Urteil des HessVGH vom 02.07.1996

VGH Kassel: richteramt, präsident, vergleich, gleichbehandlungsgebot, rechtsschutz, rechtfertigung, leistungsfähigkeit, hessen, qualifikation, chancengleichheit

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 TG 1445/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 GG, Art 33 Abs 2 GG,
Art 134 Verf HE, § 8 Abs 1
BG HE, § 2 RiG HE
(Personalauswahlentscheidung: Bewerbung um ein höheres
Richteramt - Eignungs- und Leistungsvergleich -
Gewichtung einer Erprobungsabordnung)
Gründe
Die Beschwerde hat Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner zu Unrecht im Wege der
einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum Ablauf von zwei Wochen nach der
Zustellung einer erneuten Auswahlentscheidung untersagt, den Beigeladenen im
Hinblick auf die Ausschreibung im Justizministerialblatt vom 15. August 1995 zum
Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main zu ernennen. Ein
dahingehender Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 VwGO ist entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht glaubhaft gemacht worden. Die
Antragstellerin ist durch die Art und Weise des vom Antragsgegner durchgeführten
Auswahlverfahrens und die hierauf beruhende Auswahlentscheidung zugunsten
des Beigeladenen nicht in ihrem von Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 134 HV
gewährleisteten grundrechtsgleichen Recht auf (chancen-)gleichen Zugang zu
jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung (vgl. BVerfG, Beschluß vom 19. September 1989, DVBl. 1989, 1247;
Hess.StGH, Urteil vom 13. Mai 1992, NVwZ-RR 1993, 201, 202) verletzt worden.
Der Senat wendet die Grundsätze seiner Rechtsprechung zum sogenannten
Bewerbungsverfahrensanspruch, wie er sie für beamtenrechtliche Beförderungen
entwickelt hat (vgl. hierzu zusammenfassend: Beschluß des Senats vom 26.
Oktober 1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593 mit weiteren Nachweisen), in
ständiger Rechtsprechung auf die Ernennung eines Bewerbers/einer Bewerberin für
ein Richteramt mit höherem Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamtes an
(vgl. zuletzt Beschlüsse des Senats vom 22. März 1993 - 1 TG 15/93 - sowie vom
16. August 1994 - 1 TG 966/94 -, jeweils mit ausführlichen Nachweisen; Beschluß
vom 22. Dezember 1994 - 1 TG 2723/94 -). Die gerichtliche Nachprüfung von
Personalauswahlentscheidungen anhand dieser Grundsätze und der zum
Bewerbungsverfahrensrecht entwickelten Kontrollmaßstäbe ist in Anbetracht der
dem Dienstherrn durch Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 HBG i.V.m. § 2 HRiG
eingeräumten Beurteilungsermächtigung inhaltlich darauf beschränkt, die
Einhaltung ihrer Grenzen zu kontrollieren, insbesondere ob der Dienstherr den
anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen der
Beurteilungsermächtigung verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde
Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl.
dazu Beschlüsse des Senats vom 22. März 1993 sowie vom 26. Oktober 1993,
jeweils a.a.O.). Bei Anwendung dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung der im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen
Tatsachenfeststellung ist die Personalauswahlentscheidung des Ministers
zugunsten des Beigeladenen vom 11. Dezember 1995 weder hinsichtlich des vom
Antragsgegner eingehaltenen Verfahrens noch in ihrem inhaltlichen Ergebnis
gerichtlich zu beanstanden.
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Zwar ist die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen ursprünglich
verfahrensfehlerhaft ergangen; denn sie ist nicht hinreichend begründet worden.
Der Senat hat mehrfach darauf hingewiesen, daß der hessische Minister der Justiz
und für Europaangelegenheiten rechtlich verpflichtet ist, die seinen
Personalauswahlentscheidungen zugrundeliegenden maßgeblichen
Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen, damit im Rahmen einer
gerichtlichen Überprüfung der Auswahlentscheidung tatsächlich wirksamer
Rechtsschutz gewährleistet werden kann (vgl. Beschlüsse des Senats vom 28.
