Urteil des HessVGH vom 04.09.1996
VGH Kassel: fehlerhaftigkeit, ausdehnung, genehmigung, verwaltungsrecht, behörde, hessen, bindungswirkung, stillegung, ausführung, anfechtungsklage
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
5. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 A 1858/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 21 AtG, § 22 VwKostG, §
45 VwGO, § 48 Abs 1 Nr 1
VwGO, § 83 VwGO
(Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes bei isolierter
Anfechtung eines selbständigen Kostenbescheides, der zu
einer Sachentscheidung aus dem Bereich der
erstinstanzlichen Zuständigkeit des OVG/VGH ergangen ist;
keine Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses bei
offensichtlicher Gesetzwidrigkeit)
Tatbestand
Die Klägerin ist Betreiberin des Kernkraftwerks. Mit Bescheid vom 3. September
1993 erhielt sie vom Beklagten auf Ihren Antrag hin eine Änderungsgenehmigung
gemäß § 7 Atomgesetz - AtG - für bestimmte Anlagenteile im Block A. Hinsichtlich
einiger Auflagen in dieser Genehmigung ist derzeit ein Verwaltungsstreitverfahren
beim 14. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in erster Instanz
anhängig (14 A 2298/93 - Klageeingang: 30. September 1993).
Mit Bescheid vom 1. August 1994 setzte der Beklagte die Gebühren für diese
Genehmigung auf 700.000,-- DM fest. Die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides
verwies auf die Möglichkeit der Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden. Mit
Schriftsatz vom 19. August 1994 - eingegangen beim Verwaltungsgericht
Wiesbaden am 22. August 1994 - hat die Klägerin dort Anfechtungsklage erhoben.
Mit Beschluß vom 23. Mai 1995 hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden sich für
sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat verweist den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Wiesbaden zurück,
denn die Verweisung der Sache an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof ist
offensichtlich gesetzeswidrig.
Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - entscheidet das
Oberverwaltungsgericht (in Hessen: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, § 1 Abs. 1
Satz 1 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung
- AGVwGO -) über sämtliche Streitigkeiten, die die Errichtung, den Betrieb, die
sonstige Innehabung, die Veränderung, die Stillegung, den sicheren Einschluß und
den Abbau von Anlagen im Sinne der §§ 7 und 9 a Abs. 3 AtG betreffen. Die
Streitigkeiten über die Erhebung von Kosten für diesbezügliche
Behördenentscheidungen gemäß § 21 AtG in Verbindung mit der
Kostenverordnung zum Atomgesetz in einem von der Sachentscheidung
gesondert ergangenen Kostenbescheid gehören bereits nach dem Wortlaut dieser
Vorschrift nicht zu den erstinstanzlichen Zuständigkeiten des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluß des 14. Senats vom 2. August 1993 - 14 A
995/92 -, NVwZ 1994, 1036; Beschluß des erkennenden 5. Senats vom 5. August
1987 - 5 A 2204/86 - NVwZ 1988, 75, noch zu der Vorgängerregelung des Art. 2 §
9 Abs. 1 Nr. 1 EntlG). Angesichts des Ausnahmecharakters dieser Bestimmung
verbietet es sich, für jede im Zusammenhang mit einer Anlage im Sinne der §§ 7
oder 9 a Abs. 3 AtG stehende Streitigkeit die erstinstanzliche Zuständigkeit der
Oberverwaltungsgerichte anzunehmen. (vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 19. Mai
1988 - 7 C 43.88 -, NVwZ 1988, 913 ff). Auch die Tatsache, daß bei der Beurteilung
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1988 - 7 C 43.88 -, NVwZ 1988, 913 ff). Auch die Tatsache, daß bei der Beurteilung
der Rechtmäßigkeit von Kostenbescheiden zugleich auch Fragen der
zugrundeliegenden Sachentscheidungen zu prüfen sein dürften, ergibt keinen
Zwang zum Wegfall einer Tatsacheninstanz. Sinn und Zweck der erstinstanzlichen
Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bestehen nämlich in der Verhinderung
einer übermäßigen Verzögerung der in § 48 Abs. 1 VwGO genannten
Großvorhaben. Eine gesonderte Kostenentscheidung betrifft jedoch die technische
Verwirklichung dieser Vorhaben nicht (so ebenfalls der 14. Senat in seinem
Beschluß vom 2. August 1993 - 14 A 995/92 -, a.a.O.; vgl. auch für eine im
Rahmen eines eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahrens ergangene
Kostenentscheidung: BVerwG, Beschluß vom 22. November 1995 - 11 VR 42.95 -,
UPR 1996, 120).
