Urteil des HessVGH vom 04.12.1996
VGH Kassel: bebauungsplan, genehmigung, vorrang des gesetzes, befreiung, ausweisung, gemeinde, auflage, wohnhaus, härte, veröffentlichung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 UE 2575/90
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 11 BBauG, § 1 Abs 5 S 2
Nr 1 BauGB, § 1 Abs 6
BauGB, § 6 Abs 2 BauGB, §
9 Abs 1 Nr 24 BauGB
(Bebauungsplan: unzulässige Ausweisung eines - teilweise
- neuen Baugebietes in einem Überschwemmungsgebiet;
unbestimmte Immissionsrichtpegel; Genehmigung eines
Bebauungsplans - Beurteilungszeitpunkt)
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Genehmigung des
Bebauungsplans Nr. 3.07.
Bereits Anfang der 60er Jahre hatte die ehemals selbständige Gemeinde die
Aufstellung eines Bebauungsplans für das Gebiet zwischen Landstraße und der
Bundesstraße beschlossen, die dort etwas zurückversetzt am Rheinufer verläuft.
Der frühere Regierungspräsident änderte in dem betreffenden Bereich die seit
1914 bestehende Grenze des Überschwemmungsgebietes des Rheins mit
Anordnung vom 6. November 1956 (StAnz. S. 1299) zwischen Stromkilometer
514,4 und 518,0 dahin ab, dass der Bereich nördlich der Bundesstraße, wo sich
das Plangebiet befindet, nicht mehr im förmlich festgelegten
Überschwemmungsgebiet liegt.
Nach dem Regionalen Raumordnungsplan, Planungsregion Südhessen - Karte
Siedlung und Landschaft - vom 22. Dezember 1986 (StAnz. S. 388) ist das
streitbefangene Plangebiet als Siedlungsfläche dargestellt. Dasselbe gilt für den
Regionalen Raumordnungsplan, Planungsregion Südhessen, vom 26. April 1995
(StAnz. S. 1877).
Das Plangebiet ist bereits teilweise bebaut. So erging unter dem 26. Oktober 1965
der Bauschein Nr. 1216/1965 für ein Wohnhaus auf dem Grundstück Flur 18,
Flurstück 14/1, unter dem 17. April 1968 die Baugenehmigung Nr. 490/68 für den
Neubau einer Weinkellerei des Winzervereins auf den Grundstücken Flur 19,
Flurstücke 42/2 u.a., unter dem 17. April 1978 der Bauschein Nr. 221/1978 für ein
Wohnhaus auf dem Grundstück Flur 19, Flurstück 36/3 und unter dem 6.
November 1979 die Baugenehmigung Nr. 830/79 für ein Wohnhaus auf dem
Grundstück Flur 19, Flurstück 50. Wegen einer von der Winzergenossenschaft
begehrten Genehmigung für die Teilung der Flurstücke 42/2 und 42/3 in der Flur 19
ist beim Verwaltungsgericht Wiesbaden unter dem Aktenzeichen III E 132/87 noch
ein Gerichtsverfahren anhängig, das im Hinblick auf den Ausgang dieses
Normenkontrollverfahrens gemäß § 94 VwGO ausgesetzt worden ist. Südlich der B
sind mit Bauschein Nr. 176/1979 vom 13. März 1979 Tennisplätze genehmigt
worden.
Der mit Bescheid des Regierungspräsidenten vom 22. März 1984 genehmigte
Flächennutzungsplan der Klägerin sieht für den nördlichen Teil des Plangebiets
Mischgebiet und zur B hin Gewerbegebiet vor. Dem Aufstellungsverfahren hatte
der Beklagte mit Verfügung vom 23. September 1983 als obere Wasserbehörde
grundsätzlich die Zustimmung zur beabsichtigten Bebauung im Bereich
Rheinwiesen erteilt und dabei Bedenken der Wasserwirtschaft zurückgestellt.
Gleichwohl erging der eindringliche Hinweis, dass das Plangebiet
hochwassergefährdet sei und auch nach Ausführung der Baumaßnahmen
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hochwassergefährdet sei und auch nach Ausführung der Baumaßnahmen
hochwassergefährdet bleibe.
Der Aufstellungsbeschluss für den streitbefangenen Bebauungsplan Nr. 3.07
"Rheinwiesen" stammt vom 19. Mai 1980. Die vorgezogene Bürgerbeteiligung
erfolgte am 8. Dezember 1980, die Entwurfsauslegung in der Zeit vom 5. August
1985 bis 5. September 1985. Als Träger öffentlicher Belange erhob die frühere
Bezirksdirektion für Forsten und Naturschutz mit Schreiben vom 10. Oktober 1985
erhebliche Bedenken gegen den Entwurf des Bebauungsplans im Hinblick auf den
Talauenschutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 HENatG 1981. Es erscheine unangemessen,
die ohnehin dezimierten Retentionsräume im Rheingau für Wohn- oder
Gewerbezwecke in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 31. Oktober 1985 und
30. Januar 1986 erhob nunmehr auch der Regierungspräsident aus
wasserwirtschaftlicher Sicht erhebliche Bedenken gegen das geplante Baugebiet
im Überschwemmungsgebiet des Rheins, wobei tatsächlich, wenn auch nicht
rechtlich, ein Überschwemmungsgebiet vorliege. Das frühere Schreiben vom 23.
September 1983 wurde als überholt bezeichnet.
Die Stadtverordnetenversammlung der Klägerin wies in ihrer Sitzung vom 17. März
1986 die wasserwirtschaftlichen Bedenken im Hinblick auf das genannte Schreiben
vom 23. September 1983 zurück und beschloss den Bebauungsplan als Satzung.