Oktober 1993 - 1 TG 2103/93 und 1 TG 1957/93 - sowie vom 22. Dezember 1994
a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Dieser Verpflichtung entspricht zwar der Erlaß
vom 11. Januar 1993 (2012-I/1-1321/92-I/13), nicht jedoch die Verwaltungspraxis;
denn auch im vorliegenden Verfahren ist die Entscheidung zugunsten des
Beigeladenen ursprünglich nicht ordnungsgemäß begründet worden. Der
Vortragsvermerk des Leiters der Abteilung I vom 11. Dezember 1995 besteht aus
einem einzigen Satz und enthält keinerlei inhaltliche Aussagen über die
unterlegenen Bewerber.
Obgleich der Senat es in ständiger Rechtsprechung nicht zuletzt aus
prozeßökonomischen Gründen zuläßt, daß seitens der sachlich und persönlich für
die Personalauswahlentscheidung zuständigen Stelle bestimmte, für die
rechtsfehlerfreie Begründung einer Auswahlentscheidung erforderliche
Erwägungen nachgereicht werden (vgl. hierzu grundlegend: Beschluß des Senats
vom 18. August 1992 - 1 TG 1074/92 -, NVwZ 1993, 284), so führt doch die vom
Antragsgegner wiederholt geübte Praxis, seine Entscheidung erst im Lauf des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachvollziehbar zu begründen, letztlich dazu,
daß die unterlegenen Bewerber gezwungen sind, unter Umständen unnötig
gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, wenn sie eine nähere
Begründung der zu ihren Lasten getroffenen Entscheidung begehren. Die
wünschenswerte Akzeptanz von Personalauswahlentscheidungen kann so nicht
erreicht werden. Vollends deutlich wird die Bedeutung des
Begründungserfordernisses in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem der
Antragsgegner im Ergebnis von den Besetzungsvorschlägen der Präsidenten des
Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main und des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist. Die in einem solchen Fall gebotene
ausführliche Begründung ist erst nachträglich und nur verstreut in den
Schriftsätzen der Staatssekretärin vom 19. Januar bzw. 10. April 1996 gegeben
worden. Damit ist zwar der ursprünglich gegebene formale Mangel geheilt worden;
gleichwohl erscheint es dem Senat weder angemessen noch sachdienlich, daß bei
der Vergabe eines höherwertigen Richteramtes die Rechtfertigung der
Auswahlentscheidung und damit auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit
dieser überwiegend erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stattfindet.
Die nunmehr vorliegenden Auswahlerwägungen genügen den Anforderungen an
eine rational nachvollziehbare schriftliche Begründung der Auswahlentscheidung
und tragen diese auch im inhaltlichen Ergebnis.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts konnte der Antragsgegner
zunächst ohne Beurteilungsfehler davon ausgehen, daß sich aus dem gebotenen
wertenden Vergleich der aktuellen dienstlichen Beurteilungen über die
Antragstellerin und den Beigeladenen kein entscheidungserheblicher Leistungs-
und Eignungsvorspruch der Antragstellerin ergibt. Der Antragsgegner war auch an
die entsprechende Feststellung in dem Besetzungsvorschlag des Präsidenten des
Verwaltungsgerichts nicht gebunden.
Eine strikte Bindung des Antragsgegners an den Inhalt dienstlicher Beurteilungen,
insbesondere an die von den jeweiligen Beurteilern als Gesamturteil vergebenen
Prädikate, besteht nicht. Vielmehr stellt es geradezu eine der zentralen Aufgaben
im Rahmen einer Personalauswahlentscheidung dar, dienstliche Beurteilungen, die
häufig - und auch hier - von verschiedenen Gerichten und unterschiedlichen
Beurteilern herrühren, selbständig zu bewerten und im Vergleich einander
zuzuordnen. Der Dienstherr ist in solchen Fällen unmittelbar aufgrund des
Bewerbungsverfahrensrechts (Art. 33 Abs. 2 GG) verpflichtet, einen
Vergleichsmaßstab zu bilden und dadurch die Chancengleichheit aller Bewerber
(Art. 3 Abs. 1 GG) herzustellen und zu wahren (vgl. zum Zusammentreffen von
dienstlichen Beurteilungen und Arbeitszeugnissen: Beschluß des Senats vom 27.