Gegenüber dieser feststehenden Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs überzeugt die knappe - allein auf § 22
Verwaltungskostengesetz - VwKostG - gestützte - Argumentation des
Verwaltungsgerichts nicht, denn aus dieser Bestimmung läßt sich nichts
Gegenteiliges herleiten. So besagt § 22 Abs. 2 VwKostG nichts anderes, als daß
bei der selbständigen Anfechtung einer Kostenentscheidung auch für dieses
Rechtsbehelfsverfahren - wie bei den übrigen - gesondert Gebühren und Auslagen
zu erheben sind. Auch § 22 Abs. 1 VwKostG gibt für die Zuständigkeitsfrage nichts
her, sondern stellt nur klar, daß eine Kostenentscheidung auch selbständig
angefochten werden kann, und daß bei einer Anfechtung der Sachentscheidung
sich der Rechtsbehelf auch auf die Kostenentscheidung erstreckt. Diese
Klarstellung bezieht sich offensichtlich auf Bescheide, in denen - wie es § 14
VwKostG als Regel vorsieht - Sach- und Kostenentscheidung gemeinsam ergehen,
denn daß eine als selbständiger Verwaltungsakt ergangene Kostentscheidung
auch selbständig anfechtbar ist, ergibt sich bereits aus allgemeinem
Verwaltungsrecht. Über eine Ausdehnung der Regelung des § 48 Abs. 1 Nr. 1
VwGO auf selbständig ergangene Kostenentscheidungen läßt sich daraus nichts
herleiten.
Die Fehlerhaftigkeit der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung zeigt sich
etwa auch darin, daß nach dieser Auffassung für den Fall, daß der Kostenbescheid
in einem atomrechtlichen Verwaltungsverfahren bezüglich einer Anlage im Sinne
der §§ 7 und 9 a Abs. 3 AtG vor der Sachentscheidung erginge - was rechtlich
möglich ist, denn die Gebührenschuld entsteht, soweit ein Antrag notwendig ist,
mit dessen Eingang bei der zuständigen Behörde (§ 11 VwKostG) -, zuerst das
Verwaltungsgericht sachlich zuständig wäre. Nach Ergehen der Sachentscheidung
durch die Behörde und deren Anfechtung beim Oberverwaltungsgericht müßte
dagegen nunmehr auch die erstinstanzliche Zuständigkeit für den - vorher
ergangenen und angefochtenen - Kostenbescheid wechseln. Dies ist jedoch
offensichtlich nicht der Sinn des § 22 VwKostG.
Aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Verweisung durch das Verwaltungsgericht
verweist der Senat den Rechtsstreit zurück an das Verwaltungsgericht Wiesbaden.
Zwar hat dessen Verweisungsbeschluß grundsätzlich gemäß § 83 Satz 1 VwGO in
Verbindung mit § 17 a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz bindende Wirkung
für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist. Ausnahmen von
dieser Bindungswirkung sind jedoch anerkannt bei schweren und offensichtlichen
Rechtsverstößen, d.h. bei offensichtlicher Gesetzeswidrigkeit (BVerwG, Beschluß
vom 1. Dezember 1992 - 7 A 4.92 - NVwZ 1993, 770; Kopp, VwGO, 10. Auflage, §
83 Rdnr. 15; Ortloff in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 1. April
1996, § 83 Rdnr. 16). Einen derartigen schweren Rechtsfehler sieht der Senat hier
als gegeben an, aufgrund dessen zudem eine in der Prozeßordnung vorgesehene
Instanz genommen wird. Das Verwaltungsgericht hat hier unter Außerachtlassung
der Vorschrift des § 45 VwGO, die grundsätzlich alle verwaltungsrechtlichen
Streitigkeiten im ersten Rechtszug ihm zuweist, die Erfüllung der Voraussetzungen
der Ausnahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Nr. 1 VwGO durch den streitigen
Kostenbescheid angenommen, ohne die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 1
VwGO überhaupt im einzelnen zu prüfen oder sich gar mit der diesbezüglichen
feststehenden Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
auseinanderzusetzen. Der alleinige Hinweis auf die oben genannte
verfahrensrechtliche Vorschrift des § 22 VwKostG kann eine Ausdehnung der
Vorschrift über die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts
bzw. Hessischen Verwaltungsgerichtshofs nicht tragen.
Aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Verweisung ergibt sich auch, daß der Senat bei
der Zurückverweisung nicht gemäß § 13 Abs. 1, 2. Alternative in Verbindung mit
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der Zurückverweisung nicht gemäß § 13 Abs. 1, 2. Alternative in Verbindung mit
Abs. 2 AGVwGO in der Besetzung von fünf Berufsrichtern, sondern gemäß § 13
Abs. 1, 1. Alternative in Verbindung mit Abs. 2 AGVwGO in der Besetzung von drei
Berufsrichtern zu entscheiden hat.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.