Der Plan setzt im nördlichen Bereich zur Landstraße mit der dort vorhandenen
Wohnbebauung hin Mischgebiet fest und nach Süden zur B 42 hin Gewerbegebiet.
Unter Nr. 1.1.3 a) der textlichen Festsetzung heißt es, dass im Mischgebiet nur
solche Betriebe zulässig seien, deren Anlagen die Immissionsrichtpegel von 55
dB(A) tagsüber und von 40 dB(A) nachts nicht überschritten. Unter Nr. 1.1.7 a) ist
festgesetzt, daß im Gewerbegebiet nur solche Betriebe zulässig seien, deren
Anlagen die Immissionsrichtpegel von 60 dB(A) tagsüber und von 45 dB(A) nachts
nicht überschreiten.
Zum Antrag auf Genehmigung des Bebauungsplans nach § 11 BBauG, der am 3.
Juni 1986 beim Beklagten einging, reichte die Klägerin ein Fachgutachten über die
wasserwirtschaftliche Problematik im Bebauungsplangebiet Rheinwiesen von
Professor Dr.-Ing. R vom Juli 1986 nach, der später unter dem 6. Juni 1988 eine
ergänzende Stellungnahme abgab (B1. 44 der Gerichtsakte - GA -).
Der Beklagte lehnte die Genehmigung mit Bescheid vom 27. Oktober 1986 (Blatt 5
GA) mit der Begründung ab, der Planbereich liege im Überschwemmungsgebiet
des Rheins. Für die Hochwassersicherheit an Bundeswasserstraßen sei ein
200jähriges Hochwasserereignis maßgebend. Dabei würde das Baugebiet
Rheinwiesen bis zu einer Höhe von 2,3 Metern überstaut. Aus
wasserwirtschaftlichen Gründen sei eine weitere Inanspruchnahme von
Retentionsraum nicht zu vertreten. Diese Bedenken könne auch das Gutachten
nicht ausräumen. Im übrigen müssten im Bebauungsplan festzulegende
Immissionswerte hinreichend präzise, eindeutig und vollziehbar sein, was hier
fehle, zumal Berechnungs- und Beurteilungsverfahren sowie konkrete Messpunkte
im Bebauungsplan nicht bestimmt worden seien.
Den klägerischen Widerspruch wies der Regierungspräsident mit
Widerspruchsbescheid vom 26. März 1987 (Bl. 7 GA) mit der Begründung zurück,
die eine Hochwassergefährdung darlegenden Stellungnahmen vom 31. Oktober
1985 und 30. Januar 1986 seien in den Abwägungsprozess nicht eingegangen. Die
geplante Bebauung würde zu einem Retentionsraumverlust von etwa 20.000 cbm
führen. Wenn einerseits auf Grund der akuten Hochwassergefährdung der
Rheinanlieger mit hohem finanziellem Engagement weitere Retentionsräume
geschaffen werden müssten, könnten keine Maßnahmen befürwortet werden, die
den vorhandenen natürlichen Retentionsraum einengten. Die Lage des
Plangebiets im Überschwemmungsgebiet berücksichtige darüber hinaus nicht
ausreichend die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung. Schließlich seien die
textlichen Festsetzungen bezüglich einzuhaltender Immissionsrichtwerte
unzulässig.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat der am 29. April 1987 erhobenen, auf die
Verpflichtung des Beklagten zur Genehmigung des Bebauungsplans "Rheinwiesen"
gerichteten Klage mit Urteil vom 14. Februar 1990 mit der Maßgabe stattgegeben,
dass immissionsschutzrechtliche Bedenken mit einer Auflage geregelt und
wasserwirtschaftliche Belange nach § 70 Abs. 1 HWG nachrichtlich - soweit nicht
geschehen - übernommen werden. Zur Begründung stützt sich das
Verwaltungsgericht darauf, dass der Flächennutzungsplan von 1984 und der
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Verwaltungsgericht darauf, dass der Flächennutzungsplan von 1984 und der
Regionale Raumordnungsplan von 1986 für das streitige Plangebiet keinen Hinweis
auf ein Überschwemmungsgebiet bzw. einen Retentionsraum enthielten. Eine
Gefährdung der Wohn- und Arbeitsbevölkerung sei nicht ersichtlich, zumal
bauordnungsrechtlich mögliche Hochwassergefahren durch bautechnische
Auflagen gemindert werden könnten. Im übrigen befinde sich die Wohn- und
Arbeitsbevölkerung im Plangebiet im gleichen Gefährdungsbereich wie in anderen
Gebieten auch. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Klägerin für das bereits
splittermäßig bebaute Gebiet geordnet und planmäßig eine weitere Bebauung
ermöglichen wolle, wie dies im Flächennutzungsplan von 1984 im Hinblick auf das
Schreiben des Beklagten vom 23. September 1983 angelegt sei.
Entgegenstehende Rechtshindernisse nach § 70 Abs. 2 HWG in der Fassung vom
29. November 1989 (GVBl. I S. 404) könnten nach Ablauf der dreimonatigen
Prüfungsfrist des Beklagten nicht nachgeschoben werden, da der maßgebliche
Zeitpunkt der der Beschlussfassung über den Bebauungsplan bzw. der des
Genehmigungsverfahrens durch die Genehmigungsbehörde sei. Mithin könne offen
bleiben, ob das Plangebiet nach § 70 HWG 1990 tatsächlich ein
Überschwemmungsgebiet sei.