Januar 1994 - 1 TG 2485/93 -, NVwZ-RR 1994, 525, 526). Hinsichtlich des
Vergleichs von Bewerbern aus unterschiedlichen Bereichen oder - wie hier - aus
verschiedenen Gerichten fehlt es zwangsläufig zunächst an einem solchen
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verschiedenen Gerichten fehlt es zwangsläufig zunächst an einem solchen
Vergleichsmaßstab; denn der Präsident als Beurteiler legt regelmäßig die
Verhältnisse am jeweiligen Gericht zugrunde. Somit hat der Dienstherr das Recht,
aber auch die Pflicht, selbständig eine wertende Zuordnung der dienstlichen
Beurteilungen vorzunehmen.
Nichts anderes gilt im Ergebnis hinsichtlich der Besetzungsvorschläge der
Präsidenten des Verwaltungsgerichts und des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs. Auch wenn diesen in der Regel wegen ihrer Sachnähe
und ihres besonderen Charakters als unmittelbare, selbständig wertende
Vorbereitung der eigentlichen Auswahlentscheidung eine maßgebliche Bedeutung
im Rahmen des Auswahlverfahrens zukommt, die derjenigen einer dienstlichen
Beurteilung entsprechen kann (so ausdrücklich OVG SH, Beschluß vom 1. Februar
1996, DVBl. 1996, 521, 522; vgl. Beschluß des Senats vom 22. Dezember 1994
a.a.O., Seite 4 des Abdrucks), so bestehen im vorliegenden Fall mehrere
Besonderheiten, die es rechtfertigen, eine Abweichung des Antragsgegners von
den Besetzungsvorschlägen jedenfalls nicht als Überschreitung des dem
Antragsgegner eingeräumten Beurteilungsspielraums zu werten.
Zum einen war davon auszugehen, daß den Präsidenten jeweils nur einer der
beiden hier in Betracht kommenden Bewerber aus eigener Anschauung über
Persönlichkeit und dienstliche Leistungen bekannt war, da die Antragstellerin nicht
an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof abgeordnet war und der Beigeladene
dem Verwaltungsgericht angehört. Zum anderen unterscheiden sich die
Besetzungsvorschläge zwar nicht im Ergebnis, aber in der Begründung erheblich;
In einer solchen Ausgangssituation setzt eine rechtsfehlerfreie
Auswahlentscheidung eigenständige, von den Besetzungsvorschlägen
unabhängige Erwägungen des obersten Dienstherrn voraus. Die vorbereitenden
Besetzungsvorschläge dienen dem Zweck, den Dienstherrn in die Lage zu
versetzen, die Eignung von Bewerbern für einen höherwertiges Richteramt in
materieller Hinsicht selbständig zu beurteilen (vgl. Beschluß des Senats vom 13.
August 1992 - 1 TG 924/92 -, ZBR 1993, 338); eine inhaltliche Bindungswirkung
kommt ihnen hingegen nicht zu.
Der Antragsgegner ist bei der Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen
zu dem Ergebnis gekommen, daß das Leistungsbild des Beigeladenen
insbesondere durch eine hervorragende Beurteilung über seine
Erprobungsabordnung geprägt ist, während die Antragstellerin die Stufe in der
dienstlichen Beurteilung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts "erst im Wege
eines Überspringens der dazwischenliegenden Prädikatsstufe" erreicht habe. Der
Senat vermag insbesondere unter dem Blickwinkel der Vergleichbarkeit
dienstlicher Beurteilungen aus verschiedenen Bereichen nicht zu beanstanden,
daß der Antragsgegner diese Bewertung ersichtlich für nicht nachvollziehbar
gehalten und ihr deshalb kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen hat. Dies
gilt auch dann, wenn man in der Beurteilungsstufe auf der Ebene der
Verwaltungsgerichte keine volle Prädikatsstufe, sondern lediglich eine
Hervorhebung erblickt; denn jedenfalls hat der Präsident des Verwaltungsgerichts
in der dienstlichen Beurteilung über die Antragstellerin vom diese Hervorhebung
übersprungen, zu der er in den früheren dienstlichen Beurteilungen noch keinen
Anlaß gesehen hatte. Unter diesen Umständen stellt es keinen Beurteilungsfehler
dar, daß der Antragsgegner das vom Beigeladenen erreichte Prädikat in den
dienstlichen Beurteilungen des Präsidenten des Verwaltungsgerichts und des
Präsidenten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs als gleichwertig erachtet und
seine Entscheidung sodann maßgeblich auf die besonders erfolgreiche
Erprobungsabordnung des Beigeladenen sowie darauf gestützt hat, daß eine weit
überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit im Falle des Beigeladenen über einen
längeren Zeitraum als bei der Antragstellerin nachvollzogen werden könne. Im
übrigen ist bereits der Präsident des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in
seinem Besetzungsvorschlag von der Einschätzung des
Verwaltungsgerichtspräsidenten abgewichen und von einer im wesentlichen
gleichen fachlichen Leistung und persönlichen Eignung der Antragstellerin und des
Beigeladenen ausgegangen.
Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, daß der Antragsgegner im Rahmen
seiner Auswahlerwägungen der dienstlichen Beurteilung des Präsidenten des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs über die Erprobungsabordnung des
Beigeladenen ausdrücklich besonderes Gewicht beigemessen hat. Die vom
Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluß vertretene Auffassung, die
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Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluß vertretene Auffassung, die
Abordnung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof müsse im Hinblick auf die
Anforderungen der zu besetzenden Stelle eines Vorsitzenden Richters beim
Verwaltungsgericht als "überschießende Qualifikation" außer Betracht bleiben, trifft
nicht zu.
Unrichtig ist bereits die Prämisse des Verwaltungsgerichts das Anforderungsprofil
eines/einer Kammervorsitzenden am Verwaltungsgericht stehe nicht fest und
bedürfe der näheren Kennzeichnung seitens der Ernennungsbehörde, die insoweit
ein "personalpolitisches Ermessen" auszuüben habe. Der Senat hat in seinem
Beschluß vom 26. November 1992 - 1 TG 1792/92 - (ESVGH 43, 86, 89 = DRiZ
1994, 180, 182 mit weiteren Nachweisen) auf der Grundlage der Vorschriften der
Verwaltungsgerichtsordnung (§§ 102 - 104, 169 VwGO) und des
Gerichtsverfassungsgesetzes (§§ 21 g, 176, 194 GVG) die Anforderungen an
dieses Amt gekennzeichnet; sie sind durch Gesetz vorgegeben und durch die
Rechtsprechung festgelegt (vgl. ferner Beschlüsse des Senats vom 22. März 1993,
a.a.O. sowie vom 16. Februar 1995 - 1 TG 2664/94 -, RiA 1996, 148, 151) und
bedürfen hier keiner Wiederholung. Es ist auch nicht erforderlich, bei jeder
Auswahlentscheidung zur Besetzung einer Vorsitzendenstelle dieses
Anforderungsprofil ausdrücklich schriftlich niederzulegen. Im vorliegenden Fall
ergibt sich die gebotene Orientierung der Auswahlentscheidung an den
wesentlichen Merkmalen des Anforderungsprofils mit hinreichender Deutlichkeit
aus den Besetzungsberichten der Präsidenten des Verwaltungsgerichts und des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, die die Staatssekretärin ausdrücklich als
Ausgangspunkt der Auswahlentscheidung einbezogen hat.
Insbesondere aber wird der Stellenwert der - erfolgreichen - Abordnung an das
Berufungs- und Beschwerdegericht vom Verwaltungsgericht verkannt. In der
Rechtsprechung ist unumstritten, daß die am Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs.
1 GG) orientierte Verwaltungsübung, vor der Beförderung zum Vorsitzenden
Richter am Verwaltungsgericht eine Erprobungsbeschäftigung beim
zweitinstanzlichen Gericht zu fordern und die dienstliche Beurteilung im Anschluß
an diese Beschäftigung bei der Beförderungsentscheidung zu berücksichtigen,
rechtlich nicht beanstandet werden kann (vgl. allgemein BVerwG, Beschluß vom 7.
September 1976, Buchholz 237.7 § 7 LBG NW Nr. 3 = DRiZ 1977, 117; Urteil vom
4. November 1976, DöD 1977, 89, 90; OVG NW, Urteil vom 28. August 1980 a.a.O.
Seite 278; Beschluß des Senats vom 28. Oktober 1993 - 1 TG 1957/93 -).
Ihre inhaltliche Rechtfertigung als wesentliche Grundlage einer am Leistungsprinzip
orientierten Vergabe höher bewerteter Richterämter erhält diese
Verwaltungsübung aufgrund der besonderen Ansprüche, denen ein abgeordneter
Richter/eine abgeordnete Richterin für die Dauer seiner/ihrer Zugehörigkeit zu
einem Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ausgesetzt ist. Sie lassen
sich dahingehend zusammenfassen, daß in einem gedrängten Zeitraum praktisch
sämtliche fachlichen und persönlichen Anforderungen der Tätigkeit auf einem
höherwertigen Richterdienstposten mit Ausnahme derjenigen, die nur durch die
Wahrnehmung konkreter Vorsitzendentätigkeiten erfahrbar sind, erfüllt werden
müssen, und zwar im unmittelbaren Vergleich zu anderen möglichen Bewerbern
um ein Beförderungsamt. Dem entspricht es, daß dienstliche Beurteilungen des
Präsidenten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs über den
Erprobungszeitraum stets auch eine ausdrückliche Aussage zur Eignung für das
Amt eines Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht enthalten. Neben der
gründlichen und vertieften Arbeitsweise an dem Rechtsmittelgericht wird vor allem
auch die Fähigkeit verlangt, die Arbeit unter dem Druck der begrenzten Dauer der
Abordnung so einzuteilen, daß quantitativ und qualitativ einwandfreie Ergebnisse
erzielt werden können.
Eine erfolgreiche Erprobungsabordnung begründet ferner regelmäßig die Annahme
einer gesteigerten Verwendungsbreite. In dieser Hinsicht besteht im übrigen kein
wesentlicher Unterschied zwischen der Abordnung an das Obergericht, an den
Staatsgerichtshof des Landes Hessen, an das Bundesverfassungsgericht und an
ein oberstes Bundesgericht, aber auch einer solchen, die ersatzweise an ein
Ministerium oder an das Justizprüfungsamt erfolgt, so daß grundsätzlich auch
Richterinnen und Richter zum Zuge kommen können, denen aus persönlichen,
insbesondere familiären Gründen eine längere Abwesenheit in größerer Entfernung
vom Wohnort vorübergehend oder auf Dauer nicht möglich ist.
Das Gewicht einer erfolgreichen Abordnung an den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof für den Dienstherrn ergibt sich nicht zuletzt aus dessen
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Verwaltungsgerichtshof für den Dienstherrn ergibt sich nicht zuletzt aus dessen
Beförderungspraxis. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß
nach seiner Kenntnis in der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit noch nie ein
Bewerber, der keine Erprobungsabordnung absolviert hatte, einem erfolgreich
erprobten Bewerber vorgezogen worden ist. Soweit vereinzelt Richterinnen und
Richter ohne Erprobungsabordnung auf eine Stelle der Besoldungsgruppe R 2
befördert worden sind, handelte es sich stets um Ausnahmefälle aufgrund
besonderer Bewerbungskonstellationen (vgl. etwa Beschlüsse des Senats vom 28.
Oktober 1993 und vom 22. Dezember 1994, jeweils a.a.O.).
Der Antragsgegner war daher berechtigt, die dienstliche Beurteilung über die
Erprobungsabordnung des Beigeladenen bei seiner Auswahlentscheidung
entsprechend stärker zu gewichten. In ihrer Berücksichtigung im Rahmen des
Eignungs- und Leistungsvergleichs zwischen der Antragstellerin und dem
Beigeladenen liegt insbesondere kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot,
obwohl die Antragstellerin ihrerseits nicht an den Hessischen
Verwaltungsgerichtshof abgeordnet gewesen ist und auch von den Möglichkeiten
einer Ersatzabordnung an ein Ministerium oder an das Justizprüfungsamt keinen
Gebrauch gemacht hat (vgl. dazu OVG SH, Beschluß vom 16. Mai 1994 - 3 M
31/94 -, SchlHA 1994, 238 - Juris -). Die erfolgreiche Erprobung des Beigeladenen
ist eine Tatsache, die der Dienstherr ebenso wie etwa die erfolgreiche Tätigkeit
eines Beamten im Aufgabengebiet eines höherwertigen Dienstpostens aufgrund
des Leistungsprinzips zwingend berücksichtigen muß (vgl. dazu Beschlüsse des
Senats vom 11. April 1994 - 1 TG 1516/94 -, vom 28. Februar 1995 - 1 TG 2429/94
- sowie vom 13. Dezember 1995 - 1 TG 2610/95 -); darauf hat der Beigeladene
seinerseits im Rahmen seines Bewerbungsverfahrensrechts einen Anspruch. Eine
Rechtsverletzung zu Lasten der Antragstellerin liegt darin nicht. Auf die Gründe,
aus denen die Antragstellerin davon Abstand genommen hat, sich an den
Hessischen Verwaltungsgerichtshof abordnen oder anderweit erproben zu lassen,
kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen.
Damit aber erweisen sich die nachgereichten Erwägungen des Antragsgegners für
die getroffene Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen sowohl in ihren
einzelnen Elementen als auch in ihren Schlußfolgerungen als nachvollziehbar und
im Rahmen der beschränkten gerichtlichen Kontrollbefugnisse frei von
Beanstandungen.
Der Antragsgegner ist mit Rücksicht auf das Anforderungsprofil des zu
besetzenden Richterdienstpostens zutreffend davon ausgegangen, daß sowohl die
Antragstellerin als auch der Beigeladene über mehrjährige Erfahrungen als
stellvertretende Kammervorsitzende verfügen, und zwar nicht nur im Rahmen von
Abwesenheitsvertretungen, sondern gleichermaßen in der nicht nur
vorübergehenden alleinigen Führung der Geschäfte einer Kammer des
Verwaltungsgerichts. Er hat sodann die besonderen Erfahrungen berücksichtigt,
die allein der Beigeladene während seiner Abordnung gewonnen hat, und er ist
schließlich bei wertender Betrachtung der hierüber und über die Tätigkeit der
Antragstellerin und des Beigeladenen als Richterin bzw. Richter an
unterschiedlichen Verwaltungsgerichten erteilten dienstlichen Beurteilungen zu
dem Schluß gekommen, daß eine weit überdurchschnittliche juristische
Leistungsfähigkeit im Falle des Beigeladenen über einen längeren Zeitraum
festgestellt werden könne als bei der Antragstellerin. Dieser ausschlaggebende
Gesichtspunkt ist am Leistungsprinzip orientiert und gibt keinen Anlaß zu
gerichtlichen Beanstandungen. Der Antragsgegner war wegen dieser Sachlage
gehindert, Gesichtspunkte der Frauenförderung bei seiner Entscheidung
maßgeblich zu berücksichtigen.
Das weitere Vorbringen der Antragstellerin - insbesondere im
Beschwerdeverfahren - rechtfertigt keine andere Beurteilung der Sach- und
Rechtslage.
Als unterliegende Partei hat die Antragstellerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Zu einer Billigkeitsentscheidung
hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3
VwGO besteht kein Anlaß, da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und somit
kein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14 -
entsprechend -, 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1 Buchstabe a und 2, 20 Abs. 3
GKG. Bei Zugrundelegung eines Endgrundgehalts nach Besoldungsgruppe R 2 von
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GKG. Bei Zugrundelegung eines Endgrundgehalts nach Besoldungsgruppe R 2 von
8.342,58 DM ergibt sich ein Hauptsachenstreitwert von 54.226,77 DM, der im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu drei Achtel anzusetzen ist.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.