragsteller erhob - nach erfolglosem Widerspruchsverfahren - im Oktober
1986 beim Verwaltungsgericht Wiesbaden Anfechtungsklage (IX E 932/86) gegen
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Januar 1986 über Grundsteuer und
Benutzungsgebühren für sein von ihm selbst mit Ehefrau und drei Kindern
bewohntes Grundstück im Ortsteil D, soweit darin die Abwassergebühr 1985 auf
330,-- DM und die vierteljährlichen Vorauszahlungen 1986 auf je 82,50 DM
festgesetzt waren.
Zugleich stellte er mit Schriftsatz vom 6. Oktober 1986 beim Hessischen
Verwaltungsgerichtshof den vorliegende Normenkontrollantrag, der sich gegen die
diesen Festsetzungen zugrundeliegenden Satzungsregelungen über die
Mindesthöhe der Gebühr richtet.
Für das Jahr 1985 galt zunächst § 8 der Abwasserbeitrags- und gebührensatzung
vom 26. Juni 1981 (AbwBGS 1981). Nach Absatz 1 erhob die Antragsgegnerin für
die Inanspruchnahme der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage
Abwassergebühren, über die auch die Abwasserabgabe für ihre eigenen
Einleitungen, für Fremdeinleitungen, für die sie die Abgabe zu entrichten hat, sowie
die von anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts auf sie umgelegte
Abwasserabgabe abgewälzt wurde. - § 8 Abs. 2 bis Abs. 7 regelten die Ermittlung
der die Gebührenhöhe bestimmenden Abwassermengen nach dem
Frischwasserverbrauch, deren Verminderung um nachweislich nicht in die
Abwasserbeseitigungsanlage eingeleitete Wassermengen und Einzelheiten der
Ermittlung sowohl der Verbrauchs- als auch der Abzugsmengen.
§ 8 Abs. 8 lautete in der ursprünglichen Fassung:
Die Gebühr je so errechneten Kubikmeter Abwassers beträgt
a) bei Abnahme des Abwassers ohne Fäkalien 1,80 DM b) die laufende
Benutzungsgebühr beträgt je Einwohner und Jahr jedoch mindestens 45,--
DM
Durch den I. Nachtrag zur AbwBGS 1981 vom 5. Dezember 1983 (in Kraft ab 16.
Dezember 1983) wurden die beiden Beträge des § 8 Abs. 8 auf 2,20 DM bzw. 55,--
DM erhöht.
Durch den II. Nachtrag vom 23. Mai 1984 (rückwirkend in Kraft ab 1. Januar 1984)
erhielt § 8 Abs. 8 Buchstabe b die folgende Fassung:
Die laufende Benutzungsgebühr wird je Einwohner und Jahr jedoch auf mindestens
30 cbm festgesetzt.
D i e s e l b e Änderung des § 8 Abs. 8 Buchstabe b erfolgte nochmals durch den
III. Nachtrag vom 6. August 1984 (in Kraft ebenfalls rückwirkend ab 1. Januar 1984).
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Am 29. November 1985 trat die Abwasserbeitrags- und gebührensatzung vom 7.
November 1985 in Kraft. Ihr § 8 regelte in den Absätzen 1 bis 7 im wesentlichen
die gleichen Dinge wie § 8 Abs. 1 bis 7 AbwBGS 1981. § 8 Abs. 8 lautet:
Die Gebühr je so errechneten Kubikmeter Abwasser beträgt
a) bei Abnahme des Abwassers ohne Fäkalien 2,20 DM
b) die laufende Benutzungsgebühr wird je
Einwohner und Jahr jedoch auf mindestens
30 cbm
festgesetzt.
Für die Berechnung ist der Personenstand am 1.10. eines jeden Jahres
maßgebend.
Als Buchstabe c folgt eine Bestimmung über die Verringerung der berechneten
Wassermenge bei Großviehhaltung, die in § 8 AbwGS 1981 den Absatz 4b gebildet
hatte. § 8 Abs. 9 AbwGS 1985 enthält wieder die Bestimmung über die
Gebührenerhöhung bei Starkverschmutzung.
Ein I. Nachtrag vom 24. Juni 1986 betrifft nicht die Gebühren.
Der Antragsteller, auf dessen Grundstück im Jahre 1985 nur 66 cbm Wasser
verbraucht worden sind, hält die Bestimmungen der §§ 8 Abs. 8 Buchstabe b
AbwGS 1981 und AbwGS 1985, die zur Festsetzung der Jahresgebühr von 330,--
DM geführt haben (5 Personen x 30 cbm x 2,20 DM = 330,--DM), für ungültig. Er
führt aus: Die Festsetzung einer pauschalierten Mindestgebühr nach der Zahl der
Grundstücksbewohner statt dem Festhalten am Wasserverbrauchmaßstab
verstoße gegen den von der Gerechtigkeit geforderten Grundsatz, daß
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nur dort angewandt werden dürfen, wo
Wirklichkeitsmaßstäbe auf technische Schwierigkeiten stießen. Im übrigen seien
die Verbrauchsgewohnheiten nicht so einheitlich, daß ein durchschnittlicher
Abwasseranfall je Grundstücksbewohner unterstellt werden dürfe. Daß für die
vorgenommene Pauschalierung keine reale Grundlage bestünde, zeige auch die
Entwicklung der von ihm in drei verschiedenen Ortsteilen der Beklagten im Lauf der
Jahre gezahlten Wasser- und Abwassergebühren. - Er bezweifle auch, daß der
Ansatz von 30 cbm Abwasser pro Bewohner der Höhe nach richtig sei; soweit die
Antragsgegnerin insoweit statistische Zahlen für den Ortsteil D zur Verfügung
habe, sei darauf hinzuweisen, daß in D mehrere Kornbrennereien existierten, die in
erheblichem Maße Abwasser mit starker Verschmutzung in die Kanalisation
einleiteten.
Eine Grund- oder Mindestgebühr, die dazu dienen solle, die Vorhaltekosten der
Abwasserbeseitigungsanlage auch von denjenigen tragen zu lassen, die die Anlage
nur in geringem Umfang in Anspruch nähmen, dürfe allenfalls dann erhoben
werden, wenn für die Schaffung der Anlage keine Beiträge erhoben worden seien;
in D seien aber solche Beiträge für die Abwassersammelleitung erhoben worden.
Daß trotzdem eine Mindestgebühr oder Grundgebühr erhoben werde, verstoße
gegen das Äquivalenzprinzip. - Eine Grund- oder Mindestgebühr zur Deckung von
Vorhaltekosten dürfe auch nicht personenbezogen, sondern nur
grundstücksbezogen festgesetzt werden. Denn es sollten ja mit ihr nur
Grundstücke erfaßt werden, auf denen nur ein minimaler Wasserverbrauch
stattfinde; die Regelung der Antragsgegnerin fingiere aber tatsächlich in seinem
Falle einen überdurchschnittlichen Wasserverbrauch. Im übrigen würde eine
einigermaßen gerechte und gleichmäßige Verteilung der Vorhaltekosten durch
eine - grundstücksbezogene - Grundgebühr besser erreicht werden. Die
Mindestgebührenregelung der §§ 8 Abs. 8 Buchstabe b AbwBGS 1981 und 1985
sei auch deshalb verfehlt, weil sie nicht zu behutsamerem Umgang mit dem
Trinkwasser anrege. Wer bereit sei, schon beim Einkauf bzw. Nichteinkauf von
Bedarfsartikeln an den später notwendigen Wasserverbrauch zu denken, müsse
nach der Satzungsregelung für Wasserverschwender mitbezahlen.
Obwohl ihn nur die Bestimmung der AbwBGS 1981 in der Fassung des III.
Nachtrags und die AbwBGS 1985 belasteten, richte sich sein Antrag auch gegen
die früheren Fassungen der AbwBGS 1981, weil die späteren Regelungen darauf
aufbauten. Im übrigen müsse er wegen der von der Antragsgegnerin
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aufbauten. Im übrigen müsse er wegen der von der Antragsgegnerin
vorgenommenen Mischkalkulation auch die Regelung der Gebührensätze in den
Buchstaben a der §§ 8 Abs. 8 AbwGS 1981 und 1985 angreifen.
Der Antragsteller beantragt,
§ 8 Abs. 8 Buchstabe b der Abwasserbeitrags- und gebührensatzung der
Antragsgegnerin vom 26. Juni 1981 in der ursprünglichen Fassung sowie in der
Fassung der Nachtragssatzungen vom 5. Dezember 1983, 23. Mai 1984 und 6.
August 1984 sowie § 8 Abs. 8 Buchstabe b der Abwasserbeitrags- und
gebührensatzung der Antragsgegnerin vom 7. November 1985 für ungültig zu
erklären.
hilfsweise,
die §§ 8 Abs. 8 Buchstabe a der genannten Satzungen für ungültig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen,
da dieser zwar zulässig aber nicht begründet sei. Sie führt aus:
Der Vorwurf, sie sei ohne Not von einem Wirklichkeitsmaßstab zu einem
Wahrscheinlichkeitsmaßstab übergegangen, sei verfehlt, weil auch der
Frischwassermaßstab (oder Wasserverbrauchsmaßstab) lediglich ein
Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Feststellung der Abwassermengen sei. Mit dem
Frischwassermaßstab könne aber ihrem Anliegen, die Vorhaltekosten in
einigermaßen gerechter Weise auch auf diejenigen abzuwälzen, die nur in
geringem Maße Wasser verbrauchten, nicht gedient werden. Die Ansicht des
Antragstellers, die angegriffene Satzungsregelung sei wegen der früheren
Beitragserhebung unzulässig und hätte außerdem allenfalls einen
grundstücksbezogenen Mindestbetrag festsetzen dürfen, könnte höchstens dann
richtig sein, wenn es sich um eine Grundgebühr handeln würde, die neben einer
Verbrauchsgebühr erhoben würde. Es handele sich aber in Wirklichkeit nicht um
eine Grundgebühr, sondern um eine Mindestgebühr, wie sie nach § 10 Abs. 3 Satz
2 KAG ebenfalls zulässig sei. Denn sie gehe in der Verbrauchsgebühr auf, sobald
der Mindestverbrauch von 30 cbm Wasser tatsächlich überstiegen werde. Die
Ausgestaltung als eine auf die Zahl der Bewohner eines Grundstücks bezogene
Gebühr sei deshalb gerechtfertigt, weil auch die öffentlichen
Abwasserbeseitigungsanlagen nach Einwohnerzahlen und Einwohnergleichwerten
bemessen würden, so daß die Höhe der Kosten von der Zahl der Einwohner
abhänge. Die Zahl der Bewohner eines Grundstückes lasse Art und Umfang der
Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtungen zur Auswirkung kommen. Denn
es könne unterstellt werden, daß das Ausmaß der Inanspruchnahme der
Abwasserbeseitigungsanlage von der Personenzahl abhängig sei. Tatsächlich habe
sie sich bei der Festlegung eines fiktiven Mindestwasserverbrauchs von 30 cbm pro
Jahr und Einwohner unterhalb des errechneten Durchschnittsverbrauches
gehalten, der rund 40 cbm, im Ortsteil D im Jahr 1986 sogar 48,17 cbm betragen
habe. - Der Hinweis des Antragstellers auf die Kornbrennereien in D sei
unerheblich; deren Maische werde überhaupt nicht in die Kanalisation eingeleitet,
sondern verfüttert.
Schließlich sei auch der Hinweis darauf, daß die angegriffene Satzungsregelung
nicht zum sparsamen Wasserverbrauch anreize, kein Argument gegen die
Gültigkeit der Satzung. Das Einsparen von Frischwasser bringe nämlich keine
Entlastung für die Abwasseranlagen mit sich; denn sie habe nur zur Folge, daß die
von einer jeden lebenden Person notwendigerweise verursachte Menge an
Schmutz zwar in einer geringeren Menge Abwasser, aber in dieser dann um so
konzentrierter in die Kanalisation eingeleitet werde. Wer, wie es der Antragsteller
selbst tue, seinen Wasserverbrauch stark einschränke, könne deshalb nicht mit
einer Ersparnis an Abwassergebühren, sondern nur mit einer Ersparnis an
Wassergeld belohnt werden.
Der Senat hat der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 7. Juni 1991 aufgegeben,
den Anteil der nach der Mindestverbrauchsregelung veranlagten
Gebührenpflichtigen an der Gesamtzahl der Gebührenpflichtigen in ihrem
Gesamtgebiet in den Jahren 1982 bis 1986 und außerdem den Anteil der variablen
Kosten an den Gesamtaufwendungen für die Abwasserbeseitigung mitzuteilen. Auf
die daraufhin von der Antragsgegnerin eingereichten Unterlagen (Bl.87-100 d.A.)
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die daraufhin von der Antragsgegnerin eingereichten Unterlagen (Bl.87-100 d.A.)
wird Bezug genommen.
Dem Senat haben in der Beratung außer den Akten des vorliegenden
Normenkontrollverfahrens selbst auch die Akten des beim Verwaltungsgericht
Wiesbaden anhängigen Klageverfahren gleichen Rubrums (IX E 932/86) und einer
ähnlich gelagerten Streitsache (VG Wiesbaden IX E 294/89) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist nur zum Teil zulässig.
Er ist nach § 47 Abs.1 Nr.2 VwGO und § 11 Abs.1 des Hessischen Gesetzes zur
Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 6. Februar 1962 (GVBl. S.13) in
der hier maßgeblichen Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes vom 21.
Dezember 1976 (GVBl.I S.538) an sich statthaft; denn er richtet sich gegen eine
im Range unter dem Gesetz stehende Rechtsvorschrift.
Soweit der Antragsteller den § 8 Abs.8 Buchstabe b AbwBGS 1981 in der
ursprünglichen Fassung vom 26. Juni 1981 und in den Fassungen des I.Nachtrags
vom 5. Dezember 1983 sowie des II.Nachtrags vom 23. Mai 1984 angreift, kann er
aber nicht - wie es nach § 47 Abs.2 Satz 1 VwGO erforderlich ist - geltend machen,
durch die Vorschrift einen bei ihrer Ungültigerklärung wegfallenden Nachteil erlitten
zu haben oder erwarten zu müssen. Denn diese Fassungen galten nur bis zum
Ende des Jahres 1983; der Antragsteller ist aber mit dem beim Verwaltungsgericht
Wiesbaden im Verfahren IX E 932/86 angefochtenen Bescheid erst ab 1985 zu
Abwassergebühren herangezogen worden. Sollte er schon 1983 und früher
Grundstückseigentümer im Gebiet der Antragsgegnerin gewesen und zu
Abwassergebühren herangezogen worden sein, so hat er das doch nicht
angefochten und nach §§ 47 Abs.6 Satz 3, 183 Satz 1 VwGO würden diese
Heranziehungen auch im Falle eines Erfolges des Normenkontrollantrages
unberührt bleiben. - Auch der Hilfsantrag, mit dem die §§ 8 Abs.8 Buchstabe a
AbwBGS 1981 und AbwBGS 1985 angegriffen werden, ist aus dem gleichen Grunde
für die bis Ende 1983 geltenden Fassungen der Vorschriften unzulässig.
Durch die §§ 8 Abs.8 Buchstabe b AbwBGS 1981 in der Fassung des dritten
Nachtrags vom 6. August 1984 und AbwBGS 1985 hat der Antragsteller hingegen
durch Heranziehung zu Abwassergebühren ab 1985 einen Nachteil erlitten und -
solange er Eigentümer eines Grundstücks im Gebiet der Antragsgegnerin bleibt -
auch weiter zu erwarten. Insoweit ist der Antrag auch im übrigen zulässig,
insbesondere ist die Prüfung der Vereinbarkeit der Satzungsbestimmungen mit
Landesrecht durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof nicht gemäß § 47
Abs.3 VwGO dadurch ausgeschlossen, daß sie dem Hessischen Staatsgerichtshof
vorbehalten wäre. Eine solche ausschließliche Überprüfung durch den
Staatsgerichtshof ist lediglich in Art.132 der Hessischen Verfassung - HV -
vorgesehen - und dort nur für die Frage, ob ein Gesetz oder eine
Rechtsverordnung mit der (hessischen) Verfassung im Widerspruch steht.
Gemeindesatzungen wie die Abwasserbeitrags- und -gebührensatzung der
Antragsgegnerin sind keine "Rechtsverordnungen" in diesem Sinne.
Soweit der Normenkontrollantrag (mit dem Hauptantrag) nach dem bisher
Ausgeführten zulässig ist, ist er auch begründet; denn die angegriffenen
Vorschriften verstoßen gegen höherrangiges Recht.
Unschädlich für die Gültigkeit der angegriffenen Bestimmungen ist allerdings der
redaktionelle Fehler, der darin liegt, daß die laufende Benutzungsgebühr je
Einwohner und Jahr auf mindestens "30 cbm" festgesetzt wird. Es geht aus allen
übrigen Bestimmungen der Satzung hervor, daß als Gebühr nicht irgendwelche
Naturalien, sondern Geldbeträge zu leisten sind; und es ist deshalb für jedermann
verständlich, daß mit den angegriffenen Bestimmungen gesagt sein soll, die
Gebühr werde "auf mindestens" (30 x 2,20 DM =) "66,-- DM festgesetzt" oder: die
Gebühr sei... "für mindestens 30 cbm Abwasser zu zahlen".
Ebenso unschädlich ist - was kaum der Erwähnung bedarf - die systematisch
unrichtige Einordnung der Bestimmung - die für sich allein ein vollständiger Satz ist
- unter Buchstabe b als scheinbare Fortsetzung einer mit dem Buchstaben a
begonnenen Aufzählung. Die Gültigkeit von Satzungsbestimmungen hängt,
solange ihr Inhalt feststellbar ist, nicht von der Erreichung eines - wie der Senat in
seinem Urteil vom 11. November 1982 (HSGZ 1983, 468) formuliert hat - üblichen
"Rechtssetzungsstandards" ab.
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Die Ungültigkeit der angegriffenen Bestimmung ergibt sich vielmehr daraus, daß
sie gegen den Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG, Art.1 HV) verstößt.
Mit der Bestimmung ist die Erhebung einer Mindestgebühr vorgeschrieben,
nämlich eines Gebührenbetrages von 66,-- DM je Einwohner und Jahr in allen
Fällen, in denen die Zahl der Einheiten des Gebührenmaßstabes - also der
Kubikmeter Abwasser - 30 oder weniger je Einwohner und Jahr beträgt. Es wirkt sich
also auf die Höhe der zu zahlenden Gebühr nicht aus, um wieviel der
Frischwasserbezug und folglich auch die Benutzung der
Abwasserbeseitigungsanlage unter 30 cbm je Einwohner und Jahr gelegen hat; erst
dann, wenn 31 cbm Frischwasser oder mehr je Einwohner bezogen worden sind,
setzt die exakte Errechnung der Gebühr nach dem Gebührensatz von 2,20 DM ein.
Derartige Mindestgebühren dürfen nach § 10 Abs.3 Satz 2 des Gesetzes über
Kommunale Abgaben (KAG) vom 17. März 1970 (GVBl.I S.225) bestimmt werden.
Zwar spricht das Gesetz dort von "Mindestsätzen", während in der hier
angefochtenen Satzungsbestimmung die Mindesthöhe der zu zahlenden Gebühr
nicht durch die Festlegung eines Gebühren-"Satzes", sondern durch Statuierung
einer Mindestzahl von anzusetzenden Maßstabseinheiten erreicht wird. Der Senat
hat aber schon in seinem Urteil vom 2. Juni 1977 (- V OE 1/75 - HessVGRspr. 1977,
68) angenommen, daß § 10 Abs.3 Satz 2 KAG auch - und gerade - zu einer
derartigen Gebührengestaltung ermächtigt; er sieht das auch jetzt als das vom
Gesetzgeber Gewollte an; denn das Ziel, das Absinken der Gebührenhöhe auf
Beträge zu verhindern, die die Kosten der Ermittlung des Gebührentatbestandes
und der Einziehung der Gebühr nicht mehr decken würden, kann dort, wo die
Gebühr für die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung erhoben werden soll, kaum
durch eine Festsetzung der Gebührensätze ohne gleichzeitige Heranziehung des
Gebührenmaßstabs erfolgen; so müßte zum Beispiel, wenn die erstrebte
Mindestgebühr durch die Regelung des Gebührensatzes erreicht werden sollte, § 8
Abs.8 Satz 1 AbwBGS etwa wie folgt gefaßt werden: Die Gebühr beträgt bis zu
einem Frischwasserbezug von 30 cbm je Bewohner des Grundstücks im Jahre 66,--
DM und bei einem darüber hinausgehenden Frischwasserbezug 2,20 DM je cbm.
Wenn § 8 Abs.8 Buchstabe b für sich allein so formuliert wäre, daß die laufende
Benutzungsgebühr je Einwohner und je Jahr auf mindestens 66,-- DM festgesetzt
werde, so wären darin mit dem "Einwohner" und dem "Jahr" auch wieder Elemente
einer Gebührenmaßstabsbestimmung mitverwendet.
Mit jeder Festlegung einer Mindestgebühr wird Ungleiches gleichbehandelt. Denn
alle diejenigen Gebührenpflichtigen, auf die sie anzuwenden ist, müssen eine
ebenso hohe Benutzungsgebühr zahlen wie diejenigen, die die bei der Festlegung
der Mindestgebühr fingierte Zahl von Maßstabseinheiten tatsächlich in Anspruch
nehmen oder überschreiten. Spiegelbildlich dazu wird, wenn man auf die Höhe der
Gebühr je Maßstabseinheit blickt, Gleiches ungleich behandelt: Nach der
angegriffenen Satzungsbestimmung muß derjenige, auf dessen Grundstück nur 10
cbm Abwasser pro Bewohner errechnet werden, für die Einleitung in die
Abwasserbeseitigungsanlage 6,60 DM je Kubikmeter bezahlen, also das Dreifache
des Gebührensatzes, der auf denjenigen entfällt, der nicht nach der
Mindestgebührenbestimmung veranlagt wird. Eine solche Gleichbehandlung von
Ungleichem oder Ungleichbehandlung von Gleichem ist dann gerechtfertigt, wenn
sie, wie es der Zweck einer Mindestgebühr ist (vgl. Ermel, HessKAG, 2. Aufl.,
Anm.69 zu § 10; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 1986 -
BVerwG 8 C 112/84 - KStZ 1987,11 = NVwZ 1987,231 = HSGZ 1987, 162), der
Verwaltungsvereinfachung dienen, indem sie die genaue Feststellung des
Gebührentatbestandes entbehrlich machen und die Entstehung von Gebühren in
einer die Einziehung nicht mehr lohnenden Höhe vermeiden. So lag eine zulässige
Mindestgebühr in dem vom Senat mit dem Urteil vom 2. Juni 1977 (HessVGRspr.
1977, 68) entschiedenen Fall vor, wo als Müllabfuhrgebühr mindestens die Gebühr
für die Entleerung einer 110-Liter-Tonne vorgeschrieben war, weil die
Zurverfügungstellung kleinerer Tonnen oder gar die Feststellung des jeweils im
Einzelfall abgefahrenen Mülls die Kosten des Betriebs der Müllabfuhr vervielfältigt
hätten.
Im vorliegenden Falle ist eine derartige Rechtfertigung des Verstoßes gegen den
Gleichheitssatz durch die Mindestgebührenregelung nicht vorhanden. Die
Anwendung der Gebührenbestimmungen setzt in allen Fällen die Feststellung der
bezogenen Frischwassermengen durch Ablesen der Wasseruhren und sodann
gegebenenfalls die Bereinigung der festgestellten Menge nach den Absätzen 3 bis
7 des § 8 AbwBGS voraus. Da die Abwassergebühren nicht in einem gesonderten
Bescheid, sondern in dem jährlichen Bescheid über Grundsteuer und
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Bescheid, sondern in dem jährlichen Bescheid über Grundsteuer und
Benutzungsgebühren festgesetzt und angefordert werden - in welchem übrigens
auch die in der Höhe noch unter den Abwassergebühren liegenden
Wasserbezugsgebühren festgesetzt werden -, können auch nicht die Kosten des
Heranziehungsverfahrens zur Rechtfertigung der Mindestgebühr herangezogen
werden.
Die Antragsgegnerin will ihre angegriffene Satzungsbestimmung deshalb auch
nicht mit der Schwierigkeit der Feststellung der Gebührenhöhe und den Kosten der
Heranziehung rechtfertigen, sondern damit, daß ein Teil der Vorhaltekosten auf
diejenigen abgewälzt würde, die nur in geringem Maße Wasser verbrauchten.
Damit kann aber eine Mindestgebühr nicht gerechtfertigt werden. Denn zur
Deckung der Vorhaltekosten würden dann auch nur die herangezogen, die unter
die Mindestgebührenregelung fallen, während diejenigen, auf deren Grundstücken
mehr Abwasser als 30 cbm je Einwohner und Jahr anfällt, nur für die tatsächliche
Benutzung der Anlage, aber nicht für die Vorhaltekosten Gebühren zu zahlen
hätten. Zur Deckung der Vorhaltekosten können vielmehr, wie das
Bundesverwaltungsgericht in dem schon genannten Urteil vom 1. August 1986
ausgeführt hat, nur "Grundgebühren" erhoben werden, die - unabhängig von der
Menge des eingeleiteten Abwassers - von allen Gebührenpflichtigen in gleicher
Höhe n e b e n der sich nach dem Frischwassermaßstab ergebenden
Benutzungsgebühr erhoben werden müßten. Eine derartige Grundgebühr ist in § 8
Abs.8 Buchstabe b AbwBGS 1981 und AbwBGS 1985, wie die Antragsgegnerin zur
Vermeidung des Vorwurfs einer Doppelbelastung durch Grundgebühren und
Beiträge selbst vorgebracht hat, nicht bestimmt.
Die ohne rechtfertigende Gründe gegen den Gleichheitssatz verstoßende
Satzungsregelung könnte, wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls in dem
Urteil vom 1. August 1986 (aaO) angenommen hat, dann dennoch gültig sein,
wenn der Anteil derjenigen Gebührenpflichtigen, die tatsächlich auf Grund der
Mindestgebührenregelung veranlagt werden, an der Gesamtzahl der
Gebührenpflichtigen so klein wäre, daß der "Grundsatz der Typengerechtigkeit" es
rechtfertigen würde, den Verstoß gegen den Gleichheitssatz deshalb unbeachtet
zu lassen, weil der Satzungsgeber nicht alle vorkommenden Einzelfälle bedenken,
sondern seine Bestimmungen auf die typischen Fälle ausrichten darf. Dieser
Gesichtspunkt vermag aber nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 1. August 1986, aaO, mit weiteren
Nachweisen), der sich auch der Senat angeschlossen hat (Urteil vom 19. Juli 1991
- 5 UE 1570/87 -), die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte nur solange zu
rechtfertigen, als die "atypischen" Fälle einen Anteil von 10 % nicht übersteigen. Im
Falle der Antragsgegnerin übersteigt aber die Zahl der nach der
Mindestgebührenregelung veranlagten Gebührenpflichtigen, wie die deshalb vom
Senat eingeholte Auskunft ergibt, diesen Anteil erheblich. Er war in den einzelnen
Ortsteilen der Antragsgegnerin recht unterschiedlich; da die Satzung aber für das
Gesamtgebiet der Antragsgegnerin gilt, war bei der hier vorzunehmenden Prüfung
auch das Gesamtgebiet zu berücksichtigen. Im Gesamtgebiet betrug der Anteil
der "pauschal abgerechneten" Gebührenpflichtigen an der Gesamtzahl im Jahre
1982 9,52 %, im Jahre 1983 aber schon 11,59 %, 1984 11,75 %, 1985 14,34 % und
1986 18,49 %. Deshalb war die Mindestgebührenregelung in den Jahren 1985 und
1986 nicht mehr zulässig, was schon beim Erlaß des 1985 geltenden III. Nachtrags
zur AbwBGS 1981 vom 6. August 1984 und beim Erlaß der ab dem 29. November
1985 geltenden AbwBGS 1985 hätte beachtet werden müssen.
Die §§ 8 Abs.8 Buchstabe b AbwBGS 1981 und AbwBGS 1985 sind deshalb gemäß
§ 47 Abs.6 Satz 2 VwGO für nichtig zu erklären; im übrigen - das heißt, so weit er
nach dem eingangs Ausgeführten unzulässig ist - ist der Normenkontrollantrag
zurückzuweisen.
Anlaß zur Vorlage der Sache an das Bundesverwaltungsgericht nach § 47 Abs.5
VwGO bestand nicht, weil die für die Entscheidung maßgebende Rechtsfrage, ob
Art.3 Abs.1 GG die Festlegung einer Mindest-Benutzungsgebühr für
Abwasseranlagen zuläßt, durch das zu einer Wassergebührensatzung ergangene
Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 1. August 1986 geklärt ist. Zwischen
Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung bestehen bezüglich der zulässigen
Gestaltung des Benutzungsgebührenwesens keine Unterschiede.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.