Das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 14. Februar 1990 ist am 12. Juli 1990 mit
Gründen zur Geschäftsstelle gelangt und dem Beklagten am 18. Juli 1990
zugestellt worden. Dieser hat am 17. August 1990 Berufung eingelegt. Er trägt vor,
der Bebauungsplan sei zu Recht nicht genehmigt worden, weil er sonstigen
Rechtsvorschriften widerspreche. In der Berufungsbegründungsschrift vom 19.
Dezember 1990 (Bl. 158 GA) bezieht sich der Beklagte dabei auf § 70 Abs. 2 HWG
1990, wonach in Überschwemmungsgebieten u.a. die Ausweisung von neuen
Bauflächen in Baugebieten nicht zulässig sei. Nach § 70 Abs. 1 HWG 1990 seien
Überschwemmungsgebiete nicht nur die durch Rechtsverordnung festgestellten
Gebiete, sondern auch die in den Arbeitskarten der Wasserwirtschaftsverwaltung
dargestellten Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt werden. Für die
Entscheidung über die anhängige Verpflichtungsklage sei die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Im
übrigen sei trotz der Darstellung des Plangebiets im Regionalen
Raumordnungsplan und im Flächennutzungsplan im Bebauungsplanverfahren eine
ordnungsgemäße Abwägung nicht erfolgt. Bei alledem stützt sich der Beklagte auf
eine Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts Wiesbaden vom 14. Juni 1996 (Bl.
234 GA), die verschiedene Hochwasserstände und Überflutungshöhen für den
Bereich der Rheinwiesen ab 1970 und die Auffassung des Wasserwirtschaftsamts
wiedergibt, wonach eine Bebauung des Plangebietes ohne Hochwasserschutz bei
dem damit verbundenen Retentionsraumverlust nicht möglich sei. Es sei
festzustellen, dass schon untergeordnete Hochwasser-Ereignisse Teilflächen des
Baugebietes überfluteten und besondere Schutzmaßnahmen erforderten.
Der Beklagte trägt weiter vor, den früher vor der Landschaftsschutzverordnung
erfaßte Planbereich liege zwar nicht mehr im Geltungsbereich der
Landschaftsschutzverordnung in ihrer Neufassung vom 6. April 1995 (StAnz. 1995,
1473, 1476), es handele sich jedoch nach wie vor überwiegend um eine Talaue im
Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 7 HENatG 1994. Davon sei nur der nördliche, an die
Landstraße angrenzende Bereich ausgenommen. Darüber hinaus sei eine
veränderte neue Überschwemmungsgrenzlinie gemäß der im Staatsanzeiger
1995, S. 3966 aufgeführten Arbeitskarte der Wasserwirtschaftsverwaltung
maßgebend, die den Planbereich fast vollständig gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 HWG
1990 in der Fassung vom 25. September 1996 (GVBl. I S. 384) auf fünf Jahre bis
zum Jahre 2000 als Überschwemmungsgebiet verbindlich festlege.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 14. Februar 1990 aufzuheben
und die Klage gegen den Versagungsbescheid vom 27. Oktober 1986 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidenten vom 26. März
1987 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Als maßgeblich für die genehmigungsrechtliche Bewertung des Bebauungsplans
sieht die Klägerin den Zeitpunkt ihrer Antragstellung bei der
Genehmigungsbehörde an. Der Grundsatz, bei einer Verpflichtungsklage sei der
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Genehmigungsbehörde an. Der Grundsatz, bei einer Verpflichtungsklage sei der
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz
maßgeblich, sei inzwischen durch Ausnahmen in so starkem Maße durchlöchert,
dass er kaum noch als solcher anerkannt werden könne. So seien
Abwägungsentscheidungen nach der Rechtslage des Zeitpunkts zu überprüfen, in
dem sie getroffen worden seien. Im übrigen sei das materielle Recht maßgebend.
In diesem Zusammenhang weist die Klägerin für die jetzige Rechtslage darauf hin,
dass der nach der Novellierung des Baugesetzbuchs in der Regel nur noch
anzeigepflichtige Bebauungsplan nach Ablauf einer Frist von drei Monaten durch
die Aufsichtsbehörde nicht mehr beanstandet werden könne. Dies gelte für alle
denkbaren Beanstandungen, auch für die Verletzung von Rechtsvorschriften. In die
Beschlussfassung über den Bebauungsplan hätten nicht Umstände einbezogen
werden können, die erst viele Jahre später eingetreten seien. Bei der
Abwägungsentscheidung habe kein gesetzlicher Hinderungsgrund bestanden,
zumal es keine Ausweisung eines Überschwemmungsgebietes gegeben habe. Die
jetzige Behauptung des Beklagten, das Plangebiet liege in einer Talaue im Sinne
des HENatG, sei schwer nachzuvollziehen, zumal das Gebiet aus dem
Landschaftsschutz entlassen worden sei. Für das gewerbliche Interesse eines
Grundstückseigentümers im Plangebiet legt die Klägerin ein entsprechendes
Firmenschreiben vor (Bl. 244 GA), in dem die Gründe für eine dringend
erforderliche Vergrößerung des Betriebes näher dargelegt werden.
Sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird ebenso wie auf die gewechselten
Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Der am 03.06.1986 und damit vor dem
01.07.1987 beim Beklagten zur Genehmigung vorgelegte Bebauungsplan ist nach
wie vor genehmigungspflichtig. Dies ergibt sich aus § 233 Abs. 4 BauGB i.V.m. § 11
Satz 1 BBauG.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die auf § 11 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 BBauG
in entsprechend Anwendung beruhende Versagung der Genehmigung ist zu Recht
erfolgt, da der Bebauungsplan dem Bauplanungsrecht und sonstigen
Rechtsvorschriften widerspricht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Plans am Maßstab des sonstigen
Rechts ist die mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren (vgl. Kopp, VwGO,
Komm., 10. Aufl. 1994, § 113 Rdnr. 99). Der gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz
und Recht gebundenen Verwaltung ist es jetzt wie früher verwehrt, einen im
Widerspruch zu geltenden Rechtsvorschriften stehenden Bebauungsplan zu
genehmigen. Dies ergibt sich auch unmittelbar aus § 233 Abs. 4 BauGB i.V.m. § 11
Satz 1 und 2 sowie § 6 Abs. 2 BBauG entsprechend, die die Rechtsprüfung nicht
auf einen bestimmten Geltungszeitraum von Rechtsnormen oder auf Altrecht
beschränken, das in einem bestimmten zeitlichen Zusammenhang mit der
Beschlussfassung über den Bebauungsplan als Satzung oder der gemeindlichen
Vorlage zur Genehmigung bei der oberen Bauaufsichtsbehörde steht.
Diese Auffassung über den maßgeblichen Zeitpunkt der rechtlichen Bewertung
des klägerischen Verpflichtungsbegehrens ist auch im Hinblick darauf
angemessen, dass bisweilen auch ein größerer Zeitraum zwischen
Satzungsbeschluss und Genehmigungsantrag liegen kann, wobei es mit Sinn und
Zweck der Prüfungskompetenz der oberen Bauaufsichtsbehörde und allgemeinen
rechtsstaatlichen Grundsätzen, auch mit Art. 20 Abs. 3 GG, dem Vorrang des
Gesetzes und dem Demokratieprinzip nicht vereinbar wäre, die
Genehmigungsbehörde etwa an eine überholte frühere Rechtslage im Zeitpunkt
des Satzungsbeschlusses der Gemeinde zu binden.
Für den maßgeblichen Zeitpunkt für die rechtliche Entscheidung über
Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Genehmigung kann auch nichts
Gegenteiliges aus der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 6 Abs. 4
BBauG, der Fristen für die behördliche Entscheidung und die Möglichkeit einer
Genehmigungsfiktion nach ungenutztem Fristablauf regelt, hergeleitet werden, da
es sich um eine spezielle Vorschrift über Bearbeitungsfristen und rechtliche Folgen
bei behördlicher Untätigkeit handelt, die den allgemeinen Grundsatz, dass bei
Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Genehmigung der Zeitpunkt der letzten
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Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Genehmigung der Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung vor Gericht maßgeblich ist, nicht außer Kraft setzen oder
abändern kann. Dasselbe ist dem klägerischen Hinweis auf die Dreimonatsfrist im
Anzeigeverfahren nach § 11 Abs. 3 BauGB entgegenzuhalten, wobei diese erst ab
01.07.1987 geltende Vorschrift ohnehin nicht direkt oder entsprechend anwendbar
ist.
Soweit sich die Klägerin für die Bestimmung des Zeitpunkts der maßgeblichen
Rechtslage bei Verpflichtungsklagen auf eine differenzierte Betrachtung beruft und
für die Überprüfung von Abwägungsentscheidungen auf den Zeitpunkt der
Abwägung abstellt, kann ihr insoweit gefolgt werden, als bereits § 155 b Abs. 2
Satz 1 BBauG wie jetzt § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB ausdrücklich regelt, dass für die
Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den
Bauleitplan maßgebend ist. Damit ist für die Überprüfung von
Abwägungsentscheidungen ausdrücklich eine unmittelbar geltende
Gesetzesvorschrift erlassen worden, die für die Überprüfung des Plans auf
Widersprüche gegen sonstige Rechtsvorschriften nichts hergibt und eine
differenzierte und in Übereinstimmung mit rechtsstaatlichen Anforderungen
abweichende Antwort zulässt. Steht bei der Abwägung in planerischer
Gestaltungsfreiheit das "Planungsermessen" der Gemeinde als politischen
Wertungen zugängliches Willensmoment im Vordergrund, gestützt auf die
Trägerschaft für die Bauleitplanung und die kommunale
Selbstverwaltungsgarantie, geht es bei der Widerspruchsfreiheit mit der Einheit der
Rechtsordnung um objektive normative Schranken, die der Bebauungsplan bis zur
Genehmigung bei Strafe der Nichtgenehmigung nicht verletzen darf.
Der streitbefangene Bebauungsplan ist schon deshalb nicht genehmigungsfähig,
weil seine Lärmschutzregelungen in Nrn. 1.1.3 a und Nr. 1.1.7 a der textlichen
Festsetzungen gegen § 9 Abs. 1 Nr. 24 BBauG, jetzt § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB
verstoßen. Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im
Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes oder zur Vermeidung oder
Minderung solcher Einwirkungen sind bauliche oder technische
Schutzmaßnahmen, nicht aber Immissionsgrenzwerte, die nur das Ziel des
Immissionsschutzes festlegen, aber nichts über die konkret zu treffenden
Maßnahmen aussagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.1990 - 4 N 6/88 - NVwZ
1991, 881/882; VGH München, Urteil vom 24.11.1994 - 2 N 93.3393 - NVwZ 1995,
924 = NuR 1995, 411).
Die genannte Schallschutzregelung ist im übrigen inhaltlich unbestimmt und
deshalb mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit
(Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar. Die Festsetzungen eines Bebauungsplans
müssen inhaltlich so eindeutig sein, dass Bürger und Bauaufsichtsbehörden ihm
verständlich entnehmen können, mit welchen Auswirkungen namentlich
Nachbargrundstücke bei der Verwirklichung eines Vorhabens im Planbereich
rechnen müssen (vgl. VGH München, a. a. O.). Für die planerisch vorgesehenen
pauschalen Immissionsrichtpegel von 55 dB (A) tags und 40 dB (A) nachts im
Mischgebiet und 60 dB (A) tags und 45 dB (A) nachts im Gewerbegebiet, die
eigentlich einem allgemeinen Wohngebiet statt einem Mischgebiet bzw. einem
Mischgebiet statt einem Gewerbegebiet nach den verschiedenen einschlägigen
Regelwerken zuzuordnen wären, sind keine konkreten Immissionspunkte
angegeben worden, an denen sie einzuhalten sind. Der Bebauungsplan lässt damit
offen, ob die festgesetzten Schallleistungspegel für jeden einzelnen Betrieb in den
verschiedenen Baugebietsarten gelten (was zur Folge haben kann, dass der
Gesamtschallpegel, den mehrere Betriebe dann gemeinsam erzeugen, über dem
festgesetzten Höchstpegel liegt), oder ob die festgesetzten Pegel jeweils
Summenpegel sind, die von allen Betrieben und Anlagen innerhalb eines Gebietes
insgesamt nicht überschritten werden dürfen. Zudem regelt der Bebauungsplan
mit seiner Schallschutzregelung auch nicht, nach welchem technischen Regelwerk
(TA Lärm, VDI 2058 oder DIN 18005) die Lärmpegel ermittelt werden sollen. Die
Berechnung nach diesen Vorschriften kann im Einzelfall zu unterschiedlichen
Ergebnissen führen (vgl. hierzu VGH München, a. a. O.).
Nach alledem sind die genannten immissionsschutzrechtlichen Festsetzungen in
der vorgesehenen Form rechtlich nicht zulässig. Bedenken hatte insoweit im
übrigen auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil, wenn es die
Klagestattgabe mit der Maßgabe verbunden hat, dass immissionsschutzrechtliche
Bedenken mit einer Auflage geregelt werden. Der Senat sieht hingegen keine sich
in bestimmter Weise aufdrängende Möglichkeit, dass die Genehmigungsbehörde
den in der Unklarheit der Willensbildung des örtlichen Planungsträgers liegenden
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den in der Unklarheit der Willensbildung des örtlichen Planungsträgers liegenden
Mangel durch eine Auflage oder inhaltliche Änderung, eine Maßgabe, ausgleicht.
Dies würde voraussetzen, dass es nur um eine Formulierungshilfe oder um eine
rechtliche Korrektur mit einem einzig richtigem Ergebnis geht, was nicht der Fall
ist. Hier hat die Klägerin als Trägerin der Bauleitplanung in spezieller Weise Gebiete
geplant, die schon von der Art der Bebauung her bei den zahlreichen
Einschränkungen und Ausschlüssen baulicher Anlagen nur noch eingeschränkt
dem bezeichneten Gebietstyp entsprechen, so dass sich die Gemeinde selbst
schlüssig werden muss, was sie in Ansehung der Unzulässigkeit und
Unbestimmtheit der jetzigen Schallschutzregelung im Rahmen des rechtlich
Möglichen planerisch will. Mit einer bloßen genehmigungsbehördlichen
Formulierungshilfe ist es dafür nicht getan, wie sich auch eine bestimmte
rechtliche Korrektur mit einem einzig richtigen Ergebnis nicht aufdrängt.
Die fehlende Genehmigungsfähigkeit allein schon der
Immissionsschutzfestsetzungen unter Nr. 1.1.3 a und 1.1.7 a lässt sich nicht auf
diese begrenzen, sondern ergreift den ganzen Plan. Die Schallschutzregelung
steht in engem sachlichen Zusammenhang mit den übrigen stark differenzierten
Festsetzungen für das Misch- und Gewerbegebiet und stellt einen wesentlichen Teil
des Gesamtplans dar, ohne den wegen des notwendigen Gesundheitsschutzes der
Anwohner der Plan nicht erlassen werden konnte und nach dem Willen der Klägerin
auch nicht erlassen werden sollte. Die insoweit dargelegten Planungsfehler sind so
wesentlich, dass auch eine Teilgenehmigung und Teilwirksamkeit des
streitbefangenen Bebauungsplans ausscheidet; seine Genehmigung ist im Ganzen
schon deswegen zu Recht versagt worden.
Darüber hinaus liegt angesichts der schon bei der Beschlussfassung über den
Bebauungsplan als Satzung bekannten Hochwassergefahren, die sich
insbesondere in den Überschwemmungen des Plangebiets von 1970 und 1983
gezeigt haben, bauplanungsrechtlich im Hinblick auf § 1 Abs. 7 BBauG bzw. § 1
Abs. 6 BauGB ein Abwägungsfehler darin, dass die nach § 1 Abs. 6 Satz 2, 1.
Spiegelstrich BBauG, jetzt § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB zu berücksichtigenden
allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die
Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung im Plangebiet unangemessen
zurückgesetzt worden sind. Die Klägerin, die im Bebauungsplan über eine
Flächenfestsetzung nach § 9 Abs. 5 BBauG und den Hinweis zu baulichen
Sicherheitsmaßnahmen unter Nr. 4.3 der textlichen Festsetzungen hinaus
keinerlei Maßnahmen zum Hochwasserschutz und zum Ausgleich des
Retentionsraumverlustes planerisch festgesetzt hat, durfte sich bei ihrem
Satzungsbeschluss vom 17.03.1996 mit der Zurückschneidung des rechtsförmlich
festgelegten Überschwemmungsgebiets durch die Anordnung des
Regierungspräsidenten in Wiesbaden vom 06.11.1956 (StAnz. 1956, 1299) und die
im Aufstellungsverfahren zum Flächennutzungsplan abgegebene Erklärung der
oberen Wasserbehörde vom 23.09.1983 nicht zufriedengeben, zumal selbst in
dieser Erklärung die fortbestehende Hochwassergefährdung des Plangebiets als
eindringlicher Hinweis enthalten war. Der Beklagte kann insoweit für sich anführen,
es liege kein unauflösbarer Widerspruch in seinem Verhalten vor, weil eine
Umsetzung der im Flächennutzungsplan dargestellten Bauflächen durch einen
Bebauungsplan für den Bereich "Rheinwiesen" eine planerische Konfliktbewältigung
der Überflutungs-, Abfluss- und Retentionsraumproblematik noch hätte erwarten
lassen, die jedoch ausgeblieben sei.
Nimmt man die vom Wasserwirtschaftsamt in seiner Stellungnahme vom
14.06.1996 (Bl. 234, 235 der Gerichtsakte - GA -) für den Rhein-km 515,0
überschlägig angegebenen Wasserspiegel- und Überflutungshöhen von 1 bis über
2 m in den Jahren 1970 und 1983 und damit vor dem maßgeblichen
Abwägungszeitpunkt in den Blick, reicht dies für eine planerisch nicht hinnehmbare
nachhaltige Störung gesicherter und gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse aus.
Dabei kommt es für die Fehlerhaftigkeit des Abwägungsergebnisses nicht
entscheidend darauf an, dass die Hochwasserereignisse mit Überflutungshöhen
von über 1 bis 2 m in der Zeit nach dem Satzungsbeschluss noch häufiger
vorgekommen sind, nämlich in den Jahren 1988, 1993 und 1995. Bei der
statistischen Annahme eines einhundertjährigen Hochwasserereignisses (HW 100),
wie es nach § 69 Abs. 1 Satz 2 HWG im Regelfall bei der rechtsförmlichen
Festlegung von Überschwemmungsgebieten zugrundezulegen ist, ist nach den
Angaben des fachlich zuständigen und kompetenten Wasserwirtschaftsamts mit
einer Überflutungshöhe bis zu 2,91 m zu rechnen, mithin in Vollgeschosshöhe.
Zumindest für die gerade auf erdgeschossige Räumlichkeiten angewiesene
flussnahe Gewerbenutzung im Plangebiet mit Werkhallen und Lagerplätzen kann
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flussnahe Gewerbenutzung im Plangebiet mit Werkhallen und Lagerplätzen kann
nicht damit gerechnet werden, dass in den jeweils noch folgenden
Baugenehmigungsverfahren wirksame bauliche Schutzvorkehrungen angeordnet
werden können, um Sachschäden - auch größeren Umfangs - an Materialien und
Maschinen bei Hochwasser zu verhindern und einer möglichen
Wasserverschmutzung vorzubeugen. Damit genügt der Bebauungsplan im Hinblick
auf die genannten bauplanerischen Anforderungen nicht dem Gebot der
Konfliktbewältigung.
Der Genehmigung des gesamten Bebauungsplans entgegenstehende sonstige
Rechtsvorschriften sind auch die wasserrechtlichen Bestimmungen der §§ 69 ff.
Hessisches Wassergesetz (HWG) vom 22.01.1990 (GVBl. I S. 114) in der Fassung
vom 25.09.1996 (GVBl. I S. 384). Die Anwendung der neuesten Fassung des
Gesetzes ist von § 125 HWG gefordert, wobei nach § 122 Abs. 2 HWG die nach
bisherigem Recht festgestellten Überschwemmungsgebiete als
Überschwemmungsgebiete im Sinne des Gesetzes gelten.
Im vorliegenden Fall ist wasserrechtlich von Bedeutung, dass die Rheinwiesen seit
1914 in einem aufgrund der §§ 285, 286 des Preußischen Wassergesetzes (PrWG)
vom 07.04.1913 (GS S. 53) förmlich festgelegten Überschwemmungsgebiet des
Rheins liegen, wie dies in den behördlicherseits vorgelegten einschlägigen
Arbeitskarten der Wasserwirtschaftsverwaltung eingezeichnet ist.
Bekanntmachungsrechtliche Bedenken gegen die den Arbeitskarten
zugrundeliegenden Verzeichnisse über die Überschwemmungsgebiete sind nicht
vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, da die Verzeichnisse nach § 286 Abs. 3
Satz 1 PrWG für jeden Wasserlauf, erforderlichenfalls unter Beifügung von
Lageplänen, öffentlich auszulegen waren.
Die im Jahr 1956 durch Anordnung des Regierungspräsidenten vom 06.11.1956
(StAnz. 1956, S. 1299) vorgenommene Zurückverlegung der Hochwassergrenze
an die Bundesstraße ist dagegen nicht rechtswirksam geworden, da die
Verkündung der Anordnung rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht genügt.
In dem genannten Erlass heißt es lediglich, dass die Grenzen des
Überschwemmungsgebiets des Rheins entlang der Umgehungsstraße von Strom-
km 514,4 bis 518,0 abgeändert und die neuen gesetzlichen Grenzen in den Plänen
der Wasser- und Schiff-fahrtsdirektion eingezeichnet worden seien. Damit ist die
räumliche Abgrenzung des abgeänderten Überschwemmungsgebiets
rechtsstaatlich nicht einwandfrei bekannt gemacht worden und aus der
Bekanntmachung selbst nicht mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen. In
der Rechtsprechung des Senats ist im Anschluss an die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts für Verordnungen entschieden, dass derartige
Rechtsvorschriften die räumliche Abgrenzung eines Gebietes entweder,
a) wenn es sich mit Worten eindeutig erfassen lässt (z. B. "die Insel X"), in ihrem
Wortlaut umreißen oder
b) durch eine als Anlage im Verkündungsblatt beigegebene Landkarte genau
ersichtlich machen ... oder
c) bei bloß grober Umschreibung im Wortlaut durch Verweisung auf eine an der zu
benennenden Amtsstelle niedergelegte und dort in den Dienststunden für
jedermann einsehbare Landkarte, deren archivmäßige Verwahrung zu sichern ist,
angeben müssen (BVerwG, Urteil vom 28.11.1963 - I C 74.61 - BVerwGE 17, 192 f.;
Urteil vom 27.01.1967 - IV C 105.65 - BVerwGE 26, 129 f.; Hess. VGH, Beschluss
vom 25.08.1994 - 4 N 2204/90 - m. w. N.). An dieser Auffassung ist festzuhalten.
Wegen des Verfahrensmangels der nicht ordnungsgemäßen Verkündung ist die
Zurückverlegung der Hochwassergrenze an die Bundesstraße nicht rechtswirksam
zustande gekommen und vermag eine Neuabgrenzung des
Überschwemmungsgebiets nicht zu begründen.
Im Hinblick auf das bereits 1914 rechtsförmlich festgelegten
Überschwemmungsgebiet im Bereich der Rheinwiesen kommt das in der
Arbeitskarte des Wasserwirtschaftsamtes (Bl. 212, 213 GA) aufgeführte und durch
die Veröffentlichung des Regierungspräsidiums vom 24.10.1995 (StAnz. S. 3966)
neu festgestellte Überschwemmungsgebiet, das nördlich teilweise sogar bis in die
überbauten Grundflächen der Gebäude an der Landstraße hineinreicht und diese
durchschneidet, gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 HWG rechtlich nicht zum Tragen. Nach
der genannten Vorschrift gelten bis zur Feststellung eines
Überschwemmungsgebiets durch Rechtsverordnung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 HWG
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Überschwemmungsgebiets durch Rechtsverordnung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 HWG
auch die in den Arbeitskarten der Wirtschaftsverwaltung dargestellten und im
Staatsanzeiger für das Land Hessen veröffentlichten Gebiete als
Überschwemmungsgebiete, höchstens jedoch 5 Jahre ab Veröffentlichung. Hier
besteht jedoch keine durch die Arbeitskarte von 1995 ausfüllbare normative
Regelungslücke, da gemäß § 122 Abs. 2 HWG die nach bisherigem Recht
festgestellten Überschwemmungsgebiete als Überschwemmungsgebiete im Sinne
des Hessischen Wassergesetzes fortgelten.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass für den Fall der Unwirksamkeit der
Festsetzung des Überschwemmungsgebiets von 1914, auch wenn der Senat
davon nicht ausgeht, die in der Veröffentlichung von 1995 aufgeführte Arbeitskarte
die Grenzen des Überschwemmungsgebiets gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 HWG für
die Dauer von 5 Jahren rechtsverbindlich festsetzen würde, so dass sich an der
wasserrechtlichen Grundlage für die Bewertung des Rechtsstreits im Ergebnis
nichts ändern würde. In jedem Falle liegt für den Bereich der Rheinwiesen ein
rechtsverbindlich festgestelltes Überschwemmungsgebiet vor.
Mithin kommt es nach § 70 Abs. 1 HWG bei der Ausweisung von neuen Bauflächen
in Bauleitplänen darauf an, ob für die planerisch zugelassenen baulichen Anlagen
gemäß § 71 Abs. 1 HWG eine Befreiung erteilt werden kann. Dies ist für eine
Befreiung nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 HWG, bei der es auf die Vereinbarkeit der
Abweichung mit den öffentlichen Belangen ankommt, zu verneinen. Geht man mit
den allgemeinen Vorbemerkungen in den Motiven zum Hessischen Wassergesetz
von 1994 (LT-Dr. 13/5901, S. 7) davon aus, dass die Neuausweisung von
Bauflächen in Uferbereichen und Überschwemmungsgebieten auch weiterhin
grundsätzlich ausgeschlossen sein soll, sind die Befreiungsvoraussetzungen zur
Sicherung des Wasserabflusses (vgl. die Überschrift des Fünften Teils des HWG)
nicht ausgedehnt auszulegen. Nimmt man in den Blick, dass mit den amtlichen
Wasserkarten seit 1914 mindestens tatsächlich von einem
Überschwemmungsgebiet in den Rheinwiesen auszugehen ist, die mit der im
mittleren Bereich parallel zum Fluss verlaufenden Senke im Grunde einen kleinen
Polder darstellen, und daß darüber hinaus bei den vom Wasserwirtschaftsamt
Wiesbaden etwa für den Rhein-km 515,0 seit 1970 überschlägig angegebenen
Wasserspiegel- und Überflutungshöhen von 1 bis über 2 m in den Jahren 1970,
1983, 1988, 1993 und 1995 (Bl. 235 GA), auch allgemeine Anforderungen an
gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und
Arbeitsbevölkerung nicht gewahrt sind, zudem teilweise ein Gewerbegebiet
festgesetzt worden ist, dessen Überschwemmung die Wasserqualität weit mehr
beeinträchtigen kann als ein Wohngebiet (vgl. Schreiben der Hessischen
Landesanstalt für Umwelt vom 11.12.1986 in den Behördenakten), so ist eine
Vereinbarkeit der im Plangebiet vorgesehenen nicht unerheblichen baulichen
Erweiterungen mit den öffentlichen Belangen der Wasserwirtschaft nicht gegeben.
Eine Befreiung nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 HWG scheidet ebenfalls aus. Die Vorschrift
sieht als Tatbestand einer Befreiung vor, dass die wasserrechtlichen Verbote im
Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würden. Die Grundstücke im
Überschwemmungsgebiet müssten dazu Besonderheiten aufweisen, die sie im
Verhältnis zu den Verboten als Sonderfall erscheinen ließen (vgl. LT-Dr. 13/5901,
S. 9), was nicht der Fall ist. Eine unbillige Härte ist nicht schon deshalb gegeben,
weil die Vorstellungen der Grundstückseigentümer nicht mehr uneingeschränkt
verwirklicht werden können. Eine Befreiung kommt beispielsweise bei Vorhaben in
Betracht, die nach § 35 BauGB zulässig sind oder nur in oder am Gewässer
realisiert werden können, oder in Fällen des (erweiterten) Bestandsschutzes.
Soweit die Klägerin hierzu ein Schreiben der Firma vom 08.10.1996 (Bl. 244 GA)
vorgelegt hat, reichen deren betriebliche Interessen an einer gewerblichen
Nutzung auf den von ihr erworbenen Grundstücken in den Rheinwiesen für eine
Befreiung wegen einer unbilligen Härte nicht aus. Die genannte Firma führt aus,
der Betrieb im Ortsmittelpunkt von sei direkt oberhalb der Bahnlinie angesiedelt,
was bei häufiger Schließung der Bahnschranken zu langen Wartezeiten für größere
Lieferanten- und Kundenfahrzeuge führe, während Pkw's den Betrieb über einen
Umweg anfahren könnten. Außerdem sei eine Vergrößerung des Betriebs dringend
erforderlich. Insgesamt sind die geltend gemachten Umstände, die mehr oder
weniger für die anderen an einer gewerblichen Nutzung interessierten
Grundstückseigentümer in derselben Weise gelten dürften, nicht als so atypisch
anzusehen, dass sie angesichts der Situationsgebundenheit des Grundeigentums
im Überschwemmungsgebiet der Rheinwiesen (vgl. Lüers UPR 1996, 241, 251) im
Einzelfall eine Befreiung rechtfertigen könnten, wobei auch keiner der in den
Motiven zum HWG 1994 genannten Beispielsfälle vorliegt oder einem von ihnen in
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Motiven zum HWG 1994 genannten Beispielsfälle vorliegt oder einem von ihnen in
der qualitativen Gewichtung gleichkommt.
Nach § 71 Abs. 1 Nr. 3 HWG käme allenfalls eine teilweise Befreiung in Betracht,
die jedoch wegen der entgegenstehenden immissionsschutz- und
bauplanungsrechtlichen Vorschriften nicht zu einer Teilgenehmigung des
Bebauungsplans führen kann. § 71 Abs. 1 Nr. 3 HWG lässt eine Befreiung zu, wenn
Vorhaben auf Flächen verwirklicht werden sollen, auf denen eine Bebauung nach
Maßgabe eines bestehenden rechtsverbindlichen Bebauungsplans oder nach § 34
BauGB zulässig ist. Die Beteiligten sind sich darüber einig (vgl. Bl. 207 GA), dass
die Wohnbebauung an der Landstraße und die Bebauung der Rheinallee bis zur Nr.
22 (Flurstück 48/4) dem unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB zuzurechnen
sind. Dies ist nur der kleinere Teil des Plangebiets. Für den übrigen Teil
einschließlich der Betriebsgebäude der Weinkellerei des Winzervereins, auch wenn
sie baulich von einigem Gewicht sind, ist im Hinblick auf die auf den Lichtbildern
(Hülle Bl. 63 GA) ersichtliche weinwirtschaftliche Nutzung mit Rebstöcken und die
nicht unerheblichen Entfernungen zu den im Zusammenhang bebauten
Plangebietsteilen an der Landstraße und der Rheinallee bis zur Nr. 22 von
Außenbereich auszugehen, wie dies auch der Beklagte tut. Soweit die Klägerin
ohne Widerspruch in der Sache hier von einem Grenzfall ausgeht, spricht dies nicht
entscheidend dagegen, dass jedenfalls für den weit überwiegenden Planbereich,
für den der Plan in erster Linie aufgestellt worden ist, der Befreiungstatbestand des
§ 71 Abs. 1 Nr. 3 HWG nicht erfüllt ist.
Soweit nach § 71 Abs. 2 Satz 1 HWG eine Befreiung nach Abs. 1 ohnehin nicht
erteilt werden darf, wenn das Vorhaben eine Beeinträchtigung des
ordnungsgemäßen Wasserabflusses oder Gefahren für die Gewässergüte
hervorruft oder sonstige Belange des Wasserhaushaltes beeinträchtigt und es
nach den nachfolgenden Vorschriften auf Rückhalteraumverluste und
Ersatzmaßnahmen ankommt, braucht dem für den Ausgang des Rechtsstreits
nicht weiter nachgegangen zu werden, da die immissionsschutz- und
bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkte einer vollständigen Genehmigung des
Bebauungsplans bereits entgegenstehen.
Offen bleiben kann auch die Reichweite des Überschwemmungsgebiets- und
Talauenschutzes nach § 1 Abs. 2 Nr. 7 HENatG 1994, weil es auch für ihn für den
Ausgang des Rechtsstreits nicht mehr entscheidend ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO
entsprechend.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.