Urteil des HessVGH vom 27.02.1990

VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, ermessen, verfügung, anerkennung, asylbewerber, rechtsschutzinteresse, hessen, verfahrenserledigung, bekanntgabe, rechtspflicht

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 559/90
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 2 AsylVfG, § 11
Abs 2 AsylVfG, § 22 Abs 5
AsylVfG, § 22 Abs 9
AsylVfG, § 33 AsylVfG
(Örtliche Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende
Maßnahmen; Ermessen)
Gründe
Der Senat entscheidet über die Beschwerde, ohne dem Antragsteller nochmals
unter Fristsetzung Gelegenheit zu geben, die in der Beschwerdeschrift
angekündigte, aber bisher nicht erfolgte Begründung des Rechtsmittels
nachzuholen. In dem seiner Natur nach äußerst eilbedürftigen Verfahren nach § 10
Abs. 3 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist es Sache des jeweiligen Antragstellers,
seine Rechtsbehelfe ohne Aufforderung und tunlichst innerhalb der Fristen für die
Einlegung der Rechtsbehelfe zu begründen. Ein anwaltlich vertretener
Asylbewerber kann bei derartigen Verfahren in der Beschwerdeinstanz nicht damit
rechnen, daß das Beschwerdegericht über den Ablauf der Beschwerdefrist hinaus
auf eine Beschwerdebegründung wartet oder ausdrücklich zu der angekündigten
Beschwerdebegründung auffordert. Denn zum einen ist eine Begründung der
Beschwerde -- anders beispielsweise bei Beschwerden nach § 32 Abs. 4 AsylVfG --
hier keine Zulässigkeitsvoraussetzung, zum anderen hat die Eilbedürftigkeit des
vorliegenden Verfahrens selbstverständlich auch Auswirkungen auf die
Mitwirkungsobliegenheiten des Antragstellers.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat
den Aussetzungsantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Allerdings kann der Aussetzungsantrag entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht mit dem Argument als unzulässig angesehen werden,
das Klageverfahren 4/4 E 8408/89 habe sich aufgrund des Beschlusses des
Verwaltungsgerichts vom 11. Oktober 1989 gemäß § 33 AsylVfG erledigt. Denn
eine Erledigung des Klageverfahrens nach dieser Vorschrift ist offensichtlich nicht
eingetreten, weil die Voraussetzungen für den Erlaß einer Aufforderung nach § 33
AsylVfG nicht vorgelegen haben. Eine derartige Aufforderung verfehlt ihren Zweck
und vermag die Rechtsfolgen des § 33 AsylVfG nicht herbeizuführen, wenn zur Zeit
ihres Erlasses vernünftigerweise kein Zweifel am Fortbestehen des
Rechtsschutzinteresses bestehen kann (BVerwG, Beschluß vom 13. Januar 1987 --
9 C 263.86 --, NVwZ 1987, 604 <605> unter Hinweis auf Urteil vom 23. April 1985
-- 9 C 48/84 -- BVerwGE 71, 213 = NVwZ 1986, 46). Das Verwaltungsgericht hat
hier den Antragsteller mit Beschluß vom 11. Oktober 1989 gemäß § 33 AsylVfG
aufgefordert, glaubhaft zu machen, daß er sich noch im Geltungsbereich des
AsylVfG aufhält und demgemäß nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse an dem
Antrag auf politisches Asyl besteht. Dabei hat das Verwaltungsgericht offenbar
unterstellt, daß mit dem endgültigen Verlassen der Bundesrepublik Deutschland
das Rechtsschutzinteresse auch für die Asylverpflichtungsklage entfalle. Diese
Auffassung steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Januar 1989 -- 9 C 44.87 -- BVerwGE
81, 164 = NVwZ 1989, 673 = EZAR 205 Nr. 10). Auch unter dem Gesichtspunkt
einer möglichen Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten aus § 17 Abs. 1
AsylVfG durch den Antragsteller war die Aufforderung nach § 33 AsylVfG nicht
veranlaßt, und zwar abgesehen davon, daß der Antragsteller auf diese
Mitwirkungspflichten nicht gemäß § 17 Abs. 5 AsylVfG durch die Ausländerbehörde
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Mitwirkungspflichten nicht gemäß § 17 Abs. 5 AsylVfG durch die Ausländerbehörde
hingewiesen war. Die Frage der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten und
daraus sich ergebender Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses
kann sich nämlich erst dann stellen, wenn eine prozeßleitende Verfügung
unbeachtet geblieben ist (BVerwG, Urteil vom 26. April 1988 -- 9 C 267.86 --,
Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 8). Der Antragsteller war hier indessen, soweit
dies aus den Akten ersichtlich ist, vor Erlaß des Beschlusses gemäß § 33 AsylVfG
nicht durch prozeßleitende Verfügung konkret zur Mitteilung seines derzeitigen
Aufenthaltsorts aufgefordert worden. Mit der Eingangsbestätigung des
Verwaltungsgerichts Wiesbaden (Blatt 3 der Akten 4/4 E 8408/89) waren er und
sein Prozeßbevollmächtigter lediglich auf die Pflicht hingewiesen worden, jeden
Wechsel der Anschrift unverzüglich anzuzeigen. Um Zweifel am Bestehen eines
Rechtsschutzbedürfnisses aufkommen zu lassen, hätte diese allgemeine
Aufforderung durch eine weitere prozeßleitende Verfügung konkretisiert werden
müssen, ehe von den Möglichkeit des § 33 AsylVfG hätte Gebrauch gemacht
werden können.
Der Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 11. Oktober 1989 hat auch nicht
deswegen zur Verfahrenserledigung geführt, weil Zweifel am Fortbestehen eines
Rechtsschutzbedürfnisses aus anderen Gründen gegeben waren. Zwar kann das
Rechtsschutzbedürfnis dann fehlen, wenn sich ein Asylbewerber trotz mehrfacher
Aufforderung beharrlich weigert, den zuständigen Behörden und Gerichten seinen
Aufenthaltsort im Inland bekanntzugeben (st. Rspr. des Senats seit Beschluß vom
8. Oktober 1986 -- 10 UE 1246/86 --, ESVGH 37, 44 = EZAR 630 Nr. 24). Hierzu
hätte es indessen mindestens zweier Aufforderungen zur Bekanntgabe des
derzeitigen Aufenthalts des Antragstellers bedurft, ehe von den Möglichkeiten des
§ 33 AsylVfG hätte Gebrauch gemacht werden können; mangels
Entscheidungserheblichkeit kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob nach
ordnungsgemäßer Belehrung des Asylbewerbers gemäß § 17 Abs. 5 AsylVfG
bereits eine einmalige Aufforderung ausreichen kann, wenn der Asylbewerber
seiner Rechtspflicht aus § 17 Abs. 1 AsylVfG nicht genügt hat.
Dem Aussetzungsantrag ist aber letztlich der Erfolg zu versagen, weil die
Rechtsverfolgung des Antragstellers im nicht erledigten Klageverfahren
offensichtlich aussichtlos ist.
Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Antragsgegnerin für den Erlaß der
angegriffenen Abschiebungsandrohung vom 11. Januar 1989 örtlich nicht
zuständig war. Denn weder hatte der Antragsteller bei ihr seinen Asylantrag
gestellt, noch hatte er sich, soweit sich dies den Akten entnehmen läßt, jemals in
ihrem Bezirk aufgehalten. Allein aus der Zuweisungsentscheidung der Zentralen
Aufnahmestelle des Landes Hessen vom 7. Oktober 1988 läßt sich eine örtliche
Zuständigkeit des Oberbürgermeisters der Stadt Kassel für aufenthaltsbeendende
Maßnahmen nach §§ 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 AsylVfG im Rahmen des § 20 Abs. 2
Satz 1 AuslG nicht herleiten (Hess. VGH, Beschluß vom 29. November 1988 -- 12
D 6221/88 zu 12 TH 2846/88 --). Der Mangel der örtlichen Zuständigkeit wird hier
jedoch aller Voraussicht nach nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids
führen, weil die Ausländerbehörde trotz des ihr bei der Bemessung der
Ausreisefrist eingeräumten Ermessens in der Sache selbst keine dem
Antragsteller günstigere Entscheidung hätte treffen können (§ 46 HVwVfG). Der
Senat folgt insoweit der Auffassung des 12. Senats, wie sie in dessen Beschluß
vom 19. Juli 1988 -- 12 TH 2887/88 -- Ausdruck gefunden hat:
"Gemäß § 46 HVwVfG kann ein Verwaltungsakt nicht allein wegen der
Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit aufgehoben werden,
wenn eine andere Entscheidung in der Sache nicht hätte getroffen werden können.
Diese Vorschrift ist ausnahmsweise auch bei Ermessensentscheidungen
anwendbar, wenn das der Behörde eingeräumte Ermessen auf Null reduziert war
(BVerwGE 62, 108 <116>; BVerwG, NVwZ 1988, 525 m.w.N.; Hess. VGH, B. v. 19.
Juni 1986- 10 TH 1199/86 --; a.A. für einen anders gelagerten Einzelfall Hess. VGH,
B. v. 27. Januar 1988 -- 10 TH 3932/87 --). Nach der Ablehnung des Asylantrags als
offensichtlich unbegründet...war die Ausländerbehörde gehalten, eine
Abschiebungsandrohung zu erlassen, da der Antragsteller über ein
asylverfahrensunabhängiges Bleiberecht im Sinne von § 11 Abs. 1 AsylVfG nicht
verfügte (§ 11 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 AsylVfG) und sich im übrigen auch nicht
auf ein Abschiebungshindernis berufen konnte. Soweit der Ausländerbehörde bei
der Bestimmung der Ausreisefrist ein Ermessen zustand, ist weder vom
Antragsteller vorgetragen noch aus den Umständen erkennbar, daß zu seinen
Gunsten eine andere Entscheidung...hätte getroffen werden können..."
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So liegen die Dinge auch hier. Eine längere als die gesetzte Ausreisefrist von 14
Tagen nach Zustellung des Bescheids wäre dem Antragsteller mit Sicherheit nur
dann gesetzt worden, wenn dieser über einen festen Aufenthaltsort, eine geregelte
Beschäftigung oder familiäre Bindungen verfügt hätte, die für die notwendigen
Ausreisevorbereitungen einen längeren Zeitraum erfordert hätten. Dafür fehlt hier
jeder Anhaltspunkt. Materiell sind der angefochtene Bescheid vom 11. Januar 1989
und die zugrundeliegende Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge nicht zu beanstanden. Der Senat teilt das
"Offensichtlichkeitsurteil" des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, was für die endgültige Ablehnung des Aussetzungsantrags erforderlich
ist (BVerfG, Beschluß vom 2. Mai 1984 -- 2 BvR 1413/83 --, BVerfGE 67, 43 <56
ff.> = NJW 1984, 2028). Zur weiteren Darstellung kann insoweit in vollem Umfang
den Ausführungen in der Begründung des Bescheids des Bundesamts für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 31. Oktober 1988 -- 436-21837-88 --
gefolgt werden. Dem ist lediglich hinzuzufügen, daß die in diesem Bescheid
dargestellte Einschätzung sich mit derjenigen des Senats deckt, wie sie vor allem
in dem dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers bekannten Urteil vom 22.
Oktober 1987 -- 10 UE 3116/86 -- (Hess.VGRspr. 1988, 41) und seither in ständiger
Rechtsprechung Ausdruck gefunden hat.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.