Urteil des HessVGH vom 09.09.1991
VGH Kassel: genfer konvention, anerkennung, ausländer, bundesamt, flüchtlingseigenschaft, duldung, untätigkeitsklage, gerichtsakte, erfüllung, haftstrafe
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
13. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UE 3486/90
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1a Nr 2 FlüAbk, Art 28
FlüAbk, Art 33 FlüAbk, § 7
Abs 1 AsylVfG vom
09.04.1991, § 12 Abs 6 S 3
AsylVfG vom 09.04.1991
(Ob ein Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nach Genfer
Konvention Art 1a Nr 2 erfüllt, kann nach der ab 1. Januar
1991 geltenden Rechtslage nur vom Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Rahmen eines
Asylverfahrens festgestellt werden)
Tatbestand
Der Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger serbischen Volkstums. Mehrere
bisher von ihm gestellte Asylanträge blieben bislang erfolglos. Im November 1990
lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den dritten
Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab.
Mit Schreiben vom 1. August 1989 beantragte er bei der Beklagten, ihm eine
Duldung gemäß Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
vom 28. Juli 1951 (Genfer Konvention - GK -) zu erteilen. Unter dem 21. August
1989 beantragte er ergänzend die Ausstellung eines Ausweises nach Art. 28 GK.
Zur Begründung verwies er darauf, daß er in Jugoslawien als Volksverräter gelte
und im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland mit langjähriger Haftstrafe zu
rechnen habe.
Am 15. November 1989 erhob der Kläger Untätigkeitsklage beim
Verwaltungsgericht Darmstadt mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Duldung gemäß Art. 33 GK zu erteilen sowie
ihm einen Reisepaß gemäß Art. 28 GK auszustellen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Während des Klageverfahrens erster Instanz lehnte sie mit Bescheid vom 12.
Dezember 1989 die Anträge des Klägers ab. Gegen diese Entscheidung legte der
Kläger am 22. Dezember 1989 Widerspruch ein, über den bislang nicht
entschieden ist.
Mit Beschluß vom 18. Januar 1990 verwies das Verwaltungsgericht Darmstadt den
Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Wiesbaden.
Dieses Gericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Oktober 1990 ab,
nachdem es die Beteiligten zuvor zu dieser Verfahrensweise angehört hatte.
Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Oktober 1989 (10 TP 336/89), wonach
die durch die Genfer Konvention gewährten Vergünstigungen in der
Bundesrepublik Deutschland jedenfalls von solchen Personen, die für sich die
Erfüllung des materiellen Flüchtlingsbegriffes nach Art. 1 A Nr. 2 GK geltend
machten, allein durch das vom Asylverfahrensgesetz vorgeschriebene Verfahren
der Anerkennung als politisch Verfolgte im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
erlangt werden könnten. Eines weiteren Verfahrens daneben bedürfe es nicht.
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Gegen diesen ihm am 7. November 1990 zugestellten Gerichtsbescheid hat der
Kläger am 13. November 1990 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren
weiterverfolgt.
Er beantragt,
der Klage unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 25. Oktober 1990
stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, der Akte VG Wiesbaden IX/1 G 20329/90 sowie von vier Ordnern
mit Behördenvorgängen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts bleibt
erfolglos, da das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.
Allerdings scheitert die Zulässigkeit der Klage nicht schon daran, daß das
Widerspruchsverfahren gegen den ablehnenden Bescheid des Oberbürgermeisters
der Beklagten vom 12. Dezember 1989 noch nicht durchgeführt wurde. Der Kläger
hat nämlich, nachdem über seinen Antrag vom 1. August 1989, der bei der
Beklagten am 7. August 1989 eingegangen war, binnen drei Monaten nicht
entschieden war, zulässigerweise Klage nach § 75 VwGO (sogenannte
Untätigkeitsklage) erhoben, wobei anerkannt ist, daß es - wenn während des
Klageverfahrens sodann ein das Begehren des Klägers ablehnender Bescheid
ergeht - nicht mehr der Durchführung des ansonsten gesetzlich vorgeschriebenen
Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO bedarf (vgl. die Nachweise bei Kopp,
VwGO, 8. Aufl., § 75 Rdnr. 21 f.).
Daß der Kläger den ablehnenden Bescheid des Oberbürgermeisters der
Antragsgegnerin vom 12. Dezember 1989 nicht ausdrücklich in sein
Klagebegehren im Wege eines Aufhebungsantrages einbezogen hat,
beeinträchtigt die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage nicht (vgl. die Nachweise
bei Kopp, a.a.O., § 42 Rdnr. 21).
Dieser Klage kann jedoch in der Sache kein Erfolg beschieden sein. Der Kläger
erstrebt von der Beklagten die Gewährung von Vergünstigungen nach der Genfer
Konvention, welche die Anerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 1 A
Nr. 2 GK voraussetzen. Die Entscheidung über diese Eigenschaft ist jedoch nach
nunmehr geltendem Recht der Ausländerbehörde entzogen und der Durchführung
eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vorbehalten. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob dem Kläger
der geltend gemachte Anspruch zusteht, ist die Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung des Senats. Nach § 7 Abs. 1 AsylVfG in der ab 1. Januar 1991
geltenden Fassung (n.F.) liegt stets und immer dann ein Asylantrag vor, wenn sich
dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers
entnehmen läßt, daß er im Geltungsbereich dieses Gesetzes Schutz vor politischer
Verfolgung sucht oder daß er aus den in § 51 Abs. 1 AuslG (ebenfalls in der ab 1.
Januar 1991 geltenden Fassung) bezeichneten Gründen Schutz vor Abschiebung
oder einer sonstigen Überstellung in einen Staat begehrt, in dem ihm die in § 51
Abs. 1 AuslG n.F. bezeichneten Gefahren drohen. Das Gesetz geht somit davon
aus, daß einem Ausländer, der in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor
irgendwie gearteter politischer Verfolgung in seinem Heimatland begehrt, hierfür
nur noch der Weg über das Asylverfahren zur Verfügung steht. Dem entspricht
eine Bündelung der Zuständigkeit beim Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge, wie sie in § 12 Abs. 6 Sätze 3 und 4 AsylVfG n.F. und §
51 Abs. 2 Sätze 2 und 3 und Abs. 3 AuslG n.F. zum Ausdruck kommt. Danach liegt
die Zuständigkeit für die Entscheidung, ob bei einem Ausländer die
Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG n.F. vorliegen und er daher zugleich die
Voraussetzungen des Art. 1 GK erfüllt, ausschließlich beim Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Diese Rechtslage gilt ohne gesetzliche
Übergangsregelung mit Wirkung ab 1. Januar 1991 mit der Folge, daß keine
rechtliche Möglichkeit (mehr) besteht, ohne vorherige Einschaltung des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und außerhalb des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und außerhalb des
Weges über einen Asylantrag unmittelbar begünstigende Maßnahmen der
Ausländerbehörde mit der Begründung zu erstreben, der betreffende Ausländer
werde politisch verfolgt und erfülle daher die Voraussetzungen der Genfer
Konvention. Ob auch schon vor Inkrafttreten des neuen Ausländer- und Asylrechts
die Anerkennung als Flüchtling nach Art. 1 A Nr. 2 GK nur durch das vom
Asylverfahrensgesetz vorgeschriebene Verfahren erlangt werden konnte, wie das
Verwaltungsgericht unter Hinweis auf den Beschluß des 10. Senats des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Oktober 1989 - 10 TP 336/89 -
ausgeführt hat, mag daher dahinstehen